Intelligente Fertigung: Einblicke in die digitale Zukunft der Industrie
- Als intelligente Fertigung bezeichnet man die Digitalisierung des gesamten Zyklus von der Produktentwicklung über die Lieferkettenverwaltung und eigentliche Produktion bis hin zu Distribution und Vertrieb
- Durch Auswertung von Daten aus sämtlichen Schritten des Fertigungszyklus mithilfe von maschinellen Lernalgorithmen, künstlicher Intelligenz und vernetzter Robotertechnik bleiben Unternehmen agil und können schnell auf neue Marktentwicklungen reagieren
- Die Umstellung auf intelligente Fertigung beginnt mit der Überführung analoger Daten in eine digitale Datenbank
Vernetzte Robotertechnik, 3D-Druck, Cloud-Computing, künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT): Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ hat die vierte industrielle Revolution der Fertigungsbranche technologische Errungenschaften beschert, die den Umstieg auf digitale und intelligente Arbeitsabläufe dramatisch beschleunigen.
Ende des 18. Jahrhunderts läutete die Erfindung und zunehmende Verbreitung von Dampfmaschinen als effizientere Alternative zu den bisher genutzten mechanischen Kraftquellen wie Wasserrädern und Windmühlen das Zeitalter der industriellen Fertigung ein. Seitdem haben drei weitere technische Innovationsschübe so umwälzende gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Veränderungen ausgelöst, dass sich dafür ein Begriff eingebürgert hat, der in der Politikwissenschaft mit blutigen Umstürzen assoziiert ist. Hundert Jahre nach der ursprünglichen industriellen Revolution ermöglichte die Elektrifizierung den Übergang zur Fließband- und Massenproduktion sowie der damit verbundenen Aufteilung von Fertigungsprozessen in einzelne Arbeitsschritte. Mit dem rapiden Fortschritt auf dem Gebiet der Informationstechnologie hielten ab den 1970er-Jahren Automatisierung und computergestützte Kommunikationsmittel Einzug in die Fabriken.
Seit der Begriff „Industrie 4.0“ auf der Hannover-Messe 2011 erstmals dem Fachpublikum vorgestellt wurde, hat die Weiterentwicklung der einschlägigen Technologien unter dem Schlagwort „intelligente Fertigung“ zur Entstehung datengestützter Produktionsabläufe geführt, die sich durch ein hohes Maß an Vernetzung und Automatisierung auszeichnen.
Was bedeutet intelligente Fertigung?
Paul Wellener, der beim Beratungsunternehmen Deloitte als Vice Chairman den US-amerikanischen Markt für Industrieprodukte und Bauwesen betreut, definiert intelligente Fertigung als umfassende Digitalisierung sämtlicher Abläufe eines Fertigungsbetriebs von den Produktionsanlagen bis zum kaufmännischen Bereich.
Die intelligente Fertigung macht sich die technischen Errungenschaften der Industrie 4.0 zunutze – vernetzte cyber-physische Systeme wie intelligente Roboter und Maschinen, die mit Kapazitäten zur Selbstdiagnose und Warnung vor potenziellen Ausfällen ausgestattet sind. Im Zuge der stetigen Weiterentwicklung und zunehmenden Verbreitung von IoT-Technologien entstehen leistungsstarke Geräte und Maschinen mit smarten Sensoren, die einen kontinuierlichen Strom von Anwenderdaten zur Analyse in die Cloud hochladen.
Bei der Auswertung dieser riesigen Datensätze kommen KI-Anwendungen mit maschinellen Lernalgorithmen zum Einsatz, deren Vorhersagen immer präziser werden, je mehr Daten sie aufnehmen. Automatisierung und Datenvernetzung führen zu agileren Lieferketten und ermöglichen Schiffen und Lkw, mit Lagerhallen, autonomen oder halbautonomen Fahrzeugen und Drohnen zu „kommunizieren“. Durch die Einbeziehung von mobilen Robotern und Cobots (Industrierobotern, die speziell für die Zusammenarbeit mit Menschen entwickelt wurden) wird der Automatisierungsgrad bei Versand- und Logistikabläufen weiter erhöht.
