Für diesen französischen Baugiganten ist digitale Transformation mehr als Digitalisierung
Spie batignolles hat den Fahrplan für die digitale Transformation festgelegt. Die Umgestaltung seiner Fertigungs- und Managementprozesse stützt sich auf digitale Instrumente. Die Bauwerksdatenmodellierung (BIM) bildet das Fundament für den organisatorischen Umbau.
Das Erscheinungsbild des Galileo-Sicherheitszentrums für das europäische globale Satellitennavigationssystem nahe Paris entspricht so gar nicht dem Klischee eines Bunkers. Wie ein riesiger Spiegel verbirgt die dunkle Glasfassade zwar, was im Inneren des Gebäudes vorgeht, reflektiert jedoch zugleich eine offene Sicht auf die Welt. Das ist schon erstaunlich für einen als „Militärgeheimnis“ klassifizierten Standort, finden die Teams von Spie batignolles, die das Zentrum nach Plänen des Architekturbüros Enia Architects errichtet haben.
Mit neuen Arbeitsformen zu neuen Konzepten
Auch für die Baubranche gilt es, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen. Im Bauwesen, das etwa 11 % des BIP Frankreichs ausmacht, ist es dringend erforderlich, bisherige Gewohnheiten zu überprüfen. Gegenwärtig verlangen Bauherren bereits in der Vorbereitungsphase verstärkt die Einhaltung allgemeiner Leistungsindikatoren wie eine garantierte Energieeffizienz. Digitale Transformation und BIM bilden den Eckpfeiler und das Fundament dieses enormen Umbauprozesses.
„Das Adjektiv digital bezieht sich auf die Instrumente, die neue Arbeitsformen unterstützen, und Transformation heißt, die Arbeitsorganisation und die Arbeitsweise zu verändern. Die digitale Transformation soll eine effizientere interdisziplinäre Arbeitsorganisation bewirken, weg vom Silodenken, hin zu einem breiteren Austausch“, erklärt Thomas Germain, Direktor für Informationssysteme (CIO) bei Spie batignolles.
Nach einer aktuellen Studie der IDC (International Data Corporation) zum digitalen Wandel im Bauwesen besteht die Aufgabe der Bauunternehmen für die nächste Stufe der digitalen Transformation darin, einen Fahrplan zu erstellen, die digitale Kompetenz der Teams zu entwickeln und eine Betriebsstruktur zu schaffen, die die digitale Integration im gesamten Unternehmen voranbringt. Der Produktivitätsgewinn durch besseres Ressourcen-, Sicherheits- und Risikomanagement, durch Kostensenkung sowie durch geringere Ausführungszeiten beträgt bis zu 15 %. All das stärkt die Resilienz des Unternehmens.
In einer Zeit, in der die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen auf dem Prüfstand steht, profitieren Bauunternehmen vom Einsatz agiler Methoden bei der digitalen Transformation. Laut Jim Lynch, Vice President und General Manager des Geschäftsbereichs Bauwesen bei Autodesk, werden im Bauwesen weltweit bis zu 45 % der Ausgaben in neue Verfahren fließen, die die Bauindustrie widerstandsfähiger, sicherer und nachhaltiger machen sollen.
Wissen und Erfahrung mit Kollegen teilen
Alexis Hermet, Direktor für Produktionsqualität und technische Innovation bei Spie batignolles, bekennt sich zu einem konzernweiten Ansatz: „Sich allein auf die digitale Transformation zu fokussieren, wäre zu einseitig. Wir müssen weiter gehen. Gewiss, der BIM-Prozess und die dazugehörigen Tools bringen Bauherren, bauausführende Unternehmen und Planer an einen Tisch. Doch vorrangig ist die ökonomische, ökologische, technologische, ideelle und organisatorische Umgestaltung.“
Kernaufgabe dieser konzernweiten Umgestaltung bleibt jedoch die Digitalisierung: „Die Umsetzung in eine digitale Form ist ein notwendiges Steuerelement, das wir in allen unseren Innovationsbereichen einsetzen“, so Thomas Germain. Das hat seinen Grund. Die effiziente digitale Transformation ist Voraussetzung für die Erfassung und Nutzung von Daten. Das gilt für vernetzte Objekte und computergestütztes Instandhaltungsmanagement „CMMS“ mit BIM ebenso wie für den Fertigbau und den 3D-Druck bei der Industrialisierung im Bauwesen.
