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Visionäre Ideen statt Einheitsbrei: Mit diesen 6 Ansätzen fördert Norconsult aus Norwegen die interne Innovationskultur

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Gibt es ein treffenderes Sinnbild für unternehmerische Innovation als die afrikanische Savanne, deren unendliche Weiten nur so vor beeindruckenden Geschöpfen wimmeln, die wie Karikaturen der Größen der Geschäftswelt erscheinen?

Da wäre zum einen der Elefant. Dank seiner außergewöhnlichen Intelligenz ist er in der Lage, die menschliche Körpersprache zu verstehen, sich auch noch nach Jahrzehnten an verloren geglaubte Weggefährten zu erinnern und sich weite Wegstrecken zu merken. Doch während seine hünenhafte Statur ihm unsägliche Kraft verleiht, lässt sie ihn nur langsam und schwerfällig voranschreiten.

Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es die Gazelle: schlank, grazil und um Welten gewandter als der Elefant. Stets vor Raubtieren auf der Hut, behält sie ihre Umgebung jederzeit genauestens im Blick und verlässt sich dabei auf ihr scharfes Sehvermögen und ihre Flinkheit.

Die meisten Unternehmen sind entweder Elefanten oder Gazellen. Erstere können sich aufgrund ihrer Größe, Erfahrung und Expertise behaupten, haben jedoch oft Schwierigkeiten, mit der Zeit zu gehen. Letztere sind hingegen agil und flexibel, geraten aber bisweilen durch ein Übermaß an Selbstvertrauen und einen Mangel an Erfahrung ins Straucheln.

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Marius Jablonskis, Technology Manager bei Norconsult. Mit freundlicher Genehmigung von Erik Burås/STUDIO B13.

Auf den ersten Blick mag das norwegische Unternehmen Norconsult wie ein Elefant erscheinen. Das in Sandvika beheimatete Beratungsbüro für Architektur, Ingenieurwesen und Planung beschäftigt rund 3.300 Mitarbeiter in weltweit 88 Niederlassungen und blickt auf fast acht Jahrzehnte Erfahrung und 20.000 abgeschlossene Projekte zurück. Doch trotz dieser beeindruckenden Errungenschaften fasste Norconsult angesichts zunehmender Konkurrenz und technologischer Fortschritte den Beschluss, fortan den Gazellen-Weg einzuschlagen und verstärkt auf Innovation zu setzen, um seine konventionelle Unternehmenskultur mit unkonventionellen Ideen anzureichern.

Angeführt wird die neue Innovationsbewegung von einem der „gazellenhaftesten“ Mitarbeiter von Norconsult: Technology Manager Marius Jablonskis, der dafür zuständig ist, die Verfahren und Vorgehensweisen des Unternehmens zu analysieren und die bestmöglichen Einsatzmöglichkeiten für Technologie zu ermitteln.

„Es gibt da einen Spruch, den ich gerne zitiere: ,Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu schaffen‘“, so Jablonskis. „Wer einfach abwartet, ohne sich weiterzuentwickeln, muss sich früher oder später mit Arbeitsverfahren auseinandersetzen, die von anderen vorgeschrieben werden.“

Mit anderen Worten: Je nachdem, ob man beim Grasen den Blick nach vorne oder nach unten richtet, sieht man die Raubtiere entweder kommen – oder eben nicht. Mit der Ernennung Jablonskis zum Anführer der Herde richtete Norconsult seinen Blick entschieden nach vorne.

Damit Ideen jedoch gedeihen könnten, so Jablonskis, müssten Unternehmen ihre Kultur von Grund auf überdenken und Risikobereitschaft nicht etwa bestrafen, sondern aktiv fördern. Die blühende Innovationskultur von Norconsult führt er hauptsächlich auf sechs entscheidende Ansätze zurück:

1. Förderung einer Teamwork-Mentalität

Innovation wird gewöhnlich jenen Personen zugeschrieben, auf deren Ideen sie beruht. In Wahrheit ließe sich Innovation jedoch nur durch gemeinsame Anstrengungen erzielen, meint Jablonskis, dessen Arbeit bei Norconsult von einem internen Team namens „Bleeding Edge“ unterstützt wird. Die abteilungsübergreifende Gruppe aus zukunftsorientierten Mitarbeitern kommt regelmäßig zusammen, um sich mit Gleichgesinnten über bahnbrechende Ideen die Köpfe heißzureden, sich mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und sich gegenseitig zu Höchstleistungen zu motivieren. Jablonskis ist der Auffassung, Teams seien besonders erfolgreich, wenn sie sich als Organismus verstünden, bei dem die Entscheidungskompetenz nicht allein bei einem Vorgesetzten liege. „Wenn eine Gruppe von Gleichberechtigten die Köpfe zusammensteckt, spornt das an und sorgt dafür, dass jeder das Projekt weiter vorantreiben will.“

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Ein Rendering im Rahmen des Ulrikstunnel-Projekts. Mit freundlicher Genehmigung von Norconsult AS/Bane NOR/Baezeni.

