Die Fabrik der Zukunft ist digital und vernetzt
- Begriffsklärung: Was ist unter einer digitalen Fabrik zu verstehen?
- 5 Phasen zur Erstellung einer digitalen Fabrik
- 5 Vorteile einer digitalen Fabrik
- Beispiele für digitale Fabriken
- Zukunftsperspektiven für die digitale Fabrik
Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ hat die Vernetzung von Menschen, Maschinen und Abläufen die nächste Phase der industriellen Fertigung eingeläutet, die ganz im Zeichen der Erfassung, Verarbeitung und Auswertung riesiger Datenvolumen, intelligenten Automatisierung und Nutzbarmachung von Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen stehen wird.
Aktuell hapert es jedoch in vielen Betrieben an der Umsetzung der damit verbundenen Möglichkeiten. Allzu häufig handelt es sich dabei um punktuelle Maßnahmen, die mangels ausreichender Koordinierung am eigentlichen Sinn der Digitalisierung vorbeigehen. Damit wirklich eine digitale Fabrik entstehen kann, ist eine umfassende Datenvernetzung erforderlich, die Personal, Programme und Prozesse einbezieht.
Der Begriff „digitale Fabrik“ bezeichnet sehr viel mehr als eine Produktionsanlage zur Herstellung physischer Objekte. Vielmehr leistet die Fabrik selbst einen aktiven Beitrag zur Optimierung sowohl von Betriebsabläufen und Fertigungsverfahren als auch der physischen Umgebung, in der diese Prozesse stattfinden.
Trotz der allgemein zunehmenden Bedeutung der Digitalisierung haben 62 % der Fertigungsbetriebe (PDF, S. 10) bisher nur eine Produktionslinie digitalisiert, so das Ergebnis einer Studie des Weltwirtschaftsforums. Mit anderen Worten: Sie nutzen nur einen kleinen Bruchteil der Daten, die sich mit den heute vorhandenen Möglichkeiten erfassen und verwerten ließen.
Fertigungsbetriebe, die sich die Vorteile der Digitalisierung zunutze machen wollen, sollten als ersten Schritt folgende Maßnahmen ergreifen:
- Aktive Förderung einer Digitalkultur und Vermittlung einer datenorientierten Mentalität auf sämtlichen Ebenen der Unternehmenshierarchie
- Zügige Umsetzung der digitalen Transformation im gesamten Unternehmen
- Investitionen in Cloud-basierte Plattformen zur Erstellung gemeinsamer Datenumgebungen
- Zukunftsorientierte Weiterbildung der Mitarbeitenden
Eine digitale Fabrik nutzt die Vorteile der intelligenten Vernetzung aus, um abteilungsübergreifende Koordination zu fördern, die Agilität des Unternehmens zu steigern und ihm dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Sie repräsentiert quasi das Optimum der digitalen Transformation in der Fertigung.
Begriffsklärung: Was ist unter einer digitalen Fabrik zu verstehen?
Zur digitalen Fabrik gehört ein virtuelles Modell der Schlüsselmerkmale einer physischen Fabrik: räumliche Gliederung, Verhalten und Leistung. Das Modell stellt die Konvergenz aller digitalen Netzwerke in der Anlage und ihrem Betrieb dar. In dieser digitalen Visualisierung werden Daten aus der Baustruktur sowie aus Systemen, Wirtschaftsgütern und Abläufen kompiliert. Sie liefert den verantwortlichen Entscheidungstragenden umsetzungsfähige Erkenntnisse zur Optimierung der Anlagenplanung und -verwaltung sowie zur Maximierung der Effizienz und Produktivität jedes einzelnen Wirtschaftsguts. So entsteht ein Ökosystem ohne Datensilos, das Zusammenarbeit in Echtzeit, datengestützte Entscheidungsprozesse und dadurch letztlich bessere Geschäftsergebnisse begünstigt.
Eine digitale Fabrik zeichnet sich u. a. durch folgende Merkmale aus:
- Vernetztes Ökosystem aus internen und externen Stakeholdern (Technologieanbieter, Zulieferer, Auftragnehmer usw.)
