BIM in der Architektur: Das neue Kulturzentrum in Peking
- Im Rahmen der Stadterneuerung entsteht am historischen Kaiserkanal in Peking ein neues Gebäudeensemble aus drei „Kultur-Containern“ – Opernhaus, Theater und Konzertsaal
- Die Realisierung des ambitionierten Bauprojekts unter Mitwirkung mehrerer unterschiedlicher Fachdisziplinen war nur durch effiziente Zusammenarbeit möglich
- Zur Optimierung der Akustik innerhalb der komplexen räumlichen Strukturen kamen neben BIM in der Architektur auch andere intelligente digitale Bautechnologien wie Roboter und 3D-Scanner zum Einsatz
Mit einer Länge von über 1.700 km ist der Kaiserkanal, der seit über einem Jahrtausend den Norden Chinas mit dem Mündungsgebiet des Jangtsekiang verbindet, die weltweit längste von Menschen geschaffene Wasserstraße. Seit 2014 ist er von der UNESCO als Welterbe der Menschheit anerkannt. Wenngleich der Kanal heute viel von seiner einstigen wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung verloren hat, lassen ihn aktuelle Stadterneuerungsprojekte zunehmend wieder ins öffentliche Interesse rücken.
Im Zentrum dieser Stadterneuerung steht der Pekinger Bezirk Tongzhou am Nordende des Kanals. Hier entsteht unter anderem ein neuer Theaterkomplex, der unter der englischen Bezeichnung Sub Center Theater bekannt ist und 2023 von den Fachpublikationen Dezeen und ArchDaily als beachtenswerter Neubau gewürdigt wurde. Der Komplex besteht aus drei Einzelgebäuden – einem Opernhaus, einem Theater und einem Konzertsaal – mit insgesamt 5.500 Plätzen auf einer Gesamtfläche von 125.300 m2. Ihre Bezeichnung als „Kultur-Container“ spielt auf ihre äußere Form an, die inspiriert ist von den Kornspeichern und Segelbooten entlang des geschichtsträchtigen Kanals.
Digitalisierung in der Architektur ermöglicht reibungslose Planung und Zusammenarbeit
Aufgrund ihrer komplexen architektonischen Strukturen und strengen akustischen, werkstoffbezogenen und technischen Anforderungen erfordert die Planung und Errichtung von Theaterbauten ein hohes Maß an Zusammenarbeit zwischen Experten aus sehr unterschiedlichen Fachdisziplinen, die sich oft schwierig gestalten kann. Das gilt erst recht für den Bau einer komplexen heterogenen Struktur aus drei Einzelgebäuden.
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen setzte das Nationale Zentrum für Darstellende Künste ein professionelles Management-Team ein, das sämtliche Phasen des Bauprojekts beaufsichtigen soll, wie die für das Projekt verantwortliche Ingenieurin Fu Yadi von der Beijing Construction Engineering Group (BCEG) berichtet. Dieses Team war unter anderem für die Konfiguration und Optimierung des Bühnenlayouts unter Berücksichtigung von Nutzungsprojektionen zuständig.
„Bei diesem Projekt haben wir die modellbasierte Planung und Zusammenarbeit sehr erfolgreich umgesetzt. Aufgrund der Komplexität des Projekts selbst sowie der Zusammenarbeit zwischen einer hohen Anzahl von Mitwirkenden aus unterschiedlichen Disziplinen wäre es unmöglich gewesen, nur mit 2D-Zeichnungen zu arbeiten“, ist Fu überzeugt und verweist als Beispiel auf die Planung des Bühnenbereichs. Angesichts der Vielzahl von dünnen Anschlagseilen und Stahlstreben wären Kollisionen und Nachkorrekturen beim Arbeiten mit zweidimensionalen Modellen quasi vorprogrammiert gewesen.
Evolutionsschub dank BIM und Digitalisierung der Architektur
Dank der rapiden Entwicklung intelligenter Bautechniken, digitaler Technologien und Gebäudedatenmodellierung (BIM) steht Architekten und Ingenieuren mittlerweile eine breite Palette an fortschrittlichen Techniken und Tools für die effiziente Bauplanung und -ausführung zur Auswahl. Bei der Planung des Pekinger Theaters wurde mithilfe von BIM-Technologie ein solides digitales Fundament für die Projektabwicklung gelegt.
Im Unterschied zu früheren Theaterbauprojekten, bei denen man ohne physische Modelle für Spezialanfertigungen wie Bühnenmechanik und Theatersitze auskommen musste, habe der Einsatz von BIM eine umfassende Modellierung in der Planungs- und Konstruktionsphase ermöglicht, berichtet Fu. In Zukunft will BCEG die Technologie während der gesamten Projektabwicklung einsetzen und auch die Möglichkeiten zur interdisziplinären Zusammenarbeit und Datenintegration verstärkt nutzen. Großes Interesse bestehe auch an der Extraktion von Daten zur Wiederverwendung bei künftigen Projekten.