Betriebe, die auf intelligente Fertigung umstellen, profitieren von Effizienzgewinnen, Wettbewerbsvorteilen und Chancen zum Testen neuer Geschäftsmodelle und -praktiken.
Vorteile der Umstellung auf intelligente Fertigung
Der Umstieg auf intelligente Fertigung unterstützt Unternehmen nicht nur bei der Optimierung von Betriebsabläufen, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, sondern ermöglicht auch eine erhebliche Verbesserung ihrer Resilienz gegenüber Pandemien und anderen unvorhersehbaren Ereignissen.
Eine aktuell laufende Umfrage des Fachverbands Manufacturing Enterprise Solutions Association (MESA) beinhaltet die Frage, welchen Faktor die Unternehmen als größtes Hindernis bei der Umstellung auf intelligente Fertigung wahrnehmen. Über die Hälfte der bisherigen Umfrageteilnehmenden nannte hier entweder finanzielle Bedenken oder mangelndes Fachwissen in Bezug auf die relevanten Technologien.
Tatsächlich erfordert der Umstieg beträchtliche finanzielle Investitionen und Humanressourcen und ist mit gewissen Risiken verbunden. Die 2019 von Deloitte und dem US-Fachverband Manufacturers Alliance veröffentlichte „Smart Factory“-Studie zum Thema intelligente Fertigung ergab jedoch, dass entsprechende Initiativen reales Wertschöpfungspotenzial bergen, das die finanziellen und betrieblichen Risiken in der Mehrzahl der Fälle überwiegt.
Abhängig vom aktuellen Stand ihrer einschlägigen Initiativen wurden die Umfrageteilnehmenden in zwei Kategorien eingeteilt: Unternehmen der Gruppe A (49 %) verfügten über keine laufenden Initiativen zum Umstieg auf die intelligente Fertigung, Unternehmen der Gruppe B (51 %) hatten die Umstellung zumindest punktuell in Angriff genommen. Die Unternehmen in Gruppe A verzeichneten im Zeitraum von 2015 bis 2018 einen Rückgang der Produktivität um durchschnittlich 2,3 % pro Jahr. Die Unternehmen in Gruppe B erzielten im gleichen Zeitraum hingegen deutliche Verbesserungen in Bezug auf mehrere betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. So konnten sie nicht nur ihre Produktivität um durchschnittlich 3,3 % pro Jahr steigern, sondern auch die Ausbringungsmenge um 10 % erhöhen und die Kapazitätsauslastung um 11 % verbessern.
Bei Unternehmen ohne laufende Umstellungsmaßnahmen ließ sich dennoch ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Vorteile der intelligenten Fertigung beobachten. „86 % der befragten Unternehmen stimmten der Aussage zu, dass die Implementierung einschlägiger Lösungen sich schon in den nächsten fünf Jahren als wichtigster Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Fertigungsbetrieben etablieren wird“, berichtet Wellener.
Der wirtschaftliche Abschwung und die Lieferkettenunterbrechungen infolge der Corona-Pandemie haben den Eifer, mit dem Unternehmen auf intelligente Fertigung umstellen, nicht gebremst – im Gegenteil, wie die im Oktober 2020 veröffentlichten Ergebnisse einer weiteren Studie von Deloitte und Manufacturers Alliance zur Bedeutung sogenannter Ökosysteme für die Umsetzung intelligenter Fertigungskonzepte zeigen. Demnach hatte die Mehrzahl der befragten Führungskräfte aus 850 Betrieben in den USA, Europa und Asien ihre Investitionen in intelligente Fertigungskonzepte während der Pandemie fortgesetzt oder sogar erhöht.
