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Mit schlanker Planung stellt sich ein irisches Bauunternehmen dem Urteil der Justiz

Das historische Gerichtsgebäude in Cork wurde modernisiert und erweitert. Mit freundlicher Genehmigung von BAM Ireland.

In der Rechtsprechung ist Improvisation ein Fremdwort. Gerichtsverfahren folgen einer vorgegebenen Choreographie aus Plädoyers, Zeugenaussagen, Anträgen und Begründungen, die eine möglichst schnelle, effiziente und gerechte Abwicklung gewährleistet. Alles andere wäre Verschwendung von Steuergeldern und Missachtung der Rechte von Opfern und Angeklagten. Von so viel Effizienz kann die Bauwirtschaft – allen Bemühungen einzelner Unternehmen und staatlicher Reformkommissionen zum Trotz – nur träumen. Irland beweist nun das Gegenteil.

Die Firma BAM Ireland (die irische Tochtergesellschaft des holländischen Konzerns Royal BAM) will mit mit schlanken Bauprozessen neue Impulse setzen. Bei einem Projekt in öffentlich-privater Partnerschaft zur Planung, Errichtung, Finanzierung und 25-jährigen Instandhaltung von sieben neuen Gerichtsgebäuden in ganz Irland mit einem Gesamtwert von 154,5 Millionen Euro nahm sich das Unternehmen ein Vorbild an dem im Rechtswesen üblichen verfahrensorientierten Vorgehen.

Außenansicht eines neuen Gerichtssaals. Mit freundlicher Genehmigung von BAM Ireland.
Außenansicht eines neuen Gerichtssaals. Mit freundlicher Genehmigung von BAM Ireland.

„Fehler sind im Bauwesen nicht weniger folgenschwer und kostspielig als in der Justiz“, so Michael Murphy, der bei BAM Ireland für die Koordinierung technischer Abläufe zuständig ist. „Das Bewusstsein, dass wir uns keine Fehler leisten können, ist der Schlüssel zum finanziellen Erfolg.“

Diese Mentalität kommt indes nicht nur der Unternehmensbilanz, sondern auch dem Planeten zugute. „Bei der Abwicklung von Bauprojekten ging es uns zunächst darum, den Informationsfluss zwischen Planern und unseren Lieferkettenpartnern besser zu koordinieren und dadurch Probleme auf der Baustelle zu vermeiden“, so der Leiter für digitale Bauprozesse bei BAM Ireland, Michael O’Brien. „Das wirkte sich zugleich positiv auf die Nachhaltigkeit aus.“

Fortschrittliche Planung durch Rückwärtsterminierung

Die Arbeiten am Gerichtsgebäude in Cork waren im Mai 2018 abgeschlossen. Das Bauprojekt im Auftrag des irischen Justizministeriums beinhaltete die Modernisierung und Erweiterung der vorhandenen historischen Bausubstanz. Entstanden ist ein Komplex mit sechs Gerichtssälen, modernisierten Arrestzellen und einem Verwaltungstrakt, in dem auch die regionale Justizbehörde ihren Sitz hat.

In diesem Besprechungsraum treffen alte und neue Architektur aufeinander. Mit freundlicher Genehmigung von BAM Ireland.
In diesem Besprechungsraum treffen alte und neue Architektur aufeinander. Mit freundlicher Genehmigung von BAM Ireland.

Gängige Planungskonflikte wie Wasserleitungen, die durch Heizrohre oder Betonträger verlegt werden sollen, galt es bei diesem Bauprojekt unbedingt zu vermeiden, um die strikten Fristvorgaben des Justizministeriums einzuhalten. Wie O’Brien erzählt, waren bereits unmittelbar nach dem Fertigstellungstermin Gerichtsverhandlungen angesetzt, sodass schon die geringste Verzögerung mit empfindlichen Geldstrafen geahndet worden wäre.

Zur Gewährleistung der fristgerechten und fehlerfreien Fertigstellung des Gebäudes setzte man bei BAM Ireland auf das Prinzip schlanker Bauprozesse, die auf der Zusammenarbeit aller Beteiligten entlang der Lieferkette beruhen. Traditionell werden Arbeitsabläufe im Bauwesen nach dem „Push“-Prinzip zentral von einer Einzelperson bzw. einem kleinen Team gesteuert. Durch die Rückwärtsterminierung unter Einbeziehung von Hauptauftragnehmer, Planungsteam und Subunternehmern konnten bei diesem Projekt sämtliche Abläufe vom Endtermin aus durchgeplant werden, wobei man potenzielle Probleme möglichst im Voraus behob.

