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Neue Ansätze in der Automatisierung versprechen bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen

A collage of innovative products created via automation and generative design.

Die Weltbevölkerung wächst unaufhaltsam und mit ihr das Produktionsvolumen, das zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, Ansprüche und Wünsche erforderlich ist. Diesem Drang nach immer mehr steht die Einsicht entgegen, dass die verfügbaren Ressourcen – das gilt für Rohstoffe wie für qualifizierte Arbeitskräfte – immer weniger werden.

Der Verknappung von Ressourcen und Fachkräften steht eine wachsende Weltbevölkerung (laut Uno-Schätzungen auf knapp 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050) und eine sinkende Armutsquote in den Schwellenländern gegenüber. 1990 besaß nicht einmal ein Viertel der Weltbevölkerung ein „mittleres Vermögen“; allein seit der Jahrtausendwende sind global etwa 600 Millionen Menschen in die Mittelklasse aufgestiegen.

Natürlich sind steigende Lebensstandards ein Grund zur Freude. Allerdings hat die stetig steigende Nachfrage nach Mobiltelefonen, Autos, Nahrungsmitteln, Wohnraum etc. massive Auswirkungen für Planung, Konstruktion, Bauwesen und Fertigung.

Das Forschungsinstitut Statista hat ermittelt, dass weltweit in den Metropolen bis 2050 durchschnittlich 13.000 neue Gebäude pro Tag entstehen müssen, um mit den aktuellen Wachstums- und Verstädterungsraten mitzuhalten. Dabei handelt es sich nur um einen Bruchteil der erforderlichen Investitionen in neue Infrastruktur. Indes steht die Welt nicht still, da die vorhandene Infrastruktur ständig saniert und modernisiert werden muss. Von Gebäuden und Brücken bis hin zu Kühlschränken müssen Sachwerte geschaffen werden, die auf Nachhaltigkeit ausgelegt sind, statt zum ohnehin alarmierenden Wachstum der Müllberge und Schrotthalden beizutragen.

Schon heute entsteht fast ein Drittel der globalen Abfälle im Bauwesen; Schätzungen zufolge soll sich dieser Anteil bis 2050 verdoppeln. Für Deutschland warnte der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) bereits 2015 vor einem „Entsorgungsnotstand“. In der Produktion wird – trotz zunehmend effizienter Fertigungsverfahren – in den Lieferketten unglaublich verschwenderisch gewirtschaftet. So werden um die 70 Prozent aller hergestellten Ersatzteile überhaupt nicht gebraucht. Der Hunger nach mehr führt zur Verschwendung von Lagerraum, Werkstoffen und Geld.

Neue Ansätze in der Automatisierung

Wenn wir unsere Bau- und Fertigungsverfahren nicht von Grund auf überdenken, werden die Folgen fatal sein. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und anschwellenden Mittelschicht im Verbund mit den immer deutlicher zutage tretenden Auswirkungen des Klimawandels, schwindenden Rohstoffen und zunehmendem Fachkräftemangel stellt der Erhalt menschenwürdiger Lebensbedingungen bei gleichzeitiger Reduzierung der Umweltschäden eine gewaltige planerische und logistische Herausforderung dar. Für Planer und Gestalter ist diese Herausforderung zugleich die größte Chance der aller Zeiten.

Mehr Wachstum bedeutet auch mehr Druck. Neue Ansätze im Bereich der Automatisierung versprechen jedoch einen Ausweg aus dem Dilemma, den (infolge der globalen demographischen Trends) unstillbaren Hunger nach mehr mit der ebenso unaufhaltsamen Verknappung (von Rohstoffen und Fachkräften) ins Gleichgewicht zu bringen.

Bisherige Automatisierungsmodelle, die primär auf die Reduzierung von Verschwendung und Ineffizienz durch Prozessoptimierung abzielten, sind dem Ausmaß der heutigen Probleme nicht mehr gewachsen. Hier ist ein neues Modell gefordert, bei dem der Schwerpunkt auf kreativer Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine liegt.

Ein solches Modell bietet die Chance, zukünftig besser planen, bauen und produzieren zu können und dabei Ungleichheit, Störungen der Betriebsabläufe und negative Auswirkungen für Menschen und Umwelt möglichst gering zu halten. Hier geht es um die Entwicklung neuer Bau- und Fertigungsverfahren mit weniger Verschwendung und besseren Ergebnissen. Und darum, attraktivere und bessere Bedingungen für menschliche Arbeitskräfte zu schaffen.

A General Motors seat bracket that is a single part, thanks to generative design.
Mithilfe von Generative-Design-Software entwickelten Konstrukteure bei General Motors ein leichteres und kompakteres Sitzgestell, das nur aus einem einzigen Teil besteht. Mit freundlicher Genehmigung von GM.

