Abenteuer Konstruktion: Mit topologie-optimierten Skateboard-Achsen kommt die Feinmechanik ins Rollen
So cool Flip- und Grab-Tricks auf dem Skateboard auch sind – Downhill-Fahren mit dem Longboard ist noch einmal eine völlig andere Dimension. Bei Höchstgeschwindigkeiten von knapp 150 km/h kombinieren Longboard-Fahrer die Faszination des Skateboarding mit dem Nervenkitzel des Wellenreitens. Dabei müssen sie sich darauf verlassen können, dass die Rollen am Brett bleiben.
Beim Skateboard bildet die Achse (im Fachjargon auch „Truck“ genannt) das Verbindungsstück zwischen Deck und Rollen. Bestehend aus der eigentlichen Achse (auch „Hanger“), Baseplate, Lenkgummis und Kingpin, ermöglicht sie die Steuerung des Bretts mittels Gewichtsverlagerung und Änderungen der Körperhaltung. Sie als wichtigen Teil des Skateboards zu bezeichnen, wäre leicht untertrieben.
Dank neuartiger Verfahren wie Topologieoptimierung und additiver Fertigung mit Metallwerkstoffen kündigt sich nun – ähnlich wie bei Flugzeugteilen, Möbeln und zahlreichen weiteren unverzichtbaren Alltagsgegenständen – auch bei der Konstruktion und Herstellung von Skateboard-Achsen ein radikales Umdenken an.
Dass er dabei aus eigener Erfahrung als Downhill-Skateboarder schöpfen konnte, gereichte Philipp Manger sicher nicht zum Nachteil. „Die Achse war das einzige Skateboard-Teil, das ich noch nie selbst entworfen hatte“, erläutert der Jenaer Student der Feinwerktechnik. „Zudem eignete sie sich perfekt zum Ausprobieren dieser neuen Technologien“. Mit dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt T.O.S.T. (Topology-Optimized Skateboard Trucks) nimmt sich Manger insbesondere den Bedürfnissen der Downhill-Longboarding-Community an. Hier kommen sogenannte „Reverse Kingpin“-Achsen zum Einsatz, die sich besser für hohe Geschwindigkeiten eignen als die „Traditional Kingpin“-Achsen der Streetskater.
Manger ist seit gut 15 Jahren im technischen Entwicklungsbereich tätig. Erfahrungen in der Anwendung von CAD und 3D-Design sammelte er unter anderem bei der Konstruktion von Lenksäulen für den Mini Cooper.
Die Arbeit im Automobilbau sei eine wertvolle Vorbereitung auf seine derzeitige Tätigkeit gewesen, berichtet Manger. „Konstruktion ist Konstruktion – egal, ob man Teile für Autos oder Skateboards macht. Außerdem habe ich dabei eine Menge über parametrische Konstruktion bzw. Modellierung gelernt und konnte viele unterschiedliche CAD-Tools ausprobieren.“
Nachdem er die Autoindustrie verlassen hatte, um an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena Feinwerktechnik zu studieren, entdeckte er seine Begeisterung für generative Gestaltung und weitere Techniken rund um die additive Fertigung und Optimierung von Konstruktionsverfahren.
Bei der Neugestaltung der „Reverse Kingpin“-Achse arbeitete Manger mit Fusion 360 und Netfabb von Autodesk. Anhand der von ihm vorgegebenen Parameter und Grenzwerte zur Verringerung des Gesamtgewichts bei gleicher (oder höherer) Steifigkeit entwarf die Software eine optimierte Gitterstruktur. Gittermuster sind Naturformen nachempfundene filigrane Gebilde, die den Anschein erwecken, sie hätten sich über Millionen von Jahren entwickelt. Dass die dadurch erzielbaren Vorteile in Bezug auf Gewicht sowie Leistungs- und Festigkeitseigenschaften im Flugzeugbau und verwandten Branchen eine entscheidende Rolle spielen, leuchtet sofort ein – aber bei Skateboards mit ihrem vergleichsweise geringen Gewicht?
„Wer schon mal versucht hat, beim Downhill-Fahren mit 80 km/h zu bremsen, weiß, dass das mit einem Skateboard, das fünf Kilo wiegt, schwieriger ist, als wenn es nur drei oder vier Kilo wiegt“, gibt Manger zu bedenken. Außerdem geht es ihm nicht nur um das Fahrerlebnis selbst: Immerhin müssen Longboarder nicht nur sicher von oben nach unten, sondern auch mühsam von unten nach oben kommen. Da bedeutet jede noch so geringfügige Reduzierung des Gewichts, das sie dabei schleppen müssen, eine willkommene Erleichterung.