„Damit wollten wir sicherstellen, dass uns keine Felsbrocken im Weg lagen“, erklärt O’Brien. Der Hauptauftragnehmer erstellte in Autodesk BIM 360 Plan eine Übersichtsdarstellung sämtlicher Projektaufgaben, Abhängigkeiten, Fristen und Anfragen zur gemeinsamen Nutzung. Durch diese klare und für alle Beteiligten ­– von den Gebäudeplanern bis hin zu den Handwerkern – einsehbare Aufgabenverteilung wurden Abläufe transparenter und dadurch wiederum effizienter, sodass sich die erforderlichen Änderungsaufträge reduzieren und Lieferverzögerungen weitgehend vermeiden ließen.

Mehr Effizienz bedeutet mehr Nachhaltigkeit

Die Bemühungen um effizientere Kommunikation zahlten sich letztlich in Form einer effizienteren Planung aus, wie O’Brien berichtet. Die Planung nach dem Pull-Prinzip, wie es in der Produktionssteuerung und Lieferkettenverwaltung üblich ist, ermöglichte bedarfssynchrone Lieferung und Verbau der benötigten Werkstoffe und Bauteile und führte dadurch zu weniger Verschwendung, da diese nicht unnötig lange auf der Baustelle gelagert werden mussten.

Zugleich ließ sich durch digitale Modellierung die Nachhaltigkeitsbilanz des Projekts verbessern. Die gleichen Softwareprogramme, die eine gemeinsame Nutzung von Bauplänen und die Nachverfolgung sämtlicher Projektaufgaben in Echtzeit ermöglichten – Autodesk Revit, Navisworks Manage und BIM 360 –, unterstützten das Team auch bei der Bestellung, Inventarisierung und Nachverfolgung von Werkstoffen und gewährleisteten die fristgerechte Lieferung der jeweils erforderlichen Mengen ohne unnötige Überschüsse. Und ganz nebenbei wurde dabei auch noch der Papierverbrauch reduziert.

„Früher haben wir mit einem papierbasierten System zur Dokumentierung von Bauprojekten gearbeitet“, erinnert sich der Beauftragte für technische Bereitstellung bei BAM Ireland, Simon Tritschler. Heute wickle das Unternehmen BIM-Projekte zu 95 Prozent digital ab. „Anstelle eines ganzen Raums voller Regale mit Papierunterlagen haben wir nur noch ein paar Aktenordner für Unterlagen, die per Gesetz in Papierform aufbewahrt werden müssen. Damit haben wir mehr Kontrolle über unsere Daten, schonen die Umwelt und sparen Platz. Außerdem lassen sich Daten sehr viel einfacher abrufen, verarbeiten und übertragen.“

Schlanke Bauprozesse bringen langfristige Vorteile

Schlanke Prozesse unter Einsatz digitaler Technologien sorgten bereits in der Bauphase für mehr Nachhaltigkeit. Noch offensichtlicher werden die Vorteile im Hinblick auf die langfristige Ökobilanz des Gerichtsgebäudes in Cork.

Das Foyer des Gerichtsgebäudes. Mit freundlicher Genehmigung von BAM Ireland.
Das Foyer des Gerichtsgebäudes. Mit freundlicher Genehmigung von BAM Ireland.

Da der Vertrag mit dem irischen Justizministerium auch die Instandhaltung des Gebäudes über 25 Jahre beinhaltete, lag es im Interesse des Unternehmens, auf eine möglichst nachhaltige Bauweise zu achten, wie O’Brien betont. Zur Identifizierung anstehender Wartungsaufgaben arbeitet das für die laufende Instandhaltung zuständige Team mit dem in der Bauphase erstellten digitalen Modell. Auf diese Weise soll der effiziente Betrieb sämtlicher Gebäudesysteme gewährleistet werden, damit diese ihre maximale Lebensspanne erreichen.

„Durch die Arbeit mit BIM 360 Glue konnten wir sicherstellen, dass alle Anlagen, die auf der Baustelle installiert wurden, auch tatsächlich in unserem 3D-Modell visualisiert wurden. Dieses Modell haben wir dann in BIM 360 Field hochgeladen und die Daten an BIM 360 Ops übermittelt. Dadurch lagen dem für das Gebäudemanagement zuständigen Team sämtliche Daten und Verlaufsinformationen zu allen möglichen Einbauten vor – von Waschbecken bis hin zu Heizungen“, fährt O’Brien fort. „Sämtliche Datenblätter, zum Beispiel für Heizthermen und Pumpensysteme, sind mit QR-Codes verknüpft und können auf Mobilgeräten abgerufen werden. Wenn der Gebäudemanager eine geplante Wartungsaufgabe vornehmen will, braucht er nur den jeweiligen QR-Code zu scannen und bekommt sämtliche relevanten Daten auf dem digitalen Bauplan angezeigt.“

Pfusch zieht sowohl in der Bauphase als auch bei der späteren Instandhaltung langfristige Folgekosten nach sich. „Die Errichtung eines Gebäudes ist mit einem hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden“, so O’Brien. „Durch die 3D-Modellierung lässt sich dieser Aufwand ebenso wie der Energieverbrauch reduzieren.“

Über den Autor

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

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