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5 Dinge, die die gebaute Welt von Filmemachern und ihrer digitalen Pipeline lernen kann

Die Filmbranche ist international gut organisiert. Digitale Tools helfen ihr dabei. Kann der Bau sich hier eine Scheibe abschneiden?

In der Welt des Kinos hauchen Filmproduzenten zusammen mit Scharen talentierter Kollegen und atemberaubender Technologie Ideen Leben ein. Der Produktionsworkflow durchläuft eine digitale Pipeline: von der ersten vagen Vorstellung bis zur letzten Überarbeitung. In der gebauten Welt wird die Vision eines Architekten mithilfe eines ähnlichen Prozesses, dem BIM (Building Information Modeling) verwirklicht. Die digitale Welt liefert Gestaltern aus beiden Branchen neue Erkenntnisse – aber aus der Pipeline, die imaginäre Welten zum Leben erweckt, lassen sich einige überraschende Lehren ziehen.

Mein früherer Chef, George Lucas, hat Welten geschaffen, die so fantastisch sind, dass man sie niemals in reale Bühnenbilder hätte umsetzen können. Er war deshalb darauf angewiesen, diese Szenen digital aufzubauen. Er bat seine Schauspieler, sich vorzustellen, dass sie sich auf einem fremden Planeten befänden und dann einige bedeutungsvolle Zeilen zu sprechen. Man konnte den Schauspielern ihren Widerwillen ansehen: in einer sterilen Umgebung Emotionen und Bedeutung herbei zu zaubern, ist selbst für die besten Schauspieler eine Herausforderung. Die Darstellung vor einem Greenscreen stand im krassen Gegensatz zu den fantastischen Welten der endgültigen Filmaufnahmen. Um Kontext zu erzeugen, mussten Filmproduzenten die Welt direkt am Set so zeigen, wie sie nach dem Compositing erscheinen würde.

Heute können Filmproduzenten diese Welt in Echtzeit rendern und auf Monitoren anzeigen oder Schauspieler mit VR-Headsets (Virtual Reality) darin eintauchen lassen. Alle Beteiligten können eingebunden werden. Das hat enorme Veränderungen zur Folge.

Für den Architekten, der ein Gebäudekonzept erarbeitet, ist es wichtig, dass andere dieses Gebäude sehen und frühzeitig Rückmeldung geben. Wären die Daten live, könnte ein Planer die erforderlichen Änderungen vornehmen, bevor die Konstruktion zu weit in der „Pipeline“ vorangeschritten ist. Diese Echtzeit-Reaktionsfähigkeit steckt noch in den Kinderschuhen, sodass Architekten die Folgen getroffener Entscheidungen noch nicht sofort erkennen können. Sobald das Eintauchen in ein digitales Gebäude mit interaktiven Komponenten aus allen anderen Disziplinen in Echtzeit möglich wird, werden Architekten entscheidende Planungsentscheidungen früher treffen können.

Es gibt 5 Dinge, die man in der gebauten Welt von Filmemachern und ihrer digitalen Pipeline lernen kann:

Erst auf dem Blatt Papier, dann in der Cloud. So entsteht ein Film.
Erst auf dem Blatt Papier, dann in der Cloud. So entsteht ein Film.

1. Digitale Pipelines setzen Ideen in einen Kontext

Häufig erstellen Filmproduzenten einen digitalen Zwilling der physischen Welt im Film und verfeinern diese dann schrittweise bis zur endgültigen Realisation. Die digitale Pipeline beginnt mit der Prävisualisierung von Aufnahmen und endet mit dem Compositing von Live-Aufnahmen und dem Rendering von visuellen Effekten (VFX).

Spontane Ideen oder spontane Lösungen können diesen Prozess möglicherweise stören. Die digitale Pipeline setzt ein Szenarium in einen Kontext. Man sieht alle entscheidungsrelevanten Daten und weiß, wie eine Entscheidung sich auf die nächsten Schritte auswirken wird. So kann man eine fundierte Entscheidung treffen. Wenn bei Filmaufnahmen eine Szene nicht gut läuft, kann nämlich eine spontane Skriptänderung dazu führen, dass auch spätere Szenen umgeschrieben werden müssen.