Als staatliches Bauvorhaben von internationaler Bedeutung mit hochgradig komplexen Strukturen aus ineinander verschachtelten Räumen und Gebäuden kann das Projekt in sämtlichen Phasen von intelligenten Bauanwendungen profitieren. Die Autodesk-Programme Revit und Navisworks unterstützten die modellbasierte Planung, und auch zur Organisation der Arbeitsabläufe und prozessintegrierten Baustellenverwaltung setzte man auf digitale Tools.
Der Einsatz zahlreicher Hardware- und Software-Lösungen sowie 3D-Laserscanner und VR-Technologien in unterschiedlichen Projektphasen zahlte sich auch unterm Strich aus. Allein durch die Planungskoordinierung mit Autodesk Environment konnten über 2.000 Kollisionen behoben werden, die ansonsten Kosten in Millionenhöhe verursacht hätten. Umgerechnet weitere drei Millionen Euro ließen sich durch die modellbasierte Analyse und Optimierung der Bau- und Konstruktionszeichnungen einsparen, die den Stahlbedarf für das Projekt um 1.650 Tonnen senkte und damit zugleich seine Umweltbilanz deutlich verbesserte.
Zur Optimierung der Akustik innerhalb der komplexen räumlichen Strukturen wurden mithilfe hochpräziser Messroboter mehrere 3D-Scandurchgänge aller besonders kritischen Bereiche durchgeführt. Die dabei erstellten Punktwolken wurden dann zur Überprüfung der BIM-Modelle und Erkennung von Widersprüchen zwischen Modellen, Zeichnungen und physischen Strukturen herangezogen. Als weitere Besonderheit dieses Projekts hebt Fu die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern aus der Wirtschaft und Wissenschaft zur optimalen Nutzung des Potenzials der Digitalisierung hervor. Durch die Mitwirkung von zwei Forschungsinstituten und drei Universitäten sei das ehrgeizige Bauprojekt zum erfolgreichen Testlauf für Zusammenarbeit und Innovation geworden.
Gelungene Synthese zwischen Form und Funktion
Nach seiner Fertigstellung soll das Sub Center Theater das Herzstück des geplanten „Grünen Herzens“ der chinesischen Hauptstadt im Bezirk Tongzhou bilden. Das gesamte Projekt versinnbildlicht eine gelungene Integration zwischen Gemeinschaft, Architektur, Ökologie und nachhaltigem Bauen. Als besonders beeindruckend empfindet Fu die Weitsicht der Stadtplaner, die für das fortschrittliche Raumnutzungskonzept verantwortlich zeichnen. Von der räumlichen Planung im eigentlichen Sinne bis zur Straßenplanung, vom Farb- bis hin zum Energiekonzept sei alles wohldurchdacht und stimmig.
Das Gesamtkonzept für den Theaterkomplex orientierte sich an den Leitprinzipien der Kooperation und grünen Effizienz. Entsprechend nutzen die drei Einzelgebäude gemeinsam eine geothermische Anlage, die ohne Boiler, Kühlturm und Anlage zur Entsorgung von Brennstoffrückständen auskommt und auch kein Wasser verbraucht oder verunreinigt. Geothermische Wärmepumpen machen Umweltwärme nutzbar, die aus der Luft, dem Erdreich oder dem Grundwasser gewonnen und auf das Heizsystem übertragen wird. Dieses Verfahren bringt wesentliche ökologische und ökonomische Vorteile gegenüber herkömmlichen Heizsystemen, indem es u. a. weniger Emissionen verursacht. Durch den hohen Automatisierungsgrad und die standortferne Verwaltung wird der Wartungs- und Instandhaltungsaufwand ebenfalls deutlich reduziert.
Das architektonische Konzept für das neue Kulturzentrum besticht durch seine gestalterische Schönheit. Die drei Gebäude sind so ausgerichtet, dass ihre im Sonnenlicht glitzernden Vorhangfassaden aus Aluminium sich im Wasser des majestätischen Kaiserkanals spiegeln werden.
Sinnbild für eine effiziente Gebäudeplanung dank BIM und Co.
Fu ist überzeugt, dass komplexe Großvorhaben wie dieses wesentlich dazu beitragen werden, die Digitalisierung im Bau- und Ingenieurwesen voranzutreiben. Der Einsatz fortschrittlicher Tools und Technologien habe während des gesamten Projektverlaufs eine effiziente Kommunikation und Kooperation ermöglicht, die offensichtliche Vorteile für ein breites Spektrum von Anwendungsszenarien bringe.
Innerhalb der nächsten sechs Monate soll die Installation der Technikräume sowie der Bühnenausstattung abgeschlossen werden, bis Ende 2023 auch die Erfassung der BIM-Daten für den gesamten Komplex und damit die digitale Projektabwicklung.
Als kulturelles Wahrzeichen der 22-Millionen-Metropole Peking und Sinnbild für effiziente Gebäudeplanung kann der fertige Theaterkomplex am historischen Kaiserkanal den Weg in eine Zukunft weisen, die von neuen technologischen Möglichkeiten zur Realisierung der Synthese zwischen Form und Funktion geprägt ist: Vorteile, die die beteiligten Bauherren, Planer, General- und Subunternehmer im Zuge ihrer Zusammenarbeit an diesem Großprojekt aus erster Hand erfahren konnten.