Skip to main content

Wie ein Röntgeninnovator aus Norddeutschland nicht nur durch Bauteile schaut, sondern vor allem in die Zukunft

VisiConsult

Erst kürzlich wurde VisiConsult von der Industrie- und Handelskammer als Weltmarktführer im Bereich der Industriellen Röntgensysteme bestätigt. Statt sich auf diesem Erfolg auszuruhen, denkt der norddeutsche Röntgeninnovator aus Lübeck bereits an die Zukunft. Zum einen durchführt das Familienunternehmen derzeit einen Generationenwechsel, zum anderen setzt es ganz stark auf die Digitalisierung von Prozessen. Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz und 3D-Druck verbunden mit einem nachhaltigen Wachstum sind bei VisiConsult keine Buzzwörter – sondern werden täglich gelebt.

Es kann vorkommen, dass VisiConsult Käse röntgen soll. So geschehen vor wenigen Jahren, als eine Dichtung in der Produktionslinie eines irischen Käseherstellers abplatzte und den Käse mit kleinen Kunststoffteilen kontaminierte. Um die zehn Tonnen Käse nicht auf den Müll zu kippen, suchte man erst einmal nach anderen Lösungen und wandte sich an den Röntgenexperten aus Norddeutschland. „Käse und Kunststoff haben eine ähnliche Dichte. Hinzukommen die vielen Luftblasen im Käse – das macht einfach zu viel Struktur, sodass wir in diesem Fall dem Käsehersteller nicht helfen konnten“, erklärt Lennart Schulenburg, Kaufmännischer Leiter von VisiConsult.

Lebensmittel sind auch nicht das, was VisiConsult vornehmlich unter die Lupe nimmt. Ebenso wenig Menschen, die geröntgt werden – die Röntgenkraft von 450 Kilovolt würde man nicht überleben. Vielmehr kommen die Kunden von VisiConsult aus der Luft- und Raumfahrt, der Öl- und Gasindustrie, der Automobilbranche und der Rüstung. Turbinenschaufeln, Motoren oder Rohre aus Stahl, Keramik, Carbon oder Titan müssen verifiziert und somit auf Schäden geprüft werden. Kleine Poren oder Risse, die durch das Schweißen, im Guss oder im 3D-Druck entstehen und vielleicht im späteren Einsatz lebensbedrohlich sein können, müssen gefunden werden. Und genau hier hat VisiConsult seine Expertise.

Autodesk Inventor
Blick in die Röntgenkabine: Die Maschine wird in Autodesk Inventor entwickelt. Credit: VisiConsult

Die tonnenschweren Röntgenkabinen, die mit Blei die Strahlung abhalten, können in bestehende Produktionslinien der Kunden sogar integriert werden. Dieser Prozess läuft vollautomatisch – oft mit Robotern –, ohne dass der Kunde den Prüfkörper aus der Linie nehmen muss und damit Zeit verliert.

VisiConsult bietet auch mobile Röntgenlösungen an – diese werden vor allem im Sicherheitsbereich angewendet. „Wird am Flughafen ein Koffer gefunden, hat die Sicherheitspolizei nur wenig Zeit, um herauszufinden, ob in dem Gepäckstück eine Bombe ist oder nicht. Sonst wird das komplette Terminal gesperrt. Unsere mobilen Röntgengeräte werden für solche Fälle dann eingesetzt“, so Lennart Schulenburg. Anwendung finden die mobilen Geräte auch auf Sportveranstaltungen, wie der Tour de France, um Fahrräder auf versteckte Elektromotoren zu prüfen. Oder in Kriegsgebieten wie in Afghanistan, um Nagelbomben und andere Sprengkörper zu identifizieren und zu entschärfen.

