HABAU GROUP
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DIGITALE ENTWICKLUNG UND INNOVATION
Bei Verkehrsbauwerken, wie zum Beispiel Lärmschutzwänden, treffen Anforderungen aus dem Hoch- und Tiefbau direkt aufeinander. In der Planung gilt es, die Modellierung von achsenorientierten Bauteilen und vertikal orientierten Bauteilen zusammenzuführen. Der Generalunternehmer HABAU setzte bei seinem Projekt „Lärmschutzwand Wiener Neudorf" auf eine parametrische Modellierung in einem zentralen Datenmodell. Die Baustelle konnte durch digitale Prozesse dabei unterstützt werden, dieses komplexe Projekt optimal umzusetzen.
Die digitale Planung eröffnete aber noch eine weitere Option: Auf Basis einer Variantenstudie war es möglich, in kurzer Zeit alternative Bauausführungen zu simulieren und dem Kunden vorzustellen. Die schließlich umgesetzte Variante überzeugte den Auftraggeber ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßenfinanzierungsgesellschaft AG) durch Preisvorteile und eine höhere Effizienz in der Bauausführung. Ein Gewinn für beide Seiten.
Die höchste Lärmschutzwand Österreichs an der A2 Wiener Neudorf entstand zuerst als 3D-Modell. © HABAU Group
Bis zu 13 Meter hoch und zwei Kilometer lang – bei diesen Dimensionen einer Autobahn-Lärmschutzwand lohnt es sich, über die Optimierung von Mengen, Massen und Bauteilen nachzudenken. Ursprünglich war das Infrastrukturprojekt von der österreichischen ASFINAG als massive Stahlkonstruktion ausgeschrieben. Die HABAU stellte im Rahmen der Arbeitsvorbereitung jedoch fest, dass eine alternative Ausführung aus Stahlbeton mit Fertigteilstehern und aufgesetzter schlanker Stahlkonstruktion effizienter zu realisieren wäre. Bei der Präsentation dieser Ausführungsvariante kam ein dreidimensionales BIM-Modell zum Einsatz, das die Entscheidungsträger der ASFINAG überzeugen konnte.
Die Methodik nennt sich „Value Engineering“. Dabei handelt es sich um eine Vorgehensweise, die ursprünglich aus der Industrie stammt und sich verstärkt auch in der Baubranche durchsetzt. Das Prinzip besteht darin, mehrere Varianten eines Bauwerks zu entwerfen und deren Vorteile in puncto Kosten, Bauzeit, Materialverbrauch und Betrieb direkt miteinander zu vergleichen. Stellt sich heraus, dass eine alternative Ausführungsvariante für beide Seiten einen Vorteil bringt, so kann diese auf Wunsch des Kunden beauftragt werden. Durch digitale, dreidimensionale Planungsmethoden kann eine solche Vorgehensweise optimal unterstützt werden.
„Anhand eines digitalen Modells können wir dem Kunden alternative Varianten eines Bauwerks wesentlich einfacher und schneller erklären.“
—Lukas Hochreiter, Digitales Bauprozessmanagement HABAU
Der digitale Zwilling ist ein lebensechtes Abbild des hergestellten Bauwerks. Die Daten können im restlichen Gebäudelebenszyklus weiter genutzt werden. © HABAU Group
Anhand eines BIM-Modells können die Auswirkungen von Veränderungen sofort im Modell verglichen werden. Dabei lassen sich einzelne Parameter gezielt variieren und die Auswirkungen auf das Gesamtbauwerk ablesen. Durch die Verknüpfung des Modells mit Mengen- und Massenberechnungen sowie Kosten- und Terminplanung sind Effekte auf den Bauablauf sofort erkennbar. Nach dem Prinzip „zuerst digital bauen, dann real bauen“, wurde eine vollständige dreidimensionale Planung erstellt, die dann auch zur Ausführung gelangte. Etwaige unvorhergesehene Änderungen in der Bauausführung wurden im Modell nachgezogen, sodass ein „As-Built-Modell“ entstanden ist, also ein Digitaler Zwilling, der die Realität widerspiegelt.
