Wird eine von Robotern gebaute Mars-Unterkunft zum Wegbereiter für nachhaltiges Bauen?
Einem Bericht der Internationalen Energieagentur und der Umweltorganisation der UN aus dem Jahr 2018 zufolge ist die Baubranche weltweit für 39 % der energiebedingten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Das ist eine erschreckend hohe Zahl – die aber gleichzeitig auf ein ebenso großes Potenzial hinweist, den Klimawandel zu bekämpfen. Die Pariser Klimagespräche im Jahr 2015 ergaben, dass die globalen CO2-Emissionen im Bauwesen mithilfe vorhandener Technologien um bis zu ein Drittel reduziert werden könnten. Ein Planungsbüro macht es nun vor und revolutioniert das Bauwesen mit Robotern, die Häuser für den Mars bauen und damit neue Erkenntnisse für die Bauindustrie auf der Erde liefern.
Um eine derartige Verringerung zu realisieren, muss die Branche neue Ansätze für die Zukunft finden oder, wie der Geschäftsführer und Chefarchitekt des New Yorker Büros AI SpaceFactory, David Malott, es ausdrückt: „eine High-Tech-Methode für den Rückschritt“.
Als Partner des Residenzprogramms am Autodesk Technology Center in Boston verfolgt AI SpaceFactory eine neue Strategie für weniger umweltschädliche Bauweisen. Begonnen hat die Vision des Unternehmens für die Zukunft des Bauens jedoch mit einer von Robotern errichteten Unterkunft für einen ganz anderen Planeten: den Mars.
Marsha, Marsha, Marsha
AI SpaceFactory sorgte als Gewinner des renommierten Wettbewerbs „3D-Printed Habitat Challenge“ der NASA, bei dem unter Einsatz von Robotertechnik innerhalb einer Woche eine Unterkunft für den Mars konstruiert werden sollte, für Schlagzeilen. Mithilfe additiver Fertigung und einigen spontanen Software-Optimierungen warfen die Roboter von AI SpaceFactory in den letzten 30 Stunden die Penn State University aus dem Rennen.
Die Funktionalität des von AI SpaceFactory entwickelten Projekts Marsha beruht auf den Prinzipien von Autonomie und Hyperlokalität. Der Wohnpod wird aus den am Landungsort des planetaren Landemoduls verfügbaren Werkstoffen schon vor dem Eintreffen der menschlichen Besatzung errichtet. Da dessen Planungsingenieure mehr als 54 Millionen Kilometer entfernt sind – zu weit, um mal eben eine Schraube anzuziehen –, muss das Projekt komplett autonom sein.
Nach diesem aufregenden Auftakt soll nun die nächste Iteration bodenständiger sein. Die 3D-gedruckte Erdunterkunft der AI SpaceFactory mit dem Namen Tera wird ebenfalls mit autonomen Maschinen gebaut, ist jedoch in erster Linie als Alternative zu umweltschädlichen Bauweisen auf der Erde gedacht.
Vorwärts in die Steinzeit
Darüber hinaus soll Tera veranschaulichen, wie viel sauberer, schneller und billiger Bauen sein kann. Malott merkt an, dass die Umweltbelastung durch die weltweite Produktion und Verschiffung energieintensiver Werkstoffe in der Ökobilanz der Baubranche nur unzureichend berücksichtigt werde.
„Vor dem 20. Jahrhundert wurden Werkstoffe für Bauprojekte aus der unmittelbaren Umgebung beschafft“, erklärt er. „Eine Rückkehr zu diesem Prinzip war die Voraussetzung dafür, auf dem Mars bauen zu können. Also eine Vereinigung von Hightech und Steinzeittechnologie. Wir verwenden Werkstoffe, die nahe am Standort abgebaut werden. Das wäre auf der Erde das Optimum an Nachhaltigkeit: eine abgespeckte Ausrüstung auf ein Gelände zu schaffen und mit dem dort vorhandenen Bodenmaterial zu bauen.“
Der simulierte Mars-Einsatz war eine hervorragende Übung, da der Transport von Maschinen und Werkstoffen zu einer Baustelle die größte Herausforderung darstellt. Malott zitiert eine aktuelle Studie, die den Preis für jedes von der Erde in den Weltraum geschickte Kilogramm mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro beziffert. „Bei diesem Preis würde es über 2,7 Milliarden Euro kosten, ein Haus auf den Mond zu schicken“, merkt er an.
