KI in der Automobilindustrie: Neue Sitzrahmen für Toyota dank Generativem Design
- Durch ein neues Konzept macht Toyota Sitzrahmen zukunftsfähig und setzt dabei auf Sicherheit, Komfort und Nachhaltigkeit
- Der Einsatz von KI in der Automobilindustrie in Form von Generativem Design ermöglicht Entwürfe, auf die menschliche Designer möglicherweise nicht gekommen wären, und berücksichtigt dabei Parameter wie Größe und Gewicht
- KI-basierte Tools machen schließlich aus den Entwürfen ästhetische und leicht bedienbare Produkte, die alle für den Endnutzer wichtigen Funktionen enthalten
Es ist geradezu eine Kunst, komplexe Faktoren wie Sicherheit und Komfort beim Fahrzeugdesign in Balance zu bringen – vor allem, wenn einer definierten Fläche mehr Raum hinzugefügt werden soll. Das Designteam bei Toyota kommt diesem Bedarf an mehr Platz in der Fahrgastzelle nun durch die Entwicklung dünnerer und leichterer Sitzrahmen nach.
„Derzeitige Sitzrahmen sind so konzipiert, dass sie bei herkömmlichen Herstellungsprozessen den Anforderungen an die Stabilität entsprechen“, beschreibt der Projektmanager des Interior Design Department der Vision Design Division bei der Toyota Motor Corporation, Shinsuke Omori. „Dadurch ist es schwieriger, den Rahmen nennenswert dünner zu machen, denn normalerweise verändern Designer nicht den Sitzrahmen als solchen, sondern sie fügen ihm Materialien hinzu – und genau darin besteht das Problem.“
Omoris Designteam hingegen kann sich ganz auf die Arbeit an idealen Formen und Funktionen der Sitze konzentrieren, ohne dabei Abstriche hinsichtlich der Form des jeweiligen Ausstellungsfahrzeugs machen zu müssen. „Wir wollten in diesem Fall einen neuen Sitzrahmen entwerfen, der künftig auch in Nutzfahrzeugen verwendet werden kann, auch wenn es sich hierbei noch um Zukunftsmusik handelt“, erläutert Omori. „Natürlich fällt das bislang noch in den Bereich der fortgeschrittenen Entwicklung. Es wäre aber schade, wenn das Designteam den Entwurf für nicht durchführbar hält und das Projekt letztlich nur der Entwicklung dienen würde. Deshalb war es unser Ansporn, einen realisierbaren Entwurf zu erarbeiten.“
Dank KI in der Automobilindustrie: Der Sitzrahmen von morgen
In Fahrzeugen, die eine gewisse Geschwindigkeit erreichen, müssen Sitze besondere Anforderungen erfüllen. Zuvorderst müssen die Sicherheit und der Komfort der Passagiere gewährleistet werden. Themen wie Nachhaltigkeit und Gewichtsreduktion machen dieses Vorhaben zusätzlich kompliziert. „Momentan konzentrieren wir uns vollständig auf das richtige Maß aus Komfort, Nachhaltigkeit, Gewichtsreduktion und Design“, so Omori.
Generatives Design ist eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Technologie, die auch in Fusion 360 von Autodesk Anwendung findet. Mit ihr lässt sich der Balanceakt der unterschiedlichen Aufgaben enorm erleichtern. „Als ich erfahren habe, dass in der Entwicklung von Radaufhängungen bei Rennautos mit Generativem Design gearbeitet wird, bin ich hellhörig geworden“, erinnert sich Omori. „Denn damit lassen sich Formen erstellen, auf die menschliche Designer niemals kommen würden. Gleichzeitig werden die Vorgaben eingehalten, die Autos einerseits robust und andererseits federleicht werden lassen. Wir wollten bewährte Designmethoden mit modernen Technologien verbinden. Selbst das feinste Austarieren durch die unterschiedlichen Strukturdesigner hätte unter Einbezug der speziellen Anforderungen nicht zu dem erwünschten Ergebnis geführt.“
Bevor der neue Sitzrahmen entworfen werden konnte, musste zunächst ein Konzept für mehr Beinfreiheit im Fahrzeuginnenraum erstellt werden. Ein gewöhnlicher Sitz hat eine rechteckige, flache Struktur. Das Designteam von Toyota experimentierte jedoch damit, den Schwerpunkt der Rahmenstruktur weiter in die Mitte zu verlagern. Wenn die Sitze wie eine breite Wand die Fahrgastkabine trennen, fühlt sich der Raum für Personen auf der Rückbank zwangsläufig kleiner an. Also versuchte das Designteam, die von den Sitzen ausgesparte Fläche größer zu halten, um mehr Beinfreiheit zu gewähren.
Die ideale Balance im Design finden
Omori zufolge ist der Output nach Bearbeitung der Parameter durch Generatives Design oftmals völlig unerwartet. „Aber wir haben es weiter ausgearbeitet und dabei immer wieder kleinere Anpassungen vorgenommen. In einigen Fällen sahen die Proportionen und die Balance im ersten Entwurf einfach nicht gut genug aus.“ Deshalb nahm das Team um Omori absichtlich auch Änderungen an Flächen vor, die im Design eigentlich nicht vorgesehen waren, um den Entwurf in eine bestimmte Richtung zu lenken.
„Dabei muss man ständig Kompromisse eingehen“, fährt Omori fort, „zwischen dem, was ein Designer will, und dem, was durch Generatives Design erstellt wird. Wenn man zum Beispiel Änderungen im Größenverhältnis oder der Balance der einzelnen Komponenten vornimmt, wird das zu Problemen in der Dynamik oder einer Zunahme an Gewicht führen.“ An der Fertigstellung des Designs unter Einbezug aller Variablen arbeitete das Team drei bis vier Monate in enger Kollaboration mit Satoshi Yanagisawa, dem Gründer des Design Studios Triple Bottom Line.
„Es macht einfach Spaß, sich von den unterschiedlichsten Formen, auf die kein Designer kommen würde, überraschen zu lassen“, schwärmt Omori. „Ich finde es immer wieder spannend festzustellen, wie nur kleinste Änderungen in den Parametern zu völlig neuen Ergebnissen führen können. Das ist für mich der schönste Vorteil von Generativem Design.“ Bei der Herstellung leichtgewichtiger Produkte kommt es jedoch auch auf die Beschaffenheit und die Werkstoffe der Umgebungen an. Nur unter Berücksichtigung all dieser Variablen lässt sich das Gewicht eines bestimmten Teils reduzieren. Daher arbeitet das Designteam in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieuren vor Ort, um mithilfe von Generativem Design neue Modelle zu entwerfen.
Omori zufolge entwirft sein Team die neuen Sitzrahmen auch immer mit der Option im Hinterkopf, dass die Sitze auch serienmäßig Verwendung finden. Bisher werden übliche Sitzrahmen unter herkömmlichen Fertigungsmethoden recht effizient hergestellt. Bei der Herstellung der neuen Rahmen wird allerdings kostenintensiver 3D-Druck fällig, weshalb das Team weiter daran forschen wird, die Sitze unter Berücksichtigung Generativer Designkonzepte mithilfe von Pressen herzustellen.
KI braucht das perfekte Konzept
Nach Omoris Einschätzung werden sich die bisherigen Vorteile des Pressverfahrens in der Fertigung von Automobilen in großer Stückzahl künftig stark verändern. „Heutzutage werden Autositze so hergestellt, dass ein Modell nach Möglichkeit für alle Körpergrößen und -formen vorgesehen ist“, fügt Omori hinzu. „Dabei ist es aber unheimlich schwer, etwas herzustellen, das für alle Menschen gleichermaßen bequem ist.“
Dank seines neuartigen Designs könnte es jedoch in Zukunft möglich sein, nur das Rückgrat des Sitzes für verschiedene Größen beizubehalten und den Rest des Sitzrahmens mithilfe von 3D-Druckverfahren individuell auf die Körpereigenschaften der Insassen anzupassen. Gegenwärtig bestehen Autositze noch aus vielen völlig unterschiedlichen Werkstoffen, zum Beispiel Rahmen aus Metall, Polstern aus Polyurethan oder Bezügen aus Leder. Dabei könnte es Omori zufolge mit Generativem Design schon bald möglich sein, diesen Mix durch Monomaterialien abzulösen.
Zunächst wäre es natürlich einfacher, ein solches Design für eine bestimmte, eingeschränkte Nutzung zu verwenden. „Wenn wir es erst einmal nur in Fahrzeugen mit niedrigerer Endgeschwindigkeit einsetzen könnten“, erläutert Omori, „könnten wir auch die Anforderungen herunterfahren. In einer speziellen, automatisch kontrollierten Umgebung könnten wir zunächst bei niedrigerer Geschwindigkeit Daten sammeln und diese schrittweise auf schnellere Fahrzeuge anwenden.“
Für weitere Designaufträge experimentiert Toyota derzeit mit KI-basierten Tools wie etwa Generativem Design. „Wir haben dabei ziemlich freie Hand”, ist Omori begeistert. “Innerhalb derselben Abteilung planen und entwerfen wir auch Dinge, die mit Autos überhaupt nichts zu tun haben.“ Dabei sei es aber auch wichtig, die anderen Abteilungen nicht aus den Augen zu verlieren. „In Zukunft werden neue Technologien unseren Fokus verändern und das zugrundeliegende Konzept wird weiter in den Vordergrund treten“, fährt er fort. „Angesichts immer ausgereifter und autonomer werdender Technologien müssen wir uns bewusster darüber werden, was für Formen und Gegenstände wir überhaupt designen wollen. Indem wir die Funktionen, den Sinn und den Zweck eines Objekts hinterfragen und optimieren, können wir unseren Projekten eine eigene Handschrift verpassen.“
Es gehe im Besonderen darum, einfach zu verstehende, leicht zu bedienende und optisch ansprechende Produkte zu entwerfen, deren Funktionen den Erwartungen der Kundschaft entsprechen. „Zu diesem Zweck“, fügt er hinzu, „ist es nötig, als erste Entscheidung das Konzept zu erarbeiten und die Richtung zu klären, die man als Designteam bei Toyota einschlagen möchte, anstatt sich blind auf die Technologie zu verlassen. Wenn das Designtool dann zu diesem Konzept passt, sollte man nichts unversucht lassen, um das bestmögliche Produkt herzustellen.“