Humanitäre Impfhilfe: Wie Technologie Schwellenländer unterstützt
- Das Technologie-Start-up Nexleaf trägt durch Überwachung der Kühlketten dazu bei, dass die Temperaturvorgaben für Transport und Lagerung eingehalten werden und die Impfstoffe so ihre volle Wirkung entfalten können.
- Die Non-Profit-Organisation WeRobotics versorgt mithilfe von Drohnen auch abgelegene Orte mit Impfstoffen.
- Der gemeinnützige Technologieanbieter Simprints entwickelt ID-gestützte Methoden, die den Zugang zur Gesundheitsversorgung erleichtern sollen.
Nach fast zwei Jahren Pandemie mit umfangreichen Lockdown-Maßnahmen hat die erfolgreiche Entwicklung wirksamer COVID-19-Impfstoffe in Europa und Nordamerika wieder die Hoffnung auf ein „normales“ Leben aufkeimen lassen – eine Situation, von der einige Schwellenländer nur träumen können. Vielerorts ist die Impfstoffversorgung nicht gesichert und humanitäre Impfhilfe erforderlich, denn während die Industriestaaten die Wirkstoffe in großen Mengen einkaufen und verimpfen, müssen kleinere Länder erst einmal die erforderlichen finanziellen Mittel für die Impfstoffe aufbringen und die nötige Infrastruktur aufbauen, damit die Bevölkerung auch tatsächlich geimpft werden kann.
Schon innerhalb der reicheren Länder hat sich die Koordination der Immunisierung als Herausforderung erwiesen. Die ganze Welt gegen das neue Virus zu wappnen gestaltet sich jedoch insbesondere in den Schwellenländern noch ungleich komplexer. Umso beeindruckender sind die bisherigen Erfolge, die im Rahmen der bislang wohl größten globalen Impfkampagne erzielt wurden. Nichtsdestotrotz sind in vielen Ländern noch nationale, regionale und kommunale Hürden zu überwinden, damit der Impfstoff alle Menschen erreichen und die Pandemie aufgehalten werden kann.
Drei von der Autodesk Foundation unterstützte Organisationen wollen hier Abhilfe schaffen und mit Technologie, Kreativität und Innovation die hergestellten Impfdosen schneller zu den Menschen bringen. Damit leisten sie nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen die weitergrassierende Pandemie, sondern legen das Fundament für resilientere und effektivere Versorgungssysteme von morgen.
Innovativ, zuverlässig und sicher
„Damit Impfstoffe an ihrem Zielort noch immer wirksam sind, muss auf ihrem gesamten Reiseweg durchgängig ein festgelegter Temperaturbereich eingehalten werden, also nicht nur beim Hersteller und in den jeweiligen nationalen, regionalen und lokalen Lagereinrichtungen, sondern auch beim Transport auf dem LKW, dem Schiff, im Flugzeug oder auf dem Motorrad“, so Amy Fowler, Leiterin für Impfprogramme bei Nexleaf Analytics. Die entsprechenden Anforderungen und Maßnahmen werden unter dem Begriff der „Kühlkette“ zusammengefasst. Nur wenn diese Kühlkette strikt eingehalten wird, kann ein Impfstoff seine vorgesehene Wirkung entfalten und gegebenenfalls Leben retten. Wird sie jedoch zu irgendeinem Zeitpunkt unterbrochen, ist der Impfstoff nicht mehr verwendbar und muss entsorgt werden.
Wenn die Temperatur eines Impfstoffs nicht mehr im vorgegebenen Bereich liegt, spricht man von einer Temperaturabweichung. Die meisten Impfstoffe werden wirkungslos, sobald sie längere Zeit höheren Temperaturen bzw. kurze Zeit niedrigeren Temperaturen ausgesetzt sind. Fowler weiter: „Im besten Fall führt eine solche Temperaturabweichung nur dazu, dass der betroffene Impfstoff nicht verwendet wird und neu geordert werden muss. Ohne geeignete und lückenlose Überwachung besteht jedoch auch die Gefahr, dass ein solcher unbrauchbarer Impfstoff dennoch verabreicht wird und so den Anschein einer Immunität erweckt, die in Wirklichkeit nicht mehr gegeben ist. Dies lässt sich nur durch eine rigorose Einhaltung und kontinuierliche Kontrolle der Kühlkette verhindern.“
Hier kommen die Sensortechnologien sowie Datenerfassungs- und Analysesysteme von Nexleaf ins Spiel. Das für die Fernüberwachung der Temperatur konzipierte Gerät ColdTrace erfasst über seine Sensoren die wesentlichen Daten der Kühlkette und benachrichtigt bei einer Temperaturabweichung umgehend die Zuständigen in der jeweiligen medizinischen Einrichtung. „So können Mitarbeitende dann beispielsweise direkt zum Kühl- oder Gefrierschrank gehen und diesen überprüfen“, erklärt Fowler. Die Fernüberwachung versorgt auch die übergeordneten Entscheidungsträger mit maßgeblichen Informationen zu den Kühlketten. So wissen diese sofort, wann ein Kühl- oder Tiefkühlgerät repariert oder ausgetauscht werden muss, und können entsprechende Maßnahmen einleiten.
