Wie eines der größten Planungsbüros in Europa Nachhaltigkeit ins Krankenhaus bringen will
- Pflicht zur Nachhaltigkeit: Bis 2045 müssen Krankenhäuser ihre Bestandsgebäude und den Betrieb CO2-neutral gestalten. Hierfür sollte jede deutsche Klinik baldmöglichst einen Klimaschutzfahrplan erstellen und in den kommenden Jahren umsetzen
- Der Einsatz ökologischer Baustoffe ist bei Neu- oder Anbauten ein großer Stellhebel, um bei Umbau- und Sanierungsmaßnahmen CO2-Emissionen einzusparen
- ATP architekten ingenieure setzt auf das virtuelle Gebäudemodell und integrale Planung, um Nachhaltigkeit im Krankenhaus zu realisieren
Seitdem das Thema Nachhaltigkeit in der Finanzwelt angekommen ist und der Wert einer Immobilie sinkt, wenn sie nicht umfassende Nachhaltigkeitskriterien erfüllt, ist auch in die Immobilienbranche Bewegung gekommen. Der Druck von außen steigt – zumal die Finanzspritzen nun verstärkt daran gekoppelt sind, dass Klimaziele erreicht werden.
Während man also in der Immobilienwelt die Klimaschutzkonzepte bereits umsetzt, haben die deutschen Kliniken hier Nachholbedarf, wenn es darum geht, ihre Klimastrategie auf Papier zu bringen – so die Erfahrung von Jens Glöggler, Geschäftsführer der ATP sustain – der Forschungs- und Sonderplanungsgesellschaft von ATP mit Sitz in München. Häufig haben die Krankenhäuser noch keinen Klimaschutzfahrplan. Und die Zeit drängt!
Um einmal die Dimensionen zu verdeutlichen: Der Bausektor insgesamt ist der ressourcenintensivste Wirtschaftszweig in Deutschland und der Bau sowie Betrieb von Gebäuden verursachen fast 41 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Laut der internationalen NGO „Health Care Without Harm“ ist der Gesundheitssektor für 4,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. In Deutschland gehen 5,2 Prozent der klimaschädlichen Emissionen auf das Konto des Gesundheitswesens.
Auch wenn die Anzahl der Krankenhäuser und Kliniken in den letzten 30 Jahren konstant rückläufig ist – waren es laut Statistischem Bundesamt 1991 noch rund 2.400 Krankenhäuser, gibt es aktuell 1.914 Kliniken – sieht sich die Gesundheitsindustrie mit der Aufgabe konfrontiert, diese Bestandsgebäude bis 2045 zur Klimaneutralität zu führen.
Für mehr Nachhaltigkeit im Krankenhaus: Fokus auf die „grauen CO2-Emissionen“
Bereits im Bau- und Konstruktionsmaterial steckt ein großer Anteil an Emissionen – die sogenannten grauen CO2-Emissionen. „Diese machen allein 30 bis 40 Prozent der CO2-Emissionen aus, die über den gesamten Lebenszyklus hinweg emittiert werden“, macht Jens Glöggler deutlich.
Daher ist es im Sinne der Nachhaltigkeit elementar, Bestandsgebäude zu erhalten und den Fokus auf die Sanierung und die Aufstockung bestehender Gebäude zu legen. Die in den Baumaterialien enthaltenen Emissionen würden bei einem Abriss zum Teil verschwendet bzw. würden für einen Neubau erneut emittiert werden.
Folgerichtig wäre die nachhaltigste Lösung, kein neues Haus zu bauen. Das sieht auch der CEO von ATP, Christoph M. Achammer, so. Der Österreicher leitet eines der größten Planungsbüros weltweit und setzt dabei ganz gezielt auf das Thema Nachhaltigkeit.
Achammer versichert, dass ATP nur Aufträge annimmt, wenn man davon überzeugt sei, dass der Neubau notwendig ist. Trotz dieser Devise ist der integrale Planer gut im Geschäft – das laufende Projektvolumen beträgt derzeit ca. 4,7 Milliarden Euro. Bei den Projekten handelt es sich zur Hälfte um Neubauten und zur Hälfte um Ausbau- und Revitalisierungsprojekte.
