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Dieses Start-up will eine Milliarde Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre holen

Eine kosteneffiziente DAC-Technologie, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen
Heirloom hat eine kosteneffiziente DAC-Technologie entwickelt, die sich die chemischen Eigenschaften von Kalkstein zunutze macht, um CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen und dauerhaft zu binden. Credit: Heirloom.
  • Um die Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius über den vorindustriellen Werten zu begrenzen, muss es nicht nur gelingen, die gegenwärtigen und zukünftigen Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, sondern auch, historische Emissionen aus der Atmosphäre zu entfernen 
  • Ein vielversprechender Lösungsansatz, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen, stammt von dem US-amerikanischen Start-up-Unternehmen Heirloom
  • Das kosteneffiziente DAC-Verfahren (Direct Air Capture) des Unternehmens macht sich die chemischen Eigenschaften von Kalkstein zunutze; das dabei aufgefangene CO2 wird durch Verpressung in Untergrundgesteinen dauerhaft gespeichert oder zu Beton verarbeitet

Die biblischen Ausmaße einer 40-tägigen Überschwemmung, die „alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel [bedeckte]“ und fast die gesamte Weltbevölkerung ausmerzte, hätten das tatsächlich auf der Erde vorhandenen Wasservolumen bei weitem überstiegen. Indes deuten archäologische Funde und geowissenschaftliche Erkenntnisse darauf hin, dass der Mythos von der gottgesandten Sintflut auf einer historischen Flut beruht, die vor gut 8.000 Jahren zur Entstehung des Schwarzen Meers führte.

Die existenzielle Bedrohung durch Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen – extreme Hitze- und Kältewellen, Dürrezeiten, Flächenbrände, Schneestürme, Tornados, Orkane, Tsunamis, … – mag so alt sein wie die Menschheit selbst. Im Zuge der Klimakrise hat sie sich jedoch radikal verschärft. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO stellen Extremwetterereignisse heute die größte Gesundheitsgefahr für die Menschheit dar.

WHO-Prognosen zufolge ist davon auszugehen, dass die Klimakrise im Zeitraum zwischen 2030 und 2050 jährlich 250.000 zusätzliche Todesfälle aufgrund von Unterernährung, Malaria, Diarrhöe und Hitzestress verursachen wird – zum Großteil in einkommens- und strukturschwachen Regionen.

Um diesen klimabedingten Anstieg der Sterblichkeit zu verhindern, muss die aktuell projizierte Erderhitzung halbiert werden – von 3 auf 1,5 Grad Celsius über den vorindustriellen Werten –, wie das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) anmahnt. Voraussetzung dafür ist, dass es nicht nur gelingt, die gegenwärtigen und zukünftigen Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, sondern auch, historische Emissionen aus der Atmosphäre zu entfernen. Nach Einschätzungen des IPCC geht es dabei um sechs bis zehn Gigatonnen pro Jahr im Zeitraum bis 2050.

Die verfügbaren Ansätze zur Bewältigung dieser massiven Aufgabe reichen von technisch anspruchsvollen Methoden zur CO2-Sequestrierung bis zum Pflanzen von Bäumen als natürliche Kohlenstoffspeicher. Ein vielversprechender Lösungsansatz stammt von dem US-amerikanischen Start-up-Unternehmen Heirloom, dessen kosteneffiziente DAC-Technologie (Direct Air Capture) sich die chemischen Eigenschaften von Kalkstein zunutze macht, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen und dauerhaft zu binden.

Das CO2 wird aus der Atmosphäre geholt und im Kalkstein gespeichert
Das in Kalkstein gebundene CO2 wird durch Erhitzen freigesetzt, aufgefangen und dauerhaft gespeichert. Credit: Heirloom.

Warum bietet sich Kalkstein an, um CO2 aus der Atmopshäre zu holen?

Als Direct Air Capture wird ein Verfahren zur Gewinnung von CO2 aus der Umgebungsluft bezeichnet, das sich durch präzise Messbarkeit und hochgradige Skalierbarkeit auszeichnet. Die von Heirloom entwickelte Technologie verbindet diese Vorteile mit dem natürlichen Vorgang der CO2-Karbonatisierung, Dabei wird CO2 mit Mineralien – in diesem Fall eben mit Kalkstein (CaCO3) – reagiert, um Karbonate zu bilden und so CO2 dauerhaft zu speichern.

„Kalkstein ist eine chemische Verbindung aus Kalziumoxid und CO2“, erläutert Max Scholten, Head of Commercialization bei Heirloom. „Wenn man ihm das CO2 entzieht, will das Kalziumoxid, also Kalk, zu seinem natürlichen Zustand zurückkehren und saugt entsprechend das CO2 aus der Atmosphäre. Bei Heirloom haben wir nun eine Technologie entwickelt, die diesen natürlichen Vorgang beschleunigt, sodass die CO2-Absorption statt mehrerer Jahre nur noch drei Tage dauert.“

Die Lösung von Heirloom beruht auf dem Verfahren der thermischen Regenerierung. In der Prototyp-Anlage im nordkalifornischen Brisbane – einem modularen Gebäude, das in Serienfertigung reproduziert werden kann – wird Kalkstein in Pulverform in mit erneuerbaren Energien betriebenen Brennöfen erhitzt. Das dabei freigesetzte CO2 wird aufgefangen und gespeichert.

Zur dauerhaften Sequestrierung des CO2 stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Teils geschieht sie durch Verpressung in Untergrundgesteinen gemäß den Vorschriften für Class VI Wells der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA, teils auch durch Lösung in Wasser. Das isländische Unternehmen Carbfix beispielsweise injiziert karbonisiertes Wasser in die Erde, wo es mit unterirdischem Basaltgestein reagiert und buchstäblich versteinert. Einen Schritt weiter geht der Betonhersteller CarbonCure, der das karbonisierte Wasser nicht nur sicher entsorgt, sondern als Werkstoff zur Betonherstellung weiterverarbeitet.

