Regierungsgebäude in Oslo: So wurde das Bauprojekt zum Paradebeispiel

Das Regjeringskvartalet-Projekt gilt als Paradebeispiel für eine strukturierte Zusammenarbeit, die zukunftsfähige Planung mit norwegischen Werten verbindet.


Ein Blick aufs neue Regierungsviertel: Das Osloer Regjeringskvartalet schafft den Spagat zwischen historischer Bedeutung und Modernität.

Credit: Nordic Office of Architecture.

In der Darstellung zeigt eine Luftaufnahme einen Stadtteil mit modernen Gebäuden, umgeben von Grünflächen und breiten Fußgängerzonen.

Mark de Wolf

9. Oktober 2025

Min. Lesedauer
  • Als Standort der norwegischen Staatsverwaltung wird das neue Osloer Regjeringskvartalet (RKV) ein Paradebeispiel für strukturierte Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit in der gebauten Umwelt

  • Wegen den strengen norwegischen Sicherheitsvorschriften für die Datenfreigabe müssen die mehr als 150 am Projekt beteiligten Architekten und Ingenieure in erzwungener Isolation arbeiten. Die Notwendigkeit, offline zu arbeiten, stellte große Herausforderungen für die Koordination dar

  • Um die Komplexität zu bewältigen, entwickelten die beteiligten BIM-Fachkräfte ein benutzerdefiniertes Add-In für Autodesk Revit sowie Skripte, die Tausende manueller Arbeitsschritte automatisieren. So gelang es, die Konsistenz der Modelle sicherzustellen und 10.000 Arbeitsstunden einzusparen

Die Terroranschläge von Oslo im Juli 2011 forderten 77 Tote und 200 Verletzte. Auch mehrere Regierungsgebäude wurden unbrauchbar gemacht: Mehr als 1.800 Beamte waren ohne Arbeitsplatz – darunter auch der norwegische Ministerpräsident. Für sechs ganze Ministerien mussten in der ganzen Stadt sichere Räumlichkeiten geschaffen werden, was zu einer Unterbrechung des Regierungsbetriebs und zu einer Beeinträchtigung langjähriger Arbeitsabläufe führte.

Nach dem Anschlag entwickelten die Planungsfachkräfte der norwegischen Baudirektion Statsbygg eine kühne Vision: die Errichtung eines neuen Regierungsviertels, das sowohl den symbolischen als auch den historischen Stellenwert des bestehenden Standorts stärken und gleichzeitig positive Zukunftsaussichten bieten sollte.

Das Projekt wurde als Bekenntnis zu norwegischen Werten konzipiert: Freiheit, Teilungsbereitschaft, Zusammenarbeit und nachhaltige Architektur in menschlichem Maßstab. Die norwegischen Vorschriften zum Datenschutz und zur inneren Sicherheit erforderten jedoch einen Planungs- und Bauansatz, der alles andere als offen war. IT-Systeme mussten offline bleiben, Cloud-Plattformen waren verboten, Teams mussten in Aufgabengruppen mit klar definierter Arbeitsteilung aufgeteilt werden. Informationsaustausch erfolgte nach dem Erforderlichkeitsprinzip und die Projektbeteiligten arbeiteten standardmäßig ohne Kontakt zueinander.

Der Erfolg des Projekts setzte Innovationskraft, Ausdauer, strukturierte Zusammenarbeit sowie die Bereitschaft, bestehende Systeme und Prozesse im Sinne eines gemeinsamen Ziels neu zu überdenken voraus.

Ein vernetzter Gebäudekomplex

Ein dreieckiges Gebäude mit Glasfassade erhebt sich über Grünflächen, auf denen Menschen sich entspannen und das Leben im Freien genießen.
Durch die offenen Grünflächen ist das Gelände von allen Seiten für die Öffentlichkeit zugänglich. Credit: Nordic Office of Architecture.

Das derzeit im Bau befindliche Osloer Regjeringskvartalet wird um sieben Gebäude erweitert, die durch ein Netzwerk öffentlicher Räume verbunden sind. Fünf Neubauten werden mit zwei zu sanierenden historischen Gebäuden verbunden.

Durch die Zusammenführung aller norwegischen Ministerien in einem zentralen Regierungszentrum will das Planungsteam eine organisatorische Flexibilität schaffen, die künftige Änderungen ermöglicht und gleichzeitig physische Interaktionen vereinfacht.