Durch den Einsatz von Design Automatisierung musste jede Bauteilfamilie nur einmal modelliert werden. © HABAU Group
Dank effizienter Planung und Bauausführung konnte das Projekt „A2 Wiener Neudorf" im engen Zeitplan fertiggestellt werden. Seit dem Herbst 2021 schützt die Lärmschutzwand über 5.000 Anwohner vor den Lärmemissionen von täglich 200.000 Fahrzeugen. Ein wertvolles Projekt, das die Lebensqualität der Menschen in der Gemeinde Wiener Neudorf deutlich verbessert.
Neuartig an dem Projekt war die Art der Planung bzw. Modellierung durch Design Automatisierung. So wurden die Bauelemente nur einmal modelliert, automatisch vervielfältigt und an der jeweils richtigen Stelle platziert. Somit konnten Bauteilfamilien wie Stahlträger, Lärmschutzwandelemente oder Betonfertigteile dynamisch geplant werden. Zusätzlicher Vorteil: Die Auswirkungen von optischen Veränderungen am Bauteil konnten sofort im Modell erkannt werden.
Civil Connection verbindet bewährte Autodesk-Produkte intelligent miteinander. © HABAU Group
Durch die Design Automatisierung ist der manuelle Aufwand in der Planung erheblich gesunken. Allerdings war es zuvor notwendig, das System für den Automatisierungsprozess erst einmal aufzusetzen. Für Folgeprojekte, bei denen die Vorgehensweise dann schon etabliert sein wird, erwartet HABAU eine Effizienzsteigerung im Vergleich zu herkömmlichen manuellen Planungsmethoden.
Patrick Adam, Digitalisierungsexperte bei HABAU, sieht unabhängig davon große Vorteile durch die digitale Planung: „Der größte Mehrwert besteht darin, dass die Modellierung der Geometrien nicht manuell, sondern parametrisch und auf Basis einer zentralen Datenquelle erfolgte. Früher hätte jedes Bauteil einmal geometrisch erfasst werden müssen – mit dem entsprechenden Mehraufwand. Das wird in Zukunft automatisiert ablaufen, was uns besonders bei Änderungen flexibel und effizienter macht."
Digitale Modelle unterstützen den Baustellenalltag. © HABAU Group
Da es sich bei der „A2 Wiener Neudorf" um ein digitales Pilotprojekt handelt, waren die Berater des Lösungsanbieters Autodesk in den Prozess eingebunden. Aufgrund der speziellen Anforderungen fiel die Entscheidung auf die Software-Lösung „Civil Connection". Eine Open-Source-Lösung aus mehreren etablierten Planungstools, die dynamisch miteinander verbunden werden.
Wesentlicher Bestandteil ist das Infrastruktur-Planungstool Civil 3D, mit dem die achsenorientierten Bauteile modelliert werden – beispielsweise die Fundamentbalken oder die Begleitwege. Für die Modellierung der Bauteilfamilien aus dem Hochbau, etwa die Stahlträger, kam Revit zum Einsatz. Als Datendrehscheibe für alle Elemente fungierte Dynamo, das die Einzelmodelle verknüpfte und Bauteile an den richtigen Stellen platzierte. Es entstand also ein zentrales Modell, in dem Hoch- und Tiefbauplanung zusammengeführt wurden. Über die Cloudlösung BIM 360 hatten alle autorisierten Projektbeteiligten Zugriff auf das Modell und dessen jeweils aktuellste Version. Das Modell konnte somit einfach geteilt und in Abstimmungen genutzt werden. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Datendrehscheibe, auf der alle Informationen über ein Bauwerk gespeichert sind – die Vorstufe zu einem Common Data Environment (CDE).
