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Weniger Strahlungsrisiko für Ärzte dank VR in der OP-Simulation

Marion Surgical aus Toronto erstellte mit Software von Autodesk und 3D-Druckverfahren verschiedene Ausfertigungen ihrer Benutzeroberfläche für OP-Simulationen. Mit freundlicher Genehmigung von Marion Surgical.

Die Ausbildung zum Chirurgen, da sind sich alle einig, ist kein Kinderspiel. Beim erhöhten Risiko körperlicher Schäden hört der Spaß endgültig auf. Urologen sind zum Beispiel – selbst bei minimalinvasiven Eingriffen wie der perkutanen Nephrolithotomie (PCNL) zur Entfernung von Nierensteinen – hohen Strahlungsdosen ausgesetzt. Mit neuster VR-Technologie lassen sie die OPs vorab üben, sodass Risiken minimiert werden können.

Bei vielen Eingriffen arbeiten Chirurgen mit Unterstützung von Röntgengeräten und sowohl in der Ausbildung wie auch bei wirklichen Operationen kann die Strahlung, der sie sich aussetzen, kumulativ ansteigen. Deswegen ist die regelmäßige Überprüfung der Strahlungswerte für Urologen in vielen Ländern gesetzlich vorgeschrieben. Dabei werden oftmals die zugelassenen Höchstwerte erreicht, was Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit und Schwierigkeiten bei der Ausbildung des chirurgischen Nachwuchses zur Folge hat.

Ben Sainsbury macht sich seine Kenntnisse als Experte für Gaming und Virtuelle Realität (VR) zunutze, um die Arbeitsweise von Urologen zu optimieren. Die Firma Marion Surgical, die Sainsbury dafür mit seinem Geschäftspartner, dem Urologen Dr. Rajiv Singal, gründete, nimmt am Residenzprogramm von Autodesk teil. Marion Surgical hat ihren Funktionsstandort im Technologiezentrum von Autodesk in Toronto und erstellt dort Benutzeroberflächen zur OP-Simulation mit Hilfe von Augmented Reality (AR), VR und haptischer Technologie, sodass Chirurgen und Assistenzärzte Operationsverfahren im VR-Umfeld eines OP-Saals für den Ernstfall proben können.

Medizinische Ausbildung im virtuellen Raum

„In der Vergangenheit“, so Sainsbury, „bestand das vorherrschende Konzept der Ausbildung an Krankenhäusern aus Demonstration und Nachahmung, damit die zukünftigen Ärzte eine gute Note in der Abschlussprüfung erhielten. Man konnte also nur dann erfolgreich sein, wenn man es seinem Oberarzt gleichtat, und dann erhielt man seinen Titel. Das muss sich aber ändern. Es zeichnet sich nun ein Paradigmenwechsel hin zur kompetenzbasierten Ausbildung von Medizinern ab. Dies wird einer neuen Generation von Chirurgen mehr Gelegenheit geben, die Eingriffe im Laufe ihrer Facharztausbildung unter möglichst lebensechten Bedingungen zu simulieren.“

Eingriffe wie eine PCNL werden üblicherweise anhand von Verfahren gelehrt, die häufig ihre höchsteignen Herausforderungen in sich bergen. So ist es normal, dass Hersteller von Medizinprodukten und OP-Zentren Eingriffe an Schweinen vornehmen lassen, damit die Probanden ein Gefühl für die Kräfte entwickeln können, die bei der OP am Menschen aufgebracht werden müssen. Und das kann im wahrsten Sinne des Wortes in einer ziemlichen Sauerei enden.

