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DfMA: Bryden Woods konstruktiver Weg zur Netto-Null-Bauweise

Das Unternehmen Bryden Wood plante den zehnstöckigen Bürokomplex „The Forge“ in seiner Heimatstadt London sehr erfolgreich nach DfMA-Prinzipien.

  • Hinter dem Begriff „Design for Manufacturing and Assembly“ (DfMA) verbirgt sich eine Methode, mit der sich nicht nur Prozesse und Produkte in der Fertigungsindustrie, sondern auch Bauvorhaben optimieren lassen
  • Durch die Anwendung der Methode auf das Planen und Bauen lassen sich Projekte in Bezug auf ihre Kosten, Bauzeiten, Komplexität und Umweltauswirkungen dramatisch verbessern
  • Als Pionier der DfMA-Methode zeigt das Londoner Ingenieur- und Planungsunternehmen Bryden Wood, wie DfMA-Prinzipien sich auf verschiedene Projekte anwenden lassen

Angesichts einer explosionsartig wachsenden Weltbevölkerung ist der Anspruch an die Leistungsfähigkeit der Baubranche hoch. Damit die Menschen wohnen, arbeiten und gut versorgt werden können, werden unvorstellbare Summen investiert. Die Forderung: mehr bauen – und zwar schnell. Dabei läuft am Bau längst nicht immer alles wie am Schnürchen. Pandemien, Extremwetter und geopolitische Unruhen können Lieferketten unterbrechen und Liefertermine über den Haufen werfen. Zudem erschwert ein notorischer Fachkräftemangel die kosten- und fristgerechte Fertigstellung manch ehrgeiziger Vorhaben.

Wie also können Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer auf diese Herausforderungen reagieren? In Bauprojekten haben sich Zeit- und Kostenrisiken und vergleichbare Unwägbarkeiten noch nie vollständig eliminieren lassen, wenngleich zahlreiche Bauprozesse durch den Einsatz entsprechender Fertigteile und neuer Produkte kontinuierlich rationalisiert werden konnten. So ist ein Rohbau aus Fertigteilen im Rekordtempo errichtet und Innenräume sind mit Klickparkett oder Bekleidungssystemen schneller bezugsfertig als je zuvor. Doch das allein reicht scheinbar nicht.

Um den entscheidenden Schritt voranzukommen, nehmen sich Unternehmen aus der Baubranche zunehmend ein Beispiel an der Fertigungsindustrie. Dort hat sich eine Methode durchgesetzt, die sich Design for Manufacturing and Assembly – kurz DfMA – nennt. Gemeint sind Entwurfsprinzipien, die auf eine möglichst einfache Fertigung (Manufacturing) und Montage (Assembly) eines bestimmten Produkts abzielen. DfMA folgt dem Trend hin zum Bauen mit industriell vorgefertigten Bauteilen und einer fertigungsorientierten Planung. Die Idee: Gebäudesysteme und sogar ganze Gebäude sollen aus separaten, miteinander verbindbaren Fertigprodukten zusammengesetzt werden. Im Kern der DfMA-Denkweise stehen Entwurfsprinzipien, die einen produktiven Einsatz von Fertigprodukten und vorgefertigten Baugruppen ermöglichen. Bauprodukte und Bauelemente können in spezialisierten Werken besonders effizient vorgefertigt werden. Anschließend werden sie auf die Baustelle geliefert, wo sie schnell und mühelos zu einem fertigen Bauwerk zusammengefügt werden.

Mit Bryden Wood zeigt ein Pionier der DfMA-Methode, was in Sachen Effizienz und Nachhaltigkeit möglich ist.
Für den Gebäudekomplex „The Forge“ entwickelte Bryden Wood eine plattformbasierte Bauweise. Ähnliche Konzepte gibt es im Automobilbau, wo dieselbe Plattform für verschiedene Modelle verwendet wird. Credit: Bryden Wood

Zu den ausgesprochenen Vorreitern der DfMA-Methode zählt das Londoner Planungs- und Ingenieurunternehmen Bryden Wood. Bereits vor zwei Jahrzehnten suchte man hier nach einem Ansatz, mit dem sich die Effizienz und Sicherheit einer industriellen Massenfertigung mit dem individuellen und handwerklichen Charakter von Bauprojekten verbinden lassen.