Die Natur mit Lasern nachgeahmt
Herkömmliche Skateboard-Achsen werden zumeist aus Aluminium hergestellt. Obwohl Manger ein viel schwereres Metall, nämlich Titan, verwendet, sind seine Achsen aufgrund des geringeren Materialaufwands durch die Gitterstruktur leichter, verfügen dabei aber über eine höhere Steifigkeit. „Titan hat fast die doppelte Dichte von Aluminium“, erklärt er, „das war schon eine Herausforderung. Der eigentliche Unterschied liegt jedoch darin, dass der obere, bewegliche Teil der Achse, der Hanger, normalerweise als Aluminiumkörper mit Stahlachse ausgelegt ist. Die zwei Hanger, die ich konstruiert habe, bestehen jeweils aus einem einzigen Teil, und außerdem sind die Achsen selbst auch noch hohl bzw. nur mit einer Gitterstruktur ausgefüllt.“
Manger spricht in diesem Zusammenhang von „hybridem Design, das organische Formen mit Gitterstrukturen verbindet“ – ähnlich den Querschnittdarstellungen, die man aus dem Biologieunterricht kennt. Wenn man sich etwa ein Vogelskelett genauer anschaut, sind die Knochen nach mehreren Millionen Jahren Evolution fast komplett hohl. Ihr Inneres besteht aus komplizierten Gittern, die bei möglichst geringem Materialaufwand für strukturelle Integrität sorgen. Dies wiederum gewährleistet eine niedrige Masse, die das Fliegen überhaupt erst ermöglicht.“ Entsprechend sei „es auch ein bisschen Philosophie des Projekts, die Natur an dieser Stelle nachahmen“ zu wollen.
Mit herkömmlichen Fräs- oder Gießtechniken wäre die Herstellung derart filigraner und größtenteils geschlossener Strukturen nicht möglich gewesen. Bei den T.O.S.T.-Prototypen hatte kein einziger Gitterstab einen Durchmesser von über 0,8 Millimetern, sodass diese Verfahren von vornherein nicht in Frage kamen. „Ein Ziel bestand darin, die Grenzen der additiven Fertigung mit Metallwerkstoffen zu ermitteln, also die kleinstmögliche Strukturabmessung“, erläutert Manger.
Somit war die Wahl des richtigen Fertigungspartners für den Erfolg des Projekts ausschlaggebend. Besser als mit dem Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) hätte Manger es kaum treffen können: „Das Institut setzt seinen Forschungsschwerpunkt im Bereich der additiven Fertigung mit Metallwerkstoffen und anderer Leichtbauweisen, insofern war es der perfekte Partner für uns“, freut sich Manger. „Ich war froh, dass ich mit einer so großen Organisation zusammenarbeiten konnte, die mich zudem unterstützte, indem ich Zugang zu Bau- und Fertigungsanlagen erhielt, insbesondere zu einer Laserstrahlschmelzanlage. Und sie stand mir mit viel Knowhow in der additiven Fertigung zu Seite.“
Der Extremsport war eigentlich nur ein Mittel zum Zweck
Von einem einzigen kleinen Fehler beim Bauprozess abgesehen, lief in sämtlichen Projektphasen von der Partnersuche über die Erfassung und Synthese von Daten bis hin zur Konstruktion alles runder, als Manger erwartet hätte. „Die Achse hat gleich beim ersten Versuch funktioniert“, erzählt er. „Daran sieht man, wie gut die Software ist – denn vieles konnte von Beginn an analysiert und für den Bauprozess vorbereitet werden.“
Konkrete Pläne zur Vermarktung seines futuristischen Produktdesigns hat Manger bislang nicht. Es werde noch einige Jahre dauern, bis seine neue Skateboard-Achse im wirtschaftlichen Wettbewerb mit herkömmlichen Herstellungsverfahren bestehen könne, sagt er. Beim T.O.S.T.-Projekt sei es ihm zunächst nur darum gegangen, einen Machbarkeitsnachweis zu erbringen.
Eine positive Projektbilanz zieht er vor allem im Hinblick auf die dabei aufgebauten Branchenkontakte, das starke Interesse von Unternehmen an der Technologie, die Aufmerksamkeit, die es ihm einbrachte, sowie die zahlreichen Auszeichnungen, die er auf einschlägigen Fachmessen und -tagungen einstreichen konnte.
„Bei dem Projekt ging es mir nicht wirklich darum, eine Skateboard-Achse zu entwerfen“, meint er. „Im Mittelpunkt stand vielmehr die Entwicklung neuer Leichtbauverfahren in der additiven Fertigung mit Metallwerkstoffen. Beim T.O.S.T.-Projekt konnten aus der Verbindung organischer Formen mit Gitterstrukturen neue Ansätze aufgezeigt werden. Die Skateboard-Achsen dienen dabei als Demonstrator, an dem sich diese Ansätze auch Fachfremden unmittelbar erschließen.“