On the „Road-to-Zero“: Wie gelingt der Weg zur Klima-Null?
ATP rät den Klinikverantwortlichen, mit Blick auf ihre Nachhaltigkeitsstrategie den Fokus auf die Verbrauchsanalyse der Betriebsenergie der Bestandsimmobilien zu legen, da hier schnell und effektiv CO2-Emissionen eingespart werden können.
Bei Neu- und Anbauten können neben den roten Emissionen (Gebäudebetrieb) auch bei den grauen Emissionen (Materialien) CO2-Emissionen gespart werden. Beispielsweise kam für ein Bettenersatzzentrum in Wien eine Holzmodulbauweise zum Einsatz. Um im Klinikum in Pfaffenhofen ein vorhandenes Gebäude aufzustocken, bediente man sich ebenfalls einer Holzkonstruktion.
„Mit dem Einsatz von klimafreundlicheren Produkten und Materialien konnten große Mengen an CO2-Emissionen eingespart werden. Zum Vergleich: Mit der Steigerung auf einen energetischen Standard eines Effizienzgebäudes 40 würde man dieselbe Reduktion an CO2-Emissionen erst nach 15 bis 20 Jahren erreichen“, sagt Glöggler.
Projekt „KLIK green“: Klimaschutz im Gesundheitswesen fest verankern
So groß die Herausforderung ist, der sich die Krankenhäuser gegenübersehen, sie sind längst nicht untätig. 250 Krankenhäuser und Reha-Kliniken engagieren sich im Projekt „KLIK green: Krankenhaus trifft Klimaschutz“, das vom Berliner Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) geleitet wird. Die Kliniken, die hier mitmachen, haben Klimaschutzmaßnahmen in ihre Arbeitsabläufe integriert und beispielsweise Stabsstellen für Umweltschutz eingerichtet.
Das Projekt hatte als Zielvorgabe, bis April 2022 mindestens 100.000 Tonnen CO2 zu vermeiden – das wird voraussichtlich sogar übertroffen. Nichtsdestotrotz ist dies verglichen mit den jährlichen Gesamtemissionen des Gesundheitswesens nur ein „Tropfen auf dem heißen Stein“.
Der BUND sieht sich primär in der Rolle, die Krankenhäuser miteinander zu vernetzen und den Austausch sowie das Engagement zu fördern. Laut Annegret Dickhoff, Projektleiterin beim BUND für Klimaschutz im Gesundheitswesen will man „Leuchttürme sichtbarer machen, um viele Nachahmer in der gesamten Kliniklandschaft zu gewinnen.“
Einer dieser „Leuchttürme“ ist das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe (GKH) in Berlin. Innerhalb von 30 Jahren hat das GKH seine CO2-Emissionen um 70 Prozent reduziert; von damals 7.000 Tonnen auf heute knapp 2.000 Tonnen CO2. Bis 2030 will es mindestens klimaneutral sein, idealerweise sogar klimapositiv.
Yvette Gebert, Klimamanagerin bei KLIK green und Koordinatorin im Lungenkrebszentrum des GKH: „Die restlichen 2.000 Tonnen CO2, die auch die schwierigsten sind, wollen wir bis zum Jahr 2030 einsparen.“ Die Klimamanagerin sieht einen der wesentlichsten Erfolgsfaktoren darin, dass sich Kliniken fokussieren und einen roten Faden haben. Sie empfiehlt neben den vom GKH definierten Handlungsfeldern als Grundlage für einen Klimaschutzfahrplan das Rahmenwerk Klimagerechte Gesundheitseinrichtungen der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).