„Teilweise wurden in den Unternehmen Computer-Vision-Systeme installiert, um virtuelle Fabrikbesichtigungen für Kunden zu ermöglichen“, so Wellener. „Manche Betriebe statteten ihre Beschäftigten auch mit Wearables aus, die Warnsignale geben, wenn der Abstand von zwei Metern nicht eingehalten wird. Als weiteres Beispiel wurde die Anschaffung von Cobots genannt, da menschliche Arbeitskräfte nicht mehr unmittelbar nebeneinander am Fließband stehen konnten.“
Srinath Jonnalagadda, der bei Autodesk als Vice President für Markteinführungsstrategien und Marketing im Bereich Planung und Fertigung zuständig ist, hält die Umstellung auf intelligente Fertigungstechnologien mittel- bis langfristig für alternativlos. Für die betroffenen Betriebe sei dies eine Existenzfrage: „Den einzigen Weg nach vorne sehe ich in der Konvergenz zwischen physischer und digitaler Welt.“
Tipps für die erfolgreiche Umstellung auf intelligente Fertigung
Für Unternehmen, die intelligenten Fertigungskonzepten grundsätzlich positiv gegenüberstehen, jedoch von den erforderlichen finanziellen Investitionen bzw. dem mit der Umstellung verbundenen technischen Aufwand abgeschreckt werden, gibt es eine gute Nachricht: Der Übergang muss nicht zwingend in einem Aufwasch vollzogen werden. In der bereits zitierten „Smart Factory“-Studie von 2019 konnte sogar nachgewiesen werden, dass sich mit kleinen Schritten oft große Wirkung erzielen lässt. Laut den Umfrageergebnissen folgten erfolgreiche Umstellungen in vielen Fällen einem ähnlichen Schema: Zunächst wurde die Unterstützung der obersten Führungsebene, und zwar insbesondere des Technikvorstands, für die Umsetzung mehrerer Kleinprojekte mit geringfügigen Startinvestitionen und messbaren Ergebnissen eingeholt. Konnte anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen nachgewiesen werden, dass diese Projekte erfolgreich waren, wurden die Investitionen sukzessive aufgestockt und die Umstellungsinitiativen entsprechend ausgeweitet.
Als ersten Schritt empfiehlt Jonnalagadda die Digitalisierung analoger Daten durch das Eliminieren manueller bzw. analoger Dokumentationsverfahren und die Umstellung auf ein System, das sämtliche Betriebsdaten aus allen Abteilungen in einer zentralen digitalen Datenbank speichert. Damit habe das Unternehmen den Grundstock für den Aufbau von Feedbackschleifen gelegt. Diese wiederum erfordern die Einspeisung weiterer Daten aus dem laufenden Fabrikbetrieb, die automatisch von Sensoren geliefert bzw. von menschlichen Arbeitskräften an unterschiedlichen Stellen des Fertigungszyklus ins System eingegeben werden.
„Je mehr Datenpunkte erfasst werden, desto besseren Einblick erhält das Unternehmen in die Betriebsabläufe“, erläutert Jonnalagadda. „Umso präziser lässt sich also der Ist-Zustand ermitteln. Und damit befindet man sich sozusagen bereits auf dem Pfad der Erleuchtung. Sobald man ein genaues Bild von den konkreten Abläufen in der Fabrikanlage hat, lassen sich Engpässe identifizieren.“
Verfügt das Unternehmen einmal über datengestützte Erkenntnisse zu Problemen und Störfaktoren in den aktuellen Betriebsabläufen, können Ansätze zu ihrer Behebung entwickelt werden. Dabei ist der Einsatz von maschinellen Lernalgorithmen sinnvoll. „Die Algorithmen liefern eine Reihe unterschiedlicher Lösungsansätze, die man ausprobieren und auf ihre Effektivität testen kann“, führt Jonnalagadda aus. „Damit hat man einen Digital Backbone geschaffen. Man generiert Daten-Input und Erkenntnisse aus Feedbackschleifen und kann mithilfe von Algorithmen die Betriebsabläufe ständig aktualisieren und optimieren.“
10 Technologien, die eine intelligente Fertigung unterstützen
Intelligente Technologien entwickeln sich laufend weiter. Ein 5G-Mobilfunknetz etwa ist keine unverzichtbare Voraussetzung für intelligente Fertigung, bietet jedoch mehrere Vorteile gegenüber dem 4G-Standard: weniger Abhängigkeit von Hardware und WLAN, einfachere Einrichtung und größere Bandbreite.
