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Smarte Straßen in eine vernetzte, intelligente und nachhaltige Zukunft

Intelligente Mobilitätsformen sind auf dem Vormarsch. Dazu zählt auch der „smarte" Straßenbau.

Angesichts wachsender Städte, zunehmender Bevölkerungszahlen, der Entstehung neuer Mobilitätsformen und der Forderung nach mehr Nachhaltigkeit werden neue Ansätze im Straßenbau erforderlich. Um ein zukunftsfähiges Konzept der Straßeninfrastruktur zu entwickeln, setzen die wichtigsten Akteure der Branche in Frankreich auf Big Data und neue Technologien.

Frankreich besitzt mit 1,2 Millionen Kilometern das längste Straßennetz Europas. Ein Neubau würde heute schätzungsweise 2.000 Milliarden Euro kosten, was etwa dem BIP des Landes entspricht. In der Region Île-de-France rund um Paris verursacht der Straßenverkehr über die Hälfte aller Stickstoffemissionen. Alternative Mobilitätsformen wie Carsharing, Fahrradflotten zur Selbstausleihe, E-Bikes und Straßenbahnen sollen die Treibhausgasbilanz nachhaltig verbessern.

Nachhaltige Mobilität fördern

Ziel ist es, Standards für die Vernetzung zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur zu entwickeln, die dann im Infrastrukturausbau angewendet werden können. Das Verkehrsaufkommen soll so flexibler auf verschiedene Transportmittel aufgeteilt werden können. Das meint auch Hervé Dumont, Direktor für Zukunftsforschung, Technologie und Entwicklung bei Eiffage Route, einem führenden Unternehmen für Stadtentwicklung und Straßenbau. Er sieht einen Trend zu variablen, gemeinsam genutzten Verkehrsräumen: „Heutzutage entwickeln sich zunehmend vielfältigere Mobilitätsformen und die Infrastruktur muss sich entsprechend anpassen.“

Intelligenter Straßenbau
Der Weg zur “smarten” Straße.

Bei der Senkung der CO2-Emissionen im Rahmen der EU-Klimaziele liegen grüne Autos vorn. Doch Elektro- oder Hybridfahrzeuge erfordern die Einrichtung von Ladestationen mit ausreichend Ladeplätzen sowie eine entsprechende Wegweisung.

Für François Olard, Technischer Direktor für Infrastrukturforschung und Innovation bei Eiffage Route, erfordern modernere Fahrzeuge auch neue Lösungen für die Straßengestaltung und Nutzung. „Diese neuen Lösungen sollen den Verkehrsraum dynamisch nutzen und mit variablen Leitsystemen ausgestattet sein“, sagt Olard. „Nehmen Sie die für Busse oder Taxis reservierten Fahrspuren. Es wäre denkbar, dass diese Spuren auch von allen anderen Autos genutzt werden können und nur geräumt werden müssen, wenn ein Bus oder ein Taxi kommt.“

Durch ein dynamisches Leitsystem ließe sich der Pendlerverkehr besser steuern. Dies ist auch das Ziel der ersten Umweltspur in Frankreich, die im September 2020 eröffnet wurde und ausschließlich Fahrgemeinschaften vorbehalten ist. Die Fahrspur erstreckt sich über acht Kilometer auf einem besonders von Staus betroffenen Abschnitt der Autobahn A 48 kurz vor Grenoble im Südosten des Landes.

Dynamisches Leitsystem
Ein dynamisches Leitsystem könnte dazu beitragen, Pendelverkehr besser zu steuern.

In anderen Ländern wie Kanada, den USA und Israel wird bereits seit einigen Jahren während der Hauptverkehrszeiten eine Fahrspur von Fahrgemeinschaften genutzt. Nun setzt auch Frankreich auf den Doppeleffekt – weniger Staus und geringerer CO2-Ausstoß. Die Umweltspuren für Fahrgemeinschaften erfordern die Einrichtung eines Leitsystems und Sensoren zur Erkennung der Personenzahl im Fahrzeug.

Von der intelligenten Straßeninfrastruktur zur Verkehrssteuerung

Zwar sind Carsharing und Fahrgemeinschaften während der Corona-Pandemie rückläufig, andere Faktoren wie die jeweiligen Witterungsverhältnisse beeinflussen das Verkehrsaufkommen jedoch weiterhin. Für Hervé Dumont bedeutet Anpassung, die Fahrspuren für den Autoverkehr unter Berücksichtigung der Bedarfsentwicklung neu zu gestalten. So sind Pendler im Winter vielleicht lieber mit dem Auto unterwegs als mit dem Fahrrad. „Die Zukunft gehört einem Straßenraum, der so gestaltet ist, dass er in Echtzeit an die aktuellen Verkehrsverhältnisse angepasst werden kann“, sagt er.

