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Nahtlose Zusammenarbeit: Gemeinsam erschaffen Konstrukteure und Metallbauer wahre Kunstwerke

Mit über vier Millionen Besuchern im Jahr zählt die National Gallery of Art in Washington zu den wichtigsten Kunstmuseen der Welt. Meisterwerke von da Vinci, Rembrandt, Monet und van Gogh erquicken das Gemüt und waschen – frei nach einem Zitat von Pablo Picasso – „den Staub des Alltags von der Seele“.

Im vergrößerten Ostgebäude, das seit September 2016 nach dreijährigen Umbauarbeiten wieder für Besucher zugänglich ist, sind über 500 Werke zeitgenössischer Künstler wie Alexander Calder, Mark Rothko, Henri Matisse und Georgia O‘Keeffe ausgestellt. Wer jedoch genauer hinschaut, bemerkt schnell, dass das Gebäude selbst ebenfalls ein Meisterwerk ist.

Das Geheimnis dieser gelungenen Raumgestaltung – die vielen Kunstbeflissenen, wenn überhaupt, erst auf den zweiten Blick auffällt – liegt in einer so engen wie erfolgreichen Zusammenarbeit. Das architektonische Konzept wurde von einem Team aus Konstrukteuren und Metallbauern auf überzeugende Weise zur Verwirklichung gebracht.

Das 1978 eröffnete Originalgebäude entstand nach Plänen von I.M. Pei, der die Herausforderung, ein repräsentatives Bauwerk auf einem eher ungeeigneten trapezförmigen Areal zu errichten, durch Ziehen einer Diagonale löste, die das Trapez in zwei dreieckige Flügel zerschnitt. Auf dem größeren der zwei gleichschenkligen Dreiecke sollten öffentlich zugängliche Galerien entstehen, auf dem kleineren Büroräume, eine Bibliothek und ein Studienzentrum.

The National Gallery of Art staircase in progress. 
Die Treppe für die National Gallery of Art in der Bauphase. Mit freundlicher Genehmigung von Crescent Iron Works/J.B. Long.

Die Erweiterung des Ostgebäudes wurde von Peis früherem Partner Perry Chin mitgestaltet, der den Ausschreibungssiegern Hartman-Cox als Entwurfsarchitekt und Berater zur Seite stand, und ist ihrerseits eine Referenz an Peis Liebe zum Dreieck. Besonders deutlich zeigt sich dies im Turm an der Nordostseite des Gebäudes, wo eine diagonal verlaufende Treppe die Kellerräume mit den darüber liegenden Galerien und dem neuen Skulpturengarten auf dem Dach verbindet. Wer vom obersten Absatz der freitragenden Auslegertreppe nach unten schaut, sieht, dass sie sich um einen Rhombus windet, der in liebevoller Hommage an Pei aus zwei gleichschenkligen Dreiecken gebildet wird.

Das Ergebnis ist atemberaubend schön. Die Verwirklichung des ambitiösen Gestaltungskonzepts jedoch stellte die Metallbauer vor beträchtliche Herausforderungen. „Eine derartige Treppe hatte ich noch nie gesehen“, bekräftigt Joseph Milani, dessen Firma Crescent Iron Works in Philadelphia die Treppe angefertigt hat. „Nach Vorstellung der Architekten durften keine Schweißnähte sichtbar sein; die Treppe sollte aussehen, als sei sie aus einem Metallblock gehauen.“

Kopfschmerzen bereitete auch die komplexe Geometrie. „Das Ungewöhnlichste an der Treppe ist ihre Rautenform“, so Milani. „Meistens baut man einen flachen Absatz, an dem sich die Richtung der Treppe ändert. Hier war das anders. Bei dieser Treppe ändert sich die Richtung von einer Stufe zur nächsten. Um das hinzukriegen, mussten wir die Treppenwangen so fräsen und abkanten, dass auf halber Höhe jeder Treppenflucht eine V-förmige Schweißfuge entstand. Das war echt schwierig.“

Dass es gelang, verdankt Crescent Iron Works zum einen dem Engagement seines gesamten Teams, zum anderen der Präzisionsarbeit der Firma J.B. Long Inc. in Fleetwood (Pennsylvania), die für die Konstruktionszeichnungen die „Advance Steel“-Software von Autodesk nutzte.

„Der Konstrukteur nimmt sich die Pläne des Architekten und des Bauingenieurs vor und interpretiert sie, sodass der Metallbauer etwas damit anfangen kann“, erläutert Firmeninhaber Jim Long. „Architekten stellen ihre Zeichnungen zumeist nicht fertig, und somit ist es Aufgabe des Konstrukteurs, die fehlenden Daten zu ergänzen und die Zeichnungen so aufzubereiten, dass unser Auftraggeber danach bauen kann.“

„Metallbauer sollten echt zu schätzen wissen, was sie an einem guten Konstrukteur haben. Mein Motto lautet: Bei der Konstruktionszeichnung Geld sparen zu wollen, kommt teuer.“ – Jim Long

Ohne einen guten Konstrukteur werden bei Bauprojekten leicht Zeit und Geld verschwendet. „Dem Metallbauer fällt es nicht unbedingt auf, wenn bei der Konstruktionszeichnung schlampig gearbeitet wird – er fängt einfach an zu bauen“, meint Long. „Dass die Abmessungen nicht stimmen oder das Gestaltungskonzept des Architekten nicht eingehalten wurde, merkt man dann erst bei der Installation.“

Solche Probleme im Nachhinein zu beheben, ist oft mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Zu ihrer Vermeidung ist dreierlei erforderlich: ein guter Konstrukteur, ein guter Metallbauer und eine gute Beziehung zwischen beiden. Als wichtigste Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit nennen Long und Milani gegenseitigen Respekt.

