Sauberes Wasser in Entwicklungsländern eröffnet Frauen neue Perspektiven
Für Frauen in Industrieländern ist es eine Selbstverständlichkeit, dass stets sauberes Wasser aus dem Hahn läuft, die Toilette mit einem Handgriff gespült wird und die Sanitärversorgung verlässlich und stabil ist. Doch nicht überall auf der Welt kommen Frauen in den Genuss dieser Art von Luxus.
Obwohl zwei Drittel der Erde mit Wasser bedeckt sind, haben mehrere Milliarden Menschen in Entwicklungsländern keinen Zugang zu sauberem Wasser. Aus einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen geht hervor, dass besonders Frauen und Kinder überdurchschnittlich oft von Problemen bei der Wasser- und Sanitärversorgung betroffen sind (siehe Water Governance for Poverty Reduction, S. 35).
In dem Bericht heißt es weiter, dass Frauen (und damit ihre Kinder) aufgrund der traditionellen Rollenverteilung die Verantwortung für die Wasserversorgung ihrer Familie tragen. In der Praxis bedeutet das häufig, dass die Frauen in langen Schlangen warten oder viele Kilometer bis zur nächsten Wasserquelle und zurück nach Hause laufen müssen. Außerdem obliegt ihnen die Entsorgung von Schmutzwasser und Fäkalien und sie haben nur selten Zugang zu sicheren bzw. eigenen sanitären Einrichtungen.
Bereits 2002 erkannten die Vereinten Nationen das Recht auf sauberes Wasser für den persönlichen und häuslichen Gebrauch als grundlegendes Menschenrecht an. Des Weiteren riefen die Vereinten Nationen als ein Ziel für nachhaltige Entwicklung aus, bis zum Jahr 2030 allen Menschen Zugang zu sicherem Wasser sowie zu sanitären und hygienischen Einrichtungen zu ermöglichen. Nun bleiben noch etwas mehr als zehn Jahre zur Erreichung dieses Ziels und Organisationen auf der ganzen Welt arbeiten fieberhaft an der Umsetzung der UN‑Vorgabe.
So zum Beispiel die international tätige gemeinnützige Organisation Water For People, die 1991 gegründet wurde. Heute ist die Organisation in ländlichen und vorstädtischen Gegenden in über neun Ländern tätig und trägt dazu bei, Zugang zu Wasser sowie zu sanitären und hygienischen Einrichtungen zu schaffen. Eleanor Allen, CEO von Water For People, unterstrich kürzlich in ihrem TEDx‑Talk eindrucksvoll, dass der fehlende Zugang zu Wasser für Frauen tatsächlich problematisch ist. Dabei verweist sie vor allem auf die Zeit, die für die Wasserbeschaffung benötigt wird und die deshalb nicht ergriffenen oder abgebrochenen Ausbildungsmöglichkeiten sowie die fehlenden Toiletten.
Eleanor Allen und Water For People sind der Ansicht, dass mit der Lösung der weltweiten Wasserkrise auf lokaler Ebene begonnen werden muss. Deshalb arbeitet die Organisation eng mit den betroffenen Gemeinden und Gemeinschaften zusammen. Sie bieten ihnen Entwicklungshilfe und Unterstützung beim Aufbau der Infrastruktur zur Erschaffung einer nachhaltigen, unabhängigen und sicheren Wasser- sowie Sanitärversorgung.
„Die Gemeinde trägt zur Finanzierung bei und stellt die Arbeitskräfte zur Verfügung“, erklärt Allen. „Wir schulen sie, geben unser Wissen weiter und bauen diese Einrichtungen nach und nach in den einzelnen Kommunen auf.“
Zweifellos wirkt sich eine verbesserte Wasserversorgung positiv auf die Menschen aus. „Jedes Jahr sterben fünfhunderttausend Kinder im Alter von unter fünf Jahren an Durchfallerkrankungen, die durch verschmutztes Wasser ausgelöst wurden”, so Allen. „Natürlich kann man dem vorbeugen, aber dennoch passiert es überall auf der ganzen Welt. Zum Glück wissen wir, wie wir dieses Problem angehen müssen und lösen können.“
Um das von den Vereinten Nationen für 2030 ausgerufene Ziel zu erreichen, müssen jährlich 50 Milliarden Dollar investiert werden, um die weltweit fehlende sanitäre Infrastruktur aufzubauen. Doch wenn die fehlenden Toiletten und Wasserhähne erst einmal installiert sind, werden die Frauen davon profitieren, davon ist Allen überzeugt.
Auch das italienische Architekturbüro TAMassociati möchte mit seiner Arbeit in erster Linie die Lebensbedingungen von Frauen weltweit verbessern. Aus diesem Grund entwickelten die Architekten ein Ökodorf im Senegal. „Ziel ist es, einen Hausprototypen zu entwickeln, in dem Wasser für alle häuslichen Anwendungen – wie beispielsweise Trinken, Kochen, Waschen und Bewässerung – gesammelt und gespeichert werden kann. Dabei sollen die knappen Wasservorräte in künstlichen Wänden gelagert werden“, erklärt Massimo Lepore, Partner und Senior-Architekt bei TAMassociati.