Verkehr Witterung
Witterungsverhältnisse beeinflussen das Verkehrsaufkommen weiterhin.

Diese Ansicht teilt auch Bernard Sala, Vorsitzender von Routes de France und stellvertretender Generaldirektor für nachhaltige Entwicklung und Innovation bei Colas, einem führenden Bauunternehmen im Bereich der Straßeninfrastruktur. „Es wäre doch schade, wenn wir diese Krise nicht nutzen würden, um durch neue Instrumente ökologische und digitale Faktoren einzubeziehen“, sagt er. „Die Gestaltung des Straßenraumes muss sich an der Nutzung orientieren.“

Die Straßengestaltung muss auch den Fahrradverkehr einbeziehen, der im Zuge der Pandemie steigt. Der Boom lässt sich auf mehrere Einflüsse zurückführen. Seit einigen Jahren wird das Fahrrad zunehmend beliebter, vor allem bei Menschen, die bewusst ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren wollen. Staatliche Maßnahmen und Subventionen zur Förderung dieses Verhaltens sollen zur Verbreitung dieser Mobilitätsform in ganz Frankreich, einschließlich der Randbezirke und sogar auf dem Land beitragen.

Pop-up-Radwege
Pop-up-Fahrradwege erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.

Im vergangenen Frühjahr wurden landesweit sogenannte vorläufige Radspuren mit einer Gesamtlänge von über 1.000 Kilometer eingerichtet. In einigen Städten, z. B. in Toulouse, wurden diese Corona- oder Pop-up-Radwege inzwischen teilweise auf Dauer angelegt. Doch diese Maßnahmen werden nur dann Bestand haben, wenn ein entsprechendes Leitsystem und die dazugehörige Technik, wie zum Beispiel Fahrspuren und Ladestationen für E-Bike-Sharing installiert werden. „Die Errichtung von geschützten Radverkehrszonen, die zu beachten sind, hat Priorität“, betont Dumont.

„Mit Sensoren und mobilen Verkehrsmesssystemen ist es heute einfacher, ein Fahrrad und dessen Überquerungszeit im Vergleich zu einem Fußgänger zu erfassen“, so Sala. Er führt weiter aus, dass Mehrparameterverfahren ein Schlüssel zur Optimierung von Verkehrssteuerungssystemen sind.

Infrastruktursensoren
Künftig sollen Infrastruktursensoren im Fahrzeuginnern die Fahrer leiten.

Schon heute können Infrastruktursensoren den Zustand von Straßen beurteilen. Zukünftig sollen sie auch mit On-Board-Sensoren im Fahrzeuginnern sowie mit Smartphones kommunizieren, um die Fahrer zu leiten. Sie werden eine intelligente Infrastruktur steuern, bei der sich Straßenmöbel und Fahrbahnmarkierungen in Echtzeit an die erhobenen Sensordaten anpassen. Somit vereinfacht sich nicht nur der Planungsprozess, sondern auch das gesamte Betriebsmanagement.

Für Sala ist in den kommenden Jahren die Entwicklung flexibler, multifunktionaler intelligenter Fahrbahnsysteme entscheidend. Als Beispiel nennt er die innerstädtischen Radwege, die zu bestimmten Tageszeiten leer sind, während die Benutzung zu anderen Zeiten gefährlich sein kann. Die Markierungselemente müssten versenkbar oder verstellbar sein, um den Verkehr zu bestimmten Zeiten zu entlasten und Anlieferungen zu ermöglichen.

Umsetzung des Flowell-Projekts in Nantes im Westen Frankreichs – an einer Kreuzung mit erhöhter Unfallgefahr erhalten Busse Vorfahrt durch Leuchtpfeile in Fahrtrichtung. Credit: COLAS – Julien Gazeau
 
Die beleuchtete Linie auf der Fahrbahn signalisiert Autofahrern und Radfahrern die Vorfahrt des Busses an der Haltestelle. Credit: COLAS – Julien Gazeau
 
Gut beleuchtet durch die Dämmerung. Credit: COLAS – Julien Gazeau

Am 3. September 2020 kündigte die französische Regierung ein Konjunkturprogramm zum Infrastrukturausbau an, aus dem 1,2 Milliarden Euro zur Förderung der Alltagsmobilität in zwei Bereichen bereitgestellt werden. Für die Entwicklung des Fahrradverkehrs ist eine Verdopplung der Mittel geplant. Der zweite Bereich betrifft den öffentlichen Personennahverkehr und sieht die Erweiterung des Angebots durch neue Linien mit eigener Fahrstrecke vor.

Für Dumont geht es bei der Modernisierung der Straßeninfrastruktur sowohl um neue Ansätze im Straßenbau als auch um die Einbeziehung neuer digitaler Technologien. Ziel ist es, Umweltfaktoren und Nachhaltigkeit in den Bau zu integrieren und gleichzeitig mit den veränderten Nutzungsgewohnheiten und Bedürfnissen der Menschen Schritt zu halten.

„Straßen dienen nicht nur zur Fortbewegung“, ergänzt Sala. „Sie erfüllen viele andere Aufgaben, die branchenübergreifend entwickelt werden müssen, wie Lade- und Speicherstationen sowie die Parkraumbewirtschaftung.“

Digitale Transformation
In der digitalen Transformation liegen auch neue Lösungen für den Straßenbau.

Die technologische Innovation fördert interdisziplinäre Ansätze

Die neue Realität zwingt die Marktteilnehmer zur Anpassung. „In den letzten Jahren haben wir uns stärker an einem interdisziplinären Gesamtkonzept orientiert“, sagt Olard. „Unsere Branche öffnet sich für Fahrzeuge, die immer besser vernetzt sind. Die interdisziplinären Konzepte nehmen zu und konzentrieren sich vor allem auf GIS- und BIM-Daten sowie auf Energieeffizienz.“

Und das aus gutem Grund. Da Europa bereits über die erforderliche Straßeninfrastruktur verfügt, geht es darum, den Bestand instand zu halten und durch GIS- und BIM-Daten und neue Technologien aufzurüsten, statt neu zu bauen. Um diese Änderungen anzugehen, denken die Straßenbauunternehmen über neue Konzepte der digitalen Transformation nach, speziell über die Nutzung umfangreicher Datenbestände durch BIM (Building Information Modeling).

Die Teams von Eiffage müssen zugeben, dass sie dabei im Vergleich zu anderen Branchen momentan mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. „Objekte sind schwieriger zu definieren, weil die Infrastruktur linear und nahezu unendlich ist“, sagt Dumont. „Es ist für uns nicht einfach, die einzelnen Eigenschaften wie Stärke, Materialtyp oder gar thermisches Verhalten als Attribute in digitaler Form zu hinterlegen.“

Digitale Modellierung und Simulation
Digitale Modellierung und Simulation liefern neue Lösungen mit Daten, die es Planern und lokalen Behörden erleichtern, Straßen besser zu gestalten.

Trotz dieser Herausforderungen bleibt das Ziel, ausreichend Daten zur Erstellung eines digitalen Zwillings zu generieren. Für Dumont geht es letztlich darum, jeden einzelnen Projektschritt für jedes Gewerk von der Entstehung des Projekts bis zum Abschluss aufzunehmen und die Interoperabilität der Systeme in allen Phasen der Projektierung herzustellen.

Dieser interdisziplinäre Planungsansatz würde nicht nur den Fahrkomfort und die Verkehrssicherheit verbessern, sondern auch Fragen der Entwässerung und Wasserspeicherung sowie der Wärmediffusion bei der Belagsgestaltung berücksichtigen, so Sala.

„Der Nutzen des digitalen Zwillings und Künstlicher Intelligenz zeigt sich vor allem in der praktischen Anwendung“, sagt er. „Bald werden wir mit Systemen arbeiten, die extrem komplex sind.“ Bereits heute lieferten digitale Modellierung und Simulation neue Lösungen mit genauen Daten, die es Planern und lokalen Behörden erleichtern, Straßen besser zu gestalten und in die Umgebung zu integrieren.

Im Pariser Geschäftsviertel La Défense wurde eine Kreuzung mit einer Beleuchtungsanlage im Straßenbelag ausgestattet, die bei Querung Licht erzeugt. Credit: COLAS – Julien Gazeau
 
„Mit Generativem Design haben wir eine Lösung gefunden, die den Verkehr während der Bauarbeiten kaum behindert“, sagt Bernard Sala, Präsident von Routes de France und stellvertretender Generaldirektor für nachhaltige Entwicklung und Innovation bei Colas. Credit: COLAS – Julien Gazeau

Generatives Design ist eine Lösung, die sich als sehr überzeugend erwiesen hat. Sie wurde im Rahmen des Flowell-Projekts von Colas getestet, bei dem in den Straßenbelag eingebettete LED-Paneele eine Kreuzung in Paris beim Betreten dynamisch beleuchten und so das Überqueren sicherer machen. Das Projekt wurde mit dem BIM-Award in Silber in der Kategorie „Pionierleistungen“ ausgezeichnet. Sala sagt, dass mit Generativem Design mehr Parameter und Randbedingungen einbezogen werden konnten, als es einem Menschen möglich gewesen wäre. Somit wurden in Rekordzeit mehrere Szenarien erstellt. Außerdem gelang dem Team damit eine Lösung, die die Verkehrsbeeinträchtigung während der Bauarbeiten minimiert – und von der langfristig die gesamte Straßenverkehrsbranche profitieren könnte.

