Maschinelles Lernen: der Schlüssel zu endloser menschlicher Kreativität
Stellen Sie sich einen riesigen Berg mit verschiedenen LEGO-Bausteinen vor: Der Kreativität wären beim Bauen keine Grenzen gesetzt und die möglichen Konstruktionen schier endlos. Aber um daraus etwas völlig Neues zu schaffen, müsste man natürlich zunächst einmal wissen, wie man die einzelnen LEGO-Bausteine zusammensetzt. Nun stellen Sie sich vor, hier wäre kein Mensch am werkeln, sondern ein Roboter, der sich neues Wissen auf dieselbe Weise aneignen kann wie ein menschliches Wesen.
Seien Sie ehrlich: Haben Sie bei diesem Gedanken weiche Knie bekommen oder spielten sich vor Ihrem inneren Auge bereits Szenen eines dystopischen Albtraums ab, in dem ein Roboter aus LEGO-Steinen ein Gerät zur Entnahme menschlicher Elektrolyte baut? Wir können Sie beruhigen. Ja, es stimmt: Roboter sind lernfähig, aber das bedeutet keineswegs, dass wir mit solch katastrophalen Auswirkungen rechnen müssen.
Maschinelles Lernen, ein Konzept, das allgemein synonym mit dem Begriff künstliche Intelligenz (KI) verwendet wird, hat weitreichende Auswirkungen auf alle denkbaren Branchen. Einerseits lässt sich sein enormes Potenzial, das gerade erst dabei ist, sich zu entfalten, nicht leugnen. Andererseits kann künstliche Intelligenz nicht mit den komplexen Prozessen und Interaktionen mithalten, die der menschlichen Kreativität, unserem Wissensdurst und Einfühlungsvermögen sowie anderen Fähigkeiten zugrunde liegen. Kombiniert man jedoch menschliche Stärken mit der Fähigkeit maschineller Lernverfahren, komplexe Systeme direkt und unvoreingenommen zu interpretieren, kann dies ein noch nie dagewesenes kreatives Potenzial freisetzen.
Vielleicht haben Sie sich schon mal gefragt, ob Maschinen denken können. Dieser Frage ging der britische Mathematiker Alan Turing bereits in den 1950er Jahren nach und schuf damit die Grundlage für Forschungsarbeiten im Bereich der künstlichen Intelligenz. Wenig später eröffnete das Massachusetts Institute of Technology (MIT) sein erstes KI-Labor. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte versuchten Forscher Computersysteme zu entwickeln, die in der Lage sein sollten, logisch zu denken, die menschliche Sprache zu verstehen, maschinelles Sehen anzuwenden und das menschliche Gehirn zu modellieren. Allerdings gerieten die damaligen KI-Bemühungen früher oder später allesamt an einen Stillstand, meistens aufgrund mangelnder Rechenleistung, Daten, Methoden oder finanzieller Mittel.
Es sollte bis Mitte der 2000er Jahre dauern, bis neue Fortschritte in den Bereichen Mathematik, Rechenleistung, Big Data und Cloud-Konnektivität endlich weitaus detailliertere und komplexere Modelle ermöglichten. Diese verschiedenen Durchbrüche ereigneten sich beinahe gleichzeitig und führten gemeinsam – vergleichbar mit dem Ausbruch einer Supernova nach einer Sternkollision – zu einer Kettenreaktion, die dem maschinellen Lernen einen enormen Schub verlieh.
Die aufkommende wissenschaftliche Disziplin Computational Neuroscience – in der beispielsweise funktionelle MRT-Analysen angewendet werden, um ein besseres Verständnis des Gehirns zu erreichen – ermöglicht heute bedeutende Entwicklungen im Bereich des sogenannten Deep Learning. Dabei verwenden komplexe neuronale Netze bei Simulationen Algorithmen zur Sprach-, Handschrift- und Bilderkennung. Interessanterweise ist die Funktionsweise solcher Systeme, ähnlich wie auch die des Gehirns, unergründlich, da sie viel zu kompliziert ist, um vom Menschen verstanden zu werden.
Wenn Sie jemals Google Maps verwendet haben, haben Sie die Vorteile des maschinellen Lernens bereits in Aktion erlebt. Die raumbezogenen Daten, auf denen die Straßennetzwerk-Modelle von Google Maps beruhen, sind nicht selten fehlerhaft oder veraltet. Maschinelle Lernalgorithmen können bestimmte Fehler mithilfe von Bilddaten aus Google Street View jedoch schnell beheben. Nehmen wir zum Beispiel an, dass auf einer Google-Maps-Karte an einer bestimmten Kreuzung ein Stoppschild fehlt, das allerdings in Street View zu sehen ist. In diesem Fall könnte das System den Fehler erkennen und die Daten automatisch anpassen.