Die hier vorgestellten Technologien bilden die Grundlage für eine High-Tech-gestützte intelligente Fertigung, sind aber nicht als separate Lösungen zu betrachten. Häufig sind mehrere dieser Technologien in einer Maschine bzw. einem Gerät oder System kombiniert. So verfügt ein IoT-Gerät möglicherweise über Sensoren, die drahtlos mit der Cloud verbunden sind, sowie über Prozessoren mit integrierten KI-Anwendungen, die Warnmeldungen ausgeben oder eigenständige Entscheidungen treffen und umsetzen können.
1. KI/Maschinelles Lernen
KI und maschinelle Lernalgorithmen ermöglichen eine zügige Auswertung großer Datensätze zur Erkennung von Mustern. Die Cobots und weiteren Robotersysteme, die in intelligenten Fertigungsbetrieben zum Einsatz kommen, sind heute schon häufig mit KI-Funktionen ausgestattet. Mit fallendem Preis wird die Technologie zunehmend auch in die Mikroprozessoren von IoT-Geräten, intelligenten Maschinen und anderen Edge-Computing-Geräten eingebaut. KI-basierte Computer-Vision-Anwendungen können zur Auswertung visueller Betriebsdaten herangezogen werden. Ein Beispiel dafür sind die KI-gestützten Anwendungen von Drishti zur Analyse manueller Fließbandtätigkeiten. Mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse können Unternehmen u. a. effektivere Schulungsprogramme entwickeln, Ausschussware reduzieren und Abläufe optimieren.
2. Augmented Reality/Virtual Reality
Für AR- und VR-Anwendungen gibt es in der industriellen Fertigung eine Reihe unterschiedlicher Einsatzszenarien. Aktuell bewähren sie sich insbesondere bei der Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften im Kampf gegen den akuten Fachkräftemangel. Seit Ausbruch der Pandemie setzt die Fertigungsbranche verstärkt auf AR/VR zur Einarbeitung von Mitarbeitenden und Beratung durch externe Experten. Mit der HoloLens 2 von Microsoft können Mitarbeitende in der Fertigungsanlage z. B. den Rat einer Expertin einholen, die das aufgetretene Problem quasi mit eigenen Augen, aber aus der Perspektive des Mitarbeitenden sieht.
3. Automatisierung/Robotertechnik
Im Zuge der Corona-Pandemie setzten sich Cobots in der Fertigung zunehmend als Lösung zur Einhaltung der jeweils geltenden Abstandsregeln durch. Je nach Ausstattung verfügen Roboter und automatisierte Maschinen über unterschiedliche Fähigkeiten in Bezug auf KI, autonome Entscheidungsprozesse, sensorische Wahrnehmung und Mobilität. Generell gilt jedoch, dass sie Fertigungsbetriebe beim Erfassen großer Datenmengen unterstützen und sich durch einen hohen Grad der Vernetzung sowohl mit der Cloud als auch mit der intelligenten Fabrikumgebung auszeichnen.
4. Additive/Hybride Fertigung
Die additive Fertigung bzw. der 3D-Druck hat völlig neue Perspektiven in der Prototypenentwicklung eröffnet. Zunehmend kommen 3D-gedruckte Teile auch zur Unterstützung herkömmlicher Fertigungsverfahren zum Einsatz. Sogar kleinere Infrastrukturbauten können inzwischen mit 3D-Druckern gefertigt werden, und Expertenprognosen zufolge ist damit zu rechnen, dass sich die Technologie letztlich auch in der Massenproduktion durchsetzen wird. Als hybride Fertigung werden Verfahren bezeichnet, die an ein und derselben Maschine additive Metallverarbeitung mit herkömmlichen subtraktiven Fertigungsmethoden kombinieren und so eine beschleunigte Produktion von Teilen bei weniger Materialverschwendung ermöglichen.
5. Big-Data-Analyse
Big Data ist untrennbar mit dem Konzept der intelligenten Fertigung verbunden, zumal viele der beteiligten Technologien ihre „Intelligenz“ überhaupt nur den erfassten Datenmengen verdanken. Datengestützte intelligente Fertigung bildet die Basis für maschinelles Lernen und nutzt die Cloud zur Speicherung und Verarbeitung der Daten. Die Bedeutung der Datenanalyse reicht jedoch über die eigentliche Fertigungsanlage hinaus und kommt auch in logistischen und betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozessen in anderen Geschäftsbereichen zum Tragen.
