Konstruktive Konflikte stärken die Zusammenarbeit zwischen Bauingenieur und Architekt
Ingenieurtechnische Perfektion mag nicht auf den ersten Blick ins Auge stechen, dabei ist sie – mindestens – genauso wichtig wie eine überzeugende architektonische Gestaltung. Umso entscheidender für das Gelingen jedes Bau- oder Infrastrukturprojekts ist daher die Beziehung zwischen Bauingenieur und Architekt. „Ein Gebäude kann optisch noch so schön sein – wenn das Regenwasser nicht abläuft, kann das Bauvorhaben als gescheitert betrachtet werden“, weiß Bill Ash, der als Mitinhaber der SmithGroupJJR für den Bereich architektonische Planung und Gestaltung zuständig ist.
Zwischen Ingenieurwesen und Architektur liegen, so hat es zumindest bisweilen den Anschein, Welten. Die Zusammenarbeit kann sich deshalb schwierig gestalten. Die Arbeit eines Bauingenieurs folgt in der Regel einem linearen Prozess: Er erstellt Berechnungen, trifft darauf basierende Entscheidungen und präsentiert Lösungen. Basta. In der Zusammenarbeit mit Architekten kann es durchaus passieren, dass daraus eher eine Zickzacklinie wird.
„Man gelangt an einen bestimmten Punkt, und dann wird plötzlich der Entwurf umgestoßen. Aus Sicht des Ingenieurs kann es schwierig sein, damit umzugehen. Denn Ingenieure lassen sich nur ungern auf Änderungen eines einmal beschlossenen Plans ein“, so Ashs Kollege, der Bauingenieur John Kretschman. Beide Männer haben bereits bei mehreren Projekten der SmithGroupJJR eng zusammengearbeitet.
Auch das Ego eines Architekten, der aus lauter Formverliebtheit nicht zu Zugeständnissen an die Funktionalität bereit ist, kann einer erfolgreichen Zusammenarbeit im Weg stehen. Daher ist es wichtig, dass die Unternehmenskultur einer multidisziplinären Firma wie SmithGroupJJR einen integrierten Planungsansatz fördert.
„Wir bemühen uns, den Aufgabenbereichen aller Projektbeteiligten gleichermaßen Geltung zu verschaffen“, erläutert Ash. „So kann es zum Beispiel vorkommen, dass einem Architekten aus stadtplanerischer oder programmatischer Sicht eine bestimmte Ausrichtung für ein Gebäude vorschwebt, und der Bauingenieur basierend auf der Topographie des Baugeländes oder der vorhandenen Ressourcen die direkteste und eleganteste Lösung vorschlägt, die aber den Vorstellungen des Architekten widerspricht. Was dann folgt – nämlich Kooperation und eine Debatte, bei der über das Für und Wider beider Standpunkte verhandelt wird –, führt letztlich dazu, dass sich aus dem kreativen Konflikt eine schönere, ganzheitlichere Lösung ergibt, als es der Fall gewesen wäre, wenn man nur ein bestimmtes Projektkriterium berücksichtigt hätte.“
Kretschman teilt die Ansicht, dass sich die unterschiedlichen Ansätze beider Berufsstände durchaus als konstruktiv erweisen können. „Die Zusammenarbeit in der Frühphase eines Bauvorhabens verlangt dem Ingenieur mehr Kreativität ab“, sagt er. „Die Lösung, die dabei herauskommt, ist nicht unbedingt diejenige, die einem als Erstes einfällt oder die am einfachsten wäre – sondern jene, die den Projektzielen am besten gerecht wird.“
Wie hat man sich also eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen einem Architekten und einem Bauingenieur vorzustellen? Ash glaubt, es liege in der Natur einer gelungenen Zusammenarbeit, dass sie nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar ist. „Wie gut beide zusammengearbeitet haben, zeigt sich im Wesentlichen in der Integration zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren“, philosophiert er.
„Wenn die Zusammenarbeit erfolgreich verläuft, merkt man gar nicht, wo die Trennlinie zwischen beiden Bereichen liegt“, bekräftigt Kretschman. „Alles geht nahtlos ineinander über. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit, bei der die Tätigkeit des Ingenieurs unsichtbar wird.“ Mit anderen Worten, wenn das überirdische Metier des Architekten und das unterirdische Metier des Bauingenieurs miteinander harmonieren, rückt das Gesamtwerk in den Vordergrund.
Eine derartige interdisziplinäre Zusammenarbeit fällt erst recht bei Bauvorhaben ins Gewicht, bei denen ingenieurtechnische Erwägungen Priorität vor architektonischen Aspekten haben. Ash und Kretschmans gemeinsame Arbeit beim Bau eines Yachthafens auf der Mittelmeerinsel Zypern ist ein hervorragendes Beispiel dafür.
