Abstand halten beim Ausgehen: Wie sieht die Gastro-Welt nach 2020 aus?
Ein Restaurantbesuch mit der Familie oder Freunden – das war bis vor Kurzem keine höhere Mathematik. Wer hat Hunger und will mitkommen? Wer hat worauf Lust? Sollte man vorsichtshalber einen Tisch reservieren? Und schon konnte es losgehen. Das war vor Social Distancing.
Mit dem Ausbruch von Corona veränderte sich auf einen Schlag alles: Im März 2020 wurden Großveranstaltungen abgesagt, Reisewarnungen und Kontaktbeschränkungen ausgesprochen, Kurzarbeit fast schon zur Normalität. Im Endeffekt mussten die Menschen zuhause bleiben und Geschäfte geschlossen werden. Viele Gastronomen standen plötzlich vor einer extremen Entscheidung: Sollten sie vorübergehend komplett schließen oder auf Sparflamme weiterkochen und ihren Kunden einen Liefer- bzw. Abholservice bieten?
Nun, da das Alltagsleben allmählich aus seinem unfreiwilligen Dornröschenschlaf erwacht, hat Sicherheit oberste Priorität. Unternehmen aus allen Branchen bereiten sich auf eine Neueröffnung vor, die viele Beschränkungen aushalten und Bedingungen erfüllen muss – das gilt ganz besonders für die Gastronomie.
Erste Restaurants öffnen weltweit bereits – Lokalbesitzer reagieren auf die neuen Umstände mit äußerst kreativen Ideen. Über eine Gastro-Welt im Wandel.
1. Can’t touch this: „Kontaktlos“ als neue Norm
Der soziale Aspekt gemeinsamer Mahlzeiten verbindet uns Menschen seit Urzeiten, und der Wunsch nach der Geselligkeit und Gemeinschaft einer „Tafelrunde“ wird früher oder später wieder erwachen. Gastronomen müssen sich also Gedanken darüber machen, wie sie ihre Kunden zurück an die Tische holen, damit diese sich nicht nur eingeladen, sondern auch sicher fühlen. Eine Möglichkeit, den Gästen ein gesteigertes Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, sind transparente Hygienemaßnahmen. Doch auch mehr Abstand zwischen den Tischen (nie wieder Zwangskuscheln mit fremden Tischnachbarn), offene Küchen mit Einblick in die Speisenzubereitung und der vermehrte Einsatz von kontaktlosen Bezahlsystemen sowie Tisch- und Lieferservice bieten sich an. Weiter zum Artikel
2. Technologie eilt zur Hilfe: Das Gastgewerbe profitiert von optimierten Gestaltungsoptionen
Für Bars, Restaurants, Kneipen, Hotels und andere Einrichtungen des Gastgewerbes wird die Neueröffnung mit den ungewohnten Abstandsregelungen ein kostspieliges Unterfangen sein – eine Realität, die viele dazu bewegt, sich Unterstützung bei hochspezialisierten Planungsbüros und Technologieexperten zu holen. An erfahrenen Anbietern fehlt es dabei nicht: So war ein Team des Architekturbüros MASS Design Group beispielsweise nach dem Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010 sowie infolge des Ebola-Ausbruchs in Afrika vor einigen Jahren an der Umgestaltung von Krankenhäusern und Behandlungszentren in den betroffenen Regionen beteiligt. Jetzt setzen Restaurantinhaber auf das Know-how der Architekten, wenn es darum geht, ihre Betriebsabläufe neu zu planen und eine maximale Sitzplatzanzahl mit den neuen Regeln des Social Distancing unter einen Hut zu bringen. Die MASS Design Group nutzt Simulationen, um die gegenwärtige Raumnutzung zu verstehen und herauszufinden, welche Wirkung 50 % weniger Gäste oder vorgeschriebene Wege auf den Aus- bzw. Eingang hätten. Außerdem setzt MASS auf Generatives Design, um Gestaltungsoptionen für verschiedene Kriterien rund um die Neuausstattung von Räumlichkeiten zu optimieren. Im Fokus stehen dabei etwa Bestuhlungspläne und Bewegungsmuster mit angemessenem Sicherheitsabstand. Weiter zum Artikel
3. Desinfektionsstationen, Dinner for One und Plüschtiergesellschaft
In einigen Restaurants – so z. B. im Tokioter Themenpub Cheers One – durchlaufen Gäste bei der Ankunft einen mehrstufigen Prozess, der neben Desinfektionsmatten und Sprühnebel aus Desinfektionsmittel auch eine Messung der Körpertemperatur umfasst. Das Servicepersonal im Pub trägt zu Cheerleader-Outfits in Rot und Blau neuerdings Accessoires wie chirurgische Masken und Gesichtsvisiere. Das schwedische Restaurant Bord för en („Tisch für eine Person“) öffnet täglich für einen einzigen Gast, der ein Drei-Gänge-Menü genießen kann – in absoluter Stille. Im neuseeländischen Street-Food-Restaurant Daisy Chang ließen die Inhaber formschöne Speisekabinen um jeden zweiten Tisch bauen, als das Land im Mai die Corona-Gefahrenstufe senkte und Restaurants wieder öffnen durften. In einem vietnamesischen Restaurant in Bangkok sitzen Plüschpandas an leeren Tischen und leisten so einzelnen Gästen Gesellschaft. Weiter zum Artikel
