SPAXELS: Ein österreichisches F&E-Team bringt Drohnen und Zuschauer zum Schwärmen
Über der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz steigt eine elektronische Starwolke zum Formationsflug auf: 100 kleine Drohnen, die den 100.000 Besuchern der Ars Electronica an den Ufern der Donau eine exquisite Choreographie vorführen. Das Festival zelebriert bereits seit 1979 zukunftsweisende Ideen und versteht sich explizit als Testumgebung an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie.
Jeder einzelne Quadrokopter ist mit einem farbigen LED-Strahler ausgestattet. Zehn Minuten dauert der komplexe Lufttanz des Schwarms, dabei entstehen dreidimensionale Drahtgittermodelle abstrakter Formen, Bildsequenzen und Wörter in ständig wechselnden Farben. Dann ist der Zauber ebenso plötzlich vorbei und die Quads landen in stillschweigender Harmonie wieder auf der Startfläche.
Diese Drohnenvorführung ist einer Naturerscheinung nachempfunden, die als Schwarmintelligenz bezeichnet wird und zunehmend im Mittelpunkt des Forschungsinteresses im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) steht. Gemeint ist das kollektive Handeln von Bienen, Glühwürmchen, Ameisen und anderen Insekten. In dem „Ars Electronica“-Projekt stellt jede Drohne einen Lichtpunkt dar. Jedoch handelt es sich dabei nicht um keine gewöhnliche Pixel, sondern um SPAXELS – Pixel im dreidimensionalen Raum.
Ars Electronica betreibt eine Abteilung für Forschung und Entwicklung, die als Futurelab firmiert. Diese wurde 2012 von den Veranstaltern der jährlich in Linz stattfindenden „Klangwolke“ mit der Entwicklung einer neuartigen Show beauftragt. Das Festival, das zu den größten Freiluftveranstaltungen in Europa zählt, hatte bis dahin vor allem mit Feuerwerksvorführungen und Lasershows reüssiert. Aus diesem Auftrag heraus, so Futurelab-Chef Horst Hörtner, sei die allererste SPAXELS-Vorführung entstanden.
49 Quadrokopter im Freiluftformat / Ars Electronica Futurelab / LinzDie Tatsache, dass Futurelab etwas ganz Anderes geplant hatte, tat der Begeisterung des Publikums für den Drohnenschwarm keinen Abbruch: Denn eigentlich sollten bei der „Klangwolke“ echte Glühwürmchen zum Einsatz kommen. „Unsere ursprüngliche Idee war, den Flug von Glühwürmchen mithilfe von Pheromonen zu steuern“, berichtet Hörtner. „Wir waren mit der Entwicklung sogar schon ziemlich weit gekommen, bis uns irgendwann klar wurde, dass europäische Glühwürmchen nur im Juni glühen, das Festival aber im September stattfindet.“
Als nächstes versuchten es Hörtner und sein Team mit Tauben. „Wir wollten Tauben mit LEDs ausstatten und ihnen beibringen, in Formation zu fliegen“, erläutert Hörtner. „Aber das sind echt verrückte Vögel. Sie sind nicht lernfähig. Wenn man etwas an ihren Füßen anbringt, versuchen sie davon wegzufliegen. Die Tauben-Idee mussten wird also ebenso wieder fallen lassen. Und dann kamen wir auf Drohnen. Die machen alles, was wir ihnen sagen, haben wir uns gedacht.“
Die erforderliche Hardware- und Prototypen-Entwicklung, um die im Handel erhältlichen Drohnen individuell anzupassen und mit LEDs auszurüsten, erfolgt unter Einsatz von Autodesk Fusion 360 und EAGLE. Hörtner und sein Team arbeiten zudem an der Weiterentwicklung der Software Ground-Control, die den Schwarm im Flug steuert.
Die SPAXELS halten ständigen Kontakt mit der Software, die auf einem Computer auf dem Flugplatz läuft. Ihre Choreographie wurde mit der Animations- und Simulations-Software 3ds Max von Autodesk entworfen. Zur Steuerung des gesamten Schwarms wird kein Pilot benötigt. Stattdessen kommen lediglich einige wenige „Fluglotsen“ zum Einsatz – die Navigation übernimmt Ground-Control.
