Naturschutz in den USA: So sichern Attrappen der Kalifornischen Gopherschildkröte den Bestand
- In der südkalifornischen Mojave-Wüste macht die wachsende Rabenpopulation Jagd auf die Jungtiere der Kalifornischen Gopherschildkröte – mit verheerenden Auswirkungen auf den Schildkrötenbestand
- Hardshell Labs tritt dem entgegen: mit einem aus dem 3D-Drucker stammenden Schildkrötenroboter in der Größe eines Jungtiers, der Raben zunächst anlockt, ehe er sie mit einer Ladung Anthranilmethylsäureester in die Flucht schlägt, einen unter anderem in Traubenaromen eingesetzten Stoff
- Naturschutzmaßnahme zeigt in den USA bereits Wirkung: Erste Untersuchungen haben einen Rückgang der erfassten Raben um 46 % ergeben. Damit Hardshell Labs seine Arbeit fortsetzen kann, erhielt das Unternehmen Fördermittel von der US-amerikanischen National Science Foundation und wurde mit dem Roosevelt Genius Prize ausgezeichnet
In der südkalifornischen Mojave-Wüste breiten sich Raben rasant aus, da der Mensch ihnen unabsichtlich alles bereitstellt, was sie brauchen: Futter in Form von Abfällen und Verkehrsopfern aus der lokalen Fauna, Trinkwasser durch Bewässerungsanlagen, Abwässer und künstlich angelegte Wasserflächen sowie Nistplätze und Zufluchtsstätten in Form von Gebäuden, Strommasten und Reklametafeln.
Heute gelten Raben als invasive Wüstenspezies, deren wachsende Population zunehmend versucht, auch neue Nahrungsquellen zu erschließen. Leidtragende dieser Entwicklung sind die Kalifornischen Gopherschildkröten, die mittlerweile vom Aussterben bedroht sind. Dabei haben es die Raben vor allem auf die Jungtiere abgesehen, deren weiche Panzer noch keinen ausreichenden Schutz vor den harten Schnäbeln der hungrigen Vögel bieten.
Doch womöglich ist dieser wichtigen Reptilienart noch zu helfen – so jedenfalls die Überzeugung des Naturschutzbiologen Tim Shields und seines Kollegen Frank Guercio, die beide im kalifornischen Joshua Tree für das Unternehmen Hardshell Labs arbeiten. Sie haben einen Roboter entwickelt, der einer echten Kalifornischen Gopherschildkröte täuschend ähnlich sieht und den Raben mit Anthranilmethylsäureester den Kampf ansagt.
Denn die Vögel können diese chemische Verbindung, die unter anderem auch in künstlichen Traubenaromen zum Einsatz kommt, nicht ausstehen. Sobald ein Rabe mit seinem Schnabel an dem künstlichen Panzer pickt, stößt der Roboter zur Abschreckung eine Wolke des Aromastoffes aus.
Shields und Guercio nennen dies „aversive Konditionierung“. Ihre Hoffnung: Wenn genügend Raben ausreichend Roboterschildkröten begegnen, stellen die Vögel ihre Jagd auf die echten Kalifornischen Gopherschildkröten vielleicht ein. Laut ersten Untersuchungen scheint dieser Naturschutzansatz in den USA Wirkung zu zeigen.
Im Video können Sie die Roboterschildkröten im Einsatz erleben und mehr über diese wichtige Naturschutzmaßnahme in den USA erfahren.
[Transkript]
Tim Shields, Naturschutzbiologe, Hardshell Labs: Ich wollte schon immer Herpetologe, also Reptilien- und Amphibienforscher werden. Mit 14 Jahren begegnete ich meiner ersten Schildkröte überhaupt – einem Wildexemplar. Diese Begegnung prägte mich. Schildkrötenforscher wurde ich eher zufällig, da ich mich 30 Jahre lang einer einzigen Aufgabe gewidmet habe: Ich überwachte das Populationswachstum der Gopherschildkröte, das leider immer negativ ausfiel.
[Shields zeigt auf eine Infotafel über die Gopherschildkröte und liest den Inhalt laut vor.] „In freier Wildbahn leben auf einem Quadratkilometer etwa 77 Schildkröten.“ Falsch. Was da [auf dem Schild] steht, ist lange vorbei.
Uns wurde schnell klar, dass Raben viele Babyschildkröten töteten. Bei so vielen Raben und so wenig Schildkröten gehen die Überlebenschancen einer Jungschildkröte im Westen der Mojave-Wüste gegen null. Die Rechnung ist einfach. Mehr Menschen gleich mehr Raben gleich weniger Schildkröten. Jahrelang bestand meine Methode der Rabenabschreckung darin, ihnen zu Fuß nachzujagen und sie mit Steinen zu bewerfen.
