Neue Hoffnung für den Artenschutz: Mit künstlicher Befruchtung gegen das Korallensterben
Tropische Korallenriffe sind nicht nur eine farbenfrohe Besucherattraktion – als Lebensraum für Tausende von Tier- und Pflanzenarten spielen sie eine entscheidende Rolle für die globale Ökologie. Trotz ihrer vergleichsweise geringen Gesamtfläche beherbergen sie das vielfältigste Ökosystem unseres Planeten. Darüber hinaus bilden gesunde Korallenriffe eine Existenzgrundlage für unzählige Menschen in Gebieten, die wirtschaftlich von Fischerei, Tourismus und Küstenschutz abhängig sind.
Umso besorgniserregender ist die Geschwindigkeit, mit der jahrtausendealte Riffe absterben. Die Auswirkungen von Klimawandel, Überfischung und Umweltverschmutzung beeinträchtigen ihr Nachwachsen. So sind im Laufe der vergangenen 30 Jahre bereits rund 50 Prozent aller Korallenriffe weltweit abgestorben – wenn wir nichts dagegen unternehmen, könnte dieser Anteil im Laufe des nächsten Jahrhunderts auf 90 Prozent ansteigen.
SECORE engagiert sich als gemeinnütziges Netzwerk aus Wissenschaftlern, Mitarbeitern von Zoos und Aquarien und Vertretern der lokalen Bevölkerungen für den Schutz und die Regeneration von Korallenriffen. In Zusammenarbeit unter anderem mit der California Academy of Sciences (CAS) und der US-amerikanischen Naturschutzorganisation The Nature Conservancy setzt SECORE – der Name steht für „SExual COral REproduction“ – dabei auf neue Ansätze zur Regeneration der Riffe durch geschlechtliche Fortpflanzung.
Bei Korallen handelt es sich um sessile („festsitzende“) Nesseltiere, die sozusagen im Meeresboden Wurzeln schlagen und ihre Nahrung aus dem Wasser filtrieren. Sie bilden Kolonien, die aus Hunderten bis Hunderttausenden einzelner Lebewesen (Polypen) bestehen. Korallenlarven siedeln sich an Unterwasserfelsen an und bilden unterschiedliche Riffformationen, die jährlich nur um ein paar Zentimeter wachsen. Die spektakulären Riffe, die Hobbytaucher aus aller Welt anziehen, sind mehrere tausend Jahre alt.
Gemeinsam mit den Projektpartnern arbeitet SECORE an der Entwicklung von Regenerationsverfahren, die auf natürlichen Fortpflanzungsmethoden basieren. So sammeln die Teams Eizellen und Spermien bestimmter Korallenarten ein, die ihre Geschlechtsprodukte als „Freilaicher“ direkt in das Umgebungswasser abgeben. Diese werden befruchtet und in Wassercontainern zu freischwimmenden Larven herangezüchtet. Im Larvenstadium werden die Korallen dann als „Stecklinge“ auf Trägereinheiten transplantiert, die ihren natürlichen Lebensbedingungen nachempfunden sind, und anschließend auf beschädigten Riffen ausgepflanzt.
SECOREs Projekt- und Workshopmanager Aric Bickel nennt die Kosten für das Auspflanzen der Korallen als eines der Haupthindernisse, die einer Regeneration im großen Rahmen im Wege stehen: „Bei SECORE versuchen wir diese Kosten unter anderem durch die Entwicklung von Trägerobjekten zu reduzieren, die nicht einzeln per Hand transplantiert werden müssen, sondern ähnlich wie in der Landwirtschaft auf andere Weise, beispielsweise von einem Boot aus, ausgesät werden können.“
Mithilfe von 3D-Drucktechnik wollen die Projektpartner bis 2021 insgesamt eine Million Trägereinheiten herstellen. Mit Forschungs- und Schulungszentren in Mexiko, Curaçao und den Bahamas läuft derzeit in der Karibik die erste Phase des Projekts.
„Mit dem 3D-Drucker können wir die Prototypenentwicklung etwas beschleunigen“, so Bickel. „Wir hatten mehrere Werkstoffe in Betracht gezogen, und mit dem 3D-Druckverfahren konnten wir verschiedene Optionen ausprobieren. Außerdem brauchen wir keine Gussformen oder -stücke herzustellen, was gerade bei den ersten Prototypen mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden wäre.“
Die California Academy of Sciences engagiert sich nicht nur als Geldgeber, sondern begleitet die Regenerations- und Forschungsarbeit von SECORE auch mit fachlichem Knowhow. Zur technischen Unterstützung holte man zudem die Autodesk Foundation mit ins Boot, die SECORE bei der Entscheidung für einen geeigneten Anbieter zur Herstellung der Trägerobjekte beriet.