Gefragt nach den größten Stellhebeln, um im Betrieb eines Krankenhauses CO2-Emissionen zu reduzieren, antwortet Dickhoff: „Das sind aus unserer Sicht die Nutzung erneuerbarer Energien, die Überführung von klimaschädlichen Narkosegasen in eine Kreislaufwirtschaft und der gesamte Bereich Speisenversorgung mit der Vermeidung von Lebensmittelabfällen sowie der Reduktion von Fleisch sowie von Fisch im täglichen Menüplan. Angebote zur nachhaltigen Mobilität der Beschäftigten reduzieren ebenfalls deutlich die CO2-Emissionen.“
Digitale Tools helfen auf dem Weg zum klimaneutralen Krankenhaus
Die meisten Emissionen lassen sich aber beim Gebäude selbst einsparen. Während der Planung und Kreation der Konzepte für ein klimaneutrales Gebäude – egal, ob es sich um einen Neubau handelt oder ein Bestandsgebäude, das saniert oder aufgestockt wird –, kommt der BIM-Software eine wichtige Rolle zu. CEO Christoph M. Achammer: „Der Weg zum klimaneutralen Krankenhaus ist ohne virtuelles Gebäude nicht möglich!“
ATP propagiert eine „Road-to-Zero“-Strategie, also eine Strategie, die den Weg zu einem klimaneutralen Gebäude aufzeigt. Achammer betont: „Unser Haus verlässt kein integrales Vorprojekt, das nicht eine Idealversion ‚CO2-neutral im Betrieb‘ enthält.“ Auch wenn diese Idealversion zunächst noch nicht zur Gänze umgesetzt werden könne, soll dem Kunden aufgezeigt werden, mit welchen Mitteln der klimaneutrale Betrieb in den kommenden zehn bis 15 Jahren realisiert werden kann.
Achammer führt weiter aus: „Mitte des Jahres werden wir soweit sein, dass wir auch die ‚graue Energie‘, die in den Bauteilen steckt, sichtbar machen können. Wir werden jedes Gebäude virtuell simulieren und in einem geschlossenen Revit-BIM-Modell darstellen können.“
Die BIM-Simulation: nachhaltige Varianten auf Knopfdruck
Jens Glöggler erläutert den Vorteil der Arbeitsweise mit einem BIM-Modell: „Über die BIM-Methodik und die Koppelung an ein Gebäudemodell kann man im Kundengespräch sofort per Knopfdruck Varianten aufzeigen und diese visuell sichtbar machen. So ist es einfacher, den Kunden zu überzeugen, diese Wege mitzugehen.“
Für den CEO von ATP ist das Visualisierungstool ein wichtiges Hilfsmittel. Achammer sieht den Einsatz einer BIM-Software jedoch nicht als Garant für ein erfolgreiches Bauprojekt. Erst wenn die Planungskultur und die Organisationsformen dergestalt sind, dass Architekten, Tragwerksplaner, Haustechniker, Bauphysiker und Medizinplaner nicht „in ihrer zünftischen Abgrenzung verharren, kann man eine Software wie Revit einsetzen und kommt zu großartigen Ergebnissen. Arbeitet hingegen jeder gegen jeden, dann kann man so viel BIM einsetzen wie man will, da wird’s nur teurer, aber nicht besser.“
Built-to-reuse: BIM schafft Transparenz über die Wiederverwertbarkeit der Bauteile
Neben der Simulation des zukünftigen Gebäudes spielt BIM eine wichtige Rolle, um während des Betriebs CO2 einzusparen. Auch über die Nutzung des Gebäudes hinaus, ist die Software elementares Werkzeug. Denn im virtuellen Modell können zu jedem einzelnen Bauteil Daten und Informationen hinterlegt werden, u. a. wie viel CO2 gebunden ist, und ob das Bauteil in Gänze wiederverwendet werden kann.
Durch die integrale Planung im ATP BIM Planungsprozess können materielle Gebäudepässe sowie die Recyclingfreundlichkeit der Konstruktionen abgebildet werden. Für die Rückbaubarkeit der Immobilien arbeite ATP aktuell mit der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft an dem Projekt „Build.Re-Use“ an neuen Prozessen und Werkzeugen, so Jens Glöggler. Neben dem Recycling von Baustoffen wird es in Zukunft immer wichtiger werden, ganze Bauteile zu demontieren und wiederzuverwenden. „Das ist die höchste Stufe einer Kreislaufwirtschaft, die wir anstreben müssen“, betont Jens Glöggler.