- Digitale Zwillinge
- Einsatz von Bauablaufplanung beim Bau bzw. Umbau der Fabrik
- Vorausschauende Instandhaltung
Das Konzept der digitalen Fabrik besteht in der Anwendung der gleichen Grundsätze, die für die Optimierung des Produktentwicklungszyklus gelten, auf den Lebenszyklus der Fabrik selbst. Diese Optimierungsprinzipien beziehen sich auf strategische Innovation, Systeme, Theorien und Methoden. Darüber hinaus ermöglicht die digitale Fabrik das Durchspielen hypothetischer Szenarien zur Identifizierung von Verbesserungspotenzialen.
Konkret werden mit der Erstellung derartiger Modelle verschiedene Ziele verfolgt, die insgesamt zum Ausbau der Wettbewerbsposition des Unternehmens beitragen:
- Optimierung der Produkte
- Ausbau des Kundenstamms
- Verbesserung der betrieblichen Effizienz und Nachhaltigkeit
- Förderung von Innovation
- Beschleunigung der Produktentwicklung bis zur Marktreife
- Gewinnen von datengestützten Erkenntnissen als Entscheidungsbasis
Digitale Fabriken sind intuitive Ökosysteme, die vom Zusammenwirken zuverlässiger Datenanalysen und menschlicher Erfindungskraft profitieren. Sie zeichnen sich durch ein hohes Maß an Agilität und Resilienz zur Bewältigung volatiler oder disruptiver Marktentwicklungen aus.
5 Phasen zur Erstellung einer digitalen Fabrik
Beim Bau neuer ebenso wie beim Umbau vorhandener Anlagen empfiehlt sich ein mehrphasiger Ansatz zur Erstellung einer digitalen Fabrik: Planung, Entwurf, Validierung, Bau und Betrieb.
1. Planung
Die Erstellung einer digitalen Fabrik beginnt mit der logistischen und räumlichen Planung. Am besten gliedern Sie sämtliche Arbeitsabläufe in einzelne Schritte auf, um die ideale Anordnung der einzelnen Workstations, Maschinen und weiteren Arbeitsgeräte zur Maximierung der Produktivität zu ermitteln. Wenn Ihr Unternehmen bereits mit der digitalen Transformation begonnen hat, sollte es über eine umfangreiche Bibliothek digitaler Ressourcen verfügen, die zur Modellierung der Fabrik verwendet werden können.
In der Planungsphase lassen sich mithilfe von Simulationen die Bewegungen von Menschen, Maschinen und Material modellieren, um die räumliche Aufteilung möglichst effizient zu gestalten und Engpässe zu vermeiden. Externe Stakeholder wie Zulieferer und Softwareanbieter sollten bei der digitalen Koordinierung Ihrer Fabrik ebenfalls berücksichtigt werden.
2. Entwurf
Nach Abschluss der Planung kann mit dem eigentlichen Entwurf der digitalen Fabrik begonnen werden. Für die physische Umsetzung der Baupläne sind Ingenieure zuständig. Ihre internen Stakeholder greifen bei der Gestaltung ihres jeweiligen Bereichs ebenfalls auf dieselben Pläne zu. So kann beispielsweise der oder die Ergonomiebeauftragte dafür sorgen, dass die Workstations rückengerecht eingerichtet werden, während der HLK-Techniker die richtige Platzierung der Luftdurchlässe projektiert.
Physische Fabrikanlagen sind weitläufige Gebäude mit massiven Maschinen und unzähligen beweglichen Teilen. In digitalen Entwürfen werden etwaige Planungskollisionen, Bemessungsfehler oder Montageprobleme frühzeitig sichtbar, sodass in späteren Phasen weniger Fehler auftreten und die Anlage entsprechend schneller in Betrieb genommen werden kann.
3. Validierung
In der Validierungsphase muss der Entwurf von sämtlichen Stakeholdern auf Machbarkeit geprüft werden. Hier empfiehlt sich eine virtuelle Begehung, bei der die Verantwortlichen die physische Anlage visualisieren und ggf. Planänderungen vornehmen können. In dieser Phase geht es vor allem darum, den Entwurf mit dem Betriebszweck in Einklang zu bringen. So lassen sich bislang noch unerkannte Planungskollisionen und sonstige Probleme im Vorfeld beheben.