„In Zusammenarbeit mit der Stiftung haben wir Kontakt zu verschiedenen Designbüros aufgenommen“, berichtet Bickel. „Wir waren auf der Suche nach einem Anbieter, der uns im Idealfall sowohl in der nun anstehenden Planungsphase als auch später bei den iterativen Entwurfsverfahren unterstützen kann. Die Firma Emerging Objects hat uns dabei am meisten überzeugt.“
Die Ermittlung der optimalen Kombination aus Werkstoff und Design für die Trägereinheiten stellt die Forscher vor erhebliche technische Herausforderungen. Nach Möglichkeit sollte das Endprodukt einerseits einen geeigneten Lebensraum für Korallen schaffen, andererseits unwirtliche Bedingungen für konkurrierende Organismen bieten und sich zudem ohne menschliches Zutun in einem Korallenriff festklemmen können. Bislang kommen bei dem Projekt Trägereinheiten aus Zement mit rau belassener Oberfläche zum Einsatz. Leider hat sich jedoch gezeigt, dass dieser Werkstoff auch bei anderen Organismen als Lebensraum sehr beliebt ist.
„Ein praktisches Problem bestand in der Ansiedlung anderer Arten an den Anlagen“, so Bickel. „Unsere Versuche ergaben, dass eine glattere Oberfläche einige dieser potenziellen Rivalen ausschaltet. Hier muss man quasi die goldene Mitte zwischen einer Oberfläche finden, die zwar rau genug ist, damit sich Korallen daran ansiedeln können, die aber andererseits so glatt ist, dass sich andere Organismen wie Schwämme und Algen nicht daran festsetzen.“
Mehrjährige Feldversuche und Werkstofftests ergaben, dass Keramik ein vielversprechender Kandidat ist, der genau diese Eigenschaften aufweist. Bei der Prototypenentwicklung für zahlreiche Entwürfe, die in der nächsten Projektphase getestet werden sollen, brauchte Emerging Objects einen Partner, der in der Lage ist, umfangreiche 3D-Druckaufträge für Keramik abzuwickeln. Die Wahl fiel auf Boston Ceramics. „Unseres Wissens gibt es weltweit nur wenige Anbieter, die überhaupt in der Lage wären, uns mit der erforderlichen Anzahl von Substraten zu beliefern“, kommentiert Bickel.
Die ersten Trägereinheiten sahen aus wie Tetrapoden und wurden mithilfe der Autodesk-Software Netfabb entwickelt. Inzwischen haben die Teams von SECORE und Emerging Objects mit weiteren Formen experimentiert, die teilweise eher an Ninja-Wurfsterne erinnern. Hier dienen die Zacken dazu, dass sich die künstlichen Trägerobjekte in die Spalten und Ritzen der Riffe verkeilen. „Die Aufgabe, die wir unserer Arbeitsgruppe gestellt haben, lautete: ‚Wir brauchen etwas, was das Wachstum der Korallenlarven bestmöglich unterstützt und ihnen während dieser Wachstumsphase die besten Chancen gibt, im Meer zu überleben.‘“
SECORE züchtet Korallen in kleinen Zellansammlungen. Je nach Korallenart kann die Wachstumsphase vom Embryonenstadium bis zur Geschlechtsreife mehrere Jahre dauern. Schon die Jungkorallen tragen zum Erhalt der Meeresvielfalt bei, indem sie günstige Lebensbedingungen für Fische und andere Arten bieten. Bei SECORE hat man sich indes ehrgeizigere Ziele gesteckt.
„Hier handelt es sich definitiv um eine Investition in die Zukunft“, bestätigt Bickel. „Bei derart komplizierten Ökosystemen kann es nämlich viele Jahre dauern, bis sich die betroffenen Strukturen regenerieren. Uns geht es momentan vor allem darum, unsere Verfahren und Techniken weiterzuentwickeln, damit wir dem Korallensterben nicht nur punktuell, sondern auf breiter Front entgegenwirken können.“
Die Korallenriffe werden sich nicht von einem Tag auf den anderen erholen. Doch es besteht eine echte Hoffnung, dass sich dank wissenschaftlicher und technischer Fortschritte und der Zusammenarbeit verschiedener Akteure die durch Klimawandel und Umweltverschmutzung angerichteten Schäden an dem vielfältigsten Ökosystem der Erde wenigstens teilweise wieder rückgängig machen lassen.