Expertise im 3D-Druck

Neben Guss- und Schweißteilen röntgt VisiConsult auch 3D-Druck-Erzeugnisse. Bei der Normung des additiven Herstellungsverfahrens sind noch viele Fragen offen – um wichtige Zertifizierungsentscheidungen nicht ausschließlich Wissenschaftlern und Kunden zu überlassen, engagiert sich die Geschäftsführung von VisiConsult in verschiedenen Gremien, unter anderem als Aufsichtsrat im Technikzentrum Lübeck der ortsansässigen Fachhochschule. Man ist zudem im engen Austausch mit den deutschen 3D-Druck-Experten EOS und SLM Solutions.

Röntgenkabine
Die Röntgenkabinen vermarktet VisiConsult weltweit. Größter Wachstumsmarkt ist derzeit die USA. Credit: VisiConsult

VisiConsult wurde 1996 gegründet und startete damals als Softwareunternehmen. Als Firmengründer Hajo Schulenburg erkannte, dass es einen Bedarf an industriellen Röntgengeräten am Markt gibt, wurde VisiConsult Maschinenbauer. Besonders heutzutage ist allerdings die Software wieder wichtiger denn je. Globale Trends wie Industrie 4.0 haben auch VisiConsult erreicht: Das Unternehmen hat eine eigene Konstruktions- und Automatisierungsabteilung, die Systeme an die Kundenwünsche anpasst. Neue Technologien, wie Künstliche Intelligenz (KI) und Cloud-Anbindung sind in der Erprobung, um den Prüfprozess weiter zu vereinfachen. So liefert VisiConsult bereits seit Jahren sogenannte ADR (Automated Defect Recognition)-Software aus, die Röntgenbilder automatisch auswertet. Besonders in der Massenproduktion wie im Automobil-Bereich setzen etliche führende Unternehmen die innovative Software von VisiConsult ein.

Fokus auf Industrie 4.0

„Wir wollen den Kunden so früh wie möglich mit einbinden“, so Lennart Schulenburg. Neben den CAD-Daten des Prüfkörpers wollen wir auch Meta-Daten wie Material oder Abgabetermine digitalisieren. Gelingen kann das Project Lifecycle Management mit dem Fusion Lifecycle. Dabei steuert Fusion die Informationen in einem automatisierten Prozess und verbindet so VisiConsult mit dem Kunden, noch bevor überhaupt geröntgt, geschweige denn die Röntgenkabine gebaut worden ist. „Mit diesem Management nehmen wir die Komplexität für den Kunden, weil es die Prozesse übersichtlicher und transparenter macht“, ist Schulenburg überzeugt. Damit wird VisiConsult sehr früh im Prozess aufgezeigt, welche Anforderungen der Kunde hat – was schließlich Zeit und Geld spart.

Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter bei VisiConsult ist 32 Jahre jung. Kein Wunder, dass die Digitalisierungsansätze dieses mittelständischen deutschen Unternehmens schier revolutionär sind. „Unsere DNA ist Dynamik“ – das ist Schulenburg so wichtig, dass er diesen Satz gleich mehrmals erwähnt. „Wir bleiben nicht stehen, sondern interessieren uns ganz klar für Zukunftstechnologien.“ Deswegen glaubt das Unternehmen auch an Generatives Design. Mit der KI-Lösung von Autodesk experimentiert VisiConsult derzeit, um einen Röntgen-C-Arm leichter zu bauen. Das Bauteil ist so schwer, dass Schwingungen beim Röntgen entstehen, die dann eine Unschärfe auf den Röntgenbildern verursachen können. Um das zu vermeiden, gestalteten die Konstrukteure das Teil mit Generativem Design neu und berücksichtigen dabei verschiedene Fertigungsverfahren wie den 3D-Druck.

Den Röntgen-C-Arm (orange) gestalteten die Konstrukteure von VisiConsult gemeinsam mit Autodesk-Mitarbeiter Mickey Wakefield mit Generativem Design neu. Foto: VisiConsult/Mickey Wakefield

Dadurch wurde der Arm leichter, was Material spart und keine Schwingungen mehr auf den Röntgenbildern verursacht. Credit: VisiConsult/Mickey Wakefield

Nachhaltige Produktion

Nicht nur die digitale Ausrichtung zeigt, dass VisiConsult ganz vorne mit dabei ist. Auch diverse Auszeichnungen belegen die Spitzenposition des Röntgeninnovators. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) hat das Unternehmen kürzlich als Weltmarktführer im Bereich der Industriellen Röntgensysteme bestätigt. Und erst letztes Jahr gewann VisiConsult den Großen Preis des Mittelstandes vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für Innovation. Das Motto des Preises: „Nachhaltig Wirtschaften“.

