Wenn KI auf Fertigung trifft: Experte nennt die drei größten Vorteile
- Künstliche Intelligenz (KI) setzt sich immer weiter durch, doch viele eher traditionelle Branchen wie die Fertigung sind noch sehr zaghaft in Bezug auf diese Technologie
- Mithilfe von KI können Prozesse in der Fertigung automatisiert werden, um die Effizienz zu steigern, Fehler zu vermeiden, Innovationen durch Generatives Design voranzubringen und für sicherere Arbeitsbedingungen zu sorgen
- In 68 % aller Fertigungsunternehmen wird bereits mindestens ein Projekt oder Prozess durch KI unterstützt – so werden Schritt für Schritt die Vorteile von KI unterstrichen und Vertrauen geschaffen
Künstliche Intelligenz, kurz: KI, bahnt sich schon längst ihren Weg in unser alltägliches Leben – von Smart-Assistants wie Siri oder Alexa zu persönlichen Servicerobotern, von der Automatisierung in der Automobilindustrie bis hin zu wichtigen Fortschritten im Gesundheitswesen. Doch solange die Technologie missverstanden wird und mögliche Nachteile, wie etwa Sicherheitsbedenken, Jobverlust oder sogar eine Entpersonalisierung, hervorgehoben werden, besteht ein ernsthaftes Wahrnehmungsproblem.
Mit dem Vormarsch der KI steigt allerdings auch das Widerstreben, Aufgaben an die Technologie zu übergeben – besonders in eher traditionellen Branchen wie der Planung und der Fertigung. Dabei kratzen wir, was das Potenzial von KI angeht, noch stark an der Oberfläche. Berechnungen des World Economic Forum aus dem Jahr 2022 haben ergeben, dass KI-gestützte Prozesse die weltweite Wirtschaftstätigkeit um etwa 13 Billionen US-Dollar und das globale BIP um etwa 2 % steigern könnten. Für Unternehmen kann die Entscheidung zur Nutzung KI-gestützter Tools Bedenken aufwerfen, insbesondere hinsichtlich Datenschutz und Filesharing. Das Vertrauen in die KI kann jedoch nur dann wachsen, wenn Unternehmen akzeptieren, dass der Einsatz von KI enorme Vorteile bringen kann – auch ohne, dass sie ihre Daten einem Risiko aussetzen oder ihr Fachwissen gefährden.
KI in der Fertigung heute
KI mag vielen neumodisch erscheinen, dabei hat sie ihre Wurzeln tief in der Geschichte der Fertigung. „Ich habe schon für General Motors in 3D-Vision-geführten Automatisierungssystemen mit KI-gestützter Robotik gearbeitet – das ist mittlerweile 40 Jahre her“, erinnert sich Dr. Jay Lee. Er ist Clark Distinguished Chair Professor und Leiter des Center for Industrial Artificial Intelligence beim Fachbereich Mechanical Engineering der University of Maryland im US-amerikanischen College Park und gilt als Pionier des industriellen Einsatzes von KI. „Es wird immer gesagt, KI stehe noch ganz am Anfang, dabei haben wir sie schon vor 40 Jahren benutzt. Damals hatten wir Fertigungsroboter für Autoteile, die ein intelligentes Gesichtsfeld besaßen, mit dem sie die Bewegungsabläufe automatisch erkennen und anpassen konnten“, fügt Lee hinzu, der auch als Mitglied des Global Future Council on Advanced Manufacturing and Production für das World Economic Forum tätig ist.
Über die Jahre haben zahlreiche Unternehmen Dr. Lee um Hilfe gebeten, um ihre Prozesse zu verbessern. Als beispielsweise ein Druckluftsystem im Toyota-Werk bei Georgetown im US-Bundestaat Kentucky immer wieder aussetzte, sorgte der wiederholte Stillstand in einer Fabrik, in der normalerweise alle 25 Sekunden ein neues Auto vom Band rollt, für massive Verluste und vermeidbare Verzögerungen in der Produktion. Lee stattete daraufhin im Jahr 2006 die Produktionslinie mit Sensoren aus, die selbstständig Anomalien entdecken und ein Aussetzen abwenden konnten – was im Prinzip einer KI entspricht. Es kam in der Folge zu keinen weiteren Systemabstürzen und die Instandhaltungskosten konnten sogar um die Hälfte reduziert werden.