Die kreative Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen, die voneinander lernen, wird eine wesentliche Rolle bei der Schaffung sinnvoller und innovativer Rollen für menschliche Arbeitskräfte spielen. Im Zuge der Konvergenz zwischen Fertigung und Bauwesen verlagert sich der Einsatzbereich von Robotern zunehmend von der Fertigungsstraße auf die Baustelle. Auch für den 3D-Druck eröffnen sich insbesondere im Flugzeug- und Automobilbau neue Perspektiven, die über die Prototypenentwicklung hinausgehen.

Zudem tun sich für die menschliche Kreativität bei der Gestaltung leistungsstarker und nachhaltiger Produkte, Gebäude und Städte bislang völlig ungeahnte Möglichkeiten auf.

Generative Design bei General Motors

Dieser neue Ansatz lässt sich am Beispiel des US-Konzerns General Motors (GM) veranschaulichen. Der Autobauer profiliert sich schon seit seiner Gründung im Jahr 1908 als Pionier der Automatisierung. Heute rollt in manchen der weltweit knapp 400 GM-Werke alle 60 Sekunden ein neues Auto vom Band – das Endergebnis einer komplexen industriellen Choreographie, die aus über 30.000 perfekt konstruierten Einzelteilen ein Fahrzeug erschafft.

Bei GM geht es jedoch längst nicht mehr nur um die Steigerung von Produktionsvolumen und -geschwindigkeit. Der Konzern verfolgt eine ehrgeizige Strategie zum Umstieg auf elektrische Fahrzeuge für eine Zukunft ohne Treibhausemissionen. Dazu ist es erforderlich, leichtere und robustere Fahrzeuge mit verbessertem Effizienzprofil und geringerer mechanischer Komplexität zu konstruieren. Intelligente und innovative Konstruktions- und Fertigungsverfahren sorgen für weniger Materialverschwendung und qualitativ höherwertige Produkte mit verlängerter Lebensdauer.

Zur Verwirklichung dieser Vision setzte der Konzern auf die Generative-Design-Software von Autodesk zur radikalen Neukonzeption seiner Planungs- und Fertigungsverfahren in der Teileherstellung. Damit können die Konstrukteure die jeweiligen Parameter – wie beispielsweise für die Fügung der Bauteile und die Maximalbelastung – so lange reiterativ anpassen, bis optimale Lösungen gefunden werden.

So gelang es Konstrukteuren im Tech Center des Konzerns in der 130.000-Einwohner-Stadt Warren im US-Bundesstaat Michigan, zwar nicht das Rad, aber immerhin das Sitzgestell neu zu erfinden. Heraus kam ein Teil, das 40 Prozent leichter und 20 Prozent stabiler ist als herkömmliche Sitzgestelle und statt aus acht Einzelteilen nur aus einem besteht. Für den Autobauer heißt das: weniger Gewicht, kürzere Lieferkette, weniger Komplexität, weniger Arbeit und letztlich ein Auto mit verbesserter Treibstoffeffizienz und Umweltbilanz.

Mit diesem neuen Ansatz in der Automatisierung will General Motors nicht nur Einzelteile schrittweise optimieren oder im Interesse der Effizienzsteigerung ganz überflüssig machen. Vielmehr geht es hier um einen Quantensprung, nämlich um die Änderung von Arbeitsverfahren, Fahrzeugen, Lieferketten, ja des gesamten betriebswirtschaftlichen Ökosystems.

A wall section in a Van Wijnen modular house is lowered into place.
Mithilfe von Generative Design und Metadaten-Tagging gelang es der Baufirma Van Wijnen, Fertigbauteile zu entwickeln, die am Fließband produziert und in Tausenden unterschiedlichen Konfigurationen verbaut werden können. Mit freundlicher Genehmigung von Van Wijnen..

Generative Design in der Stadtentwicklung

Auch im Bauwesen bieten Automatisierung und Generative Design das Potenzial zu einem revolutionären Umdenken. Die niederländische Baufirma Van Wijnen hat sich auf kostengünstige Nullenergiehäuser spezialisiert. So edel die Motive des Unternehmens waren, erwies sich die angestrebte Gewinnmarge von zwei Prozent letztlich als unwirtschaftlich. Das Generative-Design-Prinzip wurde hier zum Retter in der Not und ermöglichte dem Unternehmen den Umstieg auf ein effizienteres automatisiertes Arbeitsverfahren, das durch den Abbau von Abfall und Verschwendung erhebliche Einsparungspotenziale freisetzte.

