Schaffen statt schuften: Maschinelles Lernen hält Planern den Rücken frei für kreative Aufgaben
Seit einem halben Jahrhundert treibt die Angst, den Arbeitsplatz an eine Maschine zu verlieren, immer mehr Menschen um – teilweise sogar zu Recht. In Planungsberufen hingegen bringt die Zusammenarbeit mit Computern jede Menge Vorteile für Kreativarbeiter, die datengestützte Aufgaben zunehmend an Maschinen delegieren und dadurch mehr Zeit für die wirklich spannenden Aspekte ihrer Arbeit gewinnen. Damit ein echter Wandel in den Köpfen und den Planungsbüros passieren kann, müssen jedoch traditionelle Vorstellungen von Architektur, Ingenieurwesen und Fertigung von Grund auf neu überdacht werden.
So schwer die Abkehr von traditionellen Rollen und altbewährten Methoden manchen Planern fallen mag, so bereitwillig werden andere die neuen kreativen Freiheiten annehmen, die ihnen der Einsatz von maschinellem Lernen in der Architektur zunehmend beschert. Wer die damit verbundenen Fortschritte nicht als Risikofaktoren, sondern als leistungsstarke Hilfsmittel begreift, kann sich ihre Vorteile zunutze machen, um die Sachzwänge längst überholter Modelle abzuschütteln.
Automatisierung – ja, bitte!
Die Automatisierung ist längst mitten in der Gesellschaft angekommen. Der freundliche Roboter von nebenan mag vorerst eine Randerscheinung bleiben, dafür haben Mobiltelefone, Drucker, Mikrowellen, Autos, Alexas, Google Homes & Co. alltägliche Aufgaben automatisiert, die einst mühsam von Hand erledigt werden mussten.
Automatisierte Technologien sind nichts Neues; sie entwickeln sich lediglich – ähnlich wie das menschliche Gehirn selbst – weiter. In der Architektur kommen CAD-Technologien seit nunmehr einem halben Jahrhundert zum Einsatz. Jim Stoddart vom New Yorker Architekturbüro The Living beschreibt diese Früchte des technischen Fortschritts als „schnellere Versionen von Stift und Papier“.
Automatisierte Verfahren, betont Stoddart, gehörten längst zum Alltagswerkzeug des Planers, auch wenn sie nicht als solche bezeichnet würden. „Wenn ich bei der Planung eines Bauwerks mit Revit arbeite und die Software automatisch koordinierte Dokumente ausspuckt, dann finde ich das nicht weiter besorgniserregend“, erläutert er. „Dabei handelt es sich eindeutig um Automatisierung – alles, was ich früher von Hand machen musste, erledigt heute das Programm.“
Um die Stärken der künstlichen Intelligenz wirklich auszunutzen, sei ein Umdenken bei der Lösung von Planungsproblemen erforderlich, so Stoddart: „Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auf andere Aspekte des Problems konzentrieren.“
„Wenn man es aus Unternehmersicht angeht, gilt doch: Wenn jemand Neues reinkommt und deinen Job übernimmt, hast du die Chance, eine höhere Funktion zu bekleiden und zu sagen: ‚Okay, ich habe jetzt diese neue Kapazität – wie kann ich sie nutzen, um den gesamten Arbeitsablauf neu zu gestalten?‘ Man kann das Verfahren quasi laufend neu erfinden,“ bekräftigt auch Mike Mendelson, der als Schulungsleiter und Lehrplanentwickler am Nvidia Deep Learning Institute arbeitet.
„Die Fähigkeit, kreative Lösungen für offen formulierte Probleme zu finden, bleibt bis auf weiteres uns Menschen vorbehalten. Durch Automatisierung lässt sich jedoch Zeit sparen, die wir dann wieder in die Planung investieren können.“ – Mike Mendelson
Je leistungsstärker unsere Datenverarbeitungssysteme werden, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich, menschliche und künstliche Intelligenz miteinander in Einklang zu bringen, indem beide entsprechend ihren jeweiligen Stärken optimal eingesetzt werden. „Computer sind nicht gut darin, kreative Lösungen für offen formulierte Probleme zu finden; diese Fähigkeit bleibt bis auf weiteres uns Menschen vorbehalten“, so Mendelson. „Durch Automatisierung von repetitiven Aufgaben lässt sich jedoch Zeit sparen, die wir dann wieder in die Planung investieren können.“
„Menschliche Stärken wie Intelligenz oder Kreativität machen wir uns auch weiterhin zunutze. Umgekehrt gibt es einiges, was Maschinen aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften besser können – das schnelle Lösen von Rechenaufgaben beispielsweise“, meint Stoddart. Optimal sei daher „ein hybrider Ansatz, der gegenüber dem getrennten Einsatz beider Arten von Intelligenz eindeutige Vorteile bietet.“
Den Daten vertrauen
Gebäudeplaner haben heute die Möglichkeit, eine unendliche Anzahl unterschiedlicher Konfigurationen zu entwerfen und zu testen, ohne einen einzigen Entwurf physisch umzusetzen. Das spart Kosten, Zeit und Ressourcen. Zwar sind bestimmte Planungsfaktoren, die zur Schaffung eines „idealen“ Raums beitragen (Tageslicht, visuelle Reize usw.), quantitativ messbar; menschliche Präferenzen hingegen sind zu komplex, als dass sie sich mit manuellen Messungen erfassen ließen.