6. Cloud-Computing
Cloud-Computing ermöglicht die Speicherung und KI/ML-gestützte Analyse von IoT-Daten auf externen Servern. Verdeutlichen lässt sich das am Beispiel der Volkswagen Industrial Cloud, in der das Unternehmen Daten aus seinen 122 Fertigungsstätten zusammenführt und in Echtzeit auswertet. Perspektivisch soll die Industrial Cloud die gesamte globale Lieferkette mit über 30.000 Standorten und 1.500 Partnerunternehmen vernetzen und als offene Plattform auch für andere Automobilhersteller und Partner aus Industrie, Logistik und Handel zugänglich gemacht werden.
7. CNC-Bearbeitung
Mehrachsige CNC-Maschinen arbeiten mit numerischer Computersteuerung zur präzisen Verarbeitung vorgefertigter Halbzeuge im Dreh-, Fräs-, Schneide- oder Bohrverfahren auf der Grundlage von Entwürfen und Modellen, die mithilfe von CAM-Software erstellt werden. In der intelligenten Fertigung werden CNC-Maschinen häufig zusätzlich mit drahtlosen IoT-Sensoren ausgestattet.
8. Design for Manufacturing
Als „Design for Manufacturing“ (DFM) bzw. „Design for Manufacturing and Assembly“ (DfMA) wird ein Ansatz der explizit fertigungsgerechten Produktgestaltung bezeichnet. Mithilfe von CAD- und CAM-Software werden Produkte und Teile in der Vorfertigungsphase so optimiert, dass sie sich möglichst unkompliziert und kosteneffizient herstellen lassen.
9. IoT/Edge-Computing
Bei den Geräten, Maschinen, Robotern usw., die in der intelligenten Fertigung eingesetzt werden, handelt es sich in der Regel um IoT-Geräte, d. h. sie sind mit drahtlos vernetzten Sensoren ausgestattet, die Daten erfassen und zur Analyse in die Cloud hochladen. Dank rapide sinkender Kosten für Sensoren wird auch die Integration von Mikroprozessoren in IoT-Geräte immer erschwinglicher, sodass bestimmte Aufgaben noch vor dem Hochladen der Daten lokal, also an der „Edge“, ausgeführt werden können. Der Begriff „industrielles Internet der Dinge“ (IIoT) bezieht sich speziell auf IoT-Maschinen in Fertigungsanlagen, die in der Regel über die Fähigkeit verfügen, eigenständige Entscheidungen zur Reduzierung von Kosten und Verschwendung auf der Basis der prädiktiven Datenanalyse zu treffen.
10. Simulation/Digitale Zwillinge
Zur intelligenten Fertigung gehört auch die Erstellung digitaler Zwillinge mithilfe von Simulationssoftware. Dadurch können Teile und Produkte noch vor ihrer physischen Fertigung digital getestet, validiert und optimiert werden. Der Geschäftsnutzen von digitalen Zwillingen ist umso höher, je präziser sie das physische Objekt visualisieren.
Positive Auswirkungen intelligenter Fertigungskonzepte
Für die Betriebe bringt der Umstieg auf intelligente Fertigung massive Effizienzgewinne im Umgang mit Ressourcen sowie Verbesserungen in Bezug auf Arbeitsschutz und Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten. Wie der Vorsitzende des MESA Knowledge Committee, Khris Kammer, betont, nimmt auch die Agilität der Unternehmen zu. Als Beispiel nennt er die zahlreichen Unternehmen, die ihre Fertigung im Zuge der Pandemie auf PSA bzw. Medizinprodukte umstellten. „Das war nur möglich, weil sie agil genug aufgestellt waren, um ein neues Produkt sehr schnell in ihre Produktionsumgebung einzuführen, die Maschinen entsprechend umzurüsten und die Arbeitskräfte umzuschulen.“
Intelligente und agile Fertigungskonzepte gehen Hand in Hand. Unter anderem wird dadurch der Trend zur kundenindividuellen Massenfertigung durch eine effiziente Kombination aus Standardisierung und Ausdifferenzierung begünstigt. Hier eröffnen sich Chancen zur Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäftsmodelle beispielsweise auf Abonnementbasis bis hin zur Realisierung der Losgröße 1. Spannend findet Kammer daran insbesondere, „dass man aktiv Innovationen in der Lieferkette vorantreiben kann, statt von der Lieferkette ausgebremst zu werden“.
