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Technomusik klingt wie von Robotern gemacht – wird sie neuerdings auch

Geist with his Glitch Robot.

In Kraftwerks zeitloser Elektronummer „Die Roboter“ aus dem Jahre 1978 kommen Maschinen vor, die gemäß dem Credo agieren: „Wir sind auf alles programmiert/und was du willst, wird ausgeführt“. Doch damals waren es gar nicht die Roboter, die die Instrumente spielten.

Vierzig Jahre später veröffentlicht der deutsche Musiker, Ingenieur und Dozent Moritz Simon Geist seine Debut-EP Material Turn (2018) und setzt damit in die Tat um, was schon vor so langer Zeit in Aussicht gestellt wurde. Denn auf dieser einzigartigen Platte stammt jeder einzelne Ton von einem der unzähligen selbstgebauten Roboter, die bei Geists Ensemble „Sonic Robots“ mitspielen.

Geists Roboter geben nicht diese monotonen Piep- und Klick-Geräusche von sich, die man typischerweise mit der roboterhaft klingenden Technomusik assoziiert. Stattdessen bedienen die „Sonic Robots“ alle möglichen Apparate, so zum Beispiel halb gefüllte Biergläser, einen mit Styropor-Kügelchen gefüllten Druckluftzylinder oder eine Kalimba mit Metalllamellen, und erzeugen auf diese Weise ein vielschichtiges Klangspektrum.

Geist playing live with his band of Sonic Robots.
Mit seinen „Sonic Robots“ tritt Moritz Simon Geist etwa vierzig Mal pro Jahr auf. Mit freundlicher Genehmigung von Piru de la Puente.

„Auch wenn die Unterschiede kaum wahrnehmbar sind: Kein Ton gleicht hier dem davor oder danach“, erklärt Geist. „Alles ist permanent im Fluss. Damit schaffen wir eine dynamische Klangwelt – und genau das ist es, was die Menschen heutzutage wollen. Da wir keine Synthesizer einsetzen, schwingt in unserer Musik nichts Digitales mit. Das ist wie der Vergleich zwischen einer Schallplatte und einer CD.“

Als Kind absolvierte Geist eine klassische Klavier- und Klarinettenausbildung und spielte später mehrere Jahre in verschiedenen Krautrock– und Punk-Bands. Als studierter Elektrotechniker arbeitete er zunächst auch in diesem Bereich, bevor er sich entschloss, seine Leidenschaft für Musik und Roboter zum Beruf zu machen und als Künstler sein Glück zu versuchen. Seine erste Musikinstallation im Jahre 2012, „MR-808“, war die Nachbildung eines berühmten Drumcomputers in Form eines überlebensgroßen, interaktiven Instruments. Dieses bestand aus akustischen Schlagzeugkomponenten, die von Robotern bedient wurden.

Jahrelang arbeitete Geist an der Entwicklung, Erprobung und kontinuierlichen Verbesserung seiner „Sonic Robots“. Jetzt hat sich seine Mühe ausgezahlt: Nach Material Turn soll im November auch der Langspieler Robotic Electronic Music erscheinen. Unterstützung bekam er von dem Duo Mouse on Mars, das schon lange im Elektromusikgeschäft unterwegs ist. Es produzierte nicht nur beide Platten, sondern vermittelte Geist außerdem, wie wichtig es ist, seinen Robotern sonore, unverwechselbare Töne zu entlocken.

Trotzdem hat Geist immer wieder mit Akustikproblemen zu kämpfen, die nur im Zusammenhang mit musizierenden Robotern auftreten. Nach eigenen Angaben scheitern etwa 60 Prozent seiner Konzeptionen an der Umsetzung, weil unerwünschte physikalische Eigenschaften zutage treten, die nicht vorhersehbar waren.

So konzipierte Geist zum Beispiel mit Druckluft gefüllte Zylinder, in denen sich Styropor-Kügelchen auf und ab bewegen, um den Klang einer Hi-Hat zu simulieren. „Der Klang kommt dabei nicht von den Kügelchen“, so Geist, „sondern von der entweichenden Druckluft. Ich wollte nur den Luftstrom optisch sichtbar machen.“

Doch beim zweitätigen Dreh des Musikvideos für „Entropy“ lud sich das Styropor nach und nach elektrostatisch auf, wodurch die Kügelchen an den Zylindern haften blieben. Geist und sein Team versuchten zwar, die Kügelchen mithilfe von Metall zu entladen – allerdings ohne Erfolg. Daher mussten sie letztlich die ganze Zeit über Frischluft in die ausgetrockneten Zylinder pusten, um sie von innen zu befeuchten. „Das sind Dinge, auf die vorher kein Mensch kommt, die aber ständig passieren“, bemerkt Geist.