4. Bau
Nach der Validierung des Entwurfs kann der Bau der digitalen Fabrik beginnen. Zur Koordinierung zwischen den Beteiligten – Architekten, Bauingenieuren und Bauunternehmern – wird mit digitalen Technologien wie BIM (Building Information Modelling) gearbeitet, um Budget- und Zeitüberschreitungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Eine speziell zur Unterstützung von Bauprojekten konzipierte Cloud-Plattform ermöglicht die Erstellung einer gemeinsamen Datenumgebung als zentrale Datenquelle für sämtliche beteiligten Stakeholder.
Mithilfe von Tools zur Bauablaufplanung kann eine möglichst reibungslose Bauausführung gewährleistet werden. BIM-Tools unterstützen die logistische Koordinierung, und durch Visualisierungen können räumliche Bewegungen und Arbeitsabläufe simuliert und iterativ optimiert werden. Nach Installierung sämtlicher Workstations und Maschinen kann die digitale Fertigung anlaufen und bis zum gewünschten Volumen hochgefahren werden. Die digitale Fabrik generiert nun eine kontinuierliche Feedbackschleife mit unmittelbar umsetzbaren datengestützten Erkenntnissen.
5. Betrieb
Ihre digitale Fabrik hat den Betrieb aufgenommen; Daten fließen ständig und ungehindert zwischen Personal, Programmen und Prozessen. Die physische Anlage hat einen digitalen Zwilling, der alle Daten miteinander vernetzt und die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Programmen und Netzwerken ermöglicht. Dieses virtuelle Modell ermöglicht Ihnen nicht nur Einblick in sämtliche Betriebsabläufe, sondern auch in die potenziellen Folgen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen. Anhand dieser Daten ist eine kontinuierliche Optimierung der Anlage über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg möglich, bis hin zur Anpassung einzelner Abläufe der digitalen Fertigung. Einmal angenommen, Sie müssen zur Erfüllung einer Kundenbestellung 10 % zusätzlich produzieren, haben aber nur einen Überschuss von 5 % einkalkuliert – in diesem Fall können Sie Produktionsvolumen und -geschwindigkeit mithilfe des virtuellen Modells bedarfsgerecht anpassen.
Rund 80 bis 90 % der Gesamtkosten eines Gebäudes entfallen auf den laufenden Betrieb. Eine digitale Fabrik trägt durch Lieferung datengestützter Erkenntnisse zur Senkung dieser Kosten bei. So unterstützen maschinelles Lernen und Automatisierung Maßnahmen zur vorbeugenden Instandhaltung, indem die Zuständigen auf Probleme aufmerksam gemacht werden, bevor es zu Betriebsstörungen aufgrund von Geräteausfällen kommt. Dadurch lassen sich ungeplante Ausfallzeiten vermeiden, die jährlich Kosten in Milliardenhöhe verursachen.
5 Vorteile einer digitalen Fabrik
Zur Bewältigung der Nachwirkungen der Pandemie, unterbrochener Lieferketten und einer stark fluktuierenden Nachfrage ist mehr Agilität und Anpassungsfähigkeit für Fertigungsbetriebe ein alternativloses Muss. Wer sich nicht schnell genug auf veränderte Marktbedingungen einstellen kann, verliert leicht den Anschluss. Die digitale Transformation gibt den Unternehmen die erforderlichen Tools zur lückenlosen Erfassung und Auswertung aussagekräftiger Daten – und damit die Möglichkeit zum Erschließen neuer Wachstumschancen – an die Hand.
Eine Umfrage von PricewaterhouseCoopers unter 200 deutschen Industriebetrieben kam zu dem Ergebnis, das zwar 91 % (PDF, S. 1) der befragten Unternehmen in digitale Fabriken investieren. Bislang haben jedoch erst 6 % die Digitalisierung abgeschlossen. Der Trend geht also in die richtige Richtung – indes profitiert aktuell nur ein kleiner Prozentsatz der Fertigungsbetriebe von den konkreten Vorteilen einer komplett digitalisierten Fabrik.