4. Neue Architektur für Lokale
Keine Frage: Die Pandemie trifft die Gastgewerbebranche besonders heftig und zwingt Unternehmer, ihr gesamtes Konzept zu überdenken. Wie oder was wird Gastlichkeit eigentlich sein, wenn sie ihr Restaurant oder ihr Hotel in der „neuen Normalität“ positioniert haben? Die geforderten Mindestabstände sind das eine, aber Branchenexperten gehen davon aus, dass sich auch eine neue Kategorie architektonischer Moderne entwickeln wird. So werden Restaurantbesucher z. B. häufiger offene Küchen erleben, weil diese ein Gefühl der Transparenz vermitteln. In WC-Räumen wird es mehr kontaktlose Spendersysteme für Seife, Handtücher usw. geben, und es werden sicherere Varianten von Buffets und Mahlzeiten angeboten werden, die sich bisher mehrere Personen geteilt haben. Außerdem wird ein steigender Trend zu eskapistischen Restaurantinterieurs zu verzeichnen sein. Da zukünftig wohl weniger Menschen zum Essen ausgehen werden, möchten Restaurantinhaber ihnen eine einzigartige, surreale Ausgeherfahrung bieten. Weiter zum Artikel
5. Eine anheimelnde und einladende Atmosphäre – hinter Plexiglas
Während sich zahlreiche Hoteliers und Restaurantinhaber Gedanken über die Wiedereröffnung ihrer Unternehmen machen, grübeln viele ihrer Kollegen angesichts der damit einhergehenden Kosten, ob sie sich den Neustart überhaupt leisten können. Für die wieder eröffneten Restaurants und ihre Gäste prognostiziert der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom eine kulinarische Erfahrung, die Wegwerf-Speisekarten, nur halb so viele Tische und Servicepersonal mit Handschuhen und Schutzmaske umfasst. Architekten und Planungsexperten werden sich etwas einfallen lassen müssen, damit die neuartigen „defensiven“ Bereiche, wie z. B. Empfangstresen hinter schützendem Plexiglas, trotzdem herzlich und einladend wirken können. Der New Yorker Architekt W. Brian Smith der Architektengruppe Studio Tack in Brooklyn bringt das Ganze folgendermaßen auf den Punkt: „Planungsexperten müssen sich besser in die Psyche und das seelische Wohlbefinden der Gäste einfühlen als je zuvor.“ Weiter zum Artikel
6. Lieferservices und Kundenansprache in Zeiten von Corona
„Wenn der weltweite Lockdown langsam aufgehoben wird und wir uns in der sogenannten ,Neuen Normalität‘ für Gastgewerbe und Tourismusbranche wiederfinden, bekommen wir den Normalbetrieb der Vor-Corona-Ära nicht zurück. Es braucht ein Umdenken und eine gesellschaftliche Neukonzeption dessen, was Gastlichkeit für uns alle bedeutet“, so Philippa Wagner, Leiterin der Insight Division des Londoner Unternehmens Ennismore, das auf die Entwicklung einzigartiger Gastronomie-Objekte spezialisiert ist. Während der Kontaktbeschränkungen veröffentlichten Köche ihre Rezepte über soziale Netzwerke, Podcasts und Streaming-Dienste, um mit ihren Kunden in Kontakt zu bleiben. Die Zahl der Essensbestellungen nach Hause ist enorm angestiegen, und manche Restaurants werden richtig kreativ, wenn es darum geht, ihre Kunden zuhause anzusprechen. Die amerikanische Fast-Casual-Kette Chipotle startete z. B. „Chipotle Together”, eine Kampagne für gemeinsame virtuelle Mittagspausen, bei der Musiker und andere prominente Persönlichkeiten auf Zoom und Instagram für Unterhaltung – und Umsatzwachstum – sorgten. Während der Übertragungen wurden zeitlich begrenzte Gutscheincodes für kostenlose Vorspeisen eingeblendet. Die ebenfalls amerikanische Diner-Kette Denny’s nutzte die Beliebtheit des Simulationsspiels „Animal Crossing: New Horizons“ und startete einen Marken-Account bei allen großen Konsolenplattformen, über den eine wachsende Fangemeinde mit Gutscheincodes für Essensangebote beschenkt wurde. Weiter zum Artikel