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Könnte eine Roboter-Raupe die nächste Entwicklungsstufe in der Soft-Robotik sein?

caterpillar robot

Von allen auf der Erde lebenden Arten zählen 10 Prozent – etwa 180.000 – zur Insektenordnung der Lepidoptera, deren Larven gemeinhin als Raupen bezeichnet werden. Ihre flexiblen, einfachen, schlauchförmigen Körper – ohne klare Knochenstruktur, von einer sehr kleinen Anzahl von Neuronen gesteuert und dennoch an verschiedene Umgebungen anpassungsfähig – waren für Takuya Umedachi, der die Erde als einen „Planeten der Raupen“ betrachtet, das ideale Modell für die Entwicklung von Roboterbewegung auf Basis von weichen Werkstoffen. Diese Roboter-Raupe gehört zu einer neuen Gattung von „weichen Robotern“, die anstelle von Hartmetallen aus elastischen Werkstoffen bestehen und so für Menschen benutzerfreundlicher und sicherer sind.

Umedachi, der an der Fakultät für Technik und Informatik der Universität von Tokio lehrt, zählt zu den führenden Forschern in der Robotertechnik – insbesondere auf dem Gebiet der weichen Roboter. Inspiration findet Umedachi in fiktionalen Werken wie Ghost in the Shell, welches das Verhältnis zwischen Körper, Geist und Erinnerungen eines Menschen analysiert. Seine Auseinandersetzung mit der Frage, was Roboter von Menschen und anderen Organismen unterscheidet, regte ihn zur Entwicklung von Robotern an, deren Eigenschaften den von Lebewesen ähneln.

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Ein nach dem Vorbild einer Raupe gestalteter Roboter, der Stufen und Wände erklimmen kann (von Masahiro Morita, Takuya Umedachi, Ta Duc Tung und Yoshihiro Kawahara). Credit: Takuya Umedachi.

Die Konstruktion der meisten Industrieroboter orientiert sich am menschlichen Arm: mit knochenartigen Verbindungen, die durch Gelenke – ähnlich einer Schulter, einem Ellbogen oder einem Handgelenk – miteinander verbunden sind. Für fließende, freie Beweglichkeit werden in einem Roboterarm oft bis zu sechs Gelenke (Achsen) verwendet. Fast alle Komponenten bestehen aus hartem Metall.

Im Rahmen seiner von Amöben und Raupen inspirierten Forschungen über Weichkörperroboter hatte Umedachi bereits 2010 einen Roboter nach dem Vorbild der plasmodialen Schleimpilze (Myxomyzeten), einer einzelligen Amöbengattung, gebaut. „Dass diese Art von Robotern als weiche Roboter‘ bezeichnet werden, erfuhr ich erst, nachdem ich bereits auf diesem Gebiet arbeitete“, erzählt Umedachi.

„Bei der Konstruktion sogenannter harter Roboter für die Arbeit in weicher Erde oder auf Baumästen gibt es viele Hürden. Gewichtsbeschränkungen, komplexe Kontrollmechanismen und hohe Entwicklungskosten sind nur einige Beispiele dafür“, fährt er fort. „Deshalb geht der Trend meiner Meinung nach zum Bau von Robotern, die sich an den hochfunktionellen Strukturen und Formen von Lebewesen orientieren.“

Mit flexiblen Körpern aus weichen Werkstoffen, die der Natur nachempfunden sind, können weiche Roboter so gestaltet werden, dass sie ihre Form in mehreren Dimensionen verändern und die Prinzipien nichtlinearer Mechanik nutzen können. Neben den knochen- und gelenkähnlichen Strukturen von harten Robotern sind bei weichen Robotern Funktionen denkbar, die denen von Muskeln, Sehnen, Haut und Haaren gleichen. Aufgrund dieser Eigenschaften würden die Soft-Roboter sich für Arbeiten in unmittelbarer Nähe von Menschen – wo Sicherheit vorrangig ist – sowie für den Einsatz in unbeständigen Umgebungen eignen.

Entwurf, Herstellung und Steuerung dieser weichen Roboter erfordern ein anderes Vorgehen als bei harten Robotern. Zunächst verwendete Umedachi kleine Ballons und ähnliche Strukturen, lernte jedoch im Technologiezentrum Pier 9 von Autodesk in San Francisco fortschrittliche Technologien wie den 3D-Druck kennen. Schwer beeindruckt änderte er bald darauf sein Fertigungskonzept.

„Statt Zahnräder und Gelenke zu entwerfen, konnte ich für den Körper, an dessen Konstruktion ich arbeitete, durch Justierung der Steifigkeitsverteilung die gewünschte Funktionalität erreichen“, sagt Umedachi. „Ich hatte das Gefühl, dass diese Werkzeuge wie für meine weichen Roboter gemacht waren.“

Als Umedachi während eines Forschungsaufenthalts an der Tufts University in Massachusetts einen Roboter nach dem Vorbild einer Raupe baute, druckte er nicht nur einzelne Teile, sondern den gesamten Roboterkörper mit einem 3D-Drucker. „Endlich waren wir in der Lage, im 3D-Druck weiche Werkstoffe zu verwenden“, sagt er, „und dies ist der Roboter, den wir damit produziert haben.“

Die mechanischen Systeme herkömmlicher harter Roboter geben für jedes mit dem Körper verbundene Teil eine bestimmte Funktion vor. Wenn zusätzliche Funktionen benötigt werden, müssen neue Elemente angebracht werden. Im Gegensatz dazu können Roboter mit weichen Strukturen unterschiedliche Formen annehmen und ihre elastischen Eigenschaften in Echtzeit ändern, um auf äußere Kräfte zu reagieren. Sie sind ununterbrochen betriebsfähig, indem sie Bewegung intern von einem Körperteil zum anderen übertragen – und kommen dabei mit einer sehr geringen Anzahl von Einzelteilen aus.