Jedes neue Bauwerk muss auf die eine oder andere Weise aus Einzelteilen zusammengesetzt werden. Bei Bryden Wood stellte man sich die Frage, wie groß diese Einzelteile, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden, idealerweise sein sollten: Warum kleine Einheiten wie Mauersteine oder Rohre verwenden, wenn man auch große Baugruppen und Module vorfertigen kann? Schließlich versprach man sich von diesem Ansatz Kostenersparnisse und Optimierungen an allen Ecken und Enden im Bauprozesses.

An der Grenze der Leistungsfähigkeit

„Über die Idee reden wir schon seit Jahrzehnten, wir konnten sie aber bis vor Kurzem nicht umsetzen“, sagt Jaimie Johnston, Leiter der Abteilung Global Systems bei Bryden Wood. „DfMA steht jetzt plötzlich im Mittelpunkt, weil die Methode für mehr Nachhaltigkeit sorgen kann und Lösungen für die demografischen Herausforderung im Wohnungsbau verspricht. Schließlich soll die Weltbevölkerung bis 2100 auf elf Milliarden Menschen anwachsen. Für diese Menschen muss nicht nur zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden. Wir brauchen natürlich auch mehr Investitionen in Bildungseinrichtungen, medizinische Versorgungseinrichtungen, die Siedlungswasserwirtschaft oder in Rechenzentren. Diese Bedürfnisse sind nicht von der Hand zu weisen. Unsicher bleibt, ob wir in der Lage sein werden, diese zu befriedigen.“

•Als Pionier der DfMA-Methode zeigt das Londoner Ingenieur- und Planungsunternehmen Bryden Wood, wie DfMA-Prinzipien sich auf verschiedene Projekte anwenden lassen
Bei einem Projekt zur Verbesserung der Verkehrsanbindung zwischen den Terminal-Piers des Flughafens London Heathrow setzte Bryden Wood auf eine digitale Lösung mit BIM. Credit: Bryden Wood

„Wenn wir das schaffen wollen, brauchen wir in jedem Fall eine ganz neue Strategie“, mahnt Johnston. „Selbst wenn es uns gelänge, mit der heutigen Art und Weise alle Bauwerke zu errichten, die diese Menschen benötigen, würden wir damit unsere Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zerstören.“

Im Moment sei die Diskrepanz zwischen dem, was wir bauen müssen, und dem, was wir bauen können, zu groß. Seiner Meinung nach sind wir demnach auf technologische Verbesserungen angewiesen. „Die Branche schiebt dieses Problem schon lange vor sich her. Die Hoffnung heute besteht darin, dass die zuletzt schnell voranschreitende Verbreitung von BIM und die Digitalisierung des Bauwesens, die wir seit Beginn der Pandemie erleben, das Denken der Menschen nachhaltig verändern.“

Bryden Wood wendet BIM schon seit Jahren bei Großprojekten an – darunter bei so bedeutenden Vorhaben wie die groß angelegten Ausbaumaßnahmen für die Londoner Flughäfen Heathrow und Gatwick. Auch für das ambitionierte Eisenbahnverkehrsprojekt „Big Dig“, das durch die Einrichtung einer Ost-West-Verbindung über die Elizabeth Line (früher Crossrail) für Entlastung des Londoner U-Bahn-Netzes sorgen soll, kam die Methode zum Einsatz. Bei all diesen Projekten waren die Entwürfe auf ein hohes Maß an industrieller Vorfertigung ausgelegt, bei der die Bauteile auf der Baustelle lediglich montiert werden.

Maßgeschneiderte Bautechnik der modernsten Art

Die Planungen von Bryden Wood für die Flughäfen Heathrow und Gatwick sollten an beiden Standorten jeweils den Verkehr zwischen den Terminal-Piers erleichtern und verbessern, an denen die Flugsteige mit den Flugzeugen so gruppiert sind, dass die Platznutzung maximiert wird. Für das Projekt wurden mehr als 1,5 Kilometer neue Verbindungswege geschaffen.

