4 Tipps zum effektiven Einsatz von Mixed Reality im Infrastrukturbau
Als Microsoft 2015 die HoloLens auf den Markt brachte, sahen viele eine neue Gaming-Plattform mit ein paar protzigen Extras: eine Datenbrille, die 3D-Bilder in die physische Welt projizierte. Im Unterschied zur Virtual Reality handelte es sich um eine Mischform aus virtuellen Objekten und realen Umgebungen, in denen Spieler sich lebensechte Scheingefechte mit außerirdischen Spinnenrobotern liefern konnten. Andere Benutzer aber erkannten das Potenzial des neuen High-Tech-Spielzeugs zur Lösung realer Probleme – nicht zuletzt bei der Behebung notorischer Schwachstellen im Infrastrukturbau.
„Die Markteinführung der HoloLens hat uns damals genauso unvorbereitet getroffen wie viele andere Mitbewerber“, bekennt Scott Aldridge, Senior Manager für Innovation and Disruptive Technologies bei CDM Smith. „Zwar waren wir bereits auf die Nutzung der Vorteile von Augmented und Virtual Reality für unser Unternehmen fokussiert; diese Mischform aber war eine völlig andere Geschichte, und uns war sofort klar, dass sie den Rahmen des Machbaren ganz neu abstecken würde.“
CDM Smith ist als Hoch- und Tiefbauunternehmen mit 125 Standorten auf die Bereiche Wasserbau, Verkehr und Straßenbau, Energiewirtschaft und öffentliche Einrichtungen spezialisiert. In Aldridges Zuständigkeitsbereich fällt die Bewertung von Schwellentechnologien und ihres potenziellen Nutzens zur Verbesserung der Unternehmensleistung: „Es kommt darauf an, den Mehrwert disruptiver digitaler Technologien für unsere Auftraggeber zu erkennen und auszunutzen.“
Dass die HoloLens für Infrastrukturprojekte gerade in der Planungs- und Konstruktionsphase neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit eröffnete, die insbesondere im Wasserbau enorme Vorteile mit sich brachten, lag für ihn auf der Hand. „Wir wollten uns als Pioniere und nicht als ‚Fast Follower‘ profilieren“, wie Aldridge bekräftigt.
Heute arbeitet CDM Smith mit einer Mixed-Reality-Plattform, in die Modelle aus Autodesk-Anwendungen wie InfraWorks und AutoCAD Civil 3D direkt importiert werden. Um das Potenzial dieser Technologien optimal nutzen zu können, musste das Unternehmen altbewährte Arbeitsabläufe vollkommen umkrempeln. Aus dieser Erfahrung leiten sich die folgenden vier Tipps zum Einsatz von Mixed Reality im Infrastrukturbau ab.
1. Kooperation: Alle ziehen an einem (Holo-)Strang
Konkret bedeutet Mixed Reality, dass 3D-Objekte über Headsets in die jeweilige Umgebung des Bedieners projiziert werden. So entsteht eine Mischform aus virtueller und „realer“ Realität. Der Unterschied zur Augmented Reality liegt darin, dass die virtuellen Objekte den physischen Räumen nicht nur überlagert werden, sondern sich darin verankern lassen.
In Bezug auf die Zusammenarbeit bei der Planung ergeben sich daraus zwei Hauptvorteile. Zum einen können mehrere Benutzer gleichzeitig von unterschiedlichen Standorten aus die gleiche 3D-Projektion begutachten. „Lebensgroße 3D-Avatare ermöglichen eine standortunabhängige Kooperation in Echtzeit“, erläutert Aldridge. „Mithilfe der Plattform lassen sich über den gesamten Projektzyklus hinweg bessere Ergebnisse erzielen, etwa durch die Möglichkeit, direkt in der Mixed-Reality-Projektion Notizen, Anmerkungen und Maßangaben hinzuzufügen.“
Der zweite Vorteil liegt darin, dass sich Mixed Reality besser zur Vermittlung der Optik physischer Räume eignet als Virtual Reality, und zwar aus einem ganz einfachen und äußerst menschlichem Grund: „Virtual Reality verursacht bei etwa zwanzig Prozent der Benutzer Schwindelgefühle, und manche lassen sich davon ein für alle Mal abschrecken“, so Aldridge. „Hingegen habe ich in den vergangenen drei Jahren bestimmt 3.000 Mixed-Reality-Vorführungen gemacht und kann die Leute, die sich dabei beschwert haben, dass ihnen von der HoloLens schlecht wurde, an einer Hand abzählen.“
Die realistische Gestaltung der 3D-Modelle spielt bei der kooperativen Konstruktion eher eine Nebenrolle. „Wir machen hier keinen Hollywood-Schnickschnack; wir brauchen Modelle, mit denen wir arbeiten können“, betont Aldridge. „Wir verwenden einfach unsere CAD-Modelle und motzen sie nicht weiter auf. Die sehen zwar nicht toll aus, erfüllen aber ihren Zweck. Einer der ersten Entwürfe hatte noch die Farben der CAD-Schichten – schlichter geht es kaum –, aber mit der Mixed-Reality-Plattform ist uns sofort ein Konstruktionsfehler aufgefallen, den wir sonst womöglich gar nicht bemerkt hätten.“
2. Wissenstransfer: Viele Augen sehen mehr
Das menschliche Gehirn wendet einen bedeutenden Teil seiner Ressourcen zur Verarbeitung von visuellen Informationen auf – insofern bieten sich immersive 3D-Modelle als effektive Möglichkeit zur maßstabgetreuen Begutachtung eines Entwurfs an, wie Aldridge betont. Zudem können auf diese Weise auch Projektbeteiligte ohne entsprechende technische Fachkenntnisse ihr Wissen einbringen.
