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Offene Standards: Eine Innovation für die Medienbranche?

USD-Assets: Eine Innovation für die Medienbranche?
Im Pixar-Film Coco – Lebendiger als das Leben! ist jedes Element im bunten Land der Toten ein USD-Asset. Credit: Disney/Pixar.
  • In den Unterhaltungsmedien kann der Einsatz von proprietärer Software zu isolierten Arbeitsabläufen, Datenverlust und schlechter Zusammenarbeit führen
  • Offene Standards schaffen Abhilfe, indem sie die Technologie über Anwendungen und Plattformen hinweg vereinheitlichen
  • Offene Standards als Innovation für die Medienbranche flächendeckend zu etablieren, hielte viele Vorteile bereit – von verbesserten Workflows bis hin zu Strategien, den zunehmenden Bedarf zu erfüllen und das Wachstum zu steigern 

Mitte der 1970er-Jahre brachte Sony ein damals hochauflösendes Videoformat auf den US-amerikanischen Entertainment-Markt, das der herkömmlichen VHS-Videokassette Konkurrenz machen sollte: Betamax. In Deutschland und Europa erinnert man sich daran bestenfalls als Skurrilität und auch in den USA konnte sich das Format nicht durchsetzen. Das Problem lag darin, dass sich Betamax-Kassetten nur auf von Sony eigens dafür produzierten und vergleichsweise teuren Geräten abspielen ließen, während VHS-Kassetten in jedem beliebigen Videorekorder liefen. Mit anderen Worten: Betamax war Sonys eigenes, proprietäres Format, wohingegen VHS der offene Standard für visuelle Unterhaltungsmedien war.

Heute spielt sich in den Unterhaltungsmedien ein ähnlicher Zweikampf ab – mit dem Unterschied, dass er auf Software-Ebene ausgetragen wird. Immer mehr Unternehmen, die sich auf den Einsatz proprietärer Software und anderer Tools beschränken, geraten ins Hintertreffen gegenüber der Konkurrenz, die sich der größeren Flexibilität durch offene Standards öffnen.

Viel zu lange haben sich Unternehmen in den Unterhaltungsmedien auf proprietäre Formate und Abläufe beschränkt, um ihre Geschäftsgeheimnisse für sich zu behalten. Durch die für andere Nutzer gesperrten Daten ergaben sich jedoch isolierte Arbeitsabläufe und ineffiziente Pipelines, was besonders ärgerlich ist, wenn mehrere Teams verschiedener Unternehmen an demselben Projekt arbeiten. Noch dazu steigt die Nachfrage nach neuem Content immer weiter – was offene Standards unverzichtbar macht, damit Filmschaffende ihr volles kreatives Potenzial ausschöpfen und die Ansprüche erfüllen können, die das Publikum an Unterhaltung stellt. 

Was versteht man unter offenen Standards?

Die Begriffe offene Standards – oder ihre englische Entsprechung open standards – und open source werden häufig deckungsgleich verwendet, dabei stecken eigentlich unterschiedliche Konzepte dahinter. Bei offenen Standards handelt es sich um in der Industrie etablierte Richtlinien, die dem gleichberechtigten Zugriff unterschiedlicher Akteure auf Technologie dienen – unabhängig von Anwendungen und Plattformen. So zielt ihre Nutzung unter anderem darauf ab, die Interoperabilität dieser Technologien zu erleichtern und etwa die Entwicklung erweiterbarer Dateiformate voranzubringen.

Was versteht man unter open source?

Open source hingegen bezeichnet eine Methode zur Entwicklung und Umsetzung eben dieser Standards, wobei im Prozess besonderes Augenmerk auf Zusammenarbeit und Flexibilität gelegt wird. Da es sich hierbei um Software mit einem frei zugänglichen Quellcode handelt, der von allen eingesehen, verändert und verbessert werden kann, ist open source daher ein geeignetes Mittel, um einen Konsens über die Umsetzung eines Standards zu erreichen. Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings darin, dass offene Standards zwar in Open-Source-Software angewendet werden können, jedoch ist nicht jeder offene Standard deshalb automatisch einer bestimmten Software zugewiesen. 

Die neue Innovation für die Medienbranche braucht Teamwork

Über die vergangenen Jahrzehnte schien die Film- und Videoproduktion von dem Leitsatz „Das haben wir schon immer so gemacht!“ geleitet worden zu sein. Die Prozesse sowie die verwendeten Technologien sind jedoch für verschiedene Unternehmen oft sehr unterschiedlich, was es den beteiligten Studios durch isolierte Arbeitsabläufe und Schwierigkeiten, Dateien zu teilen, unmöglich macht, einfach und erfolgreich an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Wenn sich die Branche allerdings auf die Verwendung offener Standards einigen könnte, hätte das für alle Beteiligten entscheidende Vorteile – nicht nur in Form einer Verbesserung der einzelnen Arbeitsabläufe, sondern auch für ein branchenweites Wachstum.

