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Industrialisierung im Bauwesen: die Zukunftsvision des Baugiganten Bouygues Construction

Industrialisierung im Bauwesen

Das Bauwesen steht an der Schwelle tief greifender Veränderungen durch die Industrialisierung. Die Vision von Produktivitätszuwachs, gemeinsamer Datennutzung, Kostenoptimierung und geringerer Umweltbelastung, mit der ein französischer Baugigant den Umschwung gestaltet, ist für die gesamte Branche von Interesse.

Auf einer Baustelle sind viele Herausforderungen zu bewältigen – Termintreue und Qualitätssicherung bei immer komplexeren Projekten, sinkenden Margen sowie wachsenden Anforderungen an Nachhaltigkeit und CO2-Bilanz. Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Projektausführung ist jedoch vor allem die Qualität der Pläne für die einzelnen Gewerke sowie die Berücksichtigung berufsständischer Regelungen und Auflagen.

Stärkere Produktionsorientierung

Eine neue Vision vom Bauvorhaben hat das französische Unternehmen Bouygues Construction veranlasst, die Betriebsabläufe zu überdenken. „Die Umsetzung der Entwurfsphase gelingt uns schon perfekt. Verbesserungswürdig ist allerdings die Digitalisierung der Ausführungsphase. Wir müssen im BIM-Modell den Detaillierungsgrad erhöhen und die Kontextelemente optimieren, um den Bauablauf reibungsloser zu gestalten“, erläutert Frédéric Gal, der bei Bouygues Construction den Bereich digitales Projektmanagement leitet.

„Die Pläne, die wir an die Handwerksbetriebe geben, zeigen die fertigen Bauteile nach dem Zusammenbau. Die Montagereihenfolge wird nicht im Einzelnen angegeben. Das ist etwa so, als würden Sie zu Hause ein Möbelstück nach einem Foto vom fertigen Möbel ohne Montageanleitung zusammenbauen“, verdeutlicht er. Ohne Anleitung ist der Aufbau unklar und dauert länger. Nicht anders ist es bei einem Bauvorhaben.

Bouygues Construction
Gleiche Chancen für Frauen und Männer bei Bouygues Construction. Credit: Véronique Paul, Bouygues Construction. (Die Fotos entstanden vor Einführung der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.)

Enorme Vorteile für Gesundheit, Sicherheit, Produktivität und Umwelt

Wenn die Bauanleitung beiliegt, verfügen die Bauausführenden vor Ort über die erforderlichen Instrumente, um das Projekt termingerecht abzuschließen. Je gründlicher der Prozess von der Entwurfsphase an durchdacht und dokumentiert wird, desto effizienter lässt sich die Ausführungsphase optimieren. Für das große französische Bauunternehmen steht dieses Thema im Mittelpunkt des Industrialisierungsgedankens, der die digitale Transformation ausgelöst hat. Frédéric Gal verspricht sich davon enorme Vorteile für Gesundheit, Sicherheit, Produktivität und Umwelt.

Schlanke Bauprozesse bedeuten Produktivität und Rentabilität

Die Optimierung der Ausführungsphase erfordert ein Überdenken der gesamten Wertschöpfungskette. Der neue Ansatz beinhaltet die Integration von Prozessen, die normalerweise typisch für die Fertigungsindustrie sind. Die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und weiteren nicht am eigentlichen Produktionszyklus beteiligten Gewerken, die Vorbereitung der Instrumente von der Entwurfsphase an sowie die Erstellung einer Datenbank sind unverzichtbare Schritte für eine bessere Projektabwicklung. Von der Nutzung dieser Erkenntnisse für Bauvorhaben erhofft sich Gal eine Verkürzung der Projektphasen.

„Der sichere Umgang mit Instrumenten wie Revit erlaubt uns heute ein ausgezeichnetes Management in der Entwurfsphase. Wir müssen jedoch auch die Ausführung besser in den Griff bekommen“, ergänzt Frédéric Gal. Dazu ist der Übergang von der schematischen Darstellung zu einer dynamischeren Stufe der automatisierten Entwurfsplanung erforderlich. Dabei schreibt das Konstruktionstool automatisch jede Änderung in einer Zeichnung auf alle betroffenen Bauteile fort.

Im Trockenbau beispielsweise werden Schraube, Schiene und Gipskartonplatte virtuell verknüpft, sodass jede Planänderung automatisch eine Korrektur der Baugruppe bewirkt. Diese Entwicklung spart nicht nur Zeit, sondern nebenbei entfallen auch Arbeitsaufgaben.