Um die Beeinträchtigung für Flugreisende so gering wie möglich zu halten, plante das Unternehmen den Aufbau spezieller Produktionsstätten etwas außerhalb der einzelnen Flughäfen, in denen ganze Tunnelabschnitte vorgefertigt werden konnten. Diese wurden anschließend zu den nahegelegenen Flughäfen transportiert und dort zügig verbaut.

DfMA-Pionier Bryden Wood: Bahnhof der Elizabeth Line
Für die Verkleidung der Bahnhöfe der Elizabeth Line entwickelte Bryden Wood eine spezielle Lösung mit vorgefertigten Paneelen, die auf der Baustelle nur noch montiert werden mussten. Credit: Bryden Wood

Für das Londoner U-Bahnprojekt Elizabeth Line wurde Bryden Wood mit der Entwicklung von Paneelen zur Verkleidung der neuen Bahntunnel an den stark frequentierten Bahnhöfen Tottenham Court Road, Liverpool Street und Whitechapel beauftragt. Das Unternehmen spielte seine ganze Erfahrung mit der DfMA-Methode aus und entwickelte Verkleidungselemente, die werkseitig vorgefertigt und anschließend sehr schnell auf der Baustelle verbaut werden konnten.

Büroräume neu gedacht

The Forge ist ein Gewerbekomplex in London, der von Bryden Wood in Zusammenarbeit mit dem Bauträger Landsec errichtet wurde. Er besteht aus zwei zehnstöckigen Bürogebäuden, die sich zwischen dem Shard Tower und dem Kunstmuseum Tate Modern auf dem anderen Ufer gegenüber der St.-Pauls-Kathedrale erheben. „Dieser Teil Londons ist mit Sicherheit etwas Besonderes. Die Standortbedingungen sind in jeder Hinsicht eine Herausforderung für sich“, erklärt Johnston zu den Vorbedingungen des Projekts. „Die Gebäudearchitektur sollte sich örtlich stimmig einfügen. In dieser Gegend kann man nicht anfangen zu bauen, ohne alle Interessenträger umfassend zu beteiligen. Daher kam es für uns nicht infrage, ein Bauwerk aus großen Bauteilen zu errichten.“

Der innovative Beitrag von Bryden Wood zu diesem Projekt bestand in der Anwendung einer neuartigen plattformbasierten Bauweise auf Bürogebäude, die ursprünglich für britische Strafvollzugsbauten entwickelt worden war. Bei den modularen Plattformen handelt es sich um produktbasierte, vorgefertigte Standardkomponenten, die auf der Baustelle stets nach der gleichen Methode montiert werden. Dabei erinnert das Prinzip an die Automobilherstellung. Auch hier bezeichnet der Begriff „Plattform“ die technische Basis, auf der verschiedene Modelle aufbauen. Ein ähnliches plattformbasiertes System kann die Errichtung von Gebäuden erheblich beschleunigen.

DfMA: Die einzelnen Bauteile für das Projekt „The Forge“ greifen ineinander und sind perfekt auf die anderen Bauteile abgestimmt.
Die einzelnen Bauteile für das Projekt „The Forge“ greifen ineinander und sind perfekt auf die anderen Bauteile abgestimmt. Credit: Bryden Wood

Die Einzelkomponenten für „The Forge“ weisen ein Raster mit neun Metern Spannweite auf. Der Rahmen wird durch ein Verbundtragwerk aus Stahl und Beton gebildet. Die Hauptträger werden bereits mit aufeinander abgestimmten Aussparungen für Ver- und Entsorgungsleitungen vorgefertigt. Die geschosshohen Stützen der Plattformen sind ebenfalls standardisiert. Die Querschnitte der Stützen im Erdgeschoss sind größer, um die Lasten der darüberliegenden Stockwerke aufzunehmen.

„Anstatt für jedes Projekt neue Systeme zu erfinden, konnten wir nach dem Vorbild von IKEA oder Lego ein Baukastensystem mit Komponenten erstellen, mit denen sich alles bauen lässt“, erklärt Johnston den pragmatischen Ansatz. „Die Bauteile passen alle zueinander“. Er verweist auch auf den Vorteil, dass die Planenden des Unternehmens beim plattformbasierten Entwerfen ebenso einfach digitale Modelle für das Gebäude erstellen können.