Aus Sicht der Geschäftsleitung ist es entscheidend, die Prozesse immer wieder neu zu überdenken, um die Arbeitsmittel weiter zu optimieren. Dies ist dringend erforderlich, da die Umweltbelastung durch das Bauwesen noch erheblich reduziert werden muss. Bau- und Gebäudewirtschaft zusammen verursachen weltweit 38 % der CO2-Emissionen.
Trotz umfangreichen Fachwissens will Spie batignolles nicht gleich alle Geschäftsbereiche – Gründung und Tiefbau, öffentliche Bauarbeiten, Bautätigkeit, Gebäudewirtschaft und Energie – durchgreifend verändern. Die Gruppe verspricht sich von einer schrittweisen Einführung der Neuerungen eine bessere Integration des Know-how aus den einzelnen Geschäftsbereichen.
„Um bei gleichbleibend hohem Anforderungsniveau gemeinsam voranzukommen, ist es unentbehrlich, dass jeder Bereich seine Spitzenkompetenz einbringt. Nachdem dies erkannt worden ist, sollten die Fachkompetenzen gebündelt und in dafür vorgesehenen Gremien erörtert werden“, fügt Germain hinzu, für den die Erhaltung des Know-how seiner Kollegen wichtig ist.
Austausch in vier Fachausschüssen
Im Unternehmen wurden vier Fachausschüsse gegründet, denen Referenten aus allen Geschäftsbereichen angehören. Sie sollen die Erneuerung in den einzelnen Unternehmenszweigen vorantreiben, aber auch wichtige Informationen an die verschiedenen Entscheidungsebenen weiterleiten. Es findet ein regelmäßiger Austausch über BIM, schlanke Bauprozesse, digitale Werkzeuge sowie über neue Baumethoden statt.
Jedem der vier Fachausschüsse gehören ein Mitglied der Konzernleitung und ein leitendes Mitglied des jeweiligen Geschäftsbereichs an sowie Branchenprofis, die für die Kommunikation mit den Teams vor Ort verantwortlich sind und die bei Bedarf auch deren Anliegen an die Leitung herantragen.
„Es ist nicht mehr die Rede davon, die Teams aufzulösen und bei null anzufangen, wie man noch vor wenigen Jahren meinte, sondern es geht darum, das Silodenken zu beseitigen und Schnittstellen für interdisziplinäre neue technologische oder betriebswirtschaftliche Konzepte zu schaffen“, resümiert Hermet.
Seit 2016 entwickelt Spie batignolles einen neuen Ansatz, der Synergien zur Verbesserung der Gesamtleistung nutzt. Der für BIM zuständige Fachausschuss wurde Ende 2018 offiziell gegründet. Dieser ist einerseits weiterhin für die Praxis vor Ort, andererseits für die Strategie zuständig. Für Hermet fördert der BIM-Fachausschuss den Austausch. „Man erfährt, was in den Niederlassungen in Bezug auf digitale Erneuerung passiert. Wir arbeiten daran, unsere Anwendungsideen weiterzuentwickeln. Gegenwärtig laufen in allen unseren Geschäftsbereichen umfangreiche Experimente. Im nächsten Schritt werden wir unsere Erfahrungen austauschen und prüfen, wie wir die neuen Methoden auf größeren Baustellen oder unter veränderten Baustellenbedingungen umsetzen können“, erklärt er.