1. Schnellere Marktreife
Fertigungsunternehmen fokussieren sich häufig auf den Produkt- und weniger auf den Fabriklebenszyklus. Indes lässt sich eine Maximierung der Produktivität nur durch Optimierung der Produktionsumgebung erreichen. Und genau darauf zielt die Digitalisierung ab. Durch Automatisierung und Vernetzung lassen sich Informationsflüsse gegenüber herkömmlichen Fertigungsanlagen erheblich beschleunigen. Entscheidungstragende erhalten datengestützte Erkenntnisse zur Verkürzung der Entwicklungs- und Vorfertigungsphasen, iterativen Optimierung und fundierten Entscheidungsfindung. Eine Studie des Weltwirtschaftsforums (PDF, S. 13) kam zu dem Ergebnis, dass komplett digitalisierte Fertigungsunternehmen den Entwicklungszyklus bis zur Marktreife eines Produkts um bis zu 89 % beschleunigen können.
2. Verbesserte Agilität durch digitale Fertigungsverfahren
Die Corona-Pandemie hat die Vorstellung einer stabilen Wirtschaftslage zur Makulatur gemacht. Die internationalen Lieferketten haben sich bis heute nicht komplett von den dadurch bedingten Unterbrechungen erholt. Durch Digitalisierung verbessern Fertigungsbetriebe jedoch ihre Agilität und damit ihre Fähigkeit, auch auf plötzliche Veränderungen effizienter und effektiver zu reagieren.
Die flexiblen Fertigungsverfahren, die durch die digitale Fabrik ermöglicht werden, optimieren die Resilienz des Unternehmens. Bei Lieferengpässen oder starken Fluktuationen der Nachfrage lassen sich neue Ansätze und Szenarien schneller umsetzen, als es mit herkömmlichen Anlagen machbar wäre. Dringend benötigte Teile können ggf. intern angefertigt oder im Rahmen einer Geschäftspartnerschaft mit einem anderen Fertigungsbetrieb bezogen werden. Mit diesem flexiblen Ansatz können Unternehmen neue Einkommensquellen erschließen, Innovation fördern und die Folgewirkungen zukünftiger Katastrophen auf ein Minimum beschränken.
3. Erfüllung steigender Kundenansprüche durch Individualisierungsoptionen
Anfang 2022 verzeichnete die Fertigungsbranche einen Anstieg der Nachfrage auf Rekordhöhe und ist nun auf dem besten Weg, die vor der Pandemie erzielten Wachstumsraten zu übertreffen (PDF, S. 2). Mit der Nachfrage steigen aber auch die Ansprüche der Kunden sowie die Bereitschaft, für Individualisierungsoptionen tiefer in die Tasche zu greifen. Entsprechend geht der Trend zunehmend in Richtung kundenindividuelle Massenfertigung.
Eine digitale Fabrik unterstützt Fertigungsunternehmen bei der Bedienung dieser steigenden Nachfrage nach individualisierten Produkten. Konkret ermöglicht sie die wirtschaftliche Fertigung kleiner Losgrößen und macht es Herstellern einfach, ihr Standardangebot durch optionale Extras zu erweitern. Nehmen wir beispielsweise an, ein Kunde bestellt eine Million Kugelschreiber in Standardausführung, ein zweiter 1.000 Kugelschreiber aus Titan. Ein dritter Kunde braucht 10.000 grüne Kugelschreiber. Mit einer digitalen Fabrik lassen sich diese Sonderausführungen problemlos programmieren und effizient abwickeln, und durch die zügige Erfüllung von Kundenwünschen stärkt das Unternehmen seine Wettbewerbsposition.
4. Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen
Die Fertigung von Konsumgütern zur Befriedigung der weltweiten Nachfrage ist mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden. Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums gehen aktuell 20 % aller Treibhausgasemissionen sowie 54 % des globalen Energieverbrauchs auf das Konto der Fertigungsbranche.