Gemeinsam vor Herausforderungen und Einschränkungen gestellt, entwickeln wir Menschen oft unsere besten Ideen. Die wichtigste Aufgabe am Filmset ist es, von dieser Spontanität und diesem Einfallsreichtum zu profitieren. Der Regisseur lernt im Moment der Aufnahme. Das Gelernte fließt in die digitalen Aufzeichnungen ein, die dem Filmemacher als Single Source of Truth (einzige zuverlässige Datenquelle) dienen.

Wenn ein Bauunternehmer vor Ort eine Lösung erarbeitet, wird der entsprechende Datensatz nicht immer als aussagekräftig gekennzeichnet, sodass Architekten und Planer daraus hilfreiche Schlüsse ziehen könnten. Die Erfassung aller Daten entlang der digitalen Pipeline eines Bauprojekts würde Entscheidungen in einen Kontext setzen und Probleme könnten so kostengünstiger behoben werden. Eine einzige zuverlässige, für alle Gewerke zugängliche Datenquelle würde für einen reibungsloseren Workflow sorgen. Maschinen würden aus Korrekturen lernen und Architekten und Planer besser unterstützen können.

Wie bringt man alle Beteiligten am Set zusammen? Kann der Bau hier was von der Filmbranche lernen?
Wie bringt man alle Beteiligten am Set zusammen? Kann der Bau hier was von der Filmbranche lernen?

2. Parallele Workflows optimieren die Zusammenarbeit

Disziplinübergreifende Zusammenarbeit fördert die Kreativität. Filmproduzenten gehen in der Maximierung von Parallelität bis an die Grenzen. Damit meine ich, dass die Zusammenarbeit früher beginnt, länger dauert und über ein breiteres Spektrum von Disziplinen hinweg stattfindet. Ein Animator kann mit einem Lichtdesigner zusammenarbeiten, auch wenn ihre Rollen in der Produktions-Pipeline weit auseinander liegen. In parallelen Workflows entstehen und entwickeln sich Ideen rasant. Informationen fließen in alle Richtungen und es gibt viel Spielraum für Veränderung. Die Produktion beschleunigt sich, da mehr Menschen gleichzeitig zusammenarbeiten.

3. Die Postproduktion wird es schon richten“ ist keine Lösung

Eine beliebte Filmpraxis, die die Produktion notorisch verzögert und Kosten verursacht, ist das Verschieben von Entscheidungen bis zur Nachbearbeitung. Eine typische Anweisung an einen Schauspieler vor einem Greenscreen wäre: „Wir wissen noch nicht, ob das Raumschiff in diesen Baum fliegt oder von dieser Klippe fällt. Das biegen wir in der Postproduktion hin.“ Daraus ergibt sich allerdings ein Problem: Der Filmproduzent kann weder die Kosten dafür einschätzen noch die Optionen an Ort und Stelle visualisieren.

Als James Cameron im Jahr 2009 Avatar drehte, wollte er seine Vision vom Planeten Pandora und den blauen Na’vi-Figuren direkt durch das Kameraobjektiv sehen. Die ersten groben Versuche, diese imaginäre Welt und die Schauspieler darin darzustellen, waren unbefriedigend. Heute, mit vier Fortsetzungen in der Mache (die erste soll Ende 2021 veröffentlicht werden), kann der Regisseur die Schauspieler im Kontext seiner vollständig realisierten Welt sehen. Auf Basis der erforderlichen Daten in der digitalen Pipeline können kreative Entscheidungen nun in Echtzeit getroffen werden.

Dasselbe gilt für die gebaute Welt, wo ausgefeilte Visualisierungen und Aktionen in Echtzeit Entscheidungen zu einem früheren Zeitpunkt ermöglichen und so Verzögerungen und zusätzliche Kosten verhindern.