„Metallbauer sollten echt zu schätzen wissen, was sie an einem guten Konstrukteur haben“, so Long. „Mein Motto lautet: Bei der Konstruktionszeichnung Geld sparen zu wollen, kommt teuer. Wir arbeiten bevorzugt mit Metallbauern zusammen, die verstehen, dass ihnen das Geld, das sie heute für einen guten Konstrukteur ausgeben, morgen weitaus höhere Kosten erspart, weil sie dadurch nämlich Fehler beim Bau und Probleme bei der Installation vermeiden.“

A view of the tight trajectory of the National Gallery of Art staircase. 
Die engen Wendungen der Treppe in der National Gallery of Art. Mit freundlicher Genehmigung von Iron Works/J.B. Long

Diesen Respekt zeigen Metallbauer am besten, indem sie dem Konstrukteur Vertrauen schenken und ihm bei seiner Arbeit freie Hand lassen. „Ich hasse es, wenn ein Metallbauer das Gefühl hat, er muss sich in alles einmischen, was ich mache – und zwar vor allem in Bezug auf die Kommunikation mit dem Architekten und dem Bauingenieur“, so Long. „Wenn ich Fragen zu den Zeichnungen habe, muss ich sie direkt mit den Planern besprechen können, damit ich Antworten bekomme, die mir tatsächlich weiterhelfen. Mir ist es lieber, wenn mir der Metallbauer dabei die Führungsrolle überlässt.“

Aus Sicht des Metallbauers muss sich der Konstrukteur diesen Vertrauensvorschuss erst einmal verdienen, und aus dieser Forderung ergibt sich die zweite Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit: Erfahrung.

„Wir brauchen Leute, die tatsächlich verstehen, worum es bei unserer Arbeit geht“, so Milani. „Wir können nichts mit einem Konstrukteur anfangen, der nur abzeichnet, was die Planer liefern, denn dabei handelt es sich zumeist bloß um ein Konzept. Sondern wir brauchen jemanden, der sämtliche Probleme findet, bevor etwas gebaut und vor Ort installiert wird.“

An aerial view of the diamond-shaped staircase at the National Gallery of Art.
Die rautenförmige Treppe in der National Gallery of Art. Mit freundlicher Genehmigung von Iron Works/J.B. Long

Dazu reiche es nicht, nur mit der Software umgehen zu können, wie Milani betont: „Genau darin unterscheidet sich J.B. Long bei einem Projekt wie der National Gallery von der Konkurrenz. Sie haben Konstrukteure, die wahrscheinlich im Notfall auch auf Papier zeichnen könnten. Viele von ihnen haben wahrscheinlich früher tatsächlich auf Papier gezeichnet. Sie verstehen die Zeichnungen im Detail; sie klicken nicht bloß in einem Software-Programm irgendwelche Schaltflächen an.“

So selbstverständlich es klingen mag – eine gute Kommunikation ist das A und O der Zusammenarbeit zwischen Konstrukteuren und Metallbauern. „Ich mache mir genaue Aufzeichnungen zu sämtlichen Anfragen – welche Fragen ich den Planern gestellt habe, wann ich sie gestellt habe und bis wann ich eine Antwort brauche – und leite diese Notizen auch an den Metallbauer weiter“, erläutert Long. „Wenn der Architekt und der Bauingenieur meine Fragen nicht beantworten, weiß der Metallbauer Bescheid und kann sich einschalten.“

Geographische Nähe ist dabei nicht unbedingt erforderlich, kann sich jedoch in bestimmten Situationen als nützlich erweisen. „J.B. Long ist in unserer Nähe, von daher hatten wir immer die Option, uns mit ihnen zusammenzusetzen und ein bestimmtes Detail durchzusprechen“, berichtet Milani. „Viele der großen Konstruktionsfirmen haben die eigentliche Arbeit ins Ausland verlagert. Dadurch kann sich die Koordination mitunter schwierig gestalten, und wir arbeiten daher mittlerweile vorrangig mit Firmen, die hier in den USA zumindest ein Büro mit Projektleitern betreiben, damit wir jederzeit einen Ansprechpartner haben.“

Der Metallbau ist eine Wissenschaft für sich; die Metallbaukonstruktion ebenso. Beide erfolgreich unter einen Hut zu bringen, ist eindeutig eine Kunst – und die spektakuläre Treppe, die diese Zusammenarbeit hervorgebracht hat, ein absolutes Meisterwerk.

 

Über den Autor

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

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