Die Eisbrecher – mit 3D-Technologie zur intelligenten und nachhaltigen Kühlbox
- Die Gründer von Tec4med starteten ihr Unternehmen mit der Entwicklung einer aktiven Kühllösung, die Einweg-Boxen überflüssig macht und durch die Mehrfachnutzung weniger Müll produziert.
- Sie gewannen Wettbewerbe, überzeugten Investoren und machten ihre Erfindung unter dem Namen NelumBox markttauglich.
- Neben klinischen Studien, der Pharmaindustrie und Rettungsdiensten hat die Kühllösung auch im E-Commerce und vor allem im Lebensmitteltransport Potenzial.
Auf seinem Flug von Brasilien in die Schweiz, irgendwo über dem Atlantik, muss Martin Voigt der Gedanke gekommen sein, etwas zu ändern. Der Gedanke, dass es noch eine andere Lösung geben muss als die, die seit Jahrzehnten als die einzig mögliche galt. Zu dieser Zeit, im Jahr 2014, ist Martin Voigt noch Maschinenbaustudent im hessischen Darmstadt. Er jobbt als Onboard-Kurier – heißt, er begleitet und überwacht temperatursensible Aussendungen über die Kontinente hinweg. In vielen Fällen sind das Blut- und Dopingproben – verpackt in Einweg-Styroporboxen, liegend auf Kühlakkus oder Trockeneis. Ist die Lieferung am Ziel, landen Box, Akku und Eispakete allerdings im Müll. Sollte der Flug Verspätung haben, verspätet sich auch die Lieferung – und das Risiko steigt, dass die Proben zu warm und dadurch unbrauchbar würden. Denn die Kühlakkus sind in ihrer Laufzeit beschränkt. Alternativen, die Boxen elektrisch zu kühlen und nachhaltig zu konzipieren, gab es bis dahin nicht.
Medikamente lagern wie Lebensmittel im Kühlschrank
Heute, mit sieben Jahren Abstand, erzählt Martin Voigt seine Geschichte aus der Perspektive eines Geschäftsmanns und Unternehmensgründers, der eine Lücke im Markt erkannt und genutzt hat, der sich mit den richtigen Leuten am richtigen Ort zusammengeschlossen und an einer Idee so lange geschraubt hat, bis sie marktfähig wurde. Das Startup, das 2017 entstand, nannten er und seine Mitgründer Nico Höler und Julian Poths Tec4med Lifescience GmbH. Unter dieser Firmierung entwickeln sie in einem Team aus mittlerweile rund 17 Mitarbeitenden digitalisierte und nachhaltige Kühllösungen.
„Nelum ist ein anderes Wort für Lotos“, sagt Nico Höler, der bei Tec4med für die Geschäftsführung zuständig ist. Er meint damit die Lotosblume, Gattung Nelumbo. So wie die Pflanze sich durch den sogenannten Lotoseffekt selbst reinigen kann und jeglichen Schmutz von sich hält, so reguliert die Box sich selbst auf eine individuelle Temperatur –äußere Einflüsse wie mögliche Temperaturschwankungen oder unerwartet lange Transportzeiten perlen an der NelumBox ab wie Wasser und Schmutz an den Blättern der Lotosblume. „Man kann sich die Box vorstellen wie einen Mini-Kühlschrank“, erklärt Höler. Die beiden geladenen Lithium-Ionen-Akkus der Box halten bis zu 48 Stunden, „aber sobald ich die Box an den Strom anschließe, habe ich unendlich Laufzeit. Laden kann sie an jeder Steckdose.“
Momentan entwickelt Tec4med die NelumBox hauptsächlich für klinische Studien und die Pharmaindustrie, aber auch Rettungsdienste, gerade in den USA, zeigen vermehrt starkes Interesse an den aktiven Kühlboxen. „Die Kaufbereitschaft und der Bedarf sind hier am größten“, sagt Höler. Die Box kann stationär und mobil eingesetzt werden. Daten über Luftfeuchtigkeit im Innenraum, Temperaturschwankungen, Bewegung und Erschütterungen und Batteriestatus fließen in die Cloud, werden auf diese Weise dokumentiert, kontrolliert und überwacht. Ein Schloss ist ebenfalls integriert, für den Fall, dass die Box samt medikamentösem Inhalt beim Patienten zu Hause untergebracht ist, dieser aber keinen Zugriff darauf haben soll. „Eine behandelnde Person kann die Box mit einer Karte entsperren, dem Patienten seine Medikamente applizieren und diese wieder in der Box verwahren“, sagt Höler. „So muss die Box auch nicht zwischen Studienzentrum und Patient befördert werden und kann einfach dort stehen bleiben.“
Mit 3D-Druck zum gewünschten Endergebnis
Dass es vor der Gründung von Tec4med keine solche Möglichkeit gab, überraschte die Gründer, weswegen sie bald, anfingen, eine Box zu konstruieren, die weniger Müll produzieren und infrastrukturell unabhängig funktionieren sollte. Ganz ohne rechnergestützte Mittel stießen sie jedoch schnell an die Grenzen des Möglichen – und fanden zu Autodesk Fusion 360 . „Damit können wir Teile der Box und die Box selbst visualisieren sowie simulieren und Produktiterationen für Kunden testen, ohne sie physisch vor uns zu haben“, sagt Höler. „Außerdem können wir über die eigenen Unternehmensgrenzen hinweg an einem Projekt arbeiten, mit externen Partnern kollaborieren und Daten über die Cloud den Zulieferern zur Verfügung stellen. Und jeder ist auf dem gleichen Stand.“ Teile des Kühlsystems und des aerodynamisch optimierten Gehäusegitters fertigen sie im 3D-Druckverfahren. „Zum einen aus Kostengründen, da wir das Gitter damit werkzeuglos und ohne Nachbearbeitung bauen können, zum anderen aus technischen Gründen“, sagt Nico Höler. Die Komponenten des Kühlsystems könnten so in ihrer Dimensionierung optimiert ausgelegt werden.
Die Box hat ein Maß von 35x35x22 Zentimetern, ein Innenvolumen von etwa fünf Litern und ein Gewicht von zehn Kilogramm. Längerfristig will sich das Unternehmen außerdem nicht nur auf den medizinischen Bereich beschränken. In der gesamten Kühlkettenlogistik liegt ihrer Ansicht nach großes Potential, insbesondere im E-Commerce und vor allem im Lebensmitteltransport. Vereinfacht gesagt würde das so aussehen: ein Lebensmittelhandel verleiht Boxen im Abo-Modell, der Kunde kauft seine Lebensmittel online und stellt die Box vor die Haustür. Die digitalisierte Box weiß, wann der Kurier mit den Lebensmitteln kommt und startet die Kühlung. Der Kurier entriegelt die Box, packt die Lebensmittel hinein, verriegelt wieder. Der Kunde erhält eine Nachricht über die Lieferung auf sein Handy.
Tec4med existiert seit vier Jahren, in dieser Zeit ist viel passiert, ihre Pläne sind ambitioniert, werden mit jedem Schritt ambitionierter. Unterstützt werden sie dabei vom Technology Impact Programm. Tec4med sind nicht weit davon entfernt, die Branche zu revolutionieren. Womöglich haben sie das bereits.