Den deutschen Großen Preis des Mittelstandes gewann VisiConsult erst kürzlich für das nachhaltige Wachstum im Unternehmen. Credit: VisiConsult

Am Beispiel der Trophäe in einer Röntgenkabine zeigt VisiConsult, was mit der Röntgentechnologie möglich ist. Credit: Friederike Voigt

„Nachhaltigkeit steht bei uns an ganz vorderster Stelle“, betont Schulenburg. VisiConsult hat das erste Bürogebäude nach Passivhausstandard in Schleswig-Holstein gebaut – weit bevor überhaupt „Umweltschutz“ in der Strategie von Unternehmen verankert war. Auf den Dächern der Fabrikhallen von VisiConsult befinden sich Solarzellen und die Energie aus den Serverräumen nutzt der Röntgenspezialist für das Beheizen der Räume. Das Unternehmen wächst momentan so sehr, dass es noch dieses Jahr eine neue Fabrikhalle bekommt – dafür kommen vor allem nachwachsende Rohstoffe in Frage. „Wir sind stark an einer Zero Impact Factory interessiert“, so Schulenburg. Selbst die Röntgenkabinen werden möglichst am Ende des Lebenszyklus recycelt – im Prinzip von Circular Economy.

Generationenwechsel im Mittelstand

Mittlerweile hat das Familienunternehmen über 100 Mitarbeiter – Tendenz steigend. Es sind florierende Zeiten für den Röntgeninnovator aus Norddeutschland, der seine Lösungen weltweit vertreibt. Ein guter Zeitpunkt, um über den bevorstehenden Generationenwechsel nachzudenken.

Der Gründer von VisiConsult Hajo Schulenburg: Er übergibt das Unternehmen derzeit an seine Söhne. Credit: Friederike Voigt

Sohn Lennart Schulenburg ist Kaufmännischer Leiter des Unternehmens. Er will die Firma in eine digitale Zukunft steuern. Credit: VisiConsult

Firmengründer Hajo Schulenburg (59) sowie seine Frau Silke Schulenburg (55) sind zurzeit dabei, die Firma an ihre Söhne weiterzugeben: Lennart Schulenburg (30) ist Kaufmännischer Leiter, Finn Schulenburg (28) Technischer Leiter und Till Schulenburg (21) studiert noch dual Elektrotechnikingenieurwesen und macht parallel eine Ausbildung zum Elektroniker.

Für die Zukunft sieht sich die Familie gewappnet: „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, setzen wir auf Softwarelösungen“, so Lennart Schulenburg. Die Maschinenbauunternehmen in Deutschland müssten ihr Geschäftsmodell grundlegend ändern, ist er überzeugt. Diesem Credo folgt VisiConsult. Hier wolle man weniger Anlagen verkaufen, sondern Prüfentscheidungen anbieten. „Der Kunde will keine Röntgenkabine, er will wissen, ob sein Prüfkörper einwandfrei ist, um zertifiziert zu werden.“ Und genau deswegen setzt VisiConsult ganz klar auf eine digitale Zukunft.

Über den Autor

Friederike Voigt war früher als Journalistin tätig und ist heute in ihrer Rolle als Content Manager bei Autodesk für Redshift in EMEA verantwortlich. Während ihres Studiums der Fächer Medienmanagement und Kunstgeschichte erhielt sie ein journalistisches Stipendium und arbeitete für die Deutsche Presse-Agentur sowie verschiedene Zeitungen und Zeitschriften wie das Cicero Magazin.

Profile Photo of Friederike Voigt - DE