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Ein nordenglisches Tattoo-Studio profiliert sich als Innovationsschmiede

Das Polygon-Modell (hier am Firmenstandort fotografiert) ist das Aushängeschild von Ego. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

Profisportler leiden an Bänderrissen, Astronauten an Muskelschwund und Strahlenkrankheit. So sollte es vielleicht nicht überraschen, dass auch Tätowierkünstler nicht vor Berufskrankheiten gefeit sind. Mit ergonomischen Tätowiermaschinen will ein englisches Unternehmen nun entgegen wirken.

„Arthrose und andere rheumatische Erkrankungen plagen nicht nur Tätowierer, sondern auch Menschen, die stundenlang Schreibgeräte in der Hand halten“, erläutert Tätowierer Richard Beston, der in Fachkreisen auch als „Bez“ bekannt ist.

„Beim Zeichnen oder Schreiben ist uns zumeist gar nicht bewusst, wieviel Muskelkraft wir aufwenden und welcher Belastung wir unseren Körper damit aussetzen“, fügt er hinzu. „Wenn man statt eines Stifts eine schwere, vibrierende Tätowiermaschine greifen muss, wird diese Belastung noch verstärkt, und dadurch steigt natürlich auch das Risiko, dass man sich Gesundheitsprobleme zuzieht. Viele Tätowierer haben mit Erkrankungen wie Karpaltunnelsyndrom zu kämpfen, die ihre Laufbahn frühzeitig beenden können.“

Ego-Gründer Richard „Bez“ Beston hätte sich nie träumen lassen, dass er eines Tages Tätowiermaschinen herstellen würde. Mit Hilfe von Autodesk Fusion 360 verkauft sein Unternehmen heute über 3.000 Stück im Jahr. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.
Ego-Gründer Richard „Bez“ Beston hätte sich nie träumen lassen, dass er eines Tages Tätowiermaschinen herstellen würde. Mit Hilfe von Autodesk Fusion 360 verkauft sein Unternehmen heute über 3.000 Stück im Jahr. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

Beston hatte bereits schlechte Erfahrungen mit Rückenschmerzen gemacht, bevor er als Quereinsteiger im Tattoo-Studio anfing. Umso genauer achte er heute bei der Arbeit auf seine Körperhaltung, berichtet er. Als Inhaber von Triplesix Studios im nordenglischen Sunderland sei ihm bald bewusst geworden, dass die gängigen Geräte längst nicht ergonomisch genug waren. Kollegen klagten ebenfalls über Schmerzen im Handgelenk, und so nahm Beston sich vor, die Tätowiermaschine vollkommen umzugestalten – der eigenen Gesundheit und der seiner Zunftgenossen zuliebe.

Das Innenleben der Tätowiermaschine

Indes hatte Beston weder Maschinenbau studiert, noch brachte er einschlägige Berufserfahrung mit. Ganz bei Null brauchte er trotzdem nicht anzufangen, sondern konnte immerhin auf seine Kenntnisse als Designer von Videospielen zurückgreifen.

„In meinem früheren Beruf habe ich viel mit 3D-Planungssoftware gearbeitet“, erläutert er. Insofern sei ihm die Einarbeitung in CAD-Software und Autodesk Fusion 360 relativ leicht gefallen, zumal zwischen den Funktionen der verschiedenen Programme kein himmelweiter Unterschied bestehe.

Als Hauptproblem herkömmlicher elektrischer Tätowiermaschinen nennt Beston die ungünstige Gewichtverteilung, deswegen habe er als erstes den Schwerpunkt vom Handrücken wegverlagert, sodass die Maschine ähnlich wie ein Stift in der Hand liegt. Dazu musste der Mechanismus im Innern der Maschine neu konstruiert werden.

In herkömmlichen Tätowiermaschinen kommt hier eine Magnetspule zum Einsatz. Beston ersetzte sie durch einen Rotationsmechanismus mit wartungsfreien Gleitlagern des Fachanbieters igus, der nicht nur effizienter und geräuschärmer läuft, sondern auch die Vibration des Geräts reduziert. In späteren Ego-Modellen wird die Drehbewegung auf einen Linearantrieb übertragen, der die laterale Vibration herkömmlicher Tätowiermaschinen ausschaltet und dadurch eine präzisere Nadelführung ermöglicht.

Das Modell Ego Vertex 2 in Gold. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

Die Modelle der Produktlinie Ego Switch. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

Die Stahlgriffe herkömmlicher Modelle sind so dünn wie ein Bleistift; der Tätowierer muss anhaltenden Druck anwenden, um die Maschine ruhig in der Hand zu halten – daher rühren auch die Schmerzen und Schwielen, mit denen Tätowierkünstler nur allzu vertraut sind. Als nächstes machte sich Beston also an die Entwicklung eines größeren und weicheren Griffs, des sogenannten „Biogrip“, der einen weit geringeren Druckaufwand erfordert. Eine weitere Innovation, die er als „Power Triangle“ bezeichnet, war so revolutionär, dass er ein Patent dafür anmeldete.

Unternehmer wider Willen

Nach diesen Quantensprüngen war die Gründung eines Unternehmens der folgerichtige nächste Schritt, um Bestons technologische Innovationen bis zur Marktreife weiterzuentwickeln. Heute vertreibt seine Firma Ego mit Sitz in Sunderland Tätowiermaschinen, Griffe und Zubehör.

Dabei wollte der 47-Jährige eigentlich gar kein Unternehmer werden. „Mir ging es bloß darum, Tätowierkünstlern die Arbeit zu erleichtern. Die dazu erforderlichen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse musste ich mir erst mühsam aneignen“, bekennt er. „Die Produkte wurden so stark nachgefragt, dass unsere ursprünglichen Räumlichkeiten bald zu klein waren.“

Ihm sei schnell klar geworden, „dass wir die Sache systematischer angehen mussten. Die unternehmerische und betriebswirtschaftliche Seite stellte für mich mit die größte Herausforderung dar. Wir lernen immer noch dazu – zum Beispiel, dass Marketing und Marktforschung mindestens ebenso wichtig sind wie die Produktplanung selbst. Das Unternehmen ist quasi aus dem Versuch heraus entstanden, diese Probleme zu lösen.“

Die Optimierung der Prototypenentwicklung spielte hier eine wichtige Rolle. Während sein Team beim Entwickeln und Testen neuer Modelle heuristisch nach dem „Trial and Error“-Prinzip vorgegangen sei, hält Beston die heutige Methode für sehr viel effizienter.

„Früher haben wir die Entwürfe nach Deutschland oder China geschickt, und ich musste dann zur Musterprüfung dorthin reisen, ggf. Änderungen vornehmen, warten, dass sie umgesetzt wurden, und dann erneut prüfen“, sagt Beston. „Das war ein riesiger Zeitaufwand.“

Durch rapide Prototypenentwicklung mithilfe von 3D-Druck können die Tätowiermaschinen und Griffe jederzeit mit geringem Zeitaufwand aktualisiert werden. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.
Durch rapide Prototypenentwicklung mithilfe von 3D-Druck können die Tätowiermaschinen und Griffe jederzeit mit geringem Zeitaufwand aktualisiert werden. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

Das änderte sich vor sieben Jahren mit der Anschaffung mehrerer 3D-Drucker der Marke MakerBot. In der Zwischenzeit habe diese Technologie sich rasant weiterentwickelt, wie Beston sagt. „Heute arbeiten wir mit dem Form 2 von Formlabs und können 20 oder sogar 30 Iterationen innerhalb von ein bis zwei Wochen entwickeln und testen. Statt viel Zeit und Geld in das Testen von Produkten zu investieren, kann durch die Integration mit der vorhandenen Software jeder im Team problemlos Änderungen vornehmen, die sich innerhalb weniger Stunden umsetzen lassen.“

Eine Gemeinschaft aus Gleichgesinnten

Dass er eines Tages eine erfolgreiche Firma leiten würde, die Teile für Tätowiermaschinen vertreibt, hätte Beston sich nie träumen lassen – eine Rolle als Gründer und Galionsfigur einer Gemeinschaft aus Makern, Tüftlern und Künstlern, die sich im Umkreis seines Unternehmens und Tattoo-Studios gebildet hat, wohl erst recht nicht.

Trotzdem ist er begeistert darüber, dass sich andere kreative Köpfe von seiner Arbeit offenbar magisch angezogen fühlen. Das Gelände im Zentrum der ehemaligen Industrie- und Hafenstadt Sunderland, auf dem Ego und Triplesix Studios ihren aktuellen Sitz haben, habe er bewusst gerade wegen seines Potenzials als Hotspot für Pioniere und Innovatoren aller Art ausgesucht.

Das Modell Ego Apex Overkill in Rot. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

Eine Variante des Ego Biogrip. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

Eine weitere Variante des Ego Biogrip. Mit freundlicher Genehmigung von Ego.

„Wir vergrößern uns immer mehr mit weiteren 3D-Druckern und Tools, deswegen mussten wir immer wieder umziehen – dreimal in den letzten sechs Jahren“, erzählt Beston.

Weiter sagt er: „Wir würden uns freuen, wenn immer mehr Gleichgesinnte dazukommen, die unsere Maschinen für kreative Zwecke verwenden. Letztendlich geht es mir darum, eine Gemeinschaft talentierter Menschen zusammenzubringen, in der tolle Ideen und Produkte entstehen, ohne dass ich dafür um die ganze Welt reisen muss.“

Besonders froh ist er darüber, dass es ihm mittlerweile gelungen ist, seine professionellen Leidenschaften unter einen Hut zu bringen: An bestimmten Wochentagen arbeitet er als Tätowierkünstler, an anderen als Maschinenbauer. „Die Kombination sorgt dafür, dass ich jede Menge kreative Impulse bekomme und mir beide Tätigkeiten viel mehr Spaß machen“, erläutert er.

Über den Autor

Als er jünger war, wollte er die Welt verändern. Später stellte Drew Turney fest, dass es einfacher ist, darüber zu berichten, wie andere Menschen dies tun. Er schreibt über Technologie, Kino, Wissenschaft, Bücher und mehr.

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