Das Ende der isolierten Abläufe: Innovation für die Medienbranche
Die Verwendung offener Standards und gemeinsamer Technologien vermeidet isolierte Arbeitsabläufe und fördert eine effektive Zusammenarbeit.

Offene Standards einzuführen und umzusetzen, ist allerdings ein Gemeinschaftsprojekt, das alle Beteiligten gleichermaßen fordert. Deshalb hat Autodesk mit anderen führenden Unternehmen der Medienbranche die Academy Software Foundation (ASWF) gegründet, eine Stiftung zur Entwicklung eines rechtlichen Rahmens und der Verwaltung mehrerer Open-Source-Projekte. Diese umfassen etwa MaterialX, ein Tool für Erstellung und Rendering unterschiedlicher Oberflächen und Materialien, oder Open Timeline IO, eine Open-Source-API zur redaktionellen Sequenzierung. Diese gemeinsame Bestrebung stellt mittels ausgeklügelter Kontrollen und Gegenkontrollen sicher, dass die Software den höchsten Qualitätsanforderungen standhält, regelmäßig getestet wird und auf allen verfügbaren Plattformen funktioniert.

Gemeinschaftliche Projekte wie diese ermöglichen große Fortschritte bei zielorientierten offenen Standards und Open-Source-Anwendungen: OpenPBR zum Beispiel, eine Kollaboration von Autodesk und Adobe, ist ein frei zugängliches Schattierungsmodell, das Kreativschaffenden eine künstlerfreundliche Brücke von einer Softwareumgebung zur anderen bietet. Da außerdem mit OpenRV die Software für Medienprüfung und -wiedergabe offen zugänglich ist, konnte Autodesk durch die Code-Beiträge zusammen mit xStudio von DNEG und itview von Sony Pictures Imageworks die Open Review Initiative – eine Art Testprojekt der ASWF-Stiftung zur Entwicklung eines einheitlichen, quelloffenen Toolsets für die Wiedergabe, Überprüfung und Genehmigung von Medien – entscheidend prägen.

Darüber hinaus hat sich Autodesk jüngst mit Pixar, Adobe, Apple, NVIDIA und der Joint Development Foundation zusammengetan und die Alliance for Open Universal Scene Description, kurz: AOUSD, gegründet. Pixar setzt Universal Scene Descriptions (USDs) bereits seit 2016 ein und seit 2023 besteht mit OpenUSD durch eine einheitliche Kodifizierung ein offizieller offener Standard. USDs ermöglichen durch die Interoperabilität von Tools und den Austausch von 3D-Informationen die Erstellung verschiedener und vielschichtiger Visualisierungen, daher ist es sinnvoll, sie als offenen Standard zu verwenden, wie die komplexe Szenerie in Land der Toten im Pixar-Film Coco – Lebendiger als das Leben! veranschaulicht – jedes einzelne dort ausgespielte Element ist ein USD-Asset.

USDs sind so flexibel und effektiv, dass einige Studios sie schon seit vielen Jahren erfolgreich verwenden. Allerdings werden sie häufig in unterschiedlichen Umgebungen eingesetzt, sodass sich Arbeitsabläufe zwischen verschiedenen Anwendungen nicht gut vereinheitlichen lassen. Das Ziel von AOUSD ist es daher, die Verwendung von USDs zu dokumentieren und zu standardisieren, um die Interoperabilität von Software und Pipelines in der Branche zu optimieren. Da OpenUSD die Nutzung von USDs auf diese Weise formalisiert, können sich Kunstschaffende ganz der Verwendung ihrer Lieblingstools für die jeweilige kreative Aufgabe widmen, ohne sich dabei um die zugrundeliegenden Details sorgen zu müssen.

Die Vorteile formalisierter offener Standards

Egal, ob es sich um Filme, Serien oder Spiele handelt, an solchen Projekten der Unterhaltungsmedien arbeiten immer mehrere Teams zusammen. Deshalb ist es für cloudbasierte Plattformen wie etwa Flow von Autodesk unverzichtbar, dass künftig offene Standards flächendeckend eingesetzt werden. Wenn alle Beteiligten gemeinsam mit frei zugänglichen Tools in der Cloud arbeiten, können Informationen besser in Echtzeit ausgetauscht werden, was die Abläufe beschleunigt und die Zusammenarbeit fördert. Außerdem können unterschiedliche Animationsteams gleichzeitig an derselben Figur arbeiten, ohne ihren Teil des Projekts vorher in ein anderes Format konvertieren zu müssen.

