Taktarbeit war gestern: Wer zukünftig in der industriellen Fertigung bestehen will, braucht neue Kompetenzen und Qualifikationen
Die Roboter sind längst unter uns, und Ersatzteile werden demnächst bevorzugt im 3D-Druck hergestellt. Für Arbeitnehmer wie Betriebe birgt die Transformation der Fertigung durch Automatisierung und additive Verfahren einige Risiken, aber auch neue Chancen. Damit traditionelle Industriestaaten weiterhin zukunftsfähig bleiben, sind bildungspolitische und privatwirtschaftliche Investitionen und Initiativen erforderlich. US-amerikanische Unternehmensverbände machen vor, wie‘s geht.
Weltweit kriselt es vielerorts in Gegenden, die auf eine stolze Fertigungstradition zurückblicken können. Die Hauptschuld daran trägt – entgegen landläufigen Meinungen – keineswegs die globalisierungsbedingte Verlagerung von Produktionsstandorten in Schwellenländer.
Beispiel USA: Dort gingen seit Beginn des Jahrtausends ca. fünf Millionen Arbeitsplätze in der industriellen Fertigung verloren – nur 13 Prozent davon als direkte Folge der Ausweitung zwischenstaatlicher Handelsbeziehungen, wie Wissenschaftler an der Ball State University im US-Bundestaat Indiana nachweisen konnten. Eine sehr viel wichtigere Rolle spielte die Automatisierung insbesondere von Tätigkeiten, die „monoton, dreckig oder gefährlich“ seien, so Bob Doyle vom Dachverband Association for Advancing Automation.
Arbeitsplätze, die Millionen von amerikanischen Haushalten jahrzehntelang ein regelmäßiges und ausreichendes Einkommen einschließlich betrieblicher Krankenversicherung sicherten, sind heute akut gefährdet. Erst neulich hatte ich ein Treffen mit Vorarbeitern in einem Metallverarbeitungsbetrieb, bei dem die Herausforderungen zur Sprache kamen, die mit dem Wandel eines ehemals stabilen Wirtschaftszweigs verbunden sind: Wird sich die zunehmende Verbreitung von 3D-Druck und anderen digitalen Fertigungstechniken negativ auf die Geschäftschancen des Unternehmens auswirken? Werden Metalldruck und Roboter menschliche Arbeitskräfte in der industriellen Fertigung von Ersatzteilen überflüssig machen?
Eine neue Welle bricht über uns herein, und viele Menschen befürchten, in ihrem Sog hinweggeschwemmt zu werden. Aus Arbeitnehmersicht stellt die Automatisierung dabei wohl die schwerste und unmittelbarste Bedrohung dar. Der Verlust traditioneller Arbeitsplätze droht als scheinbar unausweichliche Konsequenz der Entwicklung neuer Fertigungstechnologien.
Diese Ängste sind absolut nachvollziehbar – vor allem niedrig-qualifizierte Beschäftigte in der Fließband- und Taktarbeit werden zunehmend durch Roboter ersetzt. Sie bilden jedoch nur einen Aspekt des komplexen Gesamtzusammenhangs, in dem das Potential von Innovationsschüben bei der Entwicklung additiver Fertigungstechniken und der Automatisierung von Arbeitsabläufen zu sehen ist.
Wie andere technische Fortschritte in der Geschichte der Menschheit lösen diese Entwicklungen einen Prozess der schöpferischen Zerstörung aus: Es werden Arbeitsplätze vernichtet, aber auch neue geschaffen. Die entscheidende Frage ist, inwieweit es gelingt, die betroffenen Arbeitnehmer durch Umschulungen mit den erforderlichen Kompetenzen auszustatten.
Die viel beschworene „Vierte Industrielle Revolution“ ist keine ferne Zukunftsvision, sondern eine volkswirtschaftliche Transformation, mit der wir uns dringend auseinandersetzen müssen. Sowohl für Unternehmen als auch für die einzelnen Arbeitnehmer tun sich hier neue Chancen auf, deren Nutzung freilich gezielte Umschulungsmaßnahmen, Unternehmergeist sowie eine Wirtschafts- und Bildungspolitik voraussetzt, die diesen Wandel fördert, anstatt ihn zu behindern.
Um zu verhindern, dass die hereinbrechende Welle für die betroffenen Teile der Gesellschaft die zerstörerische Kraft eines Tsunami entfaltet, müssen Ansätze her, die gewährleisten, dass nicht etwa Tausende arbeitslose Fabrikarbeiter von der Technik verdrängt, sondern Arbeitnehmer wie Arbeitgeber im Gegenteil in die Lage versetzt werden, die sich bietenden Chancen zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Gegen den Verlust von Arbeitsplätzen zu kämpfen, muss nicht bedeuten, den Fortschritt aufhalten zu wollen. Allen Befürchtungen zum Trotz wirkt sich die Automatisierung gerade in Segmenten positiv aus, in denen eine kosteneffizientere Produktion zur Steigerung der Nachfrage führt, sodass die betroffenen Unternehmen ihr Produktionsvolumen erhöhen, statt Arbeitskräfte zu entlassen.