Verbesserung der CO2-Bilanz

Kurzfristig besteht die vorrangige Aufgabe in der Bewältigung der gesamten Wertschöpfungskette und besonders „im weiteren Ausbau dieses Ansatzes in der Entwurfsphase unter Einbeziehung der Anwendererfahrung sowie in der Erschließung innovativer Konstruktionsverfahren“, so Ludovic Reverdy, stellvertretender Leiter des Lehrstuhls Bauwesen 4.0 bei Bouygues Construction. Mittelfristig wird die Umstrukturierung der Raumkonzepte und der Arbeitsabläufe die Arbeitsbedingungen verbessern, die Sicherheit auf der Baustelle erhöhen und zugleich die Arbeit erleichtern. Langfristig beabsichtigt Bouygues Construction damit, Arbeitsplätze zur beruflichen Wiedereingliederung oder für Menschen mit Behinderung zu schaffen.

Klimaziele
Bei der Umsetzung seiner Klimastrategie kann der Konzern auf ein breites Spektrum von Lösungsansätzen zur Reduzierung der baubedingten CO2- und Treibhausgasemissionen zurückgreifen. Laut ihrem CEO Martin Bouygues hat sich die Gruppe Bouygues vorgenommen, bis 2030 die Treibhausgasemissionen im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen um 20 Prozent zu senken. Credit: Ronald Lim, Bouygues Construction.

„Diese konkreten Vorgaben verpflichten uns nicht nur zu einer besseren Organisation, sondern auch zur Begrenzung von überfüssigem Material. Um den CO2-Ausstoß zu verringern, müssen wir bei den Materialtransporten ansetzen“, ergänzt Frédéric Gal. Im Hinblick auf den Produktivitätszuwachs, die Rendite und die CO2-Bilanz generiert dieser Ansatz ganz klar einen hohen Mehrwert für Baubetriebe.

Der Weg zur smarten Fabrik – kreativ denken und innovativ bauen

Das Jahr 2018 war für den französischen Industriekonzern ein entscheidender Wendepunkt. Aus der Verbindung von Lean Management, BIM und Produktionsdaten entstand das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „SmartFabrik“. Davon ging ein deutliches Signal für den Veränderungswillen und den Vorrang des Industrialisierungsprozesses aus.

„SmartFabrik beruht auf dem Prinzip der Nutzbarmachung von Best Practices, die im Konzern bereits in Frankreich und Großbritannien umgesetzt werden. In der Forschung und Entwicklung gehen wir sogar noch weiter und übernehmen die besten Vorgehensweisen aus anderen Wirtschaftszweigen in unsere Projekte“, berichtet Ludovic Reverdy.

Studentenwohnheim Alpha City – La Roche-sur-Yon. Credit: Willy BERRE, Bouygues Construction.
 
Studentenwohnheim Alpha City – La Roche-sur-Yon. Credit: Willy BERRE, Bouygues Construction.
 
Studentenwohnheim Alpha City – La Roche-sur-Yon. Credit: Willy BERRE, Bouygues Construction.

Der Baukonzern Bouygues Construction verfolgt diesen Ansatz im Wohnbau bereits bei einem Dutzend Pilotprojekten, darunter Gebäude für Armeeangehörige oder Studierende. „Beim Einbau auf der Baustelle lassen sich mögliche Probleme aufzeigen. Diese Informationen werden nach dem Produktionszyklus integriert, um die Ausführung des Folgeprojekts zu verbessern“, betont Frédéric Gal.

Das Projekt ist ein echter Glücksfall, der sich sogar auf die Beschaffungsstrategie auswirkt, die nun auf Konzernebene und nicht für jedes Bauvorhaben einzeln umgesetzt werden kann. Für Ludovic Reverdy heißt das nicht nur, den Einkauf anders zu organisieren, sondern auch, ein Netzwerk von zuverlässigen Partnern aufzubauen sowie eine Kultur des Miteinanders, der gemeinsamen Entwicklung und des Fortschritts zu fördern.

Die Datenbasis als Kernstück der Industrialisierung

Datennutzung kann durchaus eine Möglichkeit sein, die Gewinnspanne eines Herstellers in einer ziemlich unter Preisdruck stehenden Branche zu verbessern, da damit sowohl die Materialkosten als auch die Wartungskosten für die Ausrüstung gesenkt werden.