2. Berufung auf Tatsachen

Innovation beruht nicht auf Annahmen, sondern auf Tatsachen. „Man sollte nie davon ausgehen, dass Auftraggeber mit einer Idee nichts anfangen können, oder dass Auftragnehmer sie nicht umsetzen können“, betont Jablonskis. „Fragen schadet nicht. Selbst wenn ein Vorschlag auf Ablehnung stößt, sollte man Konzepte umsetzen, von denen man wirklich überzeugt ist. Denn wenn eine Idee wirklich funktioniert, sprechen die Ergebnisse für sich. Und Ergebnisse sind weitaus mehr wert als jedes Versprechen.“

3. Implementierung einer zukunftsorientierten Geschäftsführung

„Ohne die Unterstützung der Geschäftsführung bringt Innovationsgeist allein nicht viel“, meint Jablonskis. Unternehmen, die Innovation zu einem festen Bestandteil ihrer DNA machen wollten, bräuchten Führungskräfte, die den Nutzen eines solchen Ansatzes verstünden. So konnte beispielsweise Per Kristian Jacobsen, heute CEO von Norconsult, in seiner früheren Position als Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des multinationalen Energiemanagement-Konzerns Landis+Gyr in den Anfangsjahren der Computing-Branche die Chancen und Schwierigkeiten einer unternehmerischen Innovationskultur aus erster Hand miterleben. „Man muss die passenden Rollen mit den passenden Leuten besetzen, die mit Überzeugung und Know-how an das Thema Technologie und Innovation herangehen.“

4. Aufbau auf erste Erfolge

Die für jegliche Pionierarbeit so bedeutende Unterstützung der Geschäftsführung will verdient sein. Wie Jablonskis betont, sollten Innovationsführer zunächst durch erste Erfolge auf sich aufmerksam machen. „Es nützt nichts, Großartiges anzukündigen und seinen Worten dann keine Taten folgen zu lassen“, erklärt er. „Man muss das Potenzial seiner Ideen hervorheben und dann immer wieder Erfolgsgeschichten schreiben.“

5. Beachtung kritischer Stimmen

Erste Erfolge sind für Jablonskis keine Glückstreffer, sondern das Ergebnis gezielter Vorbereitung. Innovative Ideen, so seine Überzeugung, ließen sich verbessern, indem man sich die Meinung von Kritikern zu Herzen nehme. „Es geht darum, jegliche Skeptiker um sich zu versammeln, sich sämtliche Bedenken anzuhören und auf jeden einzelnen Punkt einzugehen. Wenn sich auf diese Weise Planungslücken schließen lassen, weiß man, dass man etwas Großartiges schaffen kann.“

6. Entwicklung von Durchhaltevermögen

Veränderung passiert nicht einfach so über Nacht. „Man muss die Sache mit der richtigen Einstellung angehen und sich bewusst sein, dass erste Versuche immer schwierig sind“, betont Jablonskis. „Statt das Handtuch zu werfen und auf gewohnte Arbeitsweisen zurückzufallen, ist es wichtig, am Ball zu bleiben und sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.“

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Das Ausbauprojekt Vamma 12 kommt vollständig ohne Baupläne in Papierform aus. Mit freundlicher Genehmigung von Norconsult.

Innovation als Schlüssel für einen BIM-Durchbruch

Der Innovationsprozess mag auf Papier beginnen, doch echte Durchbrüche passieren erst bei der Umsetzung der entsprechenden Ideen. Dabei gilt: Je anspruchsvoller die Herausforderungen, umso lohnenswerter die Ergebnisse. Nachdem man bei Norconsult beschloss, vollends neue Wege einzuschlagen und zur Umwälzung der internen Unternehmenskultur alle Karten auf die genannten sechs Innovationsprinzipien zu setzen, ließ ein geeignetes Testprojekt nicht lange auf sich warten. Im Jahr 2015 begannen im norwegischen Østfold unter dem Namen „Vamma 12“ die Ausbauarbeiten an einem bestehenden hydroelektrischen Kraftwerk.

Das 1915 am Fluss Glomma errichtete Vamma ist nicht nur das größte, sondern auch eines der ältesten Wasserkraftwerke Norwegens. Als die mehrere Jahrhunderte alte Anlage zur Regelung von übermäßigem Wasserdurchfluss um zwei zusätzliche Turbinen und ein eigenständiges Wasserkraftwerk am anderen Flussufer erweitert werden sollte, wurde Norconsult mit der Planung und Gestaltung der Anlage beauftragt. Diese soll 2019 fertiggestellt werden.

Zwar kam Revit bei Norconsult schon damals zur Erstellung digitaler Modelle für den internen Gebrauch zum Einsatz, allerdings war das Unternehmen aufgrund von Vertrags- und Verfahrensvorschriften nach wie vor verpflichtet, Baupläne in Papierform vorzulegen, die von der jeweils zuständigen Baufirma an die spezifischen Gegebenheiten auf der Baustelle angepasst wurden.

Die denkbar ineffektive und kostspielige Herangehensweise war im Rahmen eines anspruchsvollen Vorhabens wie Vamma 12 nicht tragbar. Auf der Suche nach einer Alternative zur Bewältigung der Herausforderungen des massiv angelegten Projekts – von den komplexen Bauformen und -materialien über die Turbinen aus Millionen von Einzelteilen bis hin zu den ungünstigen Naturbedingungen – fiel Jablonskis’ Wahl auf die vollständig integrierte Gebäudedatenmodellierung (Building Information Modeling – BIM). Durch die Integrierung der Dynamo-Erweiterung für Revit in die firmeninterne Software verzichtete Norconsult als eines der ersten Unternehmen bei der Bauplanung vollständig auf Papier und setzte stattdessen ausschließlich auf digitale Modelle. Diese ließen sich in Echtzeit und abteilungsübergreifend von mehreren Nutzern gemeinsam bearbeiten und gewährleisteten so ein Höchstmaß an Transparenz, Genauigkeit und Koordinierung. Das Ergebnis: weniger Fehler, ein optimierter Bauprozess und gezieltere Kontrolle über die Kostenentwicklung.

Spannend findet Jablonskis vor allem, dass das bahnbrechende Konzept in der norwegischen Baubranche bereits Anklang findet. Der Erfolg von Vamma 12 machte aus zuvor misstrauisch gestimmten Firmen und Kunden überzeugte Anhänger, die auch im Rahmen ihrer eigenen Projekte auf papierlose Baupläne umstiegen. „Immer häufiger hören wir von Kunden: ,Das ist fantastisch, das sollte öfter gemacht werden‘“, freut sich Jablonskis. „Dann wissen wir, dass wir echte Ergebnisse erzielt haben.“

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Im Rahmen der Planungsarbeiten für den Ausbau des Ulrikstunnels entwickelte Norconsult eine VR-Umgebung zur Optimierung der Signalpositionierung für Lokführer. Mit freundlicher Genehmigung von Norconsult.

Auch intern entfachte Vamma 12 neue Kreativität: 2015 begann Norconsult mit der Planung des Ausbaus des 7,8 Kilometer langen Ulrikstunnels, der zwischen Bergen und Ama den nördlichen Teil des Berges Ulriken unterquert. Um den behördlichen Zulassungsprozess für das Signalsystem der Eisenbahnlinie zu straffen, nutzte das Unternehmen integrierte BIM-Modelle zur Entwicklung einer VR-Umgebung, in der Lokführer den Tunnel noch vor Beginn der Bauarbeiten in einer virtuellen Fahrerkabine durchqueren konnten, um auf diese Weise gemeinsam mit Ingenieuren optimale Signalpositionen zu ermitteln.

Derart durchgreifende Innovation braucht ihre Zeit. „Unsere Branche besteht zu einem Großteil aus Leuten, die auf ihre bewährten Arbeitsweisen schwören, die sie schon in der Ausbildung gelernt haben“, erläutert Jablonskis. „Sie sind der Überzeugung, dass die Dinge aus gutem Grund so sind, wie sie sind, und sehen keinen Grund, etwas zu verändern.“ Für Norconsult hat sich der Blick über den Tellerrand unterdessen ausgezahlt: Mit einer Prise Introspektion und jeder Menge Zielstrebigkeit hat sich das Unternehmen zu einem der vielseitigsten Anbieter der Branche entwickelt – mit der gewaltigen Kraft eines Elefanten und der Flexibilität und Aufgewecktheit einer Gazelle.

Über den Autor

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

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