Eine typische Vorführung dauert zwischen vier und zehn Minuten. „Aus Sicherheitsgründen müssen die Batterien der Drohnen bei der Landung mindestens halbvoll sein“, erläutert Hörtner. „Insbesondere bei Freiluftvorführungen, bei denen die Drohnen gegen den Wind ankämpfen müssen, um ihre Positionen zu halten, ergeben sich praxisbedingte Einschränkungen. Dadurch steigt der Energieverbrauch. Daher wird die Länge der Vorführungen auf höchstens zehn Minuten angesetzt.“
Anlässlich der Londoner Premiere von „Star Trek: Into Darkness“ im Mai 2013 wurde Futurelab von Paramount Studios erstmals ausdrücklich mit der Entwicklung einer SPAXELS-Vorführung beauftragt, die in unmittelbarer Nähe der Tower Bridge stattfand. Die bislang größte SPAXELS-Vorführung wurde 2015 für den Mikrochip-Hersteller Intel entwickelt: Dabei kamen 100 Drohnen zum Einsatz. Andere Unternehmen – Intel selbst sowie ein chinesischer Konzern – haben seitdem bereits über 1.000 Drohnen auf einmal fliegen lassen. „Mittlerweile nutzen viele Unternehmen die von uns veröffentlichten Konzepte zur Planung eigener Drohnenvorführungen“, so Hörtner. „Das gesamte SPAXELS-Konzept steht nämlich zur freien Nutzung zur Verfügung.“
Hörtners Team hat eine Bibliothek mit programmierten SPAXELS-Choreographien entwickelt. Ähnlich wie bei der Kombination von Tanzschritten im Ballett können dabei Versatzstücke einer Animation in eine andere Choreographie eingebaut werden. Die meisten Auftraggeber wollen jedoch lieber völlig neue Choreographien entwickeln.
Aufträge für neue Vorführungen werden zwar weiterhin angenommen, mittelfristig peilt das Unternehmen jedoch einen anderen Kurs an. „Wir wollen Konzepte entwickeln, mit denen Organisationen selbst Drohnenvorführungen planen können“, verrät Hörtner. Im März soll die Software Swarm3D zur Planung von Drohnenflügen auf den Markt kommen.
Swarm3D unterstützt Veranstalter bei der Planung kollisionsfreier Flugbahnen für viele Drohnen. „Die Software gewährleistet die sichere Steuerung der Drohnen für jeden beliebigen Zweck – egal, ob es um Werbebotschaften oder Unterhaltung oder was auch immer geht“, erläutert Hörtner. „Man kann seine bevorzugten Formationen eingeben, und die Software optimiert dann die Flugbahnen aller Drohnen für sämtliche Formationen.“ Durch die mathematische Berechnung sicherer Bahnen und Verhaltensweisen soll Swarm3D die Planung und Durchführung von Drohnenvorführungen ohne jegliche Vorkenntnisse ermöglichen. Der Bediener braucht lediglich die jeweilige Höchstgeschwindigkeit der eingesetzten Drohnentypen sowie die durchschnittliche Fehlerquote des Überwachungssystems einzugeben, damit Swarm3D automatisch geeignete Flugbahnen für die gewünschte Formation erstellen kann.
Rock in Rio 2017 / Ars Electronica SPAXELSÜber die zahlreichen Anwendungsoptionen im Unterhaltungsbereich hinaus (nicht zuletzt als umweltfreundlichere Alternative zu Feuerwerksvorführungen) knüpfen sich an das dem SPAXELS-Konzept zugrundeliegende Prinzip der Schwarmintelligenz ehrgeizige Hoffnungen für zukünftige Einsatzgebiete – beispielsweise für Leitungsinspektionen oder auch in der Baustellensicherung, Landwirtschaft, Logistik usw.
Bei der Arbeit mit Schwärmen stießen Hörtner und sein Team auf grundlegende Unterschiede zwischen der internen Kommunikation unter Drohnen oder Robotern einerseits und der Kommunikation zwischen Menschen und Robotern andererseits. Bei einem Projekt in Zusammenarbeit mit Mercedes Benz hat Futurelab vor kurzem die Interaktion zwischen einem „autonomen Akteur mit einer eigenen Agenda“ (beispielsweise einem selbstfahrenden Auto) und einem ihm entgegenkommenden Fußgänger erforscht. Häufig sei es schwer genug, eine Kollision mit anderen Menschen auf dem Bürgersteig zu vermeiden, meint Hörtner – wie soll dies also einem Menschen beim Zusammentreffen mit einem fahrerlosen Auto gelingen? Das Projekt habe wichtige Erkenntnisse über die psychologischen Faktoren geliefert, die bei einer solchen Interaktion eine Rolle spielen.
Bei Futurelab kommt es tagtäglich zu Interaktionen zwischen 47 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus allen möglichen Fachbereichen: Kunst, Architektur, Soziologie, Physik, Psychologie, 3D-Modellierung, Industriedesign, Mechatronik und Software-Entwicklung. Wer weiß, was sie als nächstes vorhaben – mit Taubendressur wird es jedenfalls nichts zu tun haben.