Seit diesen frühen Anwendungsfällen hat sich KI natürlich über grundlegende betriebliche Funktionen hinaus weiterentwickelt und ist wesentlich robuster geworden. Mittlerweile nutzen viele Unternehmen sie zur Umsetzung von Innovationen, wie etwa mithilfe von Generativem Design, das Iteration und Simulation verschiedener Szenarien ermöglicht, um die besten Ergebnisse auszuwählen. So geben 66 % der führenden Unternehmen an, sich innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre die Vorteile von KI zunutze machen zu wollen. Jedoch fand eine Studie der Boston Consulting Group vor Kurzem heraus, dass nur 16 % der Fertigungsunternehmen bisher ihre KI-Ziele erreichen konnten. Trotz ihres großen Vorsprungs hat sich die Fertigungsbranche erwiesenermaßen schwergetan, KI in ihre Produktionsabläufe zu integrieren.
Größeres Vertrauen dank der richtigen Daten
Allein in der Fertigung wird eine Jahr für Jahr rasant steigende Menge an Daten generiert. Mithilfe dieser Informationen können Fertigungsunternehmen ihre Innovationen vorantreiben – sofern sie denn dazu bereit sind. Jedoch ist laut einer aktuellen Studie von DeLoitte nur etwa ein Viertel der Führungskräfte gut auf die Einführung von KI vorbereitet und gibt Bedenken beim Schutz geistigen Eigentums und bei potenziellem Missbrauch von Kundendaten an.
„Wenn man Daten erhebt, ohne ihnen von vornherein einen bestimmten Zweck beizumessen, muss man sie später, wenn man den Zweck definiert hat, erneut überarbeiten“, betont Alec Shuldiner, der bei Autodesk die Abteilung für Data Acquisition and Strategy leitet. „Datenerhebung ist auch die Arbeit, die erforderlich ist, um Daten so in Kontext zu setzen, dass sie für einen neuen Prozess verwendet werden können – etwa für eine Analyse- oder Machine-Learning-Anwendung.“
Jede KI ist dabei immer nur so gut wie die Informationen, mit denen sie gefüttert wird, da sie nur dann die gewünschten Ergebnisse liefern kann, wenn die Daten, auf denen sie beruht, zuverlässig, präzise und relevant sind. „Eine KI, die man mit Müll füttert, ist logischerweise auch nichts wert“, fasst Lee zusammen. „Die Daten müssen entsprechend nützlich und gut nutzbar sein. Man braucht den richtigen Kontext, damit sich die Informationen mit dem Zweck, zu dem sie erhoben werden, verknüpfen lassen. Wenn es also darum geht, die Wahrscheinlichkeit eines Maschinenschadens zu berechnen, brauche ich Informationen über den Zustand der Maschine. Fische sind schließlich auch nur dann essbar, solange sie nicht aus verschmutzen Gewässern kommen – dann sollte man sie besser wieder zurückwerfen.“
Um die bisherige Zurückhaltung bei der Arbeit mit KI zu überwinden und die Brücke zur vollen Entfaltung ihres Potenzials zu schlagen, müssen Führungskräfte in der Fertigung lernen, dem zu vertrauen, was sie nicht sehen können. Sie sind zwar bereit, im Vorfeld anfallende Wartungen von KI durchführen zu lassen – generative KI ist jedoch noch die große Unbekannte. Dabei lohnt es sich, den Mut aufzubringen: Nur wenn Fertigungsunternehmen besser zu verstehen lernen, wie KI lückenlose Transparenz schaffen kann, werden sich daraus vielfältigere Möglichkeiten für das Unternehmen ergeben.