Digitalisierte Betriebe verfügen über datengestützte Erkenntnisse, die sie bei der Umsetzung branchen- oder unternehmensspezifischer Nachhaltigkeitsziele bzw. einschlägiger gesetzlicher Vorschriften unterstützen können. Manche Unternehmen haben bereits Umweltbeauftragte mit Zuständigkeit für die Dokumentation und Analyse der entsprechenden Metriken sowie die Entwicklung einer Klimaschutzstrategie in den Vorstand berufen. Eine digitale Fabrik unterstützt solche Maßnahmen in mehrfacher Hinsicht:
- Digitale Zwillinge generieren umsetzungsfähige Erkenntnisse in Echtzeit, die Entscheidungstragende bei der Formulierung und Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen unterstützen.
- Mithilfe von Generativem Design können in der Planungs- und Bauphase der digitalen Fabrik und dazugehörigen Infrastruktur umweltfreundliche Optionen etwa bei der Auswahl der Werkstoffe ermittelt werden.
- Automatisierte Anlagen und KI-Anwendungen erfassen und analysieren Daten zum Energieverbrauch basierend auf dem Verhalten menschlicher Nutzer im jeweiligen Raum.
Insbesondere für Unternehmen, die eine kohlenstoffneutrale Produktion anstreben, ist die digitale Fabrik ein unverzichtbares Hilfsmittel.
5. Effizienzgewinne durch weniger Verschwendung
In der „Lean Production“-Lehre wird zwischen sieben Verschwendungsarten unterschieden, die insbesondere in Fertigungsbetrieben auftreten:
- Transport/Logistik
- Ineffiziente Bestandsverwaltung
- Unnötige Bewegungen
- Wartezeiten
- Überproduktion
- Unnötig komplexe Verarbeitungsprozesse
- Ausschuss/Nacharbeit
Digitale Fabriken unterstützen den Abbau von Verschwendung, indem unnötige Arbeitsschritte oder Transportwege vermieden und Arbeitsabläufe konsolidiert bzw. automatisiert werden. Dadurch lassen sich Kosten senken und zusätzliche Wertschöpfungspotenziale freisetzen.
In einer komplett digitalisierten Fabrik sind sämtliche Ressourcen, Betriebsmittel und Stakeholder – Fertigungsanlagen, Gebäude, dazugehörige Infrastruktur, Zulieferer, Softwareanbieter, Mitarbeitende und Geschäftspartner – miteinander integriert und vernetzt. Der ungehinderte Datenfluss ermöglicht erhebliche Effizienzgewinne durch Automatisierung, vorausschauende Analysen und Optionen zur Simulation von alternativen Szenarien. Wie das in der Praxis aussieht, führte Porsche bei der Planung der 2019 eröffneten Taycan-Fabrik in Zuffenhausen vor. Statt klassischer Fließbänder kommen in der neuen Produktionsstätte sogenannte Flexi-Lines zum Einsatz: fahrerlose Transportsysteme, die flexibel auf die Bedürfnisse der Betriebsmittel reagieren, damit überflüssige Arbeitsschritte vermieden werden.
Beispiele für digitale Fabriken
Das als Toyota Production System (TPS) bekannte Erfolgsrezept des japanischen Automobilkonzerns beruht auf dem Grundkonzept der kontinuierlichen Verbesserung zur Steigerung der Wertschöpfung, Vermeidung von Verschwendung und Optimierung der Produktivität und Effizienz. Der Gedanke stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert und wird bei Toyota bis heute in der Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden sowie der Nutzung neuer Technologien konsequent umgesetzt. Hinter der digitalen Fabrik steht eine ganz ähnliche Philosophie, wie die im Folgenden vorgestellten Beispiele zweier Unternehmen verdeutlichen, die das Potenzial der Digitalisierung und Datenvernetzung erkannt haben und voll ausschöpfen.
Brioche Pasquier
Brioche Pasquier kann auf eine bemerkenswerte Unternehmensgeschichte zurückblicken, die den kleinen Familienbetrieb zum international bekannten Hersteller klassischer französischer Backwaren mit 18 Standorten in vier Ländern katapultierte. Durch die Digitalisierung des Betriebs kann das Unternehmen trotz Hochskalierung und Dezentralisierung der Produktion eine einheitliche Qualität gewährleisten.