Angesichts der Ereignisse, die den Anstoß für das Projekt gaben, und der Institutionen, die die Gebäude repräsentieren sollten, stand die zentrale Frage im Raum, wie stark die norwegische Identität und Werte in der Architektur zum Ausdruck kommen sollten. Als eine der wachstumsstärkste Hauptstädte Europas befindet sich Oslo inmitten tiefgreifender und teilweise umstrittener Änderungen der bebauten Umwelt. Wie würden die Bürger auf noch dramatischere Veränderungen reagieren?

Die Wahrung der historischen Kontinuität wurde zu einem wichtigen Prinzip: Die bei dem Anschlag von 2011 beschädigten G-blokken (1906) und Høyblokken (1958) nahmen einen Platz im kollektiven Gedächtnis ein. Diese Gebäude gelten damit als bedeutende Ausdrücke des jeweiligen zeitgenössischen Stils und werden als erhaltenswerte Bauwerke eingestuft.

Beide Gebäude werden modernisiert und in das 125.000 Quadratmeter große Gesamtareal integriert. Das Endergebnis wird ein Ring aus miteinander verbundenen Regierungsgebäuden sein, die zwar höher als die historische Innenstadt ausfallen, sich jedoch durch gestufte Fassaden und terrassenförmige Ebenen harmonisch in den städtischen Maßstab auf Straßenniveau einfügen. Der Entwurf stellt historische Fußgängerwege wieder her und schafft neue Verbindungen, die das Regierungsviertel durch sorgfältig geplante Passagen und öffentliche Räume in das umgebende Stadtgefüge von Oslo einbetten. Durch die offenen Grünflächen ist das Gelände von allen Seiten für die Öffentlichkeit zugänglich. Durch eine Reihe von Brücken auf Höhe des ersten Stocks soll eine zusammenhängende Arbeitsumgebung entstehen.

Herausforderungen des Projektmanagements

Die Vision umfasst offene und horizontale Räume, die die Zusammenarbeit fördern sollen. Indes musste das mit der Umsetzung des Projekts beauftragte Konsortium aus 12 Unternehmen Managementpraktiken einhalten, die durch die strengen norwegischen staatlichen Sicherheitsprotokolle stark eingeschränkt waren.

Laut den norwegischen Sicherheitsvorschriften ist der Einsatz von Cloud-Diensten und Online-Speichern für vertrauliche Bauprojekte wie dieses verboten. Dementsprechend musste der Zugang zu diesen Systemen streng kontrolliert werden. „Also mussten alle Daten – Modelle, Zeichnungen und so weiter – offline bleiben“, so Morten Ræder, leitender Architekt beim Nordic Office of Architecture und interdisziplinärer BIM-Koordinator des Projekts. „Die Planungsteams mussten in Silos aufgeteilt werden und Informationen wurden nur nach dem Erforderlichkeitsprinzip weitergegeben. Hauptziel war, das Risiko zu minimieren, was aufgrund der aktuellen internationalen Politik natürlich immer wichtiger geworden ist.“

Die Digitalstrategie von Statsbygg fordert einen modellzentrierten Ansatz für Planungsprozesse, um Arbeitsabläufe schlank zu halten und sicherzustellen, dass alle Beteiligten als Basis einen einzigen Datenbestand verwenden – die sogenannte Single Source of Truth (SSOT). Bei mehr als 100 Entwurfsmodellen, die von 150 oder mehr Architekten und Ingenieuren bei 12 Partnern und mehreren Auftragnehmern bearbeitet wurden, stellte das Offline-Arbeiten ein erhebliches Hemmnis für Effizienz und Zeitplanung dar.

Offline-Zusammenarbeit

Ein historisches Steingebäude wird restauriert – in der Nähe verrichten Arbeitskräfte in Warnkleidung ihre Tätigkeiten und Baukräne werden eingesetzt.
Historische Kontinuität gilt als wichtiges Projektziel. Credit: Nordic Office of Architecture.

Die Offline-Arbeit erfordert zwangsläufig sowohl mehr persönliche Gespräche als auch technische Komplexität. Besprechungen mussten auf ein Minimum beschränkt und dennoch die Effizienz maximiert werden. Die Lösung lag in der Automatisierung von Prozessen. Standard-Software-Lösungen waren dafür nicht ausreichend.