Für die Bildungspolitik liegt die Herausforderung darin, mit dem rapiden Strukturwandel mitzuhalten, um den Arbeitnehmern der Zukunft und Gegenwart die erforderlichen neuen Kompetenzen und Qualifikationen vermitteln zu können – von der Fertigung von Teilen aus Verbundwerkstoffen bis zur Fehlerbehebung am 3D-Drucker. Dies gilt erst recht, als kleine und mittelständische Unternehmen im Zeichen der aufstrebenden Sharing Economy mindestens ebenso sehr auf hochentwickelte Technologien angewiesen sind wie Großkonzerne, die über die finanziellen Mittel verfügen, um ihre Mitarbeiter auf eigene Kosten umzuschulen.
Zur Bewältigung des bevorstehenden Umbruchs ist eine engmaschige Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft, Bildungseinrichtungen und Einzelpersonen unabdingbar, um zu verhindern, dass traditionelle Industriestaaten in der neuen Fertigungsökonomie den Anschluss verlieren. Wie das gelingen kann, zeigen verschiedene Initiativen in den USA vor dem Hintergrund eines drohenden Fachkräftemangels, der dazu führen könnte, dass bis 2025 zwei Millionen Stellen in der Produktion unbesetzt bleiben. Um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, sind Fertigungsunternehmen darauf angewiesen, dass rechtzeitig entsprechende staatliche Ausbildungsprogramme geschaffen werden, die der nächsten Generation von Industriearbeitern die erforderlichen Kompetenzen vermitteln.
Der Erfolg solcher Initiativen hängt entscheidend von der Bereitschaft ab, gemeinsame Strategien zu entwickeln und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Ein gutes Beispiel dafür ist AmericaMakes, ein Verband von Unternehmen aus dem Bereich der additiven Fertigung, der sich die Förderung von Innovation und Forschung sowie die aktive Mitgestaltung einschlägiger Politikmaßnahmen zur Aufgabe gemacht hat. Das Digital Manufacturing and Design Innovation Institute (DMDII) ist eine öffentlich-private Partnerschaft mit dem Ziel, die Transformation des produzierenden Gewerbes in den USA durch Bereitstellung hochentwickelter Tools, Software und Fachkenntnisse zu unterstützen. Die National Skills Coalition setzt sich für die Entwicklung von Lehrplänen und Umschulungsmaßnahmen zur Schließung der Lücke im Bereich der mittelqualifizierten Tätigkeiten ein.
Kleinere Gruppen, die sich auf spezielle Einzelaspekte des angesprochenen Themenkomplexes konzentrieren, können einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung dieser Bemühungen leisten, indem sie Kontakte zwischen Unternehmern knüpfen, Netzwerke aufbauen und an der Verwirklichung von Ideen mitwirken. In den USA sind dies Organisationen wie die vom Werkzeughersteller ShopBot gegründete 100kGarages, die mit ihrem projektbezogenen Ansatz die digitale Fertigung von Kleinserien in „100.000 Garagen überall in den USA“ unterstützen will. MakeTime wiederum sorgt für mehr Lieferketteneffizienz in der Fertigung von CNC-Teilen durch Vermittlung zwischen potentiellen Kunden und Herstellern mit freien Produktionskapazitäten.
Bildungspartnerschaften, die diese Einzelinitiativen bündeln, können hier entscheidende Impulse setzen – etwa durch die Gründung von Entwicklungszentren, die neue Ideen, Kompetenzen und Arbeitskräfte direkt in neue Arbeitsplätze und Chancen schleusen. Traditionell haben die großen Universitäten bei der Herstellung von Synergien zwischen Technologie und Bildung eine Vorreiterrolle gespielt – in den USA sind dies etwa die Stanford University im kalifornischen Palo Alto oder auch die Carnegie Mellon University in Pittsburgh.
Mittlerweile zeigt sich jedoch, dass Institutionen von eher lokaler Bedeutung und Reichweite wie das Center for Innovation in Additive Manufacturing an der Youngstown State University in Ohio oftmals besser in der Lage sind, auf die konkreten Bedürfnisse der jeweiligen Region zu reagieren und als zentraler Vermittler zwischen staatlichen Förderstellen, örtlichen Unternehmen und Bildungsträgern zu wirken. Mit einem nachfrageorientierten Bildungsangebot, das die wirtschaftlichen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt, fungieren diese Hochschulen als Verbindungsglied zwischen Arbeitnehmern, zukunftsfähigen Fertigungskompetenzen und dem Arbeitsmarkt.
Ähnlich bieten in Deutschland beispielsweise mehrere Fachhochschulen praxisintegrierte Studiengänge für Mechatronik/Automatisierungstechnik an; entsprechende Umschulungen im Rahmen von Ausbildungskooperationen können durch die Agentur für Arbeit gefördert werden.
Wie diese Beispiele zeigen, lässt sich durch entsprechende Strategieplanung gewährleisten, dass Arbeitnehmer, Betriebe und Volkswirtschaften von den neuen Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Verschlankung von Arbeitsabläufen profitieren. Die aufkommenden Technologien sparen Produktionskosten, sodass beispielsweise ein mittelständischer Betrieb, der Kleinteile herstellt, neue Märkte erschließen oder ein Startup-Unternehmen sich im Wettbewerb mit Großkonzernen behaupten kann. Für Gründer und Tüftler gibt es absolut keinen Anlass zu Unkenrufen – ganz im Gegenteil sind sie gefordert, sich proaktiv und kreativ an der Gestaltung der bevorstehenden Transformation zu beteiligen. Entscheidend dabei ist, dass der Schwerpunkt auf Ausbildung und Umschulung gelegt wird, um möglichst vielen Arbeitnehmern unter fairen Bedingungen eine Teilhabe an der Zukunft der industriellen Fertigung zu ermöglichen.