Mittlerweile ahnen Sie es sicherlich schon: Daten sind der Treibstoff, der maschinelles Lernen antreibt. Die Allgegenwärtigkeit von Cloud Computing und die zahlreichen Sensoren des Internets der Dinge (auch Internet of Things oder IoT genannt) sammeln die Daten, die maschinelles Lernen ermöglichen. Effektive maschinelle Lernsysteme verdanken ihren Erfolg in erster Linie dem Umfang, der Relevanz und der Vielfalt an verarbeiteten Daten. Genau aus diesem Grund hat IBM im Rahmen seines Projekts „Watson Health“ mehr als 3 Milliarden Dollar in den Erwerb von Unternehmen mit einem reichhaltigen Fundus an medizinischen Daten investiert – eine Investition, die sich auszahlt: Bisher hat IBM fast 300 Millionen Krankenakten verarbeitet. Und auch Microsoft hat das Karrierenetzwerk LinkedIn für 26,2 Milliarden Dollar übernommen, da der Software-Gigant laut CEO Satya Nadella dank des Economic Graph mit Daten von 433 Millionen Berufstätigen in der Lage sein wird, neue Methoden zu entwickeln, um die Produktivität innerhalb der Berufswelt anzukurbeln und gleichzeitig die Marketing-, Vertriebs- und Talentmanagement-Branche zu revolutionieren.
Auch für Amazon ist Datenerhebung und maschinelles Lernen kein Neuland. Das Unternehmen sammelt jedes Mal Daten, wenn ein Nutzer das sprachgesteuerte Audio-Gerät „Echo“ verwendet. Das Echo-Team hat ein detailliertes neuronales Netz entwickelt, das sich Sprache und Semantik anzueignen vermag. Als das Team begann, das System auszubilden, wurde schnell klar, dass es Text, Stimmen, Wörter und Bedeutungen sehr viel schneller verstand und sich weitaus schneller weiterentwickelte als angenommen. Das Erstaunliche an der Sache? Niemand weiß, wie das System dabei genau vorgeht. Der zugrunde liegende Prozess übersteigt schlicht und einfach das menschliche Vorstellungsvermögen.
Doch was bedeutet das alles für die Designbranche? Die Geschichte des Echo und andere Erfolge im Bereich des maschinellen Lernens deuten darauf hin, dass die Verwendung von Software-Tools in Zukunft vergleichbar mit menschlicher Zusammenarbeit sein wird. Designer, Architekten, Hersteller, Künstler und andere kreative Köpfe werden einfach nur etwas wie „Verpass meinem Design einen Art-Déco-Stil“ sagen müssen, und generative Gestaltungssoftware – wie zum Beispiel Autodesk Dreamcatcher – wird Hunderte oder sogar Tausende verschiedene Versionen erstellen, die nach Belieben angepasst werden können. Im Begriff „Art Déco“ schwingen jede Menge implizite bzw. referentielle Informationen mit, die in Zukunft voraussichtlich nicht mehr nur von Menschen, sondern auch von Software verstanden werden können.
Mittlerweile können maschinelle Lernsysteme bereits Gesichter erkennen und im Rahmen der Krebstherapie eingesetzt werden, wo sie bereits heute bessere Ergebnisse erbringen als Menschen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Evolution maschineller Lern-Tools in Phasen verlaufen wird, die allesamt nicht nur zur Optimierung und Weiterentwicklung gängiger Fertigungsverfahren beitragen, sondern auch die Arbeitsweise der Menschen revolutionieren werden.
Die erste Phase intelligenter Tools befasst sich mit den „niedrig hängenden Früchten“, sprich den offensichtlichen und verhältnismäßig leicht umsetzbaren Aspekten des maschinellen Lernens: Dazu gehören etwa Datenaufbereitung, Fehlerbehebung, Lösungsoptimierung, Ausfallüberwachung und andere lästige Aufgaben, die den Anwender unnötig viel Zeit kosten. In einer zweiten Phase werden intelligente Assistenten Ihr Verhalten und das anderer Menschen untersuchen, um anhand von Vorhersagen repetitive Schritte zu eliminieren, wodurch die Designer sich verstärkt auf kreative Aspekte konzentrieren können. In der dritten und letzten Phase werden die Tools regelrecht zu virtuellen Teammitgliedern, denen Sie Anweisungen geben können und die mit Ihnen gemeinsam an Lösungen arbeiten – eben wie richtige menschliche Kollegen. In diesem Fall wird das System einen Großteil der Arbeit und vielleicht sogar die Entwicklung schneller Prototypen übernehmen. Wenn Sie sich also schon immer gewünscht haben, Ihre Arbeit ganz einfach per Knopfdruck zu erledigen, könnte dieser Traum in nicht allzu ferner Zukunft zur Realität werden.
Was auch immer Sie beruflich machen, Sie verbringen wahrscheinlich viel zu viel Zeit mit mühsamen, repetitiven, mechanischen und schlichtweg langweiligen Aufgaben und viel zu wenig Zeit mit wirklich kreativen Projekten, die Sie anspornen und motivieren. In einer solchen Zwickmühle muss man schon ein regelrechter Steve Jobs sein, um eine Belegschaft um sich zu haben, die man mit der Umsetzung neuer Ideen beauftragen kann. Stellen Sie sich nur mal vor, wie die Welt aussehen würde, wenn jeder diesen Luxus hätte und nicht nur die Designer.
Maschinelles Lernen wird es uns Menschen ermöglichen, uns in unserer Rolle als Schöpfer und Entwickler mit gutem Gewissen zurückzulehnen und einfach mal Kurator oder Vermittler zu spielen, während intelligente Systeme den Großteil der Arbeit übernehmen. So wird ein perfektes kreatives Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine entstehen. Man darf gespannt sein, was die Zukunft bringt, aber eines ist sicher: Uns erwartet eine Welt mit nahezu grenzenlosem Potenzial – ein Zeitalter der zügellosen Hyperkreativität.