Häufig wird das Einführen flacher Hierarchien zur Stärkung multidisziplinärer Teams noch als radikaler Bruch angesehen. Doch die Veränderungen der vergangenen 18 Monate haben gezeigt, dass genau diese Maßnahme den Angestellten enorm dabei hilft, nicht nur ihr eigenes Selbstvertrauen zu stärken, sondern auch den individuellen Nutzen, den jede und jeder im Unternehmen einbringen kann, in den Vordergrund zu stellen.
„Durch die dezentrale Arbeit wurden viele Unterschiede gleichgemacht“, schildert Lisa Campbell, CMO bei Autodesk, ihre Erfahrungen. „Die Angestellten fühlen sich besser vernetzt und können Aufgaben und Inhalte besser teilen. Außerdem habe ich das Gefühl, die Menschen in meinem Team viel leichter kennenlernen zu können als zuvor. Manche holen sogar ihre Kinder oder Haustiere vor die Kamera. Vor Corona war es ein absolutes Tabu, mit den Chefs über den Privathaushalt zu reden. Jetzt ist das alles viel lockerer und wir finden es toll, dass wir die Namen der Kinder unserer Angestellten kennen und wissen, welche Kostüme sie zu Halloween getragen haben.“
„Die Hierarchien werden allein schon dadurch als flacher wahrgenommen, weil auf dem Bildschirm alle zweidimensional sind“, stimmt Howder zu. „Mir ist aufgefallen, dass es gar nicht so schlecht ist, wenn im Zoomcall Teile der sonst so wichtigen Körpersprache ausbleiben. Durch das abflachende Machtgefälle melden sich auch jüngere Angestellte häufiger zu Wort und fühlen sich in Gruppensituationen wohler.“
„Viele Videocall-Plattformen filtern die Hintergrundgeräusche der Teilnehmer, die gerade nicht sprechen, automatisch heraus“, ergänzt Etlinger. „Wenn weniger Leute durcheinanderreden, können so die Stimmen derer, die sonst im Hintergrund verschwinden, besser gehört werden.“
Für die Führungskräfte von Unternehmen, die eine schnelle Rückkehr ins Büro planen oder ohnehin viele Beschäftigte auf Baustellen und dem Firmengelände haben, besteht eine besondere Herausforderung nun darin, diese Erkenntnisse auch im physischen Raum umzusetzen. Dazu muss allerdings ein Umdenken auch in Bezug auf traditionelle Kennziffern stattfinden: Welche Rolle spielt die Bürofläche je Arbeitskraft für Wertschöpfung und sozialen Zusammenhalt? Sollte das alte Konzept vom Büroraum mit festinstallierten Schreibtischen überholt werden und mehr Platz für Meetings im Sinne von sozialen Schaltzentren geschaffen werden? Könnten in diesen Räumen nicht etwa Mentoring-Programme erarbeitet und durchgeführt werden, um die Diversität künftiger Führungskräfte zu fördern? Dabei müssten Mentorinnen und Mentoren natürlich für die zusätzliche Arbeit entsprechend entschädigt und für den Mehrwert im Unternehmen belohnt werden.
Flache Hierarchien bringen viele Vorteile mit sich – unter anderem, dass sich diejenigen, die normalerweise in den Hintergrund gedrängt werden, zu Wort melden können.