Die Vernetzung und Koordinierung zwischen den Standorten in Frankreich, Spanien, Großbritannien und den USA erfolgt über die Cloud. Zur Planung neuer Fabriken werden Daten aus den bereits laufenden Produktionsstätten mit Autodesk Naviswork in digitale 3D-Modelle eingespeist und unternehmensweit zur gemeinsamen Nutzung freigegeben. Dadurch lassen sich Produktionsabläufe standardisieren und reibungslose Kommunikations- und Informationsflüsse zwischen allen Abteilungen und Geschäftsbereichen gewährleisten.
Porsche
Innovation hat bei Porsche Tradition, seit am 8. Juni 1948 das Urmodell des 356 als erster kommerziell erhältlicher Sportwagen der Hochleistungsklasse aus der Werkstatt in Kärnten rollte, wohin das Unternehmen kriegsbedingt ausgewichen war. Von der ersten Serie aus 52 in Handarbeit gefertigten Fahrzeugen bis zur neuen Fabrik, in der fahrerlose Transportsysteme als flexiblere Alternative zum Fließband eingesetzt werden, ist man bei Porsche dem Qualitätsversprechen einer Fertigung, die sich eng an den Bedürfnissen und Ansprüchen der Kunden orientiert, konsequent treu geblieben.
Bei der Planung der kohlenstoffneutralen Fabrik arbeitete Porsche mit einem integrierten Modell, in dem sämtliche technischen Daten digital visualisiert und im iterativen Verfahren optimiert wurden, bis beispielsweise die gewünschte Tragfähigkeit von 3.000 kg pro Quadratmeter Bodenfläche erreicht war. Zulieferer hatten ebenfalls Zugriff auf das Modell und konnten die Bemaßungen ihrer Maschinen exakt für den vorgesehenen Raum konfigurieren, um etwaige Kollisionen von vornherein zu verhindern. Inzwischen läuft die neue Produktionsstätte auf Hochtouren und produziert Daten, die im virtuellen Modell zur Optimierung der Betriebsabläufe ausgewertet werden. Das Ergebnis ist eine digitale Fabrik, die dem Motto der „Porsche Production 4.0“ gerecht wird: green, smart and lean.
Zukunftsperspektiven für die digitale Fabrik
Zwar wurde im Zuge der Pandemie in vielen Betrieben das Tempo der digitalen Transformation forciert – von einer komplett digitalisierten Fertigungsbranche sind wir indes noch weit entfernt. Im Folgenden solle kurz umrissen werden, welche Konturen die vielbeschworene „neue Normalität“ in der Fertigung annehmen könnte.
Intelligente Fertigung
Beim Konzept der digitalen Fabrik stehen oft die technischen Aspekte im Vordergrund: Maschinen, Software, Roboter. Das eigentlich Wesentliche ist jedoch nicht die Technik und Technologie selbst, sondern die Daten, die sie produziert. Die Zukunft der digitalen Fabrik liegt in der Kombination und Analyse dieser Daten aus unterschiedlichen Quellen. Das Ziel sind Fertigungsverfahren, die nicht nur smart, sondern intelligent sind. Eine smarte Fabrik liefert dem Unternehmen die notwendigen Daten zur Umsetzung konkreter Maßnahmen, die zur Optimierung der Fabrik bzw. Gewährleistung eines bestimmten Qualitätsniveaus führen. Eine intelligente Fabrik trifft anhand der erfassten und ausgewerteten Daten eigenständige Entscheidungen und kann ggf. erforderliche Kurskorrekturen vornehmen.
Integrierte Fabrikmodellierung
Wo werden diese riesigen Mengen von Daten aufbewahrt? Auf Plattformen in der Cloud, wo sie in Echtzeit einen ganzheitlichen und lückenlosen Einblick in den Ist-Zustand des Betriebs ermöglichen. Über den Abbau von Datensilos und die (virtuellen) Mauern der digitalen Fabrik hinaus wird dadurch auch die integrierte Fabrikmodellierung (IFM) unterstützt.