„Wenn wir die Klimakrise durch CO2–Sequestrierung im großen Maßstab bewältigen wollen, spielen diese unterschiedlichen Techniken alle eine wichtige Rolle“, ist Scholten überzeugt und verweist auf die Geschäftspartnerschaft seines Unternehmens mit CarbonCure. „Das CO2, das Heirloom aus der Umgebungsluft entzogen hat, wurde dauerhaft in Beton gespeichert und für Infrastrukturprojekte im Umkreis von San Francisco verwendet. Beton ist der weltweit am häufigsten verwendete Baustoff und eignet sich hervorragend zur dauerhaften Sequestrierung von CO2. Das Ausmaß der Klimakrise sowie die ambitionierten Klimaziele des Bundesstaats Kalifornien machen eine sofort umsetzbare Lösung unerlässlich – wir können nicht abwarten, ob vielleicht in Zukunft effektivere Ansätze entwickelt werden.“

Wissenschaftler beim Testen einer Probe. Die Mission: CO2 aus der Atmosphäre holen
Wissenschaftler beim Testen einer Probe: Kalziumkarbonat (Kalkstein) ist eine chemische Verbindung aus Kalziumoxid und CO2. Credit: Heirloom.

Das aus der thermischen Regenerierung erzeugte Kalziumoxid (CaO) wird mit Wasser verbunden und zur Absorption von CO2 aus der Atmosphäre eingesetzt. Dadurch entsteht Kalkstein, der dann erhitzt wird, sodass der Regenerierungszyklus wieder von vorne beginnt.

Bei diesem Verfahren bleibt der Kalkstein in seinen chemischen Eigenschaften unverändert und kann jederzeit als Rohstoff für die Papierherstellung, Wasseraufbereitung oder zu landwirtschaftlichen Zwecken weiterverarbeitet werden.

Ausnutzung von Skaleneffekten durch Branchenpartnerschaften

Bis 2035 will Heirloom pro Jahr eine Milliarde Tonnen CO2 aus der Atmosphäre holen, wie Scholten berichtet – das entspricht etwa 20 % der gesamten CO2-Emissionen in den USA nach heutigem Stand und 10 bis 20 % der für 2035 projizierten Emissionen.

Realistisch ist dieses ehrgeizige Ziel nur, wenn es gelingt, die Kosten für die CO2-Sequestrierung auf unter 100 USD pro Tonne zu senken. Erste Voraussetzung dafür ist die Optimierung der operativen Effizienz, die mithilfe der AutoCAD-Software von Autodesk erreicht werden soll. Konkret arbeitet Heirloom vor allem mit dem im Lieferumfang inbegriffenen Electrical-Toolset, das Spezialfunktionen für die elektrotechnische Planung bereitstellt.

Das CO2 wurde aus der Atmosphäre geholt und bei Infrastrukturprojekten im Beton gebunden
Das aus der Umgebungsluft entzogene CO2 wurde dauerhaft in Beton gespeichert und für Infrastrukturprojekte im Umkreis von San Francisco verwendet. Credit: Heirloom.

Das Toolset habe sich insbesondere bei der Planung der Elektroschalterbretter für die Steuersysteme als unverzichtbar erwiesen. „Ohne die Geräte, die wir damit entwickeln, testen und betreiben, würde unser Verfahren zur CO2-Gewinnung nicht funktionieren“, erläutert Scholten.

Durch Ausnutzen von Skaleneffekten kann Heirloom ebenfalls wesentlich zur Optimierung der Effizienz und damit zur Kostensenkung beitragen. Konkret heißt das: Je mehr Anlagen zur CO2-Sequestrierung das Unternehmen betreibt, desto kosteneffizienter kann es wirtschaften.

„Je mehr Kunden unsere modularen Anlagen nutzen, desto kosteneffizienter können sie wirtschaften. Hier kommt das Prinzip der Erfahrungskurve zum Tragen – ganz ähnlich, wie wir es bei Solarzellen, Lithium-Ionen-Batterien und anderen modularen Technologien erlebt haben“, meint Scholten. „Die bisherige Nachfrage ist durchaus zufriedenstellend, reicht aber noch nicht aus, um ein nachhaltiges Wachstum zu gewährleisten. Voraussetzung dafür wären langfristige Abnahmeverträge mit mehreren hundert Kunden. Dadurch ließe sich die Reifung dieser Technologie enorm beschleunigen.“

Mit der Unterzeichnung eines Abnahmevertrags mit Microsoft im September 2023 ist sein Unternehmen der Realisierung dieses Ziels ein ganzes Stück näher gekommen. Der Tech-Riese hat Heirloom mit der Entfernung von bis zu 315.000 Tonnen CO2 über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren beauftragt.

Scholten verspricht sich einiges von dieser Geschäftspartnerschaft, bei der es sich seiner Aussage zufolge um einen der bisher umfangreichsten Deals in der Geschichte der kommerziellen CO2-Sequestrierung handelt. „Der Vertrag mit Microsoft wird als Katalysator wirken, der uns die Finanzierung weiterer DAC-Anlagen ermöglicht – durchaus vergleichbar mit den Stromabnahmeverträgen, die die Entwicklung von Wind- und Solarprojekten vorangetrieben haben“, hofft er. „Mit Blick auf die Zukunft freuen wir uns auf den Bau von größeren Anlagen, um die mit unseren Käufern vereinbarten Vorauskäufe erfüllen und bis 2035 ein Auftragsvolumen im Gigatonnen-Bereich realisieren zu können.“

Über den Autor

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

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