„Wir haben lediglich ein paar wesentliche Parameter festgelegt und die Software hat automatisch einen Datensatz erzeugt, mit dem das Gebäude beschrieben werden konnte, und der die Grundlage für das Modell wurde“, erklärt er. „Es ist unglaublich, wie schnell das ging. Wenn wir Änderungen am Gebäudeentwurf vornahmen, brauchten wir nicht zurück in das Modell gehen, um es anzupassen. Wir haben einfach ein neues erstellt. Das dauerte gerade einmal 20 Minuten. Diese Produktivität eröffnet uns neue Welten.“

Auch die Verbesserungen hinsichtlich der Ausführungsgenauigkeiten und der Zeiteinsparungen sind beeindruckend. Da die Plattformen vorgefertigt und standardisiert geliefert werden, konnte der Zeit- und Materialaufwand für die Korrektur und Anpassung bei Toleranzproblemen, die normalerweise bei den Ausbaugewerken auftreten, fast vollständig eliminiert werden.

Durch die Standardisierung der Bauteile und eine fertigungsgerechte Planung konnten die Treibhausgasemissionen, die im Lebenszyklus des Gebäudekomplexes entstehen, im Vergleich zu den bisher üblichen Bauweisen um 30 % gesenkt werden. Damit ist „The Forge“ das erste Projekt, bei dem der Standard für ein Bürogebäude mit Netto-Null-Emissionen des UK Green Building Council erreicht wird.

Dank der DfMA-Prinzipien wird industrielles Planen und Bauen wirtschaftlich und klimafreundlich: „The Forge“ ist das erste Gebäude in Großbritannien in Netto-Null-Bauweise.
Dank der DfMA-Prinzipien wird industrielles Planen und Bauen wirtschaftlich und klimafreundlich: „The Forge“ ist das erste Gebäude in Großbritannien in Netto-Null-Bauweise. Credit: Bryden Wood

BIM als Wegbereiter

Für Johnston wären diese Fortschritte ohne BIM nicht vorstellbar. „BIM fördert eine bestimmte Art und Weise der Zusammenarbeit“, erklärt er. „Als wir noch mit 2D-Zeichungen auf dem Papier arbeiteten, blieben Probleme auch mal unerkannt und wurden erst während der Bauausführung offenbar. Die Arbeit mit BIM bietet eine viel bessere räumliche Koordination. Irgendwann wird einem dann klar, wie lächerlich es im Grunde ist, aus einem so sorgfältig erstellten Modell wieder tausende Zeichnungen zu machen, die man den einzelnen ausführenden Gewerken in die Hand drückt.“

Um die zentrale Rolle von BIM zu erklären, führt Johnson die Arbeit am Bahnprojekt Elizabeth Line als Beispiel an. Jeder Aspekt des Entwurfs wurde zunächst in Autodesk Revit modelliert. Dabei wurden mit Dynamo automatisch hunderte Optionen für die Fertigung und Montage erzeugt. Zur Optimierung des Montageprozesses und zur Ermittlung der effizientesten Reihenfolge bei der Lieferung und Montage verwendete Bryden Wood Autodesk Navisworks.

„Die Baubranche konnte mit der DfMA-Methode erst durchstarten, als diese digitalen Werkzeuge für uns verfügbar wurden“, sagt er. „Die Anwendung von BIM stellt sowohl einen technischen als auch ein kulturellen Wandel dar, der neue Arbeitsweisen ermöglicht. Erst dadurch wurden die Grundlagen für den breiten Einsatz von Technologien wie DfMA geschaffen – weil sie auf BIM aufbauen.“

Über den Autor

Mark de Wolf ist freier Journalist und preisgekrönter Copywriter, der sich auf Technologie-Themen spezialisiert hat. Er wurde im kanadischen Toronto geboren, beschreibt sich selbst als „Made in London“ und lebt heute in Zürich. Sie erreichen ihn online unter markdewolf.com.

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