Mithilfe offener Standards können auch Daten bewahrt werden, die ansonsten zwischen fragmentierten Arbeitsabläufen verlorenzugehen drohen. Projekte in den Unterhaltungsmedien werden zunehmend umfangreicher und komplexer. Dabei werden häufig Datensätze erstellt, die mehrere Petabytes umfassen und in dieser Größenordnung ohne Standardisierung kaum zu bewältigen sind. In einer cloudbasierten, nichtlinearen Umgebung arbeiten zu können, ohne Dateien vor der Weitergabe herunterladen und konvertieren zu müssen, verringert daher den Datenverlust und rationalisiert den Produktionsprozess.

Durch offene Standards wird zudem die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Branchen gefördert. In vielen anderen Industriezweigen finden USDs bereits Verwendung – zum Beispiel als digitale Zwillinge in Architektur, Ingenieur- und Bauwesen. Künftig könnte es sogar möglich sein, mithilfe von Autodesk Revit ein architektonisches Modell zu entwerfen, das später auch als Kulisse für einen Film oder ein virtuelles Set für ein Spiel verwendet werden kann. Auch in dieser Hinsicht könnten offene Standards zu mehr vernetzten Daten und einer besseren Zusammenarbeit unter Kreativteams führen und so schnellere und effizientere Arbeitsabläufe ermöglichen.

USDs in der Architektur: Auch eine Innovation für die Medienbranche?
USDs finden bereits als digitale Zwillinge in Architektur, Ingenieur- und Bauwesen Verwendung.

Die neue Innovation in der Medienbranche bietet vielfältige Möglichkeiten in der Zukunft

Ob also in der Spieleentwicklung, in Fernsehserien oder beim Film: Die Nachfrage nach neuen Inhalten ist massiv. Den Medienunternehmen bieten sich daher viele unterschiedliche Gelegenheiten, diese Nachfrage zu befriedigen – einerseits durch die Entwicklung kreativer Inhalte und neuer Wege zur Einbindung des Publikums und andererseits durch das Ausloten der Möglichkeiten von Virtual und Augmented Reality.

In der Zusammenarbeit unterschiedlicher Kreativschaffender unter Einbindung von offenen Standards werden alle Beteiligten zu gleichberechtigten Playern. Zwar haben kleinere Studios normalerweise oft Nachteile gegenüber den etablierten Unternehmen, die die Spielregeln in der Branche bestimmen, jedoch können offene Standards helfen, die Barrieren für den Wettbewerbseinstieg abzubauen. So bekommen alle Beteiligten die Möglichkeit, in der kreativen Landschaft mitzuwirken und innovative Ideen einzubringen.

Bei einem gemütlichen Filmabend mit der Familie auf der Couch ist es kaum vorstellbar, wie hunderte, manchmal tausende verschiedenster Akteure im Hintergrund gemeinsam an einem Strang ziehen, um eine Geschichte akustisch und visuell auf dem Bildschirm umzusetzen. Dank der heute zur Verfügung stehenden Technologien sind Animationen und visuelle Effekte besser als je zuvor. Offene Standards und Open-Source-Anwendungen werden jedenfalls künftig ihren Teil zu den Innovationen in der Branche der Unterhaltungsmedien beitragen.

Über den Autor

Diana Colella ist Executive Vice President für den Bereich Media & Entertainment bei Autodesk. In dieser Funktion ist sie für das Produkt-, Strategie- und Ausführungsmanagement des Unternehmensportfolios für die Film-, Fernseh- und Spieleindustrie zuständig. In ihrer mehr als 20-jährigen Tätigkeit bei Autodesk konnte Colella sich bereits in mehreren leitenden Positionen profilieren, darunter auch als Head of Product Management and Worldwide Support. Sie hat umfassende Erfahrung in der strategischen Transformation von Geschäftsmodellen, der Gestaltung neuer Produktangebote und der globalen Prozessoptimierung. Colella ist Executive Sponsor des Autodesk Women’s Network. Bevor sie sich Autodesk anschloss, arbeitete Colella bei KPMG. Sie hat einen Master in Betriebswirtschaftslehre von der McGill-Universität/HEC Montréal sowie einen Bachelor of Commerce im Rechnungswesen von der Concordia University in Montréal und ist darüber hinaus Certified Public Accountant (amtlich zugelassene Wirtschaftsprüferin).

Profile Photo of Diana Colella, Autodesk EVP - DE