Eigentlich ist es untertrieben, in diesen Gegenden von knappen Ressourcen zu sprechen. Lepore weist darauf hin, dass der durchschnittliche Wasserverbrauch in westlichen Ländern am Tag bei etwa 300 Litern pro Person liegt. Diese Zahl steht in starkem Kontrast zu afrikanischen Ländern, in denen chronischer Wassermangel herrscht. Im Senegal beispielsweise verbraucht eine Person am Tag durchschnittlich nur etwa 20 Liter Wasser. Auf Madagaskar sind es sogar nur 10 Liter.
Im Entwurf für das Ökodorf finden Installationen Berücksichtigung, mit denen Müll kontrolliert, Wasser in Tanks gereinigt und Schmutzwasser für die landwirtschaftliche Anwendung auf kleinen Flächen (zum Beispiel zur Bewässerung kleiner Gemüsegärten oder zur Versorgung von Tieren) aufbereitet werden kann. Lepore und sein Partner Raul Pantaleo von TAMassociati hoffen, dass bald ganze Dörfer aus diesen ressourcenbewussten, nachhaltigen Häusern entstehen und so ein weiterer Beitrag zur Versorgung mit sauberem Wasser geleistet wird, um das Leben von senegalesischen Frauen weiter zu verbessern.
„Schon die Umsetzung des Projekts brachte bedeutende Ergebnisse“, berichtet Pantaleo. So entstand in dem Dorf beispielsweise eine neue Bauarbeiter-Kooperative. Sie produzierte alle für das Gemeinschaftshaus erforderlichen Ziegel und verkauft nun Materialien an benachbarte Orte. „Gleichzeitig sorgt der örtliche Frauenverein für den Ausbau des landwirtschaftlichen Wissens bzw. der agrartechnischen Kompetenzen und in Kürze wird im Dorf auch ein Unternehmen aus dem Bereich Naturtourismus den Betrieb aufnehmen“, führt Pantaleo weiter aus.
Eleanor Allen von Water for People hat bereits darauf hingewiesen, dass Frauen nicht nur unter dem fehlenden Trinkwasser leiden, sondern auch unter den nicht vorhandenen annehmbaren sanitären Einrichtungen. In vielen Teilen der Erde gibt es heute weder angemessene Toiletten noch Kanalisationen oder sonstige sanitäre Einrichtungen.
„Auf der ganzen Welt gibt es etwa 2,5 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu verbesserter Sanitärversorgung haben. Darunter versteht man eine sanitäre Einrichtung, in der der Benutzer nicht mit seinen eigenen Fäkalien in Berührung kommt“, erklärt David Auerbach. Auerbach ist Mitgründer von Sanergy, einem sozialen Unternehmen, das sichere sanitäre Wertschöpfungsketten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi baut und plant.
Doch Auerbach merkt auch an, dass es beim Thema Sanitärversorgung um weit mehr geht als um funktionierende Toiletten: „4,1 Milliarden Menschen leben in Gemeinschaften, in denen die Fäkalien weder gesammelt noch abgeholt werden. Jedes Jahr gibt es beinahe eine Million Todesfälle aufgrund von Problemen bei der Sanitärversorgung und die schlechte Sanitärversorgung verursacht der Weltwirtschaft jährlich Kosten in Höhe von 260 Milliarden US‑Dollar.“
Besonders bedrohlich ist die ungenügende Sanitärversorgung in den Slums von Nairobi für Frauen. Sie wirkt sich auf ihre Gesundheit, ihre Sicherheit, ihren wirtschaftlichen Wohlstand und viele andere Bereiche aus. Sanergy ermöglicht es den Menschen, in sanitäre Einrichtungen für ihre Freunde und Nachbarn zu investieren. Anwohner können sogenannte Fresh Life‑Toiletten erwerben. Dabei handelt es sich um vorgefertigte, preiswerte und qualitativ hochwertige Toilettenhäuschen. Diese können sie in den verschiedenen Nachbarschaften der ganzen Stadt aufstellen und so eine Karriere als Fresh Life Operator starten. Sanergy schult die Käufer der Toiletten, gewährt Unterstützung bei Marketing-Aktivitäten und auch Zugang zu zinsfreien Krediten sowie dauerhaften Support während des Betriebs. Dazu zählt auch die regelmäßige Abholung des Abwassers. Die Fresh Life Operators profitieren von einem eigenen Einkommen, indem sie ihrer Nachbarschaft eine dringend benötigte Dienstleistung anbieten.
Das für die Abwassersammlung verantwortliche Sanergy-Team holt die Fäkalien ab, bereitet sie ordnungsgemäß auf und erzeugt daraus äußerst wertvolle landwirtschaftliche Düngemittel, die an die kenianischen Landwirte verkauft werden. Sanergy zeigt, dass Wertschöpfung aus menschlichen Ausscheidungen möglich ist und regt die Menschen dazu an, an den einzelnen Schritten der sanitären Wertschöpfungskette teilzuhaben.
Der Arbeit dieser und anderer Organisationen auf der ganzen Welt ist es zu verdanken, dass die Erfüllung des von den Vereinten Nationen für 2030 ausgelobten Ziels immer näher rückt. Sicherlich wird auch das Treffen der führenden Weltmächte anlässlich der World Water Week 2016 weitere Ideen, Initiativen und Gestaltungsmöglichkeiten hervorbringen. Und gleichzeitig eröffnen sich so neue Perspektiven für Frauen auf der ganzen Welt.
Water For People, TAMassociati und Sanergy werden von der Autodesk Foundation gefördert. Sie wurden ausgewählt, weil sie die dringendsten Probleme der Welt mithilfe von innovativen Design- und Ingenieurslösungen angehen.