Lichtverschmutzung ade: Architektonische Beleuchtungskonzepte zum Schutz des Nachthimmels
Wenn wir Menschen nach einem anstrengenden Tag nachts erschöpft in die Federn kriechen, beginnt für einen Großteil der Tierwelt der Tag. Weit mehr als die Hälfte aller Arten ist dämmerungs- oder nachtaktiv.
Lichtverschmutzung stellt die Menschheit seit langer Zeit vor Probleme, da sie einen klaren Blick zum Sternenhimmel verhindert und so unser Seh- und Orientierungsvermögen bei Nacht beeinträchtigt. Doch nicht nur das: Ähnlich wie Fernseh- oder sonstige helle Bildschirme bringt sie auch den zirkadianen Rhythmus zahlreicher Lebewesen durcheinander. Innerhalb der Architektur- und Baubranche ist es längst kein Geheimnis mehr, dass übermäßige Beleuchtung nicht nur ineffizient, sondern auch ungesund ist. Gerade aus diesem Grund geht der Trend heute immer stärker in Richtung Tages– oder Arbeitslichtsysteme – ihrerseits übrigens auch wesentliche Bestandteile einer nachhaltigen Planung.
In den letzten Jahren haben Wissenschaftler und Beleuchtungsexperten den Bogen jedoch noch weiter gespannt und sich eingehend mit der Frage befasst, welche Auswirkungen künstliches Licht auf unterschiedliche Ökosysteme und die Tierwelt hat. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, wie die Baubranche Lichtschutzkonzepte fördern könnte, die der Menschheit und unserem Planeten weniger schaden.
„Wenn wir von ökologischer Lichtverschmutzung sprechen, sprechen wir von der Gesundheit des Ökosystems, und wir Menschen sind Teil dieses Systems“, schreibt Paul Bogard, Professor an der James Madison University im US-Bundesstaat Virginia, in seinem Buch „Die Nacht: Reise in eine verschwindende Welt“. „Unser ökologisches Wissen ist in Wahrheit auch eines über unsere eigene Gesundheit.“
Nacht- und dämmerungsaktive Arten sind evolutionär darauf konditioniert, erst nach Anbruch der Dunkelheit überlebenswichtigen Aktivitäten nachzugehen – vom Jagen und Sammeln über das Fressen bis hin zur Paarung. Doch in den meisten Städten und Regionen der Welt sind Straßen, Gehsteige, Sportplätze und Einkaufszentren rund um die Uhr mit künstlichem Licht überflutet, wodurch die natürlichen Schlaf- und Wachphasen von Mensch und Tier gleichermaßen durcheinandergeraten.
Probleme verursacht Nachtbeleuchtung vor allem aufgrund ihrer Ausrichtung, Intensität und Farbe. Die renommierte Lichtgestalterin Nancy Clanton von der Firma Clanton & Associates erklärt, dass viele Außenlichtanlagen mehr Licht ausstrahlen, als es für unsere Sicherheit oder normale Aktivitäten erforderlich wäre. Nicht selten sind Anlagen dieser Art außerdem schlecht ausgerichtet und werfen das Licht unnötig nach oben oder außen statt senkrecht nach unten.
Leider hat auch der zunehmende Einsatz von energieeffizienteren Lichtquellen wie etwa LEDs in der Baubranche unerwünschte Nebenwirkungen: So kann der allzu starke Blauton mancher LEDs den Schlafrhythmus negativ beeinflussen. Es sind wärmere Farben wie rote und orangefarbene Töne, die uns – und andere Tierarten – schläfrig machen. In der Natur tritt dieses Phänomen automatisch auf: Der tagsüber blaue Himmel nimmt bei Sonnenuntergang einen rötlichen Schimmer an, der die kommende Dunkelheit ankündigt.
„Das von der Sonne ausgehende blaue Licht ist notwendig für unsere Serotoninproduktion“, erklärt Clanton. „Nachts hingegen stört blaues Licht die Ausschüttung von Melatonin, einem Hormon, das eine wichtige Rolle für einen gesunden Schlaf spielt. Unsere Branche hilft Städten, blaue Lichtquellen auf ein Minimum zu reduzieren, insbesondere an Orten, an denen dies dem natürlichen Schlafrhythmus schadet, und in der Umgebung von Pflanzen und Tieren – der in dieser Hinsicht benachteiligten Bevölkerung, die nicht einfach die Vorhänge zuziehen kann.“
Letztes Jahr veröffentlichte der Council on Science and Public Health der American Medical Association (AMA) einen Bericht über die schädlichen Auswirkungen von LED-Licht. Den Verfassern zufolge wurden bisher etwa 10 Prozent aller Straßenbeleuchtungsanlagen in den USA durch LED-Lichter ersetzt, und diese Zahl wird voraussichtlich im Laufe der kommenden Jahre beträchtlich steigen. LEDs der ersten Generation hatten auf der Kelvin-Skala, die blaues Licht nach Farbtemperatur einordnet, in der Regel einen Wert von mindestens 4.000. Ein Licht, das bei 4.000 K oder höher liegt, gehört zu dem eher kühlen, blauen Ende des Spektrums und ist insofern in etwa mit Tageslicht vergleichbar. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Intensität nicht für nächtliche Beleuchtung geeignet ist. Licht mit einer Kelvinzahl von 2.000 bis 3.000 K gehört hingegen zum wärmeren, eher rötlichen Spektrum und ist deshalb nachts angenehmer.
Blaues LED-Licht hat der Tierwelt bereits erheblich geschadet. Wie aus dem Bericht der AMA hervorgeht, wurden bereits Fälle beobachtet, in denen LEDs an Stränden zu einem „massiven Rückgang von Schildkrötenarten führten, weil Schlüpflinge durch elektrisch und künstlich produziertes Himmelsleuchten – auch Skyglow genannt – die Orientierung verloren und so häufig nicht bis zum Wasser gelangten“. Und auch Brückenbeleuchtung mit starkem Blauton stört dem Bericht zufolge die Wanderung von Lachsen, die zum Laichen den Fluss hinaufziehen.
Clanton unterstützt eine Vielzahl verschiedener Auftraggeber – von Stadtbehörden bis hin zu den zuständigen Stellen für die Verwaltung natürlicher Ressourcen – beim Umstieg auf umweltfreundlichere Beleuchtungsquellen, wie zum Beispiel amberfarbene LEDs. Doch damit nicht genug: Clantons Unternehmen entwickelt auch sogenannte Beleuchtungszonen in Städten, damit diese nicht durchgehend einheitlich, sondern vielmehr nach jeweiligem Bedarf beleuchtet werden. Darüber hinaus setzt sie sich für eine stärkere Verbreitung von Beleuchtungsanlagen ein, die im Laufe der Nacht gedimmt, ausgeschaltet oder in ihrer spektralen Zusammensetzung angepasst werden können.
Laut Travis Longcore – Assistant Professor für Architektur, Raum- und Biowissenschaften an der University of Southern California School of Architecture – ist es für Architekten, die sich bereits ausgiebig mit Tageslichtsystemen auseinandergesetzt haben, an der Zeit, sich nun auch mit einem neuen Konzept vertraut zu machen, das er als „Night-Darking“ (zu Deutsch etwa „Nachtverdunklung“) bezeichnet. Die zunehmende Verfügbarkeit von Beleuchtungsoptionen mit unterschiedlicher spektraler Zusammensetzung, etwa gefilterten oder Phosphor-beschichteten LEDs, eröffnet neue Möglichkeiten auf diesem Gebiet. Software-Lösungen wie f.lux passen die Farbtemperatur von Computer- oder Mobilgerätbildschirmen nachts an, indem sie blaues Licht herausfiltern – eine Technologie, die sich mittlerweile auch im Rahmen von Beleuchtungssystemen durchzusetzen scheint.
Wer sich für weniger schädliche Beleuchtungslösungen entscheidet, kann außerdem unterm Strich Geld sparen. „Gezielte Beleuchtung nach Bedarf bedeutet in der Regel weniger Lichtmasten, weniger Beleuchtungskörper und weniger Stromverbrauch. So werden Projekte weitaus weniger kostspielig“, betont Charles Hendricks von Gaines Group Architects. Seine Firma hat unter anderem umweltschonende Beleuchtungssysteme für Projekte in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia entwickelt, wo eine strenge Lichtschutzverordnung gilt. Zwar entscheide sich nicht jeder Auftraggeber aus ökologischen Gründen für eine umweltfreundlichere Lösung, doch „99 oder sogar 100 Prozent von ihnen sind erpicht darauf, Kosten zu sparen“, so Hendricks.
„Im Endeffekt geht es darum, die Dauer [des Lichts], die Intensität, die Ausrichtung und die spektrale Zusammensetzung zu steuern“, erklärt Longcore. „Zur Lösung dieser Probleme sind überzeugende gestalterische Konzepte erforderlich.“