Kürzere Bauzeiten mit IoT, Augmented Reality und additiver Fertigung
Erste Erfahrungen mit Teamwerkzeugen wie BIM 360 wurden bereits gewonnen. Nun steht Spie batignolles vor der Aufgabe, die Baustellendaten zur Vorbereitung, Ausführung und Nachbereitung der Bauphase zu nutzen. In dieser Phase profitiert das Unternehmen gleich doppelt. Nicht nur das Kompetenzspektrum erweitert sich, sondern die Wertschöpfung findet auch früher statt und trägt zur Kostenoptimierung bei. Zudem wird in der nachgelagerten Phase zusätzlicher Mehrwert generiert durch neue Dienstleistungsangebote, wie die Lieferung des digitalen Zwillings, mit dem das Bauobjekt wartungsfreundlicher wird.
Bislang wurden BIM und digitale Modelle von den meisten nur als Datencontainer der Baustelle wahrgenommen. Mittlerweile steigt die Akzeptanz durch das einfache, ergonomische und benutzerfreundliche Design.
Die Interoperabilität der Kooperationsplattform eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten wie
- den direkten Vergleich der geleisteten mit der geplanten Stundenzahl,
- die einfache Überprüfung der Aussparungen auf der Baustelle mit Augmented Reality,
- die Angabe vernetzter Objekte, z. B. ein mit dem Hebezeug verbundenes Gerät, das den Belastungsgrad einfach und schnell ermittelt sowie
- den allgemeinen Einzug des 3D-Drucks auf Baustellen durch den BIM-Prozess.
In diesem Zusammenhang prüft Spie batignolles die Möglichkeit, bestimmte Schalungen oder Schalkörper für Aussparungen außerhalb der Baustelle vorzufertigen. Dabei spielt die Digitalisierung eine entscheidende Rolle für die industrielle Fertigung im Bauwesen und begünstigt sowohl die Standardisierung bestimmter Artikel als auch kundenspezifische Lösungen. „Wir untersuchen derzeit das Potenzial der additiven Fertigung und der Vorfertigung vor Ort. Die Vorteile in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, Qualität, Zeit und Sicherheit sind unbestreitbar“, sind sich Germain und Hermet einig. „Bei unseren ersten Tests konnten wir die Zeit, die für den Anschluss komplexer Knotenpunkte von Trägern benötigt wird, von zwei Tagen auf einen Tag reduzieren“, ergänzt Hermet.
Auch in diesem Bereich wird die Leistung nach einem Effizienzraster unter Bewertung zeitlicher, wirtschaftlicher, qualitativer und ökologischer Kriterien berechnet. „Die Partner für die additive Fertigung werden meist schon in einem sehr frühen Projektstadium einbezogen. Das betrifft architektonisch anspruchsvolle Bauteile wie baumförmige Tragwerksstützen oder außerhalb vorgefertigte Bauteile“, erläutert Hermet und bekräftigt: „Wir wollen die additive Fertigung unter dem Gesichtspunkt unserer Produktion und unserer Produktivität erfassen. Nach Möglichkeit soll sie ein Strukturelement unserer Unternehmensstrategie werden.“
Eine neue Generation
Die Leitgedanken der Veränderung in den einzelnen Fachausschüssen von Spie batignolles lassen sich mit einer Hand abzählen – Kommunikation, Förderung des Leistungswachstums, Entwicklung von Anwendungsideen, Erkundung neuer Möglichkeiten und Aufbau der Datenstruktur. All das lässt sich nur mit einem Projektengineering zur Erstellung eines digitalen Modells erreichen.
Obwohl in einem Sektor mit sinkenden Margen und Preisdruck die Rentabilität oberstes Gebot ist, betont Germain, dass bei der tiefgreifenden Umgestaltung des Arbeitsmodells nicht die Bauwerke selbst im Vordergrund stehen, „sondern die Menschen, die daran arbeiten“. Um diesen Strukturwandel in Angriff zu nehmen, setzt Spie batignolles auf eine neue Generation von Managern und Ingenieuren, die sich für die Entwicklung neuer Prozesse der Zusammenarbeit begeistert. Eine Generation, die gewohnte Denkmuster durchbricht.