Den ökologischen Wandel gestalten – grüne Mobilität im Fokus

Mit der Zunahme neuer elektrischer, autonomer und kohlenstoffneutraler Transportformen spielt die Gestaltung der Infrastruktur eine Schlüsselrolle bei den von der Europäischen Union im Rahmen des Aktionsplans „Grüner Deal“ festgelegten Energiesparstrategien. Unumstritten ist, dass fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen Frankreichs durch die Nutzung der Verkehrsinfrastruktur entstehen. Mit den Konjunkturprogrammen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes könnte bis 2030 durch die Entwicklung von Elektrofahrzeugen, durch eine flexible Stadtverkehrspolitik und die dazugehörige Infrastruktur eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 15 bis 30 Prozent erreicht werden.

Immer mehr grüne Straßeninfrastrukturprojekte entstehen durch das Engagement einzelner Marktteilnehmer, für die das 2009 unterzeichnete Pariser Klimaschutzabkommen den Anstoß gab. Im Infrastrukturbereich lassen sich die erdölbasierten Produkte heute durch pflanzliche Stoffe ersetzen, sodass alle Projektbeteiligten auf umweltfreundlichere Lösungen zurückgreifen können. „Unsere Aufgabe besteht auch darin, die öffentlichen Auftraggeber in unseren Ansatz einzubeziehen und neue Prozesse und Verfahren zu entwickeln, um ihnen umweltfreundliche Alternativen anbieten zu können“, erklärt Dumont. So könnte eine ausgewogene Berücksichtigung wirtschaftlicher, technischer und ökologischer Faktoren für Nachhaltigkeit, Kontinuität und Wiederverwertbarkeit im Straßenbau sorgen.

François Olard
François Olard, Technischer Direktor für Infrastrukturforschung und Innovation bei Eiffage Route, zeigt Probekörper aus herkömmlichem Asphalt und mit dem pflanzlichen Bindemittel BioKrom. Credit: Eiffage Route.

Die Eiffage-Gruppe, ein Pionier auf dem Gebiet ökologischer Straßenbaumaterialien, hat dieses Potenzial erkannt und eine Reihe von pflanzenbasierten Verfahren entwickelt, wie z. B. Recytal-Arm, das den Energieverbrauch um mehr als 50 Prozent und die Treibhausgasemissionen um mehr als 70 Prozent reduzieren kann. Dies wird durch ein Kaltmisch-Recyclingverfahren erreicht, das eine Emulsion auf Kiefernharzbasis mit dem Namen Rectyal verwendet. Eiffage Route ist das erste französische Straßenbauunternehmen, das eine Zertifizierung für ein Produkt auf biologischer Basis für den Einsatz im Straßenbau und in der Stadtentwicklung erhalten hat.

Bestärkt durch diese neuen technologischen und ökologischen Lösungen ist die Straßenbauindustrie auf dem Weg, zur treibenden Kraft in einer grünen, nachhaltigeren Gesellschaft zu werden. Der Weg in die Zukunft führt jedoch in erster Linie über die Transformation des Straßenbausektors selbst, über den digitalen und interdisziplinären Ansatz. „Mit einem anderen Infrastrukturmanagement ist das alles vorstellbar“, schlussfolgert Sala. Er sieht keinen Grund, weshalb Straßen nicht die gleiche Entwicklung durchlaufen können wie Gebäude – hin zu mehr Energieeffizienz, Recycelbarkeit und Umweltfreundlichkeit.

Über den Autor

Laure Belmont begann als Journalistin in Israel, wo sie sich schnell mit dem lokalen Startup-Ökosystem anfreundete. Als Linguistin mit einem natürlichen Hang zu Innovation und Optimierung arbeitete sie anschließend als Beraterin in der Kommunikation für Tech-Startups und Unternehmen in den Bereichen Bildung, Tech 4 Good, Finanzen und Gesundheit. Sie studierte Vergleichende Literatur- und Sozialwissenschaften in Kanada und Hongkong und schloss mit einem MA in Politikwissenschaft und Kommunikation an der Universität Tel Aviv ab.

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