Dank BIM verfügt die Baubranche über einen riesigen Datenpool. Auch wenn der digitale Zwilling des fertigen Gebäudes ermöglicht, das ursprüngliche Modell zu aktualisieren, bleiben die aus der Tätigkeit gewonnenen Informationen weitgehend ungenutzt. Damit diese Informationen künftig in die Bauausführung vor Ort einfließen, wird mit der Erstellung des digitalen Zwillings ein stärker auf Zusammenarbeit und Miteinander ausgerichtetes Umfeld gefördert. Diese neue firmenübergreifende Organisation bezieht alle Beteiligten der Wertschöpfungskette ein und vereinfacht gleichzeitig den Entscheidungsprozess. Diese Entwicklung führt zu einem deutlichen Zeitgewinn, der es erlaubt, sich stärker auf Nutzerfreundlichkeit und Kundenzufriedenheit zu konzentrieren.

Digitaler Zwilling
Erstellung des digitalen Zwillings.

Kürzlich hat Thomas Danel im Rahmen des Lehrstuhls für Bauwesen 4.0 an der französischen Ingenieurschule Centrale Lille promoviert. Seine Doktorarbeit befasst sich mit der Nutzung von Krandaten zur Erhöhung der Baustellenproduktivität. Der Kran gilt als strategisches Element einer Baustelle in der Rohbauphase und doch verläuft sein Einsatz nicht immer optimal. Das ist der Fall, wenn er zu groß ausgelegt ist oder bei Stillstand auf einer Baustelle, auf der er nicht oder nicht mehr benötigt wird.

In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit der Datenerfassung und -analyse auf der Baustelle. Die aus dem Kraneinsatz und dem BIM-Modell extrahierten Daten dienen zur Entwicklung von Algorithmen, die unter anderem den automatischen täglichen Fortschrittsplan der Baustelle generieren. Im Gegensatz zu einer Fabrik, die so zuverlässig wie ein Uhrwerk arbeitet, gibt es auf der Baustelle unvorhersehbare Ereignisse. Mithilfe der Algorithmen lassen sich die tatsächlich ausgeführten Aufgaben ermitteln und Abweichungen vom Terminplan vorhersagen. Die Produktionsüberwachung ist damit gewährleistet. So führt die digitale Revolution zu einem Zuwachs an Produktivität und Sicherheit auf der Baustelle.

Bouygues Construction
Fernsteuerung eines Krans im iPilot-Projekt. Credit: Marc Lambert, Bouygues Construction. (Die Fotos entstanden vor Einführung der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.)

Industrialisierung als Garant für Qualität

Die digitale Transformation hat im Konzern einen intensiven Denkprozess über die Wertschöpfung am Bauvorhaben angestoßen. Niemand behauptet, die Industrialisierung biete keine Gestaltungsmöglichkeiten. Es geht nicht darum, Abstriche an der Qualität oder beim Angebot optionaler Varianten zu machen. Im Gegenteil, der Konzern will eine große Variantenvielfalt erhalten und dennoch weiterhin individuelle Lösungen anbieten. Optimiert wird dort, wo es nicht sichtbar ist. Die Standardisierung betrifft verdeckte Module wie die Elektroinstallation und die Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik.

Solche verdeckten Elemente ließen sich zum Beispiel je nach Raumtyp industriell fertigen. Bouygues Construction schließt gerade die ersten Industriepartnerschaften zur Vorfertigung von Badmodulen für Studentenwohnheime, Wandkonstruktionen in Holzrahmenbauweise und Versorgungsschächte.

Bouygues Construction
Vorgefertigte Badmodule für Studentenwohnheime. Credit: Bouygues Construction.

Der gleiche Ansatz wird auch von eher traditionellen Produktionsbetrieben verfolgt. Das Ziel besteht darin, die Artikelmenge der nicht sichtbaren Komponenten zu rationalisieren und dabei durch optionale Vielfalt Gleichförmigkeit zu vermeiden. Damit erhalten die Planer entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Vorteile der Vorfertigung außerhalb der Baustelle bestehen in einer besseren Termin-, Qualitäts- und damit Kostenkontrolle. Die produktionsorientierte Betrachtung von Entwurf und Bau als Einheit verspricht den größten Erfolg für die Bauwirtschaft und für die Verringerung der Umweltbelastung durch die Bauindustrie”, sagt Nicolas Mangon, Vice President für Architektur, Ingenieur- und Bauwesen, Unternehmensstrategie und Marketing bei Autodesk. Diese weltweite Entwicklung schreitet voran. Wegbereiter der technologischen Innovation wie Bouygues tragen mit ihrer Arbeit zu einer höheren Produktivität eines ganzen Wirtschaftssektors bei.

Über den Autor

Maxime Thomas ist ein französischer Fachjournalist im Bereich Radio. Zu seinen Lieblingsthemen zählen die digitale Transformation und ihre direkten Auswirkungen auf Wirtschaft und Handel.

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