Die japanische Robo-Designerin Kyunkun greift der Mode unter den Arm
Immer mehr Roboter werden zu einem festen Bestandteil unseres Alltags. Genau deshalb stellt sich mancher die Frage, warum wir Menschen die Roboter wirklich geschaffen haben. Sollen sie einfach nur unsere Diener sein? Oder könnten Roboter unser Leben noch auf irgendeine andere Weise bereichern?
In Japan ist das eine wichtige Frage, denn in diesem Land hat man eine besondere Beziehung zu Robotern: In Japans Fabriken gibt es mehr als 300.000 Industrieroboter, und Roboter selbst zu bauen ist ein äußerst beliebtes Hobby der Inselbewohner. Studenten entwerfen hippe, selbst gebaute Roboter und nehmen mit ihnen an speziellen Robocon– Wettbewerben teil , die im ganzen Land stattfinden. Dank der Robo-Modedesignerin Kyunkun haben Roboter nun sogar die Modewelt erobert.
Kyunkun liebt alles, was mit Robotern zu tun hat. Schon als Kind besuchte sie Robocon-Wettkämpfe und zeichnete Skizzen von Robotern, die sie sich selbst ausdachte. Auf der Oberschule begann Kyunkun, Roboter zu erfinden, die man als modisches Accessoire tragen konnte. Sie trat dem Nähclub bei und gestaltete ihren Beitrag für die Modenschau dieses Clubs rund um das Thema Technologie. „Ich baute einfache elektronische Einheiten und menschenähnliche Roboter aus Bausätzen, aber damals hatte ich keinen Schimmer, wie ich ein mechanisches Erzeugnis nach meinen eigenen Entwürfen bauen könnte“, verrät sie.
Als sie auf einer Roboter-Ausstellung zum allerersten Mal Industrieroboter sah, hatte sie ihre Berufung gefunden. „Mich faszinierte, dass sie tatsächlich echt waren, dass sie gebaut und verkauft wurden“, erzählt sie. „Diese Roboter wurden wirklich eingesetzt, um Tätigkeiten auszuführen und Produkte herzustellen.“
Von den Industrierobotern inspiriert, schrieb sich Kyunkun an der Uni für den Studiengang Maschinenbau ein – aber vergessen hat sie die tollpatschigen Robocon-Roboter nicht, die so wenig mit den so exakten und voll funktionsfähigen Robotern gemein hatten, deren Konstruktion sie während ihres Studium lernte. Der Charme der selbst gebauten Roboter lag in ihren unregelmäßigen Formen, den offenbar zufällig herausragenden Metallteilen und den hervorquellenden Kabeln. „Als Roboter wirkten sie erst halb fertig. Gleichzeitig konnte man aber die Sorgfalt und die Aufmerksamkeit erkennen, die ihre Schöpfer in ihre Entstehung einfließen ließen“, sagt sie. „Ich wollte diese Roboter nutzen und bei ihrem Design genau dort ansetzen, wo ihre ursprünglichen Schöpfer aufgehört hatten.“
Und so begab sich Kyunkun auf eine Entdeckungsreise, die sie zum DMM.make Akiba führte, einem interdisziplinären Workshop und Makerspace. Dort entwickelte sie ihre aktuelle Baureihe mit Robo-Mode und betrat damit unwissentlich die Welt der tragbaren Technologie. „Es war schon ein wenig seltsam: Ich fand heraus, dass ich etwas erfunden hatte, das es bereits gab und schon einen Namen hatte“, meint sie. „Aber ich fand den Begriff wearable passend. Er vermeidet die vorgefasste Meinung, ein Roboter dürfe nur ein dienstbarer Geist oder etwas sein, mit dem Menschen kommunizieren müssen.“
Auf der texanischen SXSW 2015 präsentierte Kyunkun ihre Arbeiten einem internationalen Publikum. Am Stand des DMM.make Akiba stellte sie erstmals ihre tragbaren METCALF Roboterarme vor. Ihr ursprüngliches Konzept – ein tragbares System, bei dem sich die Funktion vor der Mode verbeugt – fiel zwischen vielen anderen ausgestellten Hardware-Startups ins Auge und stieß bei den Besuchern aus aller Welt auf reges Interesse.