Dann kamen wir auf die Idee, es mit einer künstlichen Schildkröte zu versuchen. Ich traf diesen verrückten Kerl, Frank Guercio, der einfach einen unglaublich wachen Geist hat. Ich bat ihn, eine künstliche, aber lebensechte Babyschildkröte zu bauen, und er legte los.
Frank Guercio, Entwickler, Hardshell Labs: Müsste ich meinem Fachgebiet einen Namen geben, würde ich es als „Naturschutztechnologie“ bezeichnen. Das ist was Neues, das gibt es noch nicht lange. Bisher habe ich für Tim Schildkröten, Rover, Geräte zum Einölen von Vogeleiern [zur Populationskontrolle] und Laser gebaut. Ich habe dabei auch Schildkröten unterschiedlicher Größen, Formen und Spezies nachgebildet. Ich finde so was toll.
Ich brauche diese Herausforderungen, Probleme zu lösen, Dinge zu entwickeln und mit dem 3D-Drucker etwas zu erschaffen. Mir lässt das sonst keine Ruhe. Damit es auch in der Zukunft noch Schildkröten gibt, muss ich als Entwickler die Lösung finden.
Shields: Unser Projekt basiert auf dem Prinzip der aversiven Konditionierung. Es gibt da diesen chemischen Stoff namens Anthranilmethylsäureester – der wird unter anderem für künstliches Traubenaroma verwendet. Aus irgendeinem Grund hassen Vögel und entsprechend auch Raben diesen Aromastoff.
Guercio: In jedem Panzer [Guercio zeigt zwei 3D-gedruckte Schildkrötenpanzer] befindet sich eine Blase.
Shields: Sobald Druck auf den Panzer [der Roboterschildkröte] ausgeübt wird, meldet das der Sensor, ein Akzelerometer. Wenn also nun der Rabenschnabel, an dem sich all diese empfindlichen Sinneszellen befinden, in den Panzer eindringt, wird der Aromastoff abgegeben. Das schreckt die Raben hoffentlich genug ab, dass sie den echten Schildkröten künftig fernbleiben. Bei Raben ist Vorsicht geboten. Wenn sie erst einmal hinter einen Trick gekommen sind, klappt der nie wieder. Deswegen bestehe ich immer auf maximale Genauigkeit, damit unsere Babyschildkröten möglichst lebensecht aussehen.
Guercio: Die Auflösung beim 3D-Druck beträgt grob 50 Mikrometer, also ein fünfhundertstel Millimeter.
Shields: Der Fortschritt ist beeindruckend, und das nur, weil Frank einfach nicht lockerlässt. Es ist wirklich gut, mit jemandem zu arbeiten, der so leidenschaftlich ist.
Guercio: Die komplexe Geometrie einer organischen Form wie die einer Schildkröte nachzubilden, das ist in jedem Grafikprogramm schwer umzusetzen. Speziell bei der Schildkröte war es viel Tüftelei, bis ich das digitale Modell mechanisch manipulieren konnte. [Autodesk] Fusion 360 ist fantastisch. Sobald ich mich in die Autodesk-Software eingearbeitet hatte und richtig damit arbeiten konnte, waren unserer Kreativität keine Grenzen mehr gesetzt. Wir können den künstlichen Schildkrötenpanzer mit Innenstrukturen versehen, die vor knapp fünf Jahren noch undenkbar waren.
Shields: Wenn genug Raben schlechte Erfahrungen mit unserer Roboterschildkröte machen, sollte die Häufigkeit der Rabenattacken abnehmen.
Guercio: Die Schildkröten mussten viele Qualen erleiden, jetzt können sie es den Raben endlich heimzahlen. Das fühlt sich richtig gut an. Ich bin in der Mojave-Wüste aufgewachsen, sie ist ein harter und unnachgiebiger Ort. Doch hier lebe ich nun einmal. In drei Monaten stehen hier 100 Drucker, Filamentanlagen, Harzdrucker, CNC-Maschinen und Laserschneider. Alles, was uns bei der Lösung des Problems helfen könnte. Das eröffnet so viele Möglichkeiten – wer von den Kids hier hat schon zu Hause einen 3D-Drucker oder die Chance, mit dem Bureau of Land Management zusammenzuarbeiten oder Schildkröten zu retten? Wenn ich mit Tim für den Artenschutz und eine bessere Welt kämpfe, helfe ich meiner Heimat. Doch das ist für mich erst der Anfang.
Shields: Wir glauben, bereits einen positiven Effekt zu sehen.
Guercio: Bald sind wir so weit, unsere Entwicklung auch auf andere Probleme dieser Welt anwenden zu können.
Shields: Naturschutzbiologie ist im Großen und Ganzen derzeit ein eher hoffnungsloses Gebiet. Deshalb bedeutet es mir viel, dieser Fachgemeinschaft Hoffnung schenken zu können.
Guercio: Nichts auf der Welt ist befriedigender, als an einem Projekt mitzuwirken, das einen echten Unterschied macht.