A close-up view of the Sonic Robots centerpiece.
Die Bühnenvariante der „Sonic Robots“ muss robust sein, gut klingen und ansprechend aussehen. Mit freundlicher Genehmigung von Moritz Simon Geist.

Die Konstruktion seiner Roboter stellt ihn jedoch noch vor eine andere große Herausforderung: Die „Sonic Robots“ sollen für Fotos, Videos und seine um die 40 Live-Auftritte pro Jahr auch ansprechend aussehen. In seinen Basis-Robotern sind Leiterplatten verbaut, die Geist mithilfe von Autodesk Eagle konstruiert. Doch die meisten von ihnen sind zu empfindlich oder machen visuell nicht genug her, um sie außerhalb seines Studios einzusetzen. Aus diesem Grund verwendet er für die Bühnenvariante der „Sonic Robots“ umfunktionierte Festplatten, alte Gitarren und andere Gegenstände und motzt damit die Komponenten auf, die er im Autodesk Inventor entwirft und mit dem 3D-Drucker ausdruckt oder mit einer CNC-Fräse herstellt.

The five-robot Tripods One installation, inspired by the movie Alien.
Bei seiner Installation Tripods One mit fünf Robotern ließ sich Geist von dem aus Filmen wie dem ersten Alien-Teil bekannten abgenutzten, aber dennoch futuristischen Look inspirieren. Mit freundlicher Genehmigung von Moritz Simon Geist.

Für seine Installation Tripods One, die aus fünf Musikrobotern besteht, tat Geist sich mit Freunden zusammen, die in einer Designfirma arbeiteten. Für die Herstellung nutzten sie 3D-Druck- und Laserschneidverfahren und Geist konnte so seine ersten prägenden Erfahrungen in der optischen Ästhetik sammeln. „Für mich war das damals eine große Sache, weil ich von da an nicht mehr alles mühsam von Hand zusammensetzen musste, sondern plötzlich mehrere Roboter am Stück produzieren konnte, die in der Lage waren, bestimmte Standardaktionen auszuführen“, merkt Geist an. „Dieser Tüftler-Ethos sowie die Rapid-Prototyping-Verfahren passen sehr gut zu mir und ich greife andauernd darauf zurück.“

Mit Tripods One entwickelte Geist eine Vorliebe für ein Design, das seine Installationen nicht nagelneu, sondern „zugleich futuristisch als auch alt“ wirken lässt. Dieses Design, das sich auch in seinen späteren Projekten niederschlägt, ist Geist zufolge eher an Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt angelehnt und weniger an 2001: Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick. „Wenn ein Raumschiff mehrere Hundert Jahre lang durchs All fliegt, sieht es danach nicht mehr schön sauber aus, das kann mir keiner erzählen!“, führt er aus. „Aus diesem Grund habe ich fortan versucht, meine Instrumente so zu gestalten, dass sie wie abgenutzte Objekte aus einer fernen Zukunft wirken.“

Mit seiner Kombination aus akustischer und visueller Ästhetik möchte Geist erreichen, dass die Menschen Elektromusik auf völlig neue Weise erleben. Er möchte weg von der Massen-Musik, die fertig abgemischt aus dem Tonstudio kommt, und hin zu einer Bastler-Mentalität, bei der etwas zunächst in seine Bestandteile zerlegt und anschließend daraus etwas komplett Neues geschaffen wird.

„Meine Roboter ermöglichen einen Blick auf die Entstehung von Klängen und Tönen“, erläutert Geist. „Ich möchte unter die Oberfläche blicken und sehen, wie die Dinge gemacht werden.“

Bisher komponiert Geist die gesamte Musik selbst und ist auch für ihre Darbietung auf der Bühne verantwortlich – lediglich die Töne werden von seinen Robotern erzeugt, wenn er ihnen über eine Software, die den Industriestandard MIDI verwendet, den Befehl dazu erteilt. Allerdings strebt er danach, mittels maschinellen Lernens eine algorithmische Komposition zu schaffen, die es „einem kleinen Orchester mit fünf Robotern erlaubt, miteinander zu interagieren und eigenständig ein mehrere Stunden langes Stück zu spielen“.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Kunst und Wissenschaft, auf dem Geist wandert, und er könnte leicht die Balance verlieren und in die eine oder andere Richtung abdriften. Doch ihm geht es ganz klar darum, die Technik in den Dienst der Musik zu stellen, nicht andersherum.

„Ich bin der Meinung, dass die Musik für sich selbst sprechen sollte“, so Geist. „Man sollte nicht zu viele Worte über sie verlieren, sondern einfach ihre mystischen Augenblicke wirken lassen. Musik ist quasi eine Welt für sich – und wenn sie nicht richtig gut ist, dann leidet das gesamte Projekt.“