Aus dem digitalen Zwilling können nicht nur Mengen und Massen abgeleitet, sondern auch mögliche Kollisionen im Bauablauf, etwa mit Bestandsleitungen, frühzeitig erkannt werden. Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Verwendung auf der Baustelle: Anhand der Modelldaten sind Ist-Soll-Vergleiche ebenso möglich wie virtuelle Begehungen mithilfe von VR-Brillen – ein Aspekt, den immer mehr öffentliche Auftraggeber zu schätzen wissen.
Für Kunden aus dem Infrastrukturbau ist aber vor allem ein Faktor auschlaggebend: Das zentrale Bauwerksmodell liefert wertvolle Daten für die spätere Instandhaltung, Sanierung oder gar den Rückbau. Da jedes Bauteil mit seinen Eigenschaften und Vermaßungen im Detail erfasst ist, können Reparaturarbeiten sehr viel gezielter und effizienter durchgeführt werden. Auch die ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßenfinanzierungs-gesellschaft AG) setzt bereits Projekte mit BIM um.
„Eine nachhaltige, zentrale Datenhaltung im gesamten Lebenszyklus der Bauwerke ist für eine effiziente Arbeitsweise im Unternehmen unerlässlich. Eine Fortsetzung dieses Pilotprojekts wäre vielversprechend.”
—Sabine Hruschka, BIM-Beauftragte ASFINAG
Für HABAU hat die Nutzung von Civil Connection den Beweis erbracht, dass vor allem komplexe und umfangreiche Verkehrsprojekte von digitaler Planung profitieren. Lukas Hochreiter bringt seine Erkenntnis kurz und knapp auf den Punkt: „Komplexe Projekte, in denen unterschiedliche Gewerke aufeinandertreffen, können durch digitale Planung besser erfasst und optimiert werden“. Für ihn ist das insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der Infrastrukturbau in eine neue Phase eintritt: „Der neue 'Masterplan Straße' ist in Deutschland bereits verabschiedet und sowohl Bau- als auch Verkehrsministerium drängen auf einen flächendeckenden Einsatz von BIM." Hochreiter sieht hier vor allem Chancen für Generalplaner, die schon über genügend Erfahrung in komplexen Projekten verfügen.
BIM-Profis haben sogar eine reelle Chance, bei Ausschreibungen den allgegenwärtigen Preisdruck durch Qualität zu entschärfen: Denn das Punktesystem, das bei öffentlichen Ausschreibungen angewandt wird, berücksichtigt nicht nur den Preis, sondern auch Qualitätskriterien wie die Praxiserfahrung mit Digitalisierung und BIM. Eine weitere Chance stellen neue Vertragsmodelle wie „Early Contractor Involvements" oder Allianz-Modelle (IPA) dar. In diesen Fällen bietet ein Konsortium von Auftragnehmern gemeinsam an – und hat auch hier klare Vorteile, wenn alle Beteiligten bereits über Erfahrung mit digitaler Kollaboration verfügen. Der einzige Wermutstropfen beim Blick in die Zukunft: Für digitale Planung braucht es auch die entsprechenden Experten. Der Wettbewerb um echte „BIM-Professionals“ dürfte sich also noch weiter verschärfen.
Die HABAU Group betreut komplexe Infrastrukturprojekte in 20 Ländern. © HABAU Group
Die HABAU Group ist einer der größten Generalunternehmer in der DACH-Region und bietet eine Vielzahl von Bauleistungen aus einer Hand. Von Hoch- und Tiefbau über Fertigteilbau, Pipelinebau, Tunnelbau bis hin zu Stahl- und Anlagenbau. Mit 5.500 Mitarbeitern betreut HABAU eine jährliche Bauleistung von über 1,6 Milliarden Euro. Das 1913 gegründete Unternehmen ist derzeit in 20 Ländern aktiv und betreibt 18 Konzernunternehmen mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten, darunter die HABAU Deutschland GmbH in Thüringen. Die Konzernzentrale befindet sich im österreichischen Perg bei Linz. Im modellbasierten Planen zählt die HABAU Group zu den Vorreitern und wendet die BIM Methode inzwischen in vielen Projekten an.