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Dieses australische Start-up bringt saubere und bezahlbare Energie in die entlegensten Ecken dieser Welt

Eine Drohnenaufnahme zeigt die über die Inselnetzlösung von Okra Solar erstmals mit Strom versorgte Ortschaft Steung Chrov in der kambodschanischen Provinz Kampong Chhnang.
Eine Drohnenaufnahme zeigt die über die Inselnetzlösung von Okra Solar erstmals mit Strom versorgte Ortschaft Steung Chrov in der kambodschanischen Provinz Kampong Chhnang. Credit: Okra Solar.
  • Weltweit haben mehr als 700 Millionen Menschen überhaupt keinen Zugang zu elektrischer Energie und viele Hundert Millionen weitere leben mit einer äußerst unzuverlässigen Stromversorgung
  • Das australische Unternehmen Okra Solar sorgt mit seinem sogenannten „Mesh Grid“ für die Stromversorgung netzferner Siedlungen über ein smartes Inselnetz und nutzt dabei das Internet der Dinge
  • Das vermaschte Inselsystem lässt sich mit geringem Aufwand installieren und bietet mehr Leistung durch die Verbindung und Verteilung von Strom zwischen Grundstücken ohne Anschluss an das Verbundnetz

Laut einem Bericht der International Energy Agency hatten 2019 weltweit 770 Millionen Menschen keinen Zugang zum Stromnetz. Diese leben oft in abgelegenen Gemeinden jenseits der Ballungsräume. Für diese entlegenen Ortschaften galten die Hürden für einen Anschluss an das Verbundnetz oft als unüberwindbar. Daran muss sich etwas ändern, soll das Ziel 7 der UN-Nachhaltigkeitsstrategie Wirklichkeit werden. Demnach müssten bis 2030 alle Menschen Zugang zu „bezahlbarer und sauberer Energie“ bekommen. Von der Umsetzung des Ziels hängen die weitere wirtschaftliche Entwicklung und der Zugang zu wichtigen Dienstleistungen maßgeblich ab.

Intelligenter Energieaustausch durch das Internet der Dinge

Mit dem Internet der Dinge (IoT) soll nun eine neue Technologie die Wende bringen. Davon ist das australische Unternehmen Okra Solar überzeugt. Eine verheißungsvolle Technologiekombination aus IoT und modularen Solarstromnetzen kann den Aufwand für die physische Infrastruktur auf ein Minimum reduzieren und den Traum von elektrischer Energie für bisher benachteiligte Haushalte endlich wahr werden lassen.

Okra Solar setzt dabei auf ein vermaschtes Stromnetz, das bisher unversorgte Haushalte zu einem Netzwerk aus dachmontierten Solarmodulen und Batteriespeichern verbindet. So kann ein intelligenter Energieaustausch erfolgen, ohne dass eine zentrale Infrastruktur oder große Solarparks erforderlich sind. Verglichen mit dem Aufbau konventioneller Netzstrukturen, kann das Unternehmen eine zuverlässige Stromversorgung mit dem innovativen „Mesh Grid“-System daher zu einem Bruchteil der Kosten bereitstellen. Auf diese Weise konnte Okra Solar bereits mehr als 1.500 Haushalte mit sauberer Energie versorgen. Bis 2025 solle die Lösung zwei Millionen Menschen zur Verfügung stehen.

„Da es sich um ein modulares System handelt, kann jedes Haus an das Netzwerk angeschlossen werden, auch wenn ein Grundstück einen Kilometer von der Hauptsiedlung entfernt ist“, erklärt Afnan Hannan, Geschäftsführer und Gründer von Okra Solar.

Haiti: Ein Solarmodul für ein vermaschtes Inselnetz von Okra Solar wird installiert.
Haiti: Ein Solarmodul für ein vermaschtes Inselnetz von Okra Solar wird installiert. Credit: Okra Solar.

Okra Solar und das innovative „Mesh Grid“-System

Das sogenannte „Mesh Grid“ ist eine Hybridlösung aus einem solarbetriebenem Kleinnetz und Insellösungen. Verglichen mit echten Insellösungen ist der Installationsaufwand geringer. Gleichzeitig ist es leistungsstärker als ein reines Minigrid. Die für solare Minigrids erforderliche zentrale Infrastruktur verursacht höhere Installations- Betriebs- und Instandhaltungskosten. Bis diese Netzlösung Strom liefert, dauert es normalerweise deutlich länger als bei einer Insellösung für ein Einfamilienhaus. Dafür ist bei letzterer die installierte Leistung geringer. Durch die Inselkonfiguration steht zudem kaum oder gar keine Leistungsreserve zur Verfügung.