Statt Kunststoffpolymeren, wie man sie häufig in Anwendungen wie Strukturklebern oder Abdichtungen findet, stellt Tera aus in der Umgebung gewonnenen organischen Werkstoffen Biopolymere her und fertigt so direkt an der Quelle ein Endprodukt. Im Unterschied zu einem petrochemischen Produkt mit versteckten Kosten wie chemischer Verschmutzung und Abwasser werden die Bausteine für den Werkstoffersatz aus Biopolymeren mittels Fermentierung von Pflanzenzuckern aus Mais, Zuckerrohr oder Rüben vor Ort hergestellt.
Extrem robust
Die Entwickler von Marsha machten den Wohnpod äußerst widerstandsfähig gegen die extremen Bedingungen auf dem Mars: Er ist in der Lage, eisigen Temperaturen und einer fast ausschließlich kohlendioxidhaltigen Atmosphäre standzuhalten. Tera hingegen muss nicht annähernd so robust sein. Während die für Marsha verwendeten Polymere hochleistungsfähige Basaltfasern enthalten mussten, sei es übertrieben, auf der Erde den gleichen Maßstab anzusetzen, meint Malott. Die Verwendung von irdischen Werkstoffen wie Schotter oder Glasfaser wird eine marktfähige Realisierung des Projekts schon in absehbarer Zeit möglich machen.
Die Wissenschaft hinter Marsha und Tera ist fundiert: die verwendeten Werkstoffe zeigten sich in Tests stärker als Beton. „Wind und seismische Belastungen sind eher ein Thema“, erläutert Malott. „Das Gebäude ist schwächer in horizontaler Richtung als gegenüber Kräften, die von oben wirken, also müssen wir es noch entsprechend verstärken. Danach gibt es theoretisch keine Grenzen mehr. Hier auf der Erde ließe sich das einfach mit einer dickeren Betonsäule oder Stahlplatte kompensieren.“
Wenn die Bauphysik des Projekts erst einmal abgesegnet wäre, könnte das Team hinter Tera fast alles bauen – sogar mehrstöckige Gebäude. In Kombination mit additiver Fertigung würden speziell für entsprechende Höhen entwickelte 3D-Druck-Kräne oder -Drohnen buchstäblich den Griff nach den Sternen ermöglichen.
Betonindustrie aufgepasst!
Marsha und Tera werden zu über 90 % mithilfe autonomer Methoden errichtet, was den Personalaufwand auf etwa 15 % der gesamten Projektkosten reduziert – das ist halb so viel wie sonst im Bauwesen üblich. Malott schätzt den Zeitaufwand für die Entwicklung eines soliden Geschäftsszenarios für die Skalierung von Tera auf zwei Jahre, in denen das Unternehmen die erforderlichen Tests durchführen, Branchenzulassungen beschaffen und auf die Verabschiedung von Bauvorschriften für den 3D-Druck warten muss. Sobald das geschieht, könnten die Vorteile in puncto Nachhaltigkeit ein breiteres Publikum ansprechen und auch Mitbewerber dazu anregen, neue Wege zu gehen.
Dass Tera sprichwörtlich unter einem Dach gefertigt wird, mache den Ansatz von AI SpaceFactory noch nachhaltiger. „Dass wir sowohl die Planung als auch die 3D-Drucktechnologie ausführen, verschafft uns eine Alleinstellung. Diese vertikale Integration ist so nicht üblich. Normalerweise würde ein Planungsbüro mit einer 3D-Druck-Firma zusammenarbeiten“, erklärt Malott.
„Die Vorgehensweise eines einzigen Unternehmens kann das Image einer neuen Branche wie dieser völlig verändern“, fährt er fort. „Am Beispiel von Tera versuchen wir die Menschen über die Ursachen des Problems zu informieren. So haben Hersteller von Elektroautos beispielsweise im Hinblick auf die Nachteile von fossilen Brennstoffen sehr gute Arbeit geleistet. In Bezug auf Gebäude bedarf es einer ähnlichen Aufklärung.“
Wann wird AI SpaceFactory wissen, dass diese Botschaft ihre Zielgruppe erreicht hat? Malotts aufschlussreiche Antwort darauf ist: wenn die Betonindustrie beginnt, sich Sorgen zu machen. „Wenn die Betonindustrie versucht, unserer Arbeit gegenüber öffentlich Skepsis zu erregen, wissen wir, dass wir erfolgreich sind“, sagt er. „Das heißt, wenn wir ihre Aufmerksamkeit auf uns gezogen haben und sie anfangen, nervös zu werden.“
Autodesk ist Partner vom Wissenschaftsjahr 2019 mit dem Fokus auf Künstliche Intelligenz (KI) und unterstützt damit die Initiative der Bundesregierung, den Blick für die Chancen in KI zu schärfen sowie die Herausforderungen dieses neuen Technologietrends zu thematisieren.