Intelligente Fertigungskonzepte wirken sich sowohl auf der Ebene des einzelnen Unternehmens als auch für die Branche insgesamt vorteilhaft aus. Hinter dem Begriff Manufacturing-as-a-Service (MaaS) verbirgt sich ein weiteres Geschäftsmodell, das erst durch die Digitalisierung der Branche machbar geworden ist und mittelfristig dazu beitragen könnte, die Resilienz der Lieferketten gegenüber zukünftigen weltweiten Krisensituationen zu stärken. Schon heute gibt es MaaS-Anbieter wie Xometry, die sich auf die Vermittlung von On-Demand-Fertigungsleistungen spezialisiert haben – Jonnalagadda spricht in diesem Zusammenhang von einer „Uberisierung der Fertigung“. Denn ähnlich wie Fahrgäste an Fahrer mit freien Kapazitäten vermittelt werden, kommen maschinelle Lernalgorithmen auch bei der Suche nach dem richtigen Fertigungsbetrieb zur Erfüllung der jeweiligen Kundenbedürfnisse zum Einsatz.
In der Ökosystem-Studie von Deloitte und Manufacturers Alliance steht ein weiterer Trend mit branchenweiten Auswirkungen im Vordergrund: der Netzwerkeffekt, der durch die konstruktive Zusammenarbeit zwischen mehreren Unternehmen und anderen Wirtschaftsakteuren mit gemeinsamen Zielen und unter Nutzung digitaler Technologien entsteht.
Die Stärken solcher Ökosysteme zeigten sich nicht zuletzt bei Fertigungsinitiativen im Kampf gegen die Pandemie. So stellte etwa die „America Makes“-Community, ein Zusammenschluss aus 3D-Druck-Enthusiasten, ein Online-Portal zur Zusammenarbeit zwischen Produktdesignern, Fertigungsbetrieben und Unternehmen aus der Gesundheitsbranche bereit. Im Rahmen dieser Initiative wurden innerhalb von zwei Monaten über 280.000 PSA-Einheiten hergestellt.
Der Wert solcher Ökosysteme beschränkt sich keinesfalls auf Krisenzeiten. Auch unter weniger außergewöhnlichen Umständen beflügelt die Möglichkeit zum Austausch und Transfer von Wissen die Innovationskraft und stärkt damit das Unternehmen als Ganzes. Den Studienergebnissen zufolge konnten Fertigungsbetriebe der Fortune 500, die über mehr als 15 strategische Allianzen verfügten, ihre Umsätze 2019 gegenüber dem Vorjahr doppelt so stark steigern wie Mitbewerber mit weniger strategischen Allianzen. Fertigungsbetriebe, die über ein Ökosystem aus strategischen Partnerschaften verfügten, profitierten darüber hinaus von einer zügigeren Markteinführung ihrer Produkte und Leistungen, erweiterten Innovationskapazitäten, schnellerer Ausreifung ihrer digitalen Technologien und Kosteneinsparungen durch Effizienzgewinne.
Intelligente Fertigung fördert die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen
Einige der oben beschriebenen Technologien begünstigen per se einen schonenden Umgang mit Ressourcen. So trägt der Einsatz von Simulationssoftware beispielsweise zur drastischen Reduzierung von Materialverschwendung bei, indem Kollisionsversuche und andere physische Belastungstests in simulierten Umgebungen durchgeführt werden. Als weitere Vorteile nennt Jonnalagadda die Möglichkeit, präzise Vorhersagen in Bezug auf die Belastbarkeit und Lebensdauer unterschiedlicher Werkstoffe zu treffen und die Klima- und Umweltfolgen eines Produkts bei Verwendung verschiedener Materialoptionen zu berechnen. Ähnliches gilt für die Fertigung gemäß DFM-Prinzipien. Beim Generativem Design etwa wird mithilfe von KI eine Vielzahl von Entwurfsoptionen generiert, die zur Reduzierung des Produktgewichts sowie des erforderlichen Materialbedarfs ohne zusätzliche Kosten oder Abstriche an der Festigkeit beitragen.
