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Ist Modularbauweise aus Holz in der Lage, neue Spielregeln für Stadien zu setzen?

modular stadium construction rendering Rubner Holzbau

Stellen Sie sich eine Sportstätte vor, die sich flexibel an den Erfolg des jeweiligen Teams und die Größe seiner Fangemeinde anpassen kann und in der Lage ist, ihr volles ökologisches (und ökonomisches) Potenzial auszuschöpfen.

Angesichts der Tendenz der Klubeigentümer, die Fans beider Seiten gegeneinander aufzuwiegeln, werden mobilere Stadionkonstruktionen nicht zwangsläufig zu erhöhter Sicherheit unter den Fahnenschwenkern führen. In bautechnischer Hinsicht handelt es sich bei diesem neuen Konzept jedoch zweifelsohne um eine bahnbrechende Innovation. Der Modularität dieses kohlenstoffarmen und visionären Konstruktionskonzepts aus extrem emissionsarmem Brettsperrholz sind beinahe keine Grenzen gesetzt. Die Idee dazu stammt vom Holzwerkstoffhersteller Rubner Holzbau und dem auf Fertigbaustadien spezialisierten Planungsbüro Bear Stadiums – vielleicht wird bereits demnächst die Heimstätte eines Fußballklubs in Ihrer Nähe auf dieser Grundlage errichtet.

Die Sportarenen von Bear Stadiums und Rubner Holzbau basieren auf nordischer Fichte, die zu Brettschichtholz (beziehungsweise „Leimholz“) verarbeitet, an ihren Einsatzort verfrachtet und direkt vor Ort montiert wird. Diese Stadien decken einen kleinen bis mittleren Kapazitätsbereich von 1.500 bis 20.000 Sitzplätzen ab, wobei für die einzelnen Größen unterschiedliche Designvorlagen zur Verfügung stehen.

Beide Unternehmen sind in Italien ansässig und beabsichtigen, über Fußballstadien in den Markt der Sportarenen einzusteigen. Doch sie gehen davon aus, dass ihre Stätten zahlreiche Freiluftsportarten beherbergen werden, wie beispielsweise Rugby, Kricket oder Baseball. Rubner Holzbau konstruierte bereits in ganz Europa eine Vielzahl an bedeutenden Holzstrukturen, die von Landwirtschaftsgebäuden bis zu Infrastruktureinrichtungen reichen.

modular stadium construction roof of Portugal’s National Velodrome
Das Dach der nationalen Radrennbahn Portugals in Sangalhos (Anadia) wurde in gerade einmal 18 Wochen errichtet. Mit freundlicher Genehmigung von Rubner Holzbau.

Wie bei jedem Brettsperrholz führt auch die Herstellung dieses Leimholzsystems nur zu geringfügigen Treibhausgasemissionen und sein Hauptbestandteil – Holz – bindet CO2 sogar. „Der Wald benötigt ja keinerlei externe Energiezufuhr, um wachsen zu können“, wie Jaime Manca di Villahermosa von Bear Stadiums anmerkt.

Villahermosa hat vor, diese Stadien durch den Einsatz von Solarpanelen und Windturbinen an spielfreien Tagen praktisch CO2-neutral zu machen (im Gegensatz zu den intensiven Beleuchtungserfordernissen während eines Matches). Diese Betonung von nachhaltigen Baumethoden entspricht den Zielen der UN-Initiative für Klima-Neutralität, der die FIFA 2016 beigetreten ist, wobei sie sich dazu verpflichtet hat, bis zur zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts klimaneutral zu werden.

Bei Leimholz handelt es sich um ein aus verschiedenen Verbundstoffen gefertigtes Brettsperrholz, das sich aus einzelnen Holzleisten zusammensetzt, die entlang ihrer Maserung parallel verleimt werden. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ist Brettsperrholz in Europa wesentlich stärker etabliert. Das Baumaterial sorgt sogar verglichen mit Stahl und Beton für eine außergewöhnlich hohe Festigkeit im Verhältnis zu seinem Gewicht. Dadurch wird die Fertigung und Errichtung immer großflächigerer und höherer Gebäude bei geringeren CO2-Emissionen möglich. Strukturen aus Brettschichtholz können bei nur halbem Gewicht eine höhere Belastbarkeit als Stahl aufweisen.

modular stadium construction rendering of a 10,000 seat structure
Die modularen Holzkonstruktionen von Bear Stadiums und Rubner Holzbau können größenmäßig angepasst werden, um unterschiedlichen Kapazitäten gerecht zu werden. Hier wird ein Stadion mit 10.000 Sitzplätzen abgebildet. Mit freundlicher Genehmigung von Rubner Holzbau.

Bei den Modularsystemen von Bear Stadiums kommen zur Stützung der horizontalen und vertikalen Strukturen diagonal verstrebte Träger aus Brettschichtholz zum Einsatz. Sie werden mit Verbindungselementen aus Metall miteinander verbunden und in einer leichtgewichtigen Betonplattform verankert. Sie sind belastbar, aber zugleich „extrem flexibel“, führt Villahermosa aus. „Das Team von Bear Stadiums arbeitet mit Design-Tools von Autodesk für die Arbeit in 2D und 3D. Diese werden in Zusammenarbeit mit einem Architekturbüro in Rom, das zudem mit BIM Pläne für die Versorgungseinrichtungen und sonstigen Einbauten erstellt, sowohl für die generelle Gestaltung als auch für spezifische Planungsdetails verwendet.“

Brettschichtholz ist für seine Fähigkeit bekannt, sich unter Druck biegen und nachzugeben, was für ästhetische Designdetails genutzt werden kann. Ein vielleicht praktischerer Mehrwert dieser zusätzlichen Flexibilität besteht darin, durch Erdbeben und sonstige Naturkatastrophen freigesetzte zerstörerische Kräfte zu absorbieren, weil die Struktur eben nachgeben kann, ohne zu brechen. „Da es sich bei Brettschichtholz um ein extrem elastisches Material handelt, das sich ausgezeichnet für Erdbebengebiete eignet, bedarf es dieser diagonalen Verstrebungen, um für das erforderliche Maß an Stabilität zu sorgen”, erläutert Villahermosa.

