Vom Fotomotiv zur Punktwolke: Die digitale Transformation des Eiffelturms
Das 54 Hektar große Areal rund um den Eiffelturm soll nicht nur für die Olympischen Spiele 2024 neu gestaltet, sondern auch in Form eines 3D-Modells virtuell verewigt werden. Der von der Pariser Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit Autodesk ausgeschriebene Landschaftsarchitektur-Wettbewerb erfordert die Kooperation zwischen Architekten, Vermessungstechnikern, Ingenieuren und Projektmanagern. Im Vorfeld wurde das Gelände zwischen Place Trocadéro und École Militaire im Laserscanverfahren fotogrammetrisch erfasst.
Seit seiner Einweihung im März 1889 – mitten in einer Ära bahnbrechender Fortschritte auch in der Kameratechnik – zählt der Eiffelturm zweifellos zu den europa- oder gar weltweit beliebtesten Fotomotiven. Während die Pariser ohnehin jeden Winkel der grünen Oase rund um die „Eiserne Dame“ wie die eigene Westentasche kennen, ist die persönliche Begegnung mit einem Wahrzeichen, das bereits unzählige Male auf Postkarten oder im Kino gesehen wurde, für viele der fast 20 Millionen Touristen, die jährlich in die französische Hauptstadt strömen, ein Déjà-vu-Erlebnis.
Hochkarätiger Wettbewerb mit einer doppelten Herausforderung
Zu den zweidimensionalen Abbildungen und der Verewigung im kollektiven Gedächtnis gesellt sich nun eine Virtualisierung in 3D hinzu: Vor Beginn der Sanierungsarbeiten wollte die Pariser Stadtverwaltung dem Stahlgiganten ein eigenes Denkmal in Form eines BIM-Modells setzen. Die Ausschreibung für eine entsprechende Konzeption im Rahmen der Modernisierung des geschichtsträchtigen Areals um den Eiffelturm richtete sich an Architekten, Stadtplaner, Ingenieure, Landschaftsarchitekten und Sozialwissenschaftler.
Das Lastenheft sah gleich eine doppelte Herausforderung vor. Zunächst sollte der Turm mitsamt seiner Umgebung im Zuge der Planungsarbeiten von allen Seiten digital erfasst werden. In einem zweiten Schritt waren die Bewerber gefordert, ihre Entwürfe der Jury und der Pariser Bevölkerung in Form von VR-Rundgängen zugänglich zu machen, um ersterer den Vergleich zwischen den Entwürfen zu ermöglichen und letztere mit dem siegreichen Konzept vertraut zu machen.
Ein topografisches Mammutprojekt
Das Pariser Vermessungsbüro Gexpertise arbeitete mehrere Wochen lang an der Erstellung des 3D-Modells. Mithilfe von statischen und mobilen Laserscannern, Drohnen und auf Luftgondeln montierten Kameras wurde die Topografie des gesamten Areals im Fotogrammetrie-Verfahren als Punktwolke erfasst.
„Einmal ganz abgesehen von der historischen und symbolischen Bedeutung des Geländes um den Eiffelturm stellte die Erfassung von Daten zur kollektiven Verwendung für ein derart ehrgeiziges Kooperationsprojekt eine vollkommen neuartige Herausforderung dar“, erinnert sich Pauline Barbier von Gexpertise.
Als besondere Schwierigkeit erwies sich die komplexe Topgrafie der 54 Hektar umfassenden Fläche. Neben Brunnenanlagen, Treppen, Schotterwegen, Straßen und Bürgersteigen galt es, die objektspezifischen Texturen von vier Brücken, 425 Bänken, 560 Straßenlaternen und anderen Beleuchtungselementen, 25 Statuen, 100 Abfallbehältern, 8.200 Bäumen und Beeten mit Laserscan- bzw. LiDAR-Technik zu erfassen. Hinzu kamen um die 1.000 Gebäude in den angrenzenden Straßen. Insgesamt wurden mehrere Hundert Stunden an Daten erfasst und mit Autodesk ReCap verarbeitet. Das Ergebnis war ein gigantischer Datensatz mit einer Gesamtgröße von 342 GB bzw. über 10,3 Milliarden Datenpunkten.
Der Eiffelturm als 3D-Modell zum „Entdecken, Näherkommen, Besuchen“
Für den nächsten Arbeitsschritt sicherte sich das Team von Gexpertise die Unterstützung des kanadischen Ingenieurbüros WSP, das sich auf die 3D-Modellierung städtischer Räume spezialisiert hat. Nach Weiterverarbeitung der Vermessungsdaten zu knapp 200 Punktwolken mithilfe von InfraWorks von Autodesk wurden auf deren Grundlage zwei VR-Modelle generiert. Hierbei kam neben dem Autodesk-Tool 3ds Max auch die – ursprünglich zum Programmieren von Spielen konzipierte – Unreal Engine zum Einsatz.
„Wir brauchten zunächst ein Modell, das den Architektur- und Ingenieurbüros, die sich am Wettbewerb beteiligen wollten, als Grundlage für ihre Entwürfe dienen sollte“, erläutert Kevin Gilson, der bei WSP für das Projekt verantwortlich war. Dabei sei es wichtig gewesen, den Bewerbern ein Verständnis für den vorhandenen Kontext unter Berücksichtigung der städtebaulichen Vorschriften für das unter Denkmalschutz stehende Areal zu vermitteln.
Um einen Eindruck von der physischen Realität zu gewinnen, war Gilson während der Projektarbeiten selbst mehrmals in Paris. „So präzise die gewonnenen Daten sind, können sie doch nicht die Erfahrung vor Ort ersetzen“, betont er. Über die Autodesk-Plattform BIM 360 arbeitete das Team von WSP eng mit Architektur-, Stadtplanungs- und Ingenieurbüros zusammen.
Die Wettbewerbsentwürfe der vier Firmen, die es in die Endauswahl schafften, wurden anschließend von WSP in das Master-Modell eingepflegt, um daraus interaktive Modelle zu erstellen, die dann nach dem Motto des von der Stadtverwaltung initiierten Projekts „Découvrir, Approcher, Visiter“ – „Entdecken, Näherkommen, Besuchen“ – der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt wurden.
Der Countdown läuft: Bis 2023 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein
Noch bevor die Entwürfe der Jury vorgelegt wurden, standen sie auf der Website des Projekts zum Herunterladen bereit. Obwohl den vier Entwürfen ein gemeinsames digitales Modell zugrunde liegt, sodass für alle Planungsteams die gleichen Ausgangsvoraussetzungen galten, sind sie jeweils von ganz unterschiedlichen Denkansätzen geprägt.
Letztlich entschied sich die Jury für den Entwurf des Architekturbüros Gustafson Porter + Bowman und seiner Projektpartner, die sich in der Endauswahl am überzeugendsten präsentieren konnten.
Die Sanierung des Areals soll 2021 beginnen und 2023 abgeschlossen sein. Währenddessen bleibt der Eiffelturm, der nach der Corona-bedingten Schließung erst seit Ende Juni wieder geöffnet ist, weiter für die Öffentlichkeit zugänglich – wenngleich die laufenden Bauarbeiten seine Attraktivität als Fotomotiv beeinträchtigen dürften.