Zur Veranschaulichung erzählt Aldridge von einem der ersten Projekte, bei denen seine Firma die HoloLens-Anwendung einsetzte. Dabei ging es um den Bau einer großen Bushaltestelle unterhalb einer Brücke in Michigan. Zum Abschluss der Planungsphase erstellte das Team 3D-Simulationen, sogenannte „Fly-throughs“, die vom Bauherren freigegeben werden sollten.
„Probehalber hab‘ ich das Modell in die HoloLens gepackt und es zu dem Termin mitgenommen, damit wir es zusammen begehen konnten“, erinnert sich Aldridge. „Innerhalb von fünf Minuten war ihnen aufgefallen, dass mehrere große, schwere Pflanzenständer, die eine Doppelfunktion als Bänke erfüllen sollten, zu dicht am Straßenrand platziert waren, sodass es zu gefährlich gewesen wäre, sich dort hinzusetzen.“
Je früher potenzielle Risiken erkannt werden, desto einfacher lassen sie sich noch vor dem ersten Spatenstich beheben, wodurch man sich wiederum kostspielige Änderungsaufträge erspart. Bei CDM Smith hole man inzwischen routinemäßig Feedback von Infrastruktur-Experten ohne technische Fachkenntnisse ein, so Aldridge.
„In ihrer gegenwärtigen Form bringt die HoloLens hier wohl am meisten Nutzen“, glaubt er. „Der Wissenstransfer von Leuten, die normalerweise nicht in die Konstruktionsphase einbezogen werden, die aber oft über jahrelange Erfahrung in der Bedienung und Wartung von Infrastruktur-Objekten verfügen, ist ungeheuer wertvoll und führt letztlich dazu, dass in den späteren Projektphasen sehr viel weniger Probleme auftreten.“
3. Einbeziehung aller Interessengruppen: Virtuelle Objektbegehung
Über die Zusammenarbeit in der Planung hinaus hat sich Mixed Reality auch bei Partizipationsverfahren bewährt. „Durch den Einsatz von Mixed Reality können wir die Öffentlichkeit und die übrigen Projektbeteiligten stärker einbeziehen als je zuvor“, so Aldridge. „Die Technologie ist noch so neu und derart wenig verbreitet, dass die Leute immer noch echt verblüfft sind, wenn sie sie zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen.“
Bei Straßenbauprojekten beispielsweise nimmt Aldridge die HoloLens zu Bürgerversammlungen mit, damit Stadtplaner und Anwohner sich ein möglichst lebensechtes Bild von einer geplanten Kreuzung machen können. „So können sie ein Objekt bereits in der Planungsphase begehen und bekommen einen maßstabsgetreuen Eindruck“, erläutert er. „Dadurch wird letztlich ihre Entscheidungskompetenz gestärkt. Mixed Reality unterstützt unsere bisherigen bewährten Arbeitsverfahren, steigert die Einbindung und beschleunigt das Abnahmeverfahren.“
4. Durchführbarkeitsanalyse: Vom Entwurf bis zum Betrieb
„Den Bereich Durchführbarkeitsanalyse haben wir uns mit als erstes angeschaut“, so Aldridge. „Dabei lassen sich die einzelnen Schichten eines AutoCAD-Modells ein- und ausblenden oder auch einzelne Bestandteile einer Struktur anzeigen, um potenzielle Kollisionen auszuschließen.“
Im Wasserbau, wo komplexe Anlagen großenteils zur unterirdischen Verlegung errichtet werden, hat sich dieses Verfahren als besonders nützlich erwiesen. Mithilfe von Mixed Reality sitzen Planer und Betreiber an unterschiedlichen Standorten sozusagen am gleichen Tisch und können auftretende Probleme rasch beheben.
Und nicht zuletzt bringt Mixed Reality auch Vorteile für die Betriebsabläufe in den jeweiligen Anlagen. „Wir haben bereits Machbarkeitsnachweise für die Herstellung von ‚Digitalen Zwillingen‘ erstellt – virtuellen und interaktiven Klonen realer Infrastrukturbauten“, berichtet Aldridge. „Von zunächst sehr einfach gestrickten Modellen sollen daraus im Laufe der Zeit zunehmend komplexe Simulationen werden, die relevante Daten zuverlässig erfassen und veranschaulichen und die entsprechenden Analyseverfahren und Regeln richtig anwenden. Dies bringt unserer Meinung nach große Vorteile sowohl für Betrieb und Wartung als auch im Bereich Anlagensicherheit.“
Wer sich eine HoloLens-Demo im Internet anschaut, kann leicht den Eindruck gewinnen, es handle sich um eine nette Spielerei – ein paar Typen in Headsets, die scheinbar gebannt auf ein Videospiel starren. Dass dieser Schein trügt, werde jedem Nutzer beim ersten Ausprobieren sofort klar. „Mixed Reality gehört zu den wenigen Technologien, deren volles Potenzial sich erst offenbart, wenn man sie persönlich erlebt“, findet Aldridge. „Meiner Meinung nach zählt sie zu den Top 10 der neuen Technologien und bietet eine echte Chance, endlich die Produktivitätslücke im Bereich Architektur, Ingenieur- und Bauwesen zu schließen.“