Als Beispiel nennt sie die organisch geschwungenen Gehäuse von Seeschnecken, deren Steifigkeit gerade nicht durch hohen Materialverbrauch entstehe, sondern allein „durch die Formgestaltung“ erreicht werde.
In ihrer Tätigkeit als Ingenieurin arbeitet Adriaenssens derzeit an Schutzschirmen, die aufgrund ihrer Gestaltungsmerkmale – Elastizität, Geometrie und Thermobimetallen – auf Sonnenlicht reagieren, ähnlich wie sich eine Blüte öffnet und schließt. In der Praxis haben sich bionische Verfahren bislang eher in der Architektur als in der Ingenieurwissenschaft durchgesetzt. Dabei gibt es gute Gründe für die Annahme, dass letztere eine noch stärkere Affinität zur Bionik aufweist. So formschön naturgegebene Erscheinungen oft ausfallen, spielt die Ästhetik in der Biologie – anders als in der Architektur – allenfalls eine sehr untergeordnete Rolle. Wie für den Ingenieur hat das Nützlichkeitsprinzip in der Natur oberste Priorität, während Anmut und Symmetrie bloße Nebenprodukte sind.
Jenny Sabin lehrt als Professorin für Architektur und leitet das Sabin Design Lab an der Cornell University. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt sind photolumineszente Gewebe, deren Strukturen unverkennbar auf biologischen Vorbildern beruhen. Bei ihrer Herstellung kommen Stricktechniken zum Einsatz, die den Aufbau und das Verhalten von Zellgeweben nachahmen. „Die gesamte Morphologie basiert auf Faserstrangbündeln“, erläutert sie. „Stricken ist die Ursprungsform des 3D-Drucks. Dabei wird im additiven Verfahren Reihe um Reihe eine Masche an die andere gekettet.“
Bei ihrem Projekt eSkin (mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation in Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen aus der Werkstoffkunde, Elektro- und Systemtechnik und Zellbiologie) arbeitet die Wissenschaftlerin mit struktureller Farbe, um die Opazität und Farbe eines Werkstoffs abhängig vom Sonnenlichteinfall zu verändern.
In der Natur lässt sich strukturelle Farbe beispielsweise bei den Flügeln von Schmetterlingen der Morpho-Gattung oder dem Gefieder von Kolibris beobachten. Dem eSkin-Team dient dieses einzigartige Zellverhalten als Inspiration für die Erforschung des bionischen Potentials dieser Materialeigenschaften und -effekte. Diese lassen sich etwa bei der Entwicklung skalierbarer Gebäudehüllen unter Einsatz reaktionsfähiger Werkstoffe und sensorischer Rückkopplungsschleifen nutzbar machen, die auf Umweltsignale reagieren.
Die Installation „Apertures“ der Firma B+U Architecture arbeitet ebenfalls mit Rückkopplungsschleifen, wobei jedoch gleich ein ganzes Gebäude als Organismus begriffen wird. Die futuristisch anmutende Installation aus weißen thermogeformten Kunststoffpolymeren, die an die Rüstungen der imperialen Sturmtruppen aus „Krieg der Sterne“ erinnern, ist mit Wärmesensoren versehen.
Sobald sich Besuchende den an Bullaugen erinnernden Öffnungen nähern, melden die Sensoren ihre Präsenz. Die entsprechenden Wärmedaten werden dann (als Stellvertreter für Blutkreislauf und neurologische Aktivität) automatisch in einen Algorithmus eingegeben, der sie in Klänge übersetzt. Der Summton, der die Präsenz von Menschen anzeigt, wird immer lauter, je mehr Besuchende die Installation betreten.