Bei der integrierten Fabrikmodellierung bezieht die Vernetzung neben der eigentlichen Fabrik und den darin befindlichen Anlagen und Maschinen auch die dazugehörige Infrastruktur sowie Parkplätze, Abwassersysteme, Lagerhallen und Verwaltungsgebäude ein. Zulieferer, Softwareanbieter, Auftragnehmer und Geschäftspartner können ebenfalls an die zentrale Datenumgebung angebunden werden, damit alle Projektbeteiligten jederzeit Zugriff auf sämtliche aktuellen Daten haben. Der deutsche Automobilhersteller e.Go, ein Pionier im Bereich der Elektromobilität, setzte bei der Planung seiner Fabriken auf IFM zur Koordinierung aller beteiligten Bauunternehmen und Kooperationspartner.
Bessere Chancen für KMU durch Dezentralisierung
Der US-Fachverband National Association of Manufacturers (NAM) nennt Datensilos als einen der Hauptgründe für Lieferkettenprobleme. Einer aktuellen Studie von Deloitte zufolge sind nur 21 % der kleinen bis mittelständischen Fertigungsbetriebe überzeugt, ihre Lieferketten lückenlos überschauen zu können. Digitale Fabriken schaffen hier Abhilfe und unterstützen eine bessere Zusammenarbeit zwischen kleineren Unternehmen in Form von kooperativen Netzwerken, die z. B. die gemeinsame Anschaffung und Nutzung von Geräten und anderen Ressourcen ermöglichen.
Der Trend zur dezentralen Fertigung kommt kleineren Betrieben, die von der digitalen Vernetzung profitieren wollen, ebenfalls zugute. Global fallen 98 % aller Fertigungsbetriebe in die Kategorie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Diese Kleinbetriebe können sich Investitionen in die Umstellung auf Industrie 4.0 nicht im selben Umfang leisten wie größere Mitbewerber. Im Rahmen dezentraler Fertigungskonzepte bieten sich jedoch neue Möglichkeiten zur virtuellen Kooperation, die die Wettbewerbsfähigkeit dieser Betriebe signifikant stärken.
Attraktive Arbeitsplätze für hochqualifizierte Nachwuchskräfte
Die Digitalisierung wird die Fertigungsbranche und damit auch die entsprechenden Berufsbilder grundlegend verändern. Und das ist gut so angesichts der nicht gerade rosigen aktuellen Lage:
- In den USA fehlen derzeit 570.000 Arbeitskräfte zur Besetzung offener Stellen in der Fertigung; bis 2030 soll diese Zahl auf 2,1 Millionen ansteigen und die US-Volkswirtschaft eine Billiarde USD kosten.
- In Deutschland besteht vor allem im Bereich Maschinen- und Anlagenbau eklatanter Fachkräftemangel.
- 77 % der Fertigungsbetriebe in den USA rechnen langfristig mit anhaltenden Schwierigkeiten bei der Personalsuche. In Deutschland versuchen viele Betriebe das Problem durch Ausbildung von Lehrlingen in den Griff zu bekommen, stoßen aber auch hier bei der Suche nach geeigneten Interessenten auf Schwierigkeiten.
Woran das liegt? Vor allem daran, dass mehr Arbeitnehmende in den Ruhestand gehen, als Nachwuchskräfte in die Branche drängen. Das wiederum ist nicht zuletzt der mangelnden Attraktivität eines Sektors zu verdanken, der traditionell im Ruf steht, der technologischen Innovation und digitalen Evolution eher hinterherzuhinken.
Die Umstellung auf Industrie 4.0 bietet hervorragende Chancen, diese Lücke zu schließen und das Image der Fertigungsbetriebe als attraktive Arbeitgeber für technologieaffine Nachwuchskräfte aufzupolieren. Denn was könnte spannender sein, als das erlernte Fachwissen in einer Fabrik voller Roboter, KI-Anwendungen und intelligenter Maschinen in die Praxis umzusetzen?
Eine digitale Fabrik stellt Verantwortungstragenden auf Abruf alle benötigten Daten bereit. Diese Daten können zur Unterstützung fundierter betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, proaktiven Erkennung und Behebung von Problemen herangezogen werden. Im Ergebnis stärken sie die Resilienz des Unternehmens in einer unberechenbaren Welt.