Zu diesem Zweck wurden Bauteile mit Metadaten getaggt und auf dieser Grundlage ein modulares Konzept entwickelt, das sich für viele unterschiedliche Konfigurationen eignet. Anhand von Parametern zur Berücksichtigung von Sachzwängen wie Bau- und Rasenfläche, Ausrichtung, solarenergetisches Potenzial und Kosten-Nutzen-Verhältnis wurden insgesamt 15.000 Entwürfe zur baulichen Umsetzung des perfekten städtischen Wohnmilieus erstellt.

Die Fertigung des im Generative-Design-Verfahren entwickelten Modularbausystems ähnelt der Fließbandproduktion im Autobau. Dadurch wurde die Vergeudung von Werkstoffen und Bauteilen reduziert; zugleich entstanden energieeffizientere Häuser, deren Grundrisse auf die Bedürfnisse der Bewohner zugeschnitten sind. Und auch unterm Strich rechnet sich der neue Ansatz für die Firma.

Volunteers for nonprofit Build Change work on retrofitting a building in Colombia.
In Kolumbien unterstützte Autodesk die Hilfsorganisation Build Change bei der Automatisierung des Verfahrens zur Bewertung, Nachrüstung und Umgestaltung von Gebäuden in Erdbebengebieten. Mit freundlicher Genehmigung von Build Change.

Automatisierung der Erdbebensicherung

Auch in Gegenden, wo es weniger um unternehmerische Gewinne als um das blanke Überleben geht, zeigt die Automatisierung neue Chancen für eine bessere Zukunft auf. In Kolumbien etwa unterstützte Autodesk die Hilfsorganisation Build Change bei der Automatisierung des Verfahrens zur Bewertung, Nachrüstung und Umgestaltung von Gebäuden in den zahlreichen erdbebengefährdeten Gebieten des Landes mit dem Ziel, eine neue Generation von Wohnhäusern zu schaffen, die künftigen Beben besser standhalten.

In dem Andenstaat leben Millionen von Menschen in dichtbesiedelten städtischen Ballungszonen in unmittelbarer Nähe zu einer der aktivsten geologischen Bruchlinien der Erde. Durch die Automatisierung der Erdbebensicherung ließen sich nicht nur Arbeitsabläufe rationalisieren, sondern vor allem auch neue Schwerpunkte setzen. So konnte Build Change durch den Einsatz der Programme Revit und Dynamo von Autodesk das gesamte Planungsverfahren, das zuvor knapp eine Woche dauerte, auf weniger als drei Stunden verkürzen. Damit stand die Zeit, die die Baukolonnen bisher mit der Diagnose von Problemen verbracht hatten, nun zu ihrer Behebung zur Verfügung.

Durch Automatisierung lassen sich nicht nur Arbeitsabläufe straffen, sondern sie trägt auch zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen bei – sei es durch die Entwicklung leichterer, treibstoffeffizienter Fahrzeuge mit besserer Klima- und Umweltbilanz, den Bau nachhaltiger und bezahlbarer Wohnhäuser oder die beschleunigte Erdbebensicherung von Gebäuden.

Durch Automatisierung verschaffen Unternehmen sich Wettbewerbsvorteile – viel wichtiger ist jedoch, dass sie die menschliche Kreativität ankurbelt und unterstützt, die den technischen Fortschritt überhaupt erst möglich macht. Bessere Städte, bessere Gebäude, bessere Produkte, bessere Arbeitsbedingungen: Neue Ansätze in der Automatisierung bieten die Hoffnung, einen Ausgleich zu finden zwischen unaufhaltsamem Wachstum, unabänderlicher Verknappung und der unauslöschlichen Sehnsucht nach einer besseren Zukunft.

Über den Autor

Jon Pittman verfügt über eine Zulassung als Architekt und einen Pilotenschein. Als Vice President of Corporate Strategy bei Autodesk bringt er Menschen und Ideen zusammen, damit positive Veränderungen machbar werden. Im Laufe seiner über 30-jährigen Karriere in der CAD- und Computergrafik-Branche war Pittman bei Autodesk, Structural Dynamics Research Corporation (SDRC), Alias|Wavefront und Hellmuth, Obata and Kassabaum (HOK) Architects in verschiedenen Rollen in der Geschäftsentwicklung, Produktentwicklung und Strategieplanung tätig. Seine akademische Laufbahn führte ihn nach dem Architektur- und BWL-Studium an der University of Cincinnati als Dozent an die Cornell University, wo er auch einen weiteren Master-Abschluss in Computergrafik erwarb, ans Art Center College of Design, die Singularity University und die Haas School of Business an der University of California in Berkeley.

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