„Robo-Mode war in Japan bereits auf dem besten Wege, ein Teil des kulturellen Bewusstseins zu werden“, erklärt Kyunkun. „Scheinbar war es für die meisten Menschen nur eine Frage der Zeit, Roboter und Mode zu verbinden. Aber als ich meine Arbeit zum ersten Mal auf der SXSW vorstellte, reagierten viele Menschen sehr überrascht.“
Kyunkun arbeitete weiter an der Entwicklung ihrer Kollektion tragbarer Roboter und brachte im März 2016 ihren METCALF clione auf den Markt. Dabei erfuhr das erste METCALF-Design ein wesentliches Update: Der Clione überzeugt nun mit einer viel leichteren Struktur, dekorativen Motiven des Grafikdesigners Rei Nakanishi und der Integration von V-Sido OS, sodass die Roboterarme via Smartphone gesteuert werden können.
„Ich entwarf mehrere vorläufige Designs als eigenständige Arbeiten und entwickelte das Produkt mittels eines Prozesses, der sich für mich wie eine Prototypenentwicklung anfühlt“, erläutert Kyunkun. „Jedes Mal, wenn ich etwas gebaut hatte, fand ich zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten und begann sofort mit der nächsten Version. Diese Art von Entwicklungszyklus begeistert mich einfach.“
In nur drei Monaten entwickelte Kyunkun den METCALF Clione und fertigte drei Einheiten des METCALF Stage, einem vom METCALF Clione abgeleiteten Modell. Die Stage-Modelle bekamen ihren Auftritt bei einem Konzert von AKB48, Japans beliebtester Teeny-Band. Kyunkun bewältigte dieses immense Arbeitspensum, indem sie bei Softwareentwicklung und Grafikdesign mit weiteren Experten zusammenarbeitete. Allerdings bleiben die mechanischen Elemente in Kyunkuns Designs ausschließlich ihr Ressort, wenn sie weiter an der Verbesserung und Verfeinerung ihrer Kreationen arbeitet.
Die meisten Arbeiten von Kyunkun beinhalten Roboterarme, da Armkomponenten ihrer Meinung nach die interessantesten Roboterarten sind. „Sie verfügen über einen großen Bewegungsradius, und obwohl ihr Design menschlichen Armen nachempfunden ist, haben sie immer diese einzigartige Robotergestalt“, meint sie.
Kyunkun denkt bereits über ihr nächstes Projekt nach, sieht ihren Fokus aber auch weiterhin im Bereich Robot-Arme. „Wenn ich mit der Arbeit an einer anderen Roboterart beginnen würde, wären die vielen Lösungen verschwendet, die ich für die während des bisherigen Produktionsprozesses aufgetauchten Probleme entwickelt habe“, findet sie. „Ich möchte die Modelle der METCALF-Kollektion weiterhin aktualisieren und meine Produkte so immer weiter verbessern.“
„Mein Ansatz besagt nicht, dass ich mich nicht für Roboter interessiere, die den Menschen das Leben erleichtern“, führt Kyunkun weiter aus. „Ich habe meine Berufung jedoch in einem Bereich gefunden, mit dem sich aus mir unbekannten Gründen bislang noch niemand beschäftigt hat. Deshalb fühle ich eine besondere Verantwortung, das weiterzuführen, was ich begonnen habe. Ich denke, wenn ich mit meiner derzeitigen Arbeit einmal zufrieden sein sollte, würde ich gern etwas erschaffen, das den Menschen auf der Welt helfen könnte. Ich möchte mir noch mehr Fähigkeiten und Kenntnisse aneignen, damit ich in zehn Jahren spielend einfach alles bauen kann, was ich will.“