Die Nutzung von VR könnte diese Klippe umschiffen. Das Hauptziel besteht allerdings darin, die Ausbildungszeit zu verkürzen und gleichzeitig die Qualität der Ausbildung so weit zu erhöhen, dass insgesamt mehr erfolgreiche OPs mit weniger Fehlern durchgeführt werden können. Das Programm enthält daher eine Feedback-Funktion, damit angehende Chirurgen aus den simulierten OPs lernen können. Sie erhalten für ihren Eingriff eine Punktzahl sowie eine schriftliche Bewertung in Echtzeit. Je besser ein Chirurg abschneidet, desto höher ist seine Punktzahl.

„Urologen sind den Wettbewerb gewohnt“, berichtet Sainsbury. „Wenn wir bei Fachmessen unsere Simulation präsentieren, kämpfen sie regelrecht darum, wer den Highscore knackt. Urologen, die mit Videospielen aufgewachsen sind, haben also einen entscheidenden Vorteil.“

Ein Standbild des OP-Tischs in der VR-Darstellung eines OP-Saals in der Übungssimulation. Szene 1. Credit: Marion Surgical.

Szene 2. Credit: Marion Surgical.

Szene 3. Credit: Marion Surgical.

Szene 4. Credit: Marion Surgical.

Auswertung einer Übungseinheit im VR-Operationssimulator. Credit: Marion Surgical.

Doch selbst für Chirurgen ohne Videospiel-Erfahrung stellt diese Form der Ausbildungssoftware einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert dar – denn es gibt Feedback in Echtzeit. „Eine der Aufgaben, die am meisten Übung erfordern, ist es, bei der Punktion präzise genug anzusetzen, damit man nur einmal punktieren muss“, erklärt Sainsbury. „Eine Niere sollte nicht öfter als notwendig verletzt werden. Wenn man eine Niere zu oft ansticht, steigt das Risiko, dass die Kontrastflüssigkeit [welche zuvor in das Organ injiziert worden war, um die Nierensteine im Röntgen sichtbar zu machen] auf einmal aus der Niere austritt. Das ist dann ungefähr vergleichbar mit einem Schneesturm in einer Flugsimulation – und außerdem nicht besonders ansehnlich.“

Ein Stäbchen ist gut, jedes weitere treibt die Punktzahl nach unten

Weitere Anhaltspunkte, nach denen sich die Punktzahl für die Chirurgen errechnen lässt, sind die Anzahl der Stäbchen, bis man die Niere erreicht hat, der Eintrittswinkel, die aufgewendete Kraft und die Anzahl der benötigten Röntgenbilder. Schaden am Patienten durch zu starke Krafteinwirkung und simulierter Blutverlust senken ebenfalls die Punktzahl.

Laut Sainsbury besteht einer der entscheidenden Vorteile der VR-Simulation darin, dass ausbildende Ärzte ihren professionellen Nachwuchs auch auf besonders schwierige oder ungewöhnliche Fälle loslassen können, die in der Realität vielleicht nicht oft vorkommen, die sie aber trotzdem behandeln können sollten. Er und sein Team bringen die Simulation regelmäßig auf den neuesten Stand, um die Handhabung zu verbessern und das Benutzererlebnis noch realistischer zu gestalten.

Dr. Jason Y. Lee (rechts) ist Programmdirektor der Facharztausbildung für Urologen an der Universität Toronto und leitet zusammen mit Marion Surgical einen Workshop zur VR-Operationssimulation im Technologiezentrum von Autodesk. Mit freundlicher Genehmigung von Marion Surgical.
Dr. Jason Y. Lee (rechts) ist Programmdirektor der Facharztausbildung für Urologen an der Universität Toronto und leitet zusammen mit Marion Surgical einen Workshop zur VR-Operationssimulation im Technologiezentrum von Autodesk. Credit: Marion Surgical.