Auf den einzelnen Anschluss bezogen sind vermaschte Netze kostengünstiger und effizienter als Microgrids. „Im Vergleich zu der bisherigen Erschließung mit Minigrid-Lösungen können wir die Kosten für einen neuen Stromanschluss heute halbieren, ohne Kompromisse bei der Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Energieversorgung eingehen zu müssen“, berichtet Hannan.

Neben den Solarmodulen, die auf den vorhandenen Dächern installiert werden können, sind für den Anschluss ländlicher Siedlungen an das System von Okra lediglich ein paar kleine Hardwarekomponenten notwendig. Ein spezielles Tool kann mittels Fernerkundung und KI geografische Analysen durchführen und die optimale Anordnung der Solarmodule auf den Dächern im Netzgebiet ermitteln.

Das intelligente Okra Solar Pod

Herzstück der Anlage ist das Okra Solar Pod. Das mit Fusion 360 konstruierte Steuergerät regelt den Energiefluss. Unabhängig davon, ob zwei oder 200 Häuser im Netz zusammengeschlossen sind, sorgt es dafür, dass die einzelnen Haushalte die Leistung abrufen können, die sie in einem bestimmten Moment benötigen. Da in jedem Haus Batteriespeicher installiert sind, verfügt das System über eine ausgezeichnete Flexibilität und kann die gespeicherte Energie zum Ausgleich des variablen Strombedarfs einsetzen.

Das schwarze Gerät in dieser Installation in Kambodscha ist das Okra Pod. Es kann an einen Wechselrichter angeschlossen werden, um leistungsstarke Haushaltsgeräte über Steckdosen mit Wechselstrom zu betreiben. Credit: Okra Solar.
Das schwarze Gerät in dieser Installation in Kambodscha ist das Okra Pod. Es kann an einen Wechselrichter angeschlossen werden, um leistungsstarke Haushaltsgeräte über Steckdosen mit Wechselstrom zu betreiben. Credit: Okra Solar.

„Das Pod kann erkennen, wenn ein Haushalt gerade mehr Strom aufnimmt, als er selbst bereitstellen kann und gibt Leistung aus dem Netz frei“, erklärt Oscar Aitchison, Produktmanager für Inselnetzlösungen bei Okra Solar die Funktionsweise des smarten Steuergeräts. „Wenn ein Haushalt gerade einen Energieüberschuss produziert, gibt das Steuergerät Leistung frei, damit andere Haushalte ihre Batteriespeicher aufladen können.“

„Wenn in einem Haus zum Beispiel mal eine Hochzeit gefeiert wird, kann die Beleuchtung oder die Beschallung also ruhig üppig ausfallen. Die Energie kommt dann von den angeschlossenen Häusern mit Energieüberschüssen,“ ergänzt Hannan.

Das Pod kommuniziert über 2G-, 3G- oder 4G-Netze, deren Abdeckung auch in ländlichen Gebieten relativ gut ist. Zusätzlich kann sich das Gerät auch über VSAT-Satellitentechnologie mit Wi-Fi verbinden. Die vom Okra Pod übernommenen Funktionen, wie das Leistungsmanagement im Inselnetz, die Fernüberwachung und die Abrechnung, werden mit einer eigenen Smartphone-App von Okra Solar verwaltet: Harvest.

Erst die Möglichkeiten der IoT-Technologie in Bezug auf die Optimierung und Automatisierung der Kommunikation machen den Betrieb eines solchen Stromnetzes zu einer runden Sache. Gerade in bisher unterversorgten Gebieten bietet die Anbindung eines solarbetriebenen Inselnetzes an das Internet der Dinge in Bezug auf die Wartung und die Infrastruktur entscheidende Vorteile. Da die App darüber hinaus in der Lage ist, Probleme mit Hardwarekomponenten im Netz selbst zu erkennen, sind die Anforderungen an die technische Ausbildung von Wartungspersonal niedriger. So können die Menschen in der örtlichen Gemeinde die Instandhaltung und Reparatur des Netzes selbst meistern.

Ein Kind im nigeriansichen Onono benutzt einen Laptop, der über das Inselnetz von Okra Solar aufgeladen werden kann.
Ein Kind im nigeriansichen Onono benutzt einen Laptop, der über das Inselnetz von Okra Solar aufgeladen werden kann. Credit: Okra Solar.