Fowler betont: „Wir wollen Länder zu eigenen Entscheidungen und Lösungsansätzen befähigen. Die Mitarbeitenden vor Ort können viel besser einschätzen, wo das Problem mit einem Gerät gerade liegt, und die beste Lösung ergibt sich unserer Ansicht nach, wenn sie über die entsprechenden Daten zur Ermittlung und Behebung der jeweiligen Kühlkettenabweichung verfügen.“
Bei einer in Kenia durchgeführten Pilotstudie hat das Überwachungssystem von Nexleaf sogar dazu geführt, dass die Dauer im optimalen Temperaturbereich von 83,9 % auf 90,9 % der Gesamtzeit stieg. Dementsprechend sank der Anteil der Zeit unterhalb des vorgegebenen Bereichs (was oftmals die gefährlichere Temperaturabweichung ist) von 6,5 % auf 1,5 %.
„Gemäß unseren Daten waren diese Verbesserungen voraussichtlich darauf zurückzuführen, dass die Mitarbeitenden dank der automatisch gesendeten Benachrichtigungen schneller reagieren und die Geschäftsleitungen bei wiederholt auftretenden Problemen besser fundierte Entscheidungen treffen konnten“, ergänzt Fowler.
Impfhilfe: Technologie schafft praxistaugliche Lösungen für die letzte Meile
WeRobotics entwickelt mobile Lösungen für Situationen wie die aktuelle Pandemie. Die gemeinnützige Organisation ist dadurch für die derzeitigen Anforderungen bestens gewappnet und unterstützt lokale Organisationen ortsunabhängig mit allem Nötigen, wobei darauf geachtet wird, dass die jeweiligen Initiativen stets von lokalen Experten ausgehen und geleitet werden. Hierzu hat WeRobotics als Partner Flying Labs mitbegründet, ein Netzwerk unabhängiger Wissenszentren unter Leitung einheimischer Fachkräfte. Für die Verteilung der COVID-19-Impfstoffe fiel die Wahl auf speziell umgerüstete Drohnen, die selbst an die entlegensten Orte gelangen.
Ursprünglich wurden die Drohnen für den industriellen Einsatz entwickelt, haben für den Transport der Impfstoffe jedoch eigens ein neues Fracht-Upgrade erhalten und sind bereits weltweit unterwegs. WeRobotics stellt die Drohnen jedoch nicht nur zur Verfügung, sondern unterstützt die lokalen Experten auch dabei, die Flugtransporter bei Bedarf individuell an die Gegebenheiten besonders schwer zu erreichender Kommunen anzupassen, damit wirklich die gesamte Bevölkerung gegen COVID-19 geimpft werden kann.
„Das Fracht-Upgrade umfasst neue Elektronik und Software und ermöglicht so die Umwandlung von Industriedrohnen, die unter anderem zu Kartierungszwecken genutzt werden, in hochgradig zuverlässige Frachtdrohnen“, führt WeRobotics-Mitgründer Patrick Meier weiter aus. „Da unsere bereits vorhandenen Industriedrohnen als Basis dienen, haben wir weniger Kosten als andere Anbieter in diesem Sektor, die Lieferdrohnen erst aufwändig neu produzieren müssen.“
Der Vorteil liegt neben den niedrigen Kosten zudem darin, dass bei der Anpassung der Drohnen das Wissen derjenigen berücksichtigt werden kann, die am besten wissen, was wann und wo benötigt wird: der Menschen vor Ort.