Entwurf eines 3D-gedruckten weichen Roboters mit Haltungs- und Lenksteuerung

Umedachi produzierte seine Roboter-Raupe mit einem 3D-Drucker, der flexible, gummiartige sowie harte Werkstoffe gleichzeitig ausgeben kann. Insgesamt wurden drei Sprungfedern aus einer Formgedächtnislegierung eingebettet, die sich bei Elektrifizierung zusammenzieht – zwei im vorderen und eine im hinteren Segment des Roboters. Durch zeitversetztes Zusammenziehen dieser Federn kann sich der Roboter vorwärtsbewegen, sich nach links oder rechts oder ganz um die eigene Achse drehen, was ihm ein großes Bewegungsspektrum verschafft.

„Heute stehen uns sehr gut entwickelte Werkzeuge zur Verfügung“, erklärt Umedachi. „Das macht es mir leicht, in 3D zu entwerfen. Die Formungsfunktionen zum Erstellen von organischen Kurven in Autodesk Fusion 360 sind für meine Arbeit ideal. Als Nächstes werde ich testen, wie die Anwendung dieser organischen Kurven sich auf die physikalischen Eigenschaften meiner Roboter auswirkt.“

Umedachi erforscht darüber hinaus autonome dezentrale Steuerungen, die sich wie ein Organismus an Veränderungen in der Umgebung anpassen. Betrachten wir das Beispiel einer Katze: Beim Laufen funktioniert jedes ihrer vier Beine sowohl eigenständig als auch zusammen mit den anderen als Ganzes. Die Beine bringen die Gesamtbewegung durch Interaktionen zwischen verschiedenen Körperteilen, die durch Kommunikation (über Nerven und mechanische Kraft) entstehen, in einen Rhythmus. Auf diesen „autonomen dezentralen Steuerungen“ basiert die Arbeitshypothese von Umedachis Forschung.

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Ein Origami-Roboter mit flexiblen Leiterplatten (von Dongchee Lee, Kazuya Saito, Takuya Umedachi, Ta Duc Tung und Yoshihiro Kawahara). Credit: Takuya Umedachi.

Um seine Theorien zu testen, wollte Umedachi einen Roboter mit einem weichen Körper bauen, den man frei steuern konnte. Für seinen Entwurf verwendete er autonome dezentrale Steuerungen, die auf der einfachsten Lebensform basieren: dem einzelligen Organismus. Bei Umedachis raupenähnlichem Roboter wurden Motoren mit Wickelfunktion so eingestellt, dass sie individuell denken und in einem bestimmten Rhythmus Kontraktionen herbeiführen, um Bewegung zu erzeugen. Der Roboter konnte erfolgreich seine eigene Kriechbewegung in Gang setzen.

Umedachi zufolge stellt die Bestimmung der unterschiedlichen Kräfte, die auf dessen Körper wirken, eine der größten Herausforderungen bei der Konstruktion eines solchen weichen Roboters dar. Welche Körperteile können verstärkt werden, um die Bewegungsgeschwindigkeit zu verbessern? Welche Bereiche bewegen den Körper am Boden vorwärts? Wie werden Kontraktionen übertragen?

„In einem weichen Körper kann jeder Bereich als Gelenk fungieren“, erläutert er. „Deshalb ist es schwer zu sagen, wo Kräfte wirken werden. Robotik ist die Untersuchung von Kräften, aber ähnlich wie bei Elektrizität kann man diese nicht sehen, was die Arbeit mit ihnen erschwert.“

D07: Wie eine Raupe: Ein raupenartiger Roboter mit weichem Körper, der von einer dezentralisierten Steuerung angetrieben wird

Sobald es gelingt, einen gut beweglichen Roboter zu entwickeln, ist das Anbringen von Sensoren ein einfacher Schritt. „Diese Roboter können an Stellen eingesetzt werden, die für Menschen normalerweise nicht zugänglich sind“, sagt Umedachi.

„Bei einem Projekt, an dem wir gerade mit einem Unternehmen arbeiten, geht es um einen weichen Roboter, der an Stromleitungen entlang kriechen kann“, fährt er fort. „Die Werkstoffe für den Bau eines Roboters kosten nur 2.000 bis 3.000 Yen (ca. 15 bis 24 Euro). Deshalb können wir den Roboter dauerhaft an einer Stromleitung anbringen, um Wartungsarbeiten auszuführen.“

Japan hält einen Anteil von 56 Prozent an der weltweiten Produktion von Industrierobotern. Zu den aktuellsten Entwicklungen des Landes auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz gehört die Herstellung von Robotern für eine ständig wachsende Palette von Aufgaben an Arbeitsplätzen und im Haushalt. Die Soft-Robotik ist ein junges Forschungsgebiet, und viele Aspekte müssen noch mit der laufenden Forschung im Bereich der konventionellen Robotertechnik in Einklang gebracht werden.

„Wir Menschen bestehen aus einer Kombination von harten und weichen Materialien“, sinniert Umedachi. „Mein Gefühl sagt mir, dass weiche Roboter letztendlich mit harten Robotern zu ähnlichen Formen verschmelzen werden.“

Über den Autor

Yasuo Matsunaka spielt Keyboard und liebt Filme, die im Weltall spielen. Außerdem ist er Redakteur bei Redshift Japan und Content Marketing Manager bei Autodesk Japan.

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