Richtig angegangen, kann die Umstellung auf intelligente Fertigung die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen aktiv unterstützen. Die Smart Factory @ Wichita ist eine Kooperation zwischen der Wichita State University im US-Bundesstaat Kansas und Deloitte – eine Musterfabrik, in der eine Produktionsanlage in Originalgröße veranschaulichen soll, wie sich vorhandene Betriebsmittel effektiv mit intelligenten Fertigungstechnologien (Robotersystemen, 3D-Druckern, 3D-Laserscannern, AR/VR-Anwendungen, Simulations- und Visualisierungssoftware usw.) kombinieren lassen. Die Anlage selbst soll in einem CO2-neutralen Gebäude untergebracht sein, das an ein intelligentes Stromnetz angeschlossen ist. Das Projekt soll zeigen, wie sich im Rahmen intelligenter Fertigungskonzepte durch Optimierung der Betriebsabläufe die Umweltbelastung reduzieren lässt.
Nach Meinung von Futuristen wie Bernard Marr bergen diese Technologien sogar das Potenzial, „durch besseres Asset-Management zur Regeneration der natürlichen Umwelt beizutragen und möglicherweise sogar alle Schäden rückgängig zu machen, die frühere industrielle Revolutionen verursacht haben“.
Übergang zur intelligenten Fertigung – Perspektiven und Barrieren
Bereits 2016 stellte MESA in einem Whitepaper zum Thema intelligente Fertigung die Forderung nach offenen Daten- und Kommunikationsstandards zur Förderung der Interoperabilität zwischen Maschinen und Softwarelösungen unterschiedlicher Anbieter. Zahlreiche Branchenexperten teilen die Ansicht, dass dadurch der reibungslose Übergang zur Industrie 4.0 wesentlich begünstigt würde.
„Aktuell gibt es eine unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher Standards, eine Vielzahl von Anbietern, die jeweils eigene proprietäre Formate durchsetzen wollen, und es gibt keine Software, die mit all diesen Standards kompatibel wäre“, so Jonnalagadda. Es gebe nicht einmal einen einheitlichen Standard für CNC-Maschinen, sondern jeder Anbieter habe andere Programme zur Verwaltung und Vernetzung. „Das muss sich ändern“, betont Jonnalagadda.
Cybersicherheit und Datenschutz haben für die Unternehmen ebenfalls hohe Priorität. Bei der Ökosystem-Studie machten 58 % der Befragten Bedenken in Bezug auf Daten- und Urheberrechtsschutz als Argument gegen die Beteiligung an einschlägigen Netzwerkinitiativen geltend.
Trotz dieser Barrieren – die sich nach Meinung vieler Experten mit der Zeit und zunehmenden Verbreitung von intelligenten Fertigungsansätzen überwinden lassen – haben 62 % der Befragten ihre einschlägigen Initiativen auch unter den Vorzeichen einer instabilen Wirtschaftslage fortgesetzt oder sogar mit zusätzlichen Investitionen beschleunigt.
„Aus widrigen Umständen entsteht oft Erfindungsgeist und Fortschritt“, resümiert Kammer. „Aktuell arbeiten viele echte Visionäre daran, das Potenzial dieser Technologien immer weiter auszureizen und Ziele zu erreichen, die bis vor kurzem nicht machbar gewesen wären, indem zum Beispiel der Prozess von der ursprünglichen Produktidee bis zur Marktreife rasant beschleunigt wird. Die Kombination aus Sachzwängen und neuen Technologien wird großartige Errungenschaften hervorbringen, davon bin ich überzeugt.“
Die englische Originalfassung dieses Beitrags erschien ursprünglich im Oktober 2020 und wurde für die Neuveröffentlichung überarbeitet.