„Wenn ein bestimmtes Solarmodul keinen Strom erzeugt, können wir das anhand unserer Zeitreihendaten und mithilfe bestimmter automatisch angewendeter Regeln genau erkennen. Wir können das Problem dann der Person vor Ort melden, welche für die Wartung zuständig ist. Diese geht dann beispielsweise zu einem bestimmten Haus und repariert die Verkabelung des Solarmoduls“, schildert Aitchison. „Ohne das Internet der Dinge ist dieses Maß der Automatisierung nicht vorstellbar.“

Gerade in Gegenden, in denen die Anfahrtszeiten aufgrund der rudimentären Verkehrsinfrastruktur normalerweise extrem lang wären, seien lokale Arbeitskräfte nicht hoch genug zu schätzen. „Es kann Tage dauern, an diese Orte zu kommen“, schildert Aitchison. „Viele Siedlungen sind nicht an das Straßennetz angeschlossen. Die Datenkommunikation ist davon zum Glück nicht betroffen. Dank der Technologie können die Menschen vor Ort viele kleine Probleme in ihrer Gemeinschaft selbst lösen. Somit brauchen wir unsere Techniker nicht jedes Mal auf ein tagelanges Abenteuer entsenden, nur um herauszufinden, was vor sich geht.“

Die Infrastruktur für das vermaschte Inselnetz ist außerdem leichter zu reparieren. Es gibt keine zentrale Energieerzeugungsanlage, von der die Energie nach außen verteilt werden muss. „In unserem Inselnetz werden geringe Leistungen übertragen. Die überschüssige Energie geht von einem Haushaltsanschluss zum nächsten. Die Entfernungen sind kurz“, erklärt Hannan den Vorteil seiner Lösung, bei der wegen der begrenzten Ströme und niedrigen Spannungen kleine Kabelquerschnitte verwendet werden können. „Unsere Übertragungsinfrastruktur ist nicht nur einfacher zu installieren. Sie ist auch sicherer und wirtschaftlicher. Man spart über 90 % der Kosten, wenn die Infrastruktur für geringe Übertragungsleistungen bemessen werden kann.“

Ein Blick in die Zukunft

Bislang hat sich Okra Solar auf die Realisierung von Stromnetzen auf den Philippinen, in Haiti, Kambodscha und Nigeria konzentriert. Die Kunden von Okra Solar sind nicht die Endverbraucher, sondern Stromversorgungsunternehmen. Allerdings bietet das Unternehmen über seine App Harvest die Möglichkeit, Haushaltsgeräte zu mieten. So kann das bei Elektrifizierungsprojekten häufig zu beobachtende „Ei-oder-Huhn-Phänomen“ gelöst werden und die Menschen bekommen nicht nur eine Steckdose, sondern auch die Möglichkeit zur Nutzung strombetriebener Geräte, die ihnen das Leben erleichtern.

Techniker installieren Solarmodule für ein vermaschtes Inselnetz von Okra Solar in der nigerianischen Ortschaft Omolege.
Techniker installieren Solarmodule für ein vermaschtes Inselnetz von Okra Solar in der nigerianischen Ortschaft Omolege. Credit: Okra Solar.

Anders als bei den branchenüblichen photovoltaischen Inselsystemen, die als „Solar Home Systems“ bezeichnet werden, bietet das vermaschte Inselsystem von Okra mehr Leistung und ermöglicht auch den Betrieb von stromhungrigeren Geräten wie Kühlschränken, Waschmaschinen, Pumpen, Kochplatten, Getreidemühlen, Klimaanlagen und sogar Mobilfunkmasten. Damit erhalten die Menschen vor Ort bessere Chancen zur wirtschaftlichen Entwicklung und können kleine Unternehmen gründen, sodass sich ihre Lebensbedingungen verbessern.

So kann Aitchison von Fischerdörfern auf den Philippinen berichten, die von dem Anschluss an ein Maschennetz profitieren, weil sie damit ihre eigenen Kühlschränke betreiben und Eis herstellen können. „Diese Menschen leben vom Fischfang. Da ist es wichtig, dass sie ihren Fang frisch halten können, um ihn auf dem Markt zu verkaufen“, sagt er. „Vorher mussten große Eisblöcke in die Fischerdörfer beordert werden, um das Eis zu hohen Kosten an die Fischer weiterzuverkaufen. Das kostete so etwa einen Euro pro Kilo. Für die Fischer dort ist das sehr teuer.“

Da sie jetzt über eigene Gefrierschränke verfügen, brauchen sie nicht nur kein Eis mehr kaufen, sondern können die Geräte auch für neue Geschäftsmöglichkeiten nutzen. „Manche verkaufen jetzt Eiscreme und Tiefkühlprodukte. Diese Dinge bekam man vorher in diesen abgelegenen Orten nicht“, erzählt Aitchison. „Neue Unternehmen können entstehen, weil die Menschen Zugang zu Strom haben.“