„Bei diesem großen internationalen Projekt, dem Bau des Yachthafens in Ayia Napa, war eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Teams erforderlich, und zwar ging es dabei vor allem um die Wechselwirkung zwischen den Gebäuden und dem Baugrund unmittelbar am Meeresufer“, erinnert sich Kretschman. „Bei einem Küstenprojekt wie diesem gab es eine Menge ingenieurtechnischer Fragen zu berücksichtigen. Zum Beispiel mussten die Bauwerke so geplant werden, dass sie bei Veränderungen des Meeresspiegels vor Überflutung geschützt waren. Ohne eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Bauingenieur und Architekt in der Frühphase des Projekts hätte daraus ein Yachthafen mit Küstenbebauung werden können. Stattdessen ist ein wunderschöner Baukomplex an der Küste entstanden, der noch dazu über einen Yachthafen verfügt.“
Mit anderen Worten vermitteln der Yachthafen und die dazugehörige Infrastruktur den Eindruck eines kohärenten Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Bestandteile. Die Entscheidung, die Projektleitung in der Frühphase den Ingenieuren zu überlassen, trug zur Vermeidung von bautechnischen Fehlern bei, ohne dass deshalb Abstriche an der architektonischen Gestaltung, Ästhetik und Nutzererfahrung gemacht wurden.
Eine gute Zusammenarbeit bereits in der Frühphase der Planung ist jedoch nicht nur bei Großprojekten sinnvoll, wie die Koordination zwischen Architekten und Bauingenieuren beim Bau des Wellness Center der University of Colorado in Denver verdeutlicht. „Dabei hatten wir es mit einem prominenten Campusgebäude auf einem räumlich begrenzten Baugelände zu tun, auf dem zudem wichtige öffentliche Versorgungsleitungen verlegt sind“, berichtet Ash. „Es war schwierig, einen Weg zu finden, um das Gelände zu erschließen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern vor Ort, darunter auch ein Team von Bauingenieuren, untersuchten wir verschiedene Parameter wie Grundfläche des Gebäudes, Geländebeschaffenheit und Infrastrukturanpassungen. Schlussendlich gelang es uns, einen Entwurf zu entwickeln, der nicht nur architektonisch überzeugte, sondern auch genau auf die einzigartigen Gegebenheiten des Baugeländes abgestimmt war.“
Als weiteres Beispiel nennt Ash die Renovierung einer öffentlichen Anlage im Zentrum von Detroit. Dort ging es um die Erschließung des Vorplatzes eines Gebäudes, dessen Kellergeschoss größer ist als der darüber aufragende Wolkenkratzer. „Die Anlage hatte undichte Stellen, an denen Wasser durchsickerte, beschädigte Pflastersteine, und seit ihrem Bau in den sechziger Jahren war quasi nichts mehr daran gemacht worden“, erzählt Ash.
Das Konzept sah vor, die vorhandenen Anlagen durch großzügige Begrünung mit nativen Gewächsen und Aufstellung zusätzlicher Pflanzgefäße umzugestalten, für ausreichende Entwässerung zu sorgen und ein vollkommen neues Abdichtungssystem zu planen – eine technisch komplexe Aufgabe, die eine enge Koordination zwingend erforderlich machte. „Zum Glück hatten wir es mit einem weitsichtigen Auftraggeber zu tun, dem es um mehr ging, als nur ein paar undichte Stellen zu reparieren. So konnte ein Team aus Architekten, Bauingenieuren, Landschaftsarchitekten, Statikern und Beleuchtungsgestaltern eine unwirtliche Betonwüste in einen lebendigen Treffpunkt verwandeln“, so Ash.
Allzu oft wird die Beziehung zwischen Bauingenieur und Architekt als bloße Schnittstelle verstanden, an der Kompromisse zwischen Technik und Ästhetik geschlossen werden – in Wirklichkeit geht sie jedoch weit darüber hinaus. Eine echte Kooperation zwischen beiden Fachgebieten steigert den ästhetischen und erfahrungsorientierten Wert eines Projekts – die gesamte zugrundeliegende Technik funktioniert reibungslos und bleibt daher für den Endnutzer unsichtbar.
Zwar mag dadurch bisweilen der Anschein entstehen, dass die Leistungen der Bauingenieure nicht genügend gewürdigt werden – Architekten wissen jedoch sehr wohl, dass eine noch so formschöne Gestaltung ohne die entsprechende technische Umsetzung nutzlos ist. Und wenn im Eifer des Gefechts gelegentlich heiße Debatten zwischen beiden Berufsständen entbrennen, schadet das dem Projekt überhaupt nicht, sondern kann ihm ganz im Gegenteil nur guttun.