„Wir haben eine dauerhafte Versorgung mit echten Patientendaten“, berichtet Sainsbury. „Dadurch können wir auch komplizierte Fälle von anderen Chirurgen bearbeiten und sie frühzeitig in unser System integrieren. So kann sich jeder mit einem interessanten Fallbeispiel an der Ausbildung neuer Fachkräfte beteiligen.“

Laut Sainsbury könnten so mit der Zeit die Daten, die im laufenden Projekt erfasst werden, von Krankenhäusern und Chirurgen zur Entwicklung effizienterer Methoden für die Facharztausbildung verwendet werden. Auf diesem Wege ließen sich möglicherweise sogar Fehler vermeiden und Genesungszeiten verbessern.

Datenauswertung machen weltweiten Vergleich möglich

„Wenn man all diese Informationen analysiert, die von unterschiedlichen Nutzern, also von ausgebildeten Ärzten und Medizinern in der Ausbildung, generiert werden, lässt sich erkennen, wie die unterschiedlichen Kohorten im Vergleich abschneiden“, so Sainsbury. „Das System ist in der Lage, zwischen Experten und Laien zu unterscheiden. Im weiteren Prozess können wir dann feststellen, ob Chirurgen eines bestimmten Krankenhauses höhere Punktzahlen verglichen mit anderen Chirurgen erreichen.“ So könnten Ärzte unterschiedlicher Einrichtungen voneinander lernen und ihre chirurgische Kompetenz verbessern.

Mit Unterstützung der Mitarbeiter im Technologiezentrum in Toronto und unter Verwendung unterschiedlicher Produkte und Softwarelösungen von Autodesk erstellt Marion Surgical unterschiedliche Ausfertigungen ihrer Hardware im 3D-Druckverfahren. Im Rahmen des Residenzprogramms kann Marion Surgical neue Bauteile schnell und effizient herstellen. So wird Singal, der in der ganzen Welt unterwegs ist, um Ärzte auszubilden, schon bald in der Lage sein, Chirurgen mit VR-Geräten auszustatten und aus der Ferne zu unterrichten.

Urologe und Mitgründer von Marion Surgical Dr. Rajiv Singal als Teil der VR-Simulation. Mit freundlicher Genehmigung von Marion Surgical.
Urologe und Mitgründer von Marion Surgical Dr. Rajiv Singal als Teil der VR-Simulation. Credit: Marion Surgical.

„Dr. Singal bildet viele Chirurgen in Entwicklungsländern aus“, berichtet Sainsbury. „Ein Lösungsansatz besteht darin, eine Einheit unserer VR-Simulation nach Afrika mitzunehmen und sie den Ärzten dort zu überlassen. Dann könnte er sie von Kanada aus weiterhin betreuen. Man setzt einfach den Kopfhörer auf, Dr. Singal schaltet sich zu und beaufsichtigt und kommentiert die virtuelle OP.“

Laut Sainsbury besteht der nächste Schritt nach der Durchführung und dem Feintuning mehrerer PCNL-OPs in der Übungssimulation darin, auch weitere minimalinvasive Eingriffe ins Repertoire aufzunehmen, deren praktische Einübung kompliziert und zeitraubend ist. In genau solchen Aufgaben besteht nämlich der größte potenzielle Nutzen von VR-Simulationen im OP.

„Bei der nächsten OP wird es sich um die Entfernung von vernarbtem Gewebe aus den Arterien zwischen Herz und Lungen handeln“, verrät Sainsbury. „Es ist nicht einfach, eine solch komplizierte Prozedur zu üben, aber es wäre ein wichtiger Schritt, vielerorts das Patientenwohl zu verbessern. Mit der richtigen Kombination aus begleitender Medikation und Erfahrung bei der Durchführung lässt sich so die Sterblichkeitsrate von etwa 20–30 Prozent auf nur noch 2 Prozent verringern.“

Über den Autor

Kimberly Holland lebt und arbeitet als Lifestyle-Autorin und Redakteurin in Birmingham/Alabama. Wenn sie nicht gerade ihre Bücher nach Farben ordnet, probiert sie gerne neue Küchenhelfer aus und verwöhnt ihren Freundeskreis mit kulinarischen Experimenten.

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