Bear Stadiums und Rubner Holzbau haben das Interesse von Fußballklubs aus den obersten beiden italienischen Ligen – Serie A und Serie B – auf sich gezogen. Ihnen schwebt für diese Gebäude auch eine globale Expansion vor, wobei insbesondere auch Adaptionen für bescheidenere Budgets in Entwicklungsländern vorstellbar sind. Die prognostizierten Kosten dieses Systems pro Sitzplatz sind geringer als bei traditionellen Stadien und ein Großteil der Arbeiten kann hier auch von minderqualifizierten Arbeitskräften durchgeführt werden – lediglich 10 Prozent der eingesetzten Bauarbeiter müssen speziell für den Umgang mit modularer Holzbauweise geschult werden. Kleinere Stadien können innerhalb von sechs bis acht Monaten montiert werden; bei größeren Sportstätten würde der Zeitaufwand bis zu einem Jahr betragen.

modular stadium construction San Marino Stadium serravalle italy
Das Vielzweckstadion von San Marino in Serravalle. Mit freundlicher Genehmigung von Rubner Holzbau.

Trotz ihrer im Vergleich zu traditionellen Konstruktionen stark verkürzten Errichtungszeit bieten diese Stadien den Teams und ihren Fans das volle Programm an Annehmlichkeiten. Bei den umfassendsten Stadiondesigns verteilen sich diese über drei Etagen: Umkleideräume, Mannschaftbüros und eine Krankenstation im Erdgeschoss; Gastronomie (Kleinverkäufer, Bars und Restaurants) im ersten Stock; und Sky Boxes sowie exklusive Suiten in der obersten Etage. Das Interieur ist durch und durch in der vertrauten Optik herkömmlicher Sportstadien gehalten und hält trotz der natürlichen Note der holzbasierten Konstruktion bewusst von den trendigen „Sperrholz über alles“-Designs Abstand.

Das modulare System ermöglicht diesen Stadien einen Mittelweg zwischen permanenter und temporärer Nutzung. Für die tragenden Strukturen wird eine fünfzigjährige Garantie gegeben, so Villahermosa – länger als die meisten Stadien überhaupt Bestand haben. Zudem „ist es natürlich auch möglich, sie abzumontieren und woanders neu aufzubauen, wodurch sie sowohl langfristig als auch nur vorübergehend genutzt werden können“, führt er fort.

Diese Haltbarkeit resultiert zu einem wesentlichen Teil aus den einzigartigen Eigenschaften des Holzes. Da es sich im Vergleich zu Stahl bei Temperaturschwankungen weniger stark dehnt beziehungsweise zusammenzieht, kann es einfacher imprägniert und abgedichtet werden. Zudem nimmt Holz Hitze nicht so stark auf wie andere Materialien und gibt diese auch nicht im selben Ausmaß an die jeweilige Umgebung an. Villahermosa bezeichnet Beton in diesem Zusammenhang als einen „wahren Brutofen“ und meint, dass man bei Stahl „wie auf einem Grill gebraten wird“. Diese Eigenschaft von Holz ist besonders für Freiluftanlagen relevant, in denen die Gäste zum Teil den ganzen Nachmittag in der Sonne verweilen.

modular stadium construction structure surrounding the cableway on Italy’s Lake Garda
Die zur Einfassung der Seilbahn am italienischen Gardasee verwendete Konstruktion wurde dahingehend konzipiert, dass sie sich harmonisch in die Umgebung einfügt. Mit freundlicher Genehmigung von Rubner Holzbau.

Die dem Stadiondesign zugrundeliegende Basiseinheit ist ein sechs Meter großer Abschnitt, der 36 Sitzplätze umfasst. Diese Größe wird durch die räumlichen Vorgaben der für den Transport verwendeten Container vorgegeben, in denen jeweils Platz für zwei Moduleinheiten ist. Abgesehen vom Kernbereich, in dem die eigentliche Infrastruktur des Stadions untergebracht ist, können die meisten Bereiche durch diese Moduleinheiten nach Bedarf erweitert oder verkleinert werden.

Die modulare Flexibilität kommt den jährlichen Rhythmen der Fußballsaison entgegen, weil dadurch während der mehrmonatigen spielfreien Zeit einfach Reparaturen, Erweiterungen oder Rückbauten durchgeführt werden können. „Dank der Brettschichtholztechnologie und Modularbauweise können wir innerhalb von sehr engen Zeitrahmen die jeweils erforderliche Infrastruktur bereitstellen“, so Villahermosa.

Eine häufige Kritik im Zusammenhang mit Sportstätten besteht darin, dass sie Investitionen in Millionenhöhe verschlingen und eine beträchtliche Zeit des Jahres ungenutzt bleiben. Allerdings sollte diese neue modulare Flexibilität den Weg für Vielzweckstadien freimachen, die eine größere Bandbreite an Veranstaltungen ausrichten können. Vielleicht werden die Sportarenen der nächsten Generation daher außerhalb der Saison auch als Festivalgelände, Konzertstätten oder Ausstellungsorte fungieren – und somit vom alten Konzept des hehren Sporttempels abrücken, um sich als zwangloseres und vielseitigeres Zentrum des Gemeinschaftslebens neu zu erfinden.