Mut aufbringen und die Vorteile von KI verstehen
Dr. Lee fasst die Vorteile von KI als die „drei Ws“ zusammen: work reduction, waste reduction und worry reduction – also die Vermeidung von Arbeit, Abfall und Sorgen. „Es gibt immer noch vieles, was wir nicht wissen”, merkt er an. „Zum Beispiel laufen immer wieder Leute durch die Fabrik, um alles zu überprüfen. Wozu? Sie machen sich Sorgen, selbst wenn die Maschinen niemals kaputtgehen.“ KI könne für größere Transparenz sorgen und diese Bedenken ausräumen. „Wenn in der Gemeinde, in der Sie leben, alle eine Sicherheitskamera haben, dann muss sich niemand mehr Sorgen machen. Wenn sich etwa jemand auf mein Haus zu bewegt, muss mich das nicht beunruhigen, weil ich sehe, dass es nur der Amazon-Bote ist.“ Je mehr sich die KI-Technologie bewährt und je besser die Menschen verstehen, wie sie funktioniert, desto eher werden sie bereit sein, sie in ihre Arbeitsabläufe zu integrieren.
Nur wenn es normal wird, dass sich Fabriken untereinander in der Cloud vernetzen, kann die KI stark genug werden, alle notwendigen Daten in Echtzeit zu erfassen und schnell verwertbare Outputs zu generieren. Doch bis dahin sind Fertigungsunternehmen mit Entscheidungsfindungsprozessen auf sich allein gestellt.
„Heutzutage sind wir im Design oft gezwungen, Kompromisse einzugehen, die wir eigentlich lieber abwenden würden“, gibt Shuldiner zu bedenken. „Man kann nur Produkte entwickeln, die entweder schnell oder einfach oder nachhaltig herzustellen sind – etwa indem sie recyclingfähig sind. Das alles gleichzeitig zu gewährleisten, funktioniert in den allermeisten Fällen nicht.“ Wolle man also ein Produkt recyclingfähig machen, so müsse man mehr Zeit in das Design investieren und mit großer Wahrscheinlichkeit würde es auch teurer in der Herstellung. „Die KI-Technologie wird uns helfen, an einen Punkt zu gelangen, an dem wir diese Kompromisse nicht mehr eingehen müssen“, ist sich Shuldiner sicher. „So werden wir künftig komplexe Design-Ziele erreichen können, ohne dabei Einbußen in Effizienz und Zeitmanagement in Kauf nehmen zu müssen.“
Unternehmen wie Toyota und General Motors, die schon früh fortschrittliche Technologien in der Fertigung einsetzten, sind Lee zufolge zwar Ausreißer. Dennoch nutzen sie auch weiterhin innovative Tools wie Cloud Computing und KI, um bessere, leichtere und effizientere Fahrzeuge herzustellen. In den meisten Fällen ist es jedoch eine graduelle Entwicklung für viele Fertigungsunternehmen, immer mehr ihrer betrieblichen Prozesse der KI anzuvertrauen. „In den traditionellen Branchen braucht es kontinuierlichen Fortschritt“, so Lee. „Das passiert nicht von einem Tag auf den anderen. Es geht darum, kleine Schritte zu tun und diese erfolgreich umzusetzen. Erst wenn man einen ersten Schritt verinnerlicht hat, kann man den nächstgrößeren tun.“
Mittlerweile wird in über 68 % der Fertigungsunternehmen mindestens ein Projekt oder Prozess durch KI unterstützt – wodurch nach und nach der Vorteil von KI unterstrichen und Vertrauen geschaffen wird. „Am wichtigsten ist es dabei, sich auf die Vorteile von KI zu konzentrieren“, betont Lee. „Viele Menschen haben Bedenken bezüglich der Gefahren, die von KI ausgehen könnten, oder anderer negativer Auswirkungen. Man sollte sich aber nicht so viele Sorgen machen, dass es unmöglich wird, einen Schritt voranzugehen.“