„Wir dürfen nicht vergessen: Es geht hier nicht um Großlieferungen, sondern eher um häufige Kleintransporte, denn der Fokus der Flying Labs liegt auf der Versorgung kleiner, verstreuter Dörfer und Ortschaften, die besonders abgelegen oder schwer erreichbar sind“, weist Meier noch einmal hin. Somit braucht es keine allzu großen Transportbehälter. Auch die Planung und Ausführung der Impfstofflieferungen liegen gänzlich in der Hand der lokalen Experten. „Immerhin sind sie diejenigen, die sich vor Ort am besten auskennen, um die lokalen Gegebenheiten und Anforderungen wissen und über den entsprechenden Erfahrungsschatz verfügen.“
Zweifelsfreie Identität
In vielen Regionen der Welt genügt das Vorzeigen eines amtlichen Lichtbildausweises oder die Angabe einer zugewiesenen Identifikationsnummer als Identitätsnachweis.
Ebenso gibt es aber auch viele Regionen, in denen dies nicht so simpel und eindeutig funktioniert. „Etwa 1 Milliarde Menschen auf der Welt verfügen über kein offizielles Dokument, mit dem sie sich ausweisen könnten“, bestätigt Christie Civetta, die beim gemeinnützigen, auf biometrische Identifikationslösungen spezialisierten Tech-Unternehmen Simprints Hauptverantwortliche für Unternehmenspartnerschaften ist. „In vielen Regionen und insbesondere ländlichen Gegenden tragen viele zum Beispiel denselben Namen, und manche kennen nicht einmal ihr genaues Geburtsdatum.“ Hier lässt sich die Identität einzelner Personen nur schwer feststellen bzw. nachweisen.
Mit Lösungen zur biometrischen Identifikation will Simprints für deutlich mehr Transparenz und Effektivität sorgen. Hierzu werden eindeutige körperliche Identifikationsmerkmale wie Gesicht, Fingerabdruck, Handfläche, Ohr oder Fußsohle erfasst, anhand derer sich die Identität einer Person später unzweifelhaft feststellen lässt. So kann den Betroffenen Zugang zu grundlegenden Leistungen wie einer Gesundheitsversorgung – und damit u. a. zu Impfstoffen – ermöglicht werden.
In Kooperation mit der staatlichen Gesundheitsbehörde von Ghana (Ghana Health Services, GHS) modernisieren Civetta und Simprints die Infrastruktur des nationalen Gesundheitssystems, damit alle Bewohnenden des Landes bei Bedarf medizinische Hilfe in Anspruch nehmen können. „Im Prinzip machen wir alle dortigen elektronischen Erfassungsgeräte sowie digitalen Gesundheitslösungen biometriefähig und schaffen damit ein System zur eindeutigen Identitätsfeststellung, das aus technischer Sicht eine höhere Datenqualität bietet“, bemerkt Civetta. Jeder, der eine medizinische Leistung in Anspruch nimmt, hat so jederzeit Zugriff auf seine Gesundheitsdaten, ohne Schwierigkeiten bei der Identifikation befürchten zu müssen.
Diese Technologie befindet sich bereits seit Jahren in der Entwicklung, gewann jedoch in den vergangenen 18 Monaten immens an Bedeutung, vor allem unter den Vorzeichen der sogenannten „neuen Normalität“. Ein Aspekt, der auch Civetta beschäftigt: „Wie können wir in einer Welt mit COVID-19 Leistungen überprüfbar bereitstellen, wenn der Kontakt mit anderen Menschen auf ein Minimum reduziert bleiben soll, physischer Kontakt wie beim Anfassen von Ausweisen nach Möglichkeit zu vermeiden ist und dennoch ein effizienteres Gesundheitssystem angestrebt wird?“
Ob die Biometrie die Erwartungen erfüllen kann, versuchen Simprints und die GHS in enger Zusammenarbeit derzeit bei der Versorgung von Müttern und ihren Kindern sowie im Bereich der Standardimpfungen herauszufinden. Für Civetta ist jedoch bereits klar, wohin der Weg führt, und zwar nicht nur in Ghana. „Natürlich fangen wir erst einmal klein an. Doch es ist breiter Konsens, dass die Biometrie zahlreiche Vorteile bietet, weshalb auch bereits Überlegungen und Gespräche bezüglich ihrer weiteren Anwendungsmöglichkeiten stattfinden. Dies betrifft auch die Durchführung von Impfkampagnen, die über Standardimpfungen hinausgehen.“