4. Klassifizierung macht Daten nutzbar

Während eines gewaltigen Projekts werden enorme Datenmengen produziert – bei einer vierteiligen, in schneller Folge gedrehten Filmreihe ebenso wie bei einem spektakulär hohen Wolkenkratzer in einem eng bebauten Stadtblock. Große Filmemacher sind in der Klassifizierung von Daten so versiert, dass Mitarbeiter weltweit Ressourcen erstellen, speichern, finden, freigeben und ändern können. Ihre Systeme sind so detailgenau, dass Experten in der Simulation von Filmfiguren eine verirrte Wimper in einer Einzelaufnahme finden und retuschieren könnten.

Die Daten einer Filmproduktion müssen ganz genau gelistet sein, um nicht im Chaos zu verschwinden.
Die Daten einer Filmproduktion müssen ganz genau gelistet sein, um nicht im Chaos zu verschwinden.

In der gebauten Welt hält, während Projektteams zusammenarbeiten, das PDM (Product Data Management) unter der strengen Aufsicht eines BIM-Managers Informationen auf dem aktuellsten Stand. Bauunternehmer haben weniger Erfahrung mit der Benennung und Sortierung von Datenmengen, sodass die Daten nicht so nützlich sind. Aber maschinelles Lernen kann hier Abhilfe schaffen.

5. Daten treiben die New Economy voran

Wenn all diese Daten erfasst und analysiert werden können, können die daraus resultierenden Erkenntnisse zu besseren Vorhersagen führen. Auf Datenwissen gestützt, können Menschen mit ihrem Einfallsreichtum die Produktions-Pipeline voll ausschöpfen, mehr Kreativität entwickeln und damit die Branche entscheidend verändern. Filmemacher werden sich in einer Datenökonomie behaupten können, in der Daten zu Innovation und Veränderung und letztlich zu besserem Storytelling führen.

In der Filmbranche verschaffte sich FuseFX, ein preisgekröntes Studio für visuelle Effekte, mit der Entwicklung einer vorausschauenden Pipeline für schnellere, kreativere Workflows einen strategischen Wettbewerbsvorteil. In der gebauten Welt hat das On-Demand-Fertigungsnetzwerk von Xometry das Zeitalter der Industrie 4.0 betreten, wo maschinelles Lernen Kunden mit passenden Zulieferern zusammenbringt – wie zum Beispiel mit einem Experten, der Requisiten für Hollywood baut. Das intelligente, autonome System führt zu kürzeren Durchlaufzeiten, besseren Preisen und höherer Kapazität. Fortschrittliche Technologien revolutionieren die digitalen Pipelines, indem sie Künstliche Intelligenz in den menschlichen Kreativprozess einbeziehen – und diesen damit verbessern.

Dieser Artikel wurde aktualisiert. Die ursprüngliche Veröffentlichung war im April 2019.

Über den Autor

Hilmar Koch leitet unsere Rechercheaktivitäten für die Autodesk-Sparte Media und Entertainment. Gemeinsam mit seinem Team erforscht er in diesem Rahmen potenzielle Szenarien und Proof-of-Concepts, die die Zukunft der Branche gestalten könnten. Ganz aktuell arbeitet er daran, Avatare zum Leben zu erwecken und beeindruckende Fantasiewelten zu schaffen. Bevor Koch sich der Medienrecherche zuwandte, war er Teil des Strategic-Foresight-Teams von Autodesk. Vor seiner Zeit bei Autodesk war Koch Head of Computer Graphics, Director of Virtual Production und Director of the Advanced Development Group bei Industrial Light and Magic und bei Lucasfilm und war Teil zahlreicher Produktionen wie Avatar, Star Trek, Transformers, Star Wars III, Star Wars VII, Harry Potter und der Stein der Weisen, Hulk, Perfect Storm, Galaxy Quest und Pearl Harbor. Koch studierte Mathematik und Computergrafik und wurde 2010 für die Entwicklung der Umgebungsverdeckung für den Dreh des Films Pearl Harbor mit einem Oscar ausgezeichnet.

Profile Photo of Hilmar Koch, Autodesk Director - DE