„Unser Team musste eine Innovation anbieten, die über die marktüblichen Angebote hinausging“, so Ræder. „Autodesk Forge und BIM360|Autodesk Construction Cloud kamen nicht in Frage – dagegen ermöglichte die gut dokumentierte und offene API von Revit die Entwicklung wichtiger Automatisierungsskripte und skalierbarer Add-Ins, um die Qualität und Produktivität zu steigern. Damit war es möglich, die Modellkonsistenz über verschiedene Teams hinweg aufrechtzuerhalten sowie den Bedarf an manueller Kontrolle zu reduzieren.“

Konkret ermöglichten die anpassbaren Automatisierungsskripte von Revit dem Team von Ræder, mühsame Aufgaben wie die Beschriftung von Datenobjekten mit verschiedenen Projekteigenschaften schlanker zu gestalten. Es wurde ein Add-In entwickelt, mit dem Hunderttausende von Fachobjekten automatisch aktualisiert werden konnten, ohne dass ein menschliches Eingreifen erforderlich war. Erheblich erleichtert wurde der Erfolg des Projekts durch die Einbindung von Entwicklungsfachkräften mit architektur- und ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund ins Planungsteam, die direkt mit den Anwendenden sowie der IT-Abteilung des Auftraggebers zusammenarbeiteten.

Durch die Umwandlung der Beschriftung von einer lästigen Pflicht in einen automatisierten Prozess ließ sich der Bedarf an manueller Arbeit reduzieren und  die Datengenauigkeit erhöhen. Gleichzeitig gewannen die Architekten und Ingenieure dadurch mehr Zeit, sich auf die kreativen und intellektuell anregenden Aspekte des Projekts zu konzentrieren.

Dennoch treten bei einer so großen Anzahl von Beteiligten und Modellen zwangsläufig Modellabweichungen auf. Da die autonomen Planungsteams alle mit denselben Revit-Vorlagen arbeiten, wurde anhand des Add-Ins und der benutzerdefinierten Skripten eine umfangreiche Stammdatendatei erstellt, um einheitliche Einstellungen für über 100 Modelle sicherzustellen.

Dabei wurde auf die Stammdaten zurückgegriffen, um sicherzustellen, dass alle in ein Modell eingegebenen Änderungen nahtlos und bidirektional in allen referenzierten Modellen aktualisiert wurden.

„Dadurch wurde die Qualitätssicherung deutlich schneller und einfacher. Anstatt Tausende von Einzelobjekten zu beschriften, mussten wir nur wenige Massenobjekte aktualisieren – die Synchronisierung erfolgte dann automatisch über alle Modelle hinweg“, so der leitende Architekt weiter.

Konsistenz und Qualität

Durch den Abbau sich wiederholender manueller Aufgaben kam Ræder mit einem deutlich schlankeren BIM-Teams aus. Dank dieser Effizienzgewinne beim Personalbedarf und der erheblichen Reduzierung manueller Datenverarbeitung konnten bereits mehr als 10.000 Arbeitsstunden und über 3,4 Millionen Euro an Projektkosten eingespart werden.

Gleichzeitig unterstützten das benutzerdefinierte Add-Ins und die Automatisierungsskripte die Erreichung der BREEAM-Nachhaltigkeitsziele des Auftraggebers. Bereits in der Entwurfsphase konnten bedeutende Nachhaltigkeitsergebnisse erzielt werden, die für eine genaue Vorhersage zuverlässige Planungs- und Baudaten erfordern. Hier ein paar Highlights:

  • Der prognostizierte Energieverbrauch wurde auf 52 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr gesenkt.

  • Die CO2-Bilanz des Standorts über den gesamten Lebenszyklus wurde um 34 % verbessert.

  • Der erwartete Wasserabfluss wurde im Vergleich zum bestehenden Standort um satte 95 % reduziert.

„Die Arbeit in einer Offline-Umgebung hat uns (noch) stärker eingeschränkt als wir zunächst angenommen hatten – dennoch waren wir insgesamt positiv überrascht“, so Ræder. „Ich war wirklich beeindruckt, wie gut alle zusammengearbeitet haben. Das gilt nicht nur für das Planungsteam, sondern auch für die IT-Abteilung des Auftraggebers und die BIM-Koordinatoren der ausführenden Unternehmen. Alle sind über sich hinausgewachsen, um das Projekt erfolgreich durchzuziehen. So ein Maß an Zusammenarbeit und Innovation zu sehen, war eine unglaubliche Erfahrung.“

Mark de Wolf

Zur Person: Mark de Wolf

Mark de Wolf ist freier Journalist und preisgekrönter Copywriter, der sich auf Technologie-Themen spezialisiert hat. Er wurde im kanadischen Toronto geboren, beschreibt sich selbst als „Made in London“ und lebt heute in Zürich. Sie erreichen ihn online unter markdewolf.com.

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