Bei Swinerton Builders fließt Nutzer-Feedback schon heute in die Planung ein, wie Zane Hunzeker, der dort für virtuelle Planungs- und Bauverfahren zuständig ist, erläutert: „Wir arbeiten mit einer VR-Software, die Augenbewegungen verfolgt. Wenn der Blick länger als eine halbe Sekunde an einem bestimmten Objekt hängen bleibt, setzt das Programm einen Haken bei dem jeweiligen Blickfang. Wenn wir das mit 25 Menschen hier an unserem Standort machen, wissen wir, wohin die Menschen gerne schauen, wo sie sich gerne aufhalten. Diese Daten pflegt man dann in das Lernprogramm ein und kann beispielsweise die Möbel entsprechend anordnen.“ Und schon hat man – noch bevor der erste Morgenkaffee kalt geworden ist – seine Planung optimiert.
Auch bei konzeptionell anspruchsvollen Projekten können datengestützte Bauplanbewertungen eingesetzt werden. „Mit Virtual Reality können wir die Tester in den jeweiligen Raum bringen und sie fragen: ‚Ist das spannend genug? Ist es einladend? Ist es ästhetisch ansprechend?‘“, erläutert Stoddart. „Die Ergebnisse können wir dann als überwachte Lernaufgabe in ein maschinelles Lernsystem einpflegen, und die Software unterstützt uns bei der Prognose, welche der Tausenden von Entwürfen, die wir entwickeln, interessante räumliche und stoffliche Eigenschaften aufweisen, die wir uns genauer anschauen sollten.“
Die Chance, aus der Beobachtung von KI-Präferenzen zu lernen, bringt für Planer neue Herausforderungen mit sich. „Wir müssen höhere Maßstäbe setzen, die realisierbaren Effizienzgewinne besser nutzen und mehr Vertrauen zwischen Maschinen und Menschen aufbauen“, so Hunzeker.
Ein Stück weit gehe es hier auch um Bescheidenheit, meint Stoddart. „Die Frage, ob Automatisierung menschliches Eingreifen in den Planungsprozess ganz überflüssig machen wird, interessiert mich nicht. Meiner Auffassung nach ginge dann nämlich der Wert der Planung verloren“, betont er. „Freilich dürfen wir nicht aus reiner Vermessenheit unsere Fähigkeit überschätzen, Lösungen für zunehmend komplexe Probleme zu prognostizieren.“
Wie lernen Menschen, ihr Vertrauen in künstliche Intelligenz zu setzen? Der Knackpunkt sei die Gültigkeitsprüfung, ist Stoddart überzeugt. „Sobald wir etwas validieren können, wissen wir, dass wir den Ergebnissen trauen können, und auf dieser Grundlage können wir dann auch im weiteren Sinne Ideen austesten. Und zwar nicht nur zur Bestätigung dessen, was wir bereits wissen, sondern idealerweise zum Aufzeigen von alternativen Ansätzen, auf die wir sonst womöglich nie gekommen wären.“
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Roboter wollen nicht etwa Arbeitsplätze vernichten; vielmehr geben sie uns die Chance, Wesen und Sinn von Arbeit neu zu überdenken und zu definieren. Viele Befürchtungen lassen sich aus der Welt räumen, indem man sie aus anderer Perspektive betrachtet. „Die Unterstützung durch eine Technologie, die ein höheres Maß an Komplexität bewältigen kann, bedeutet, dass wir überdenken sollten, wie sich Probleme anders formulieren lassen.“
Wenn es um Kreativität geht, kommt so schnell keine Maschine an die Kapazitäten des menschlichen Verstands heran. Dank künstlicher Intelligenz sind wir Menschen aber zunehmend in der glücklichen Lage, die Welt nach unseren Wünschen und Vorstellungen zu erschaffen und zu gestalten und die Plackerei den Maschinen zu überlassen.