Automatisierte Fertigung für alle – ein künstliches Gehirn macht’s möglich
Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der jeder seinen Traum ganz einfach in ein reelles Produkt verwandeln kann: Sie müssen Ihren Traum nur noch in Worte fassen, damit er wahr wird. Sie brauchen weder einen Abschluss in Ingenieurwissenschaften noch Vorwissen in Industriedesign oder Fertigung, sondern lediglich eine Idee. Das kann eines Tages geschehen, vorher sind jedoch einige Veränderungen erforderlich – angefangen beim Zugang zur automatisierten Fertigung bis hin zum künstlichen Gehirn.
Automatisierung ist zurzeit noch das Privileg von Großunternehmen mit, auf gut Deutsch gesagt, tonnenweise Knete. Im Prinzip beherrschen diese Unternehmen die Fertigungsbranche nur, weil sie das nötige Kapital haben, um in die Automatisierung zu investieren. Dabei ist es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass das wirklich Kostspielige an der Automatisierung nicht der Preis für die Geräte ist. Denn ungefähr drei Viertel der Kosten für die Automatisierung entfallen nicht etwa auf die Hardware, sondern auf die teure, arbeitsintensive und zeitaufwendige Prozessintegration. Dies umfasst die Einrichtung, Ausbildung, Zertifizierung, Instandhaltung und Fehlerbehebung, die zum effektiven Betrieb eines Automatisierungssystems nötig sind.
Die Verbreitung der Automatisierung wurde bisher durch ein fest verwurzeltes Ökosystem verhindert, in dem Fertigungsunternehmen durch das Nadelöhr der Prozessintegration schlüpfen müssen. Automatisierung muss nicht übermäßig teuer sein, jedoch erfordert ihre Demokratisierung einen Durchbruch. Das würde bedeuten, dass jeder noch so kleine Betrieb damit arbeiten könnte. Eine Möglichkeit, zu diesem Ziel zu gelangen, ist die Entwicklung eines künstlichen Gehirns.
Was ist also ein künstliches Gehirn?
Ein künstliches Gehirn ist eine Kombination aus Hardware und Software, die quasi einen der interessantesten Aspekte des menschlichen Gehirns nachahmen kann: die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen. Die einzelnen Komponenten des künstlichen Gehirns unterstützen eine Software-Umgebung zur Wahrnehmung, Erkenntnis und Speicherung von Informationen, die einem Roboter mit einem künstlichen Gehirn die Fähigkeit verleihen würde, sich innerhalb weniger Stunden neu zu programmieren bzw. seine neuronalen Schaltkreise neu zu „verkabeln“.
Das künstliche Gehirn besteht aus drei Teilen – Hardware, Software und Sensoren –, die zusammen ein komplettes Ökosystem ergeben. Die Sensoren sind die Augen und Ohren und erfassen die Informationen, die dann von der Hardware verarbeitet werden. Die rechnerische Software, eine maschinell lernende KI, ordnet die erfassten Informationen, fügt sie ihrem Gedächtnisspeicher hinzu, lernt aus diesen Erfahrungen und orientiert sich bei zukünftigen Aufgaben daran. Auf einmal ist ein Fertigungsroboter keine Maschine mehr, die nur auf bestimmte Aufgaben vorprogrammiert ist.
Wie funktioniert ein künstliches Gehirn?
Das Geheimnis des künstlichen Gehirns ist eine anpassungsfähige Hardwarekomponente, ein sogenannter Field Programmable Gate Array (FPGA). Im Grunde ist dies ein integrierter Schaltkreis mit einer Reihe programmierbarer Blöcke, die sich je nach Bedarf im Feld konfigurieren lassen. Zwar gibt es FPGAs schon seit Mitte der 1980er-Jahre, bis vor kurzem war ihre Programmierung aber so hochkompliziert, dass sie nicht häufig genutzt wurden. Doch dank großzügiger Investitionen von Technik- und Softwaregiganten wie Microsoft haben heutige FPGAs bessere Benutzeroberflächen. Dadurch lassen sie sich einfacher programmieren bzw. „belehren“ und sind für ein sehr viel breiteres Publikum relevant geworden.
Der FPGA funktioniert folgendermaßen: Während der ersten paar Einsatzmonate eines Roboters mit künstlichem Gehirn sammelt die Maschine pausenlos neue Erfahrungen durch die verschiedenen Aufgaben, die ihr zugeteilt werden. Der Roboter lernt dabei durch seine Aktivitäten, ähnlich wie ein Kind. Währenddessen kann es sein, dass die Hardware neu angeordnet werden muss, damit sie effektiver läuft – das lässt sich aber bewerkstelligen, ohne dass man neue Hardware kaufen muss, weil der FPGA programmierbar ist. Ähnlich wie die „Neuverdrahtung“, wie sie auch im menschlichen Gehirn stattfindet, passiert dies auf der Grundlage alltäglich gesammelter Erfahrungen.
Die Softwarekomponente ist eine maschinell lernende KI. Bisher war die KI insofern eingeschränkt, als sie strikt auf die Lösung eines einzigen Problems ausgelegt war. Das bedeutet, dass man diese Intelligenz zumeist nicht auf andere Situationen anwenden konnte als die, für die sie vorgesehen war. Ein menschliches Gehirn funktioniert anders. Das menschliche Gehirn ist uneingeschränkt in der Lage, jede beliebige Erfahrung in ein völlig anderes Szenario zu übertragen, indem es auf das bereits Erlernte zurückgreift und es in einer völlig anderen Situation anwendet. Zum Glück ist die KI mittlerweile so weit fortgeschritten, dass auch sie so funktionieren kann.
Das künstliche Gehirn ist unabhängig von der Cloud, da es die KI bereits mit an Bord hat.
Das künstliche Gehirn ist unabhängig von der Cloud, da es die KI bereits mit an Bord hat. Stattdessen katalogisiert es ständig die Informationen, die durch die Sensoren hereinkommen, lernt aus ihnen und baut sein Wissen auf ihnen auf, damit der Roboter seine Umwelt und seinen Anwender immer besser versteht. Die KI filtert nach dem „Flaschenhals“-Prinzip die Informationen heraus, die sie für wichtig erachtet, und vergisst alles, was nicht relevant ist. Die maschinell lernende KI programmiert dann das FPGA-Netzwerk neu, um den Roboter auf neue Aufgaben vorzubereiten.
Die Zukunft der Fertigung demokratisieren
Konkret bedeutet dies für die Fertigungsindustrie, dass mit nur einem einzigen Roboter mit künstlichem Gehirn jeder beinahe alles produzieren kann – in egal wie großer Stückzahl –, da sich der Roboter anpassen und umprogrammieren kann. Eine Fabrik im herkömmlichen Sinne wird nicht mehr nötig sein, nur ein Ort, an dem die Roboterzelle stehen kann. Und noch besser: Die Prozessintegration wird der Vergangenheit angehören, da alles nötige Wissen bereits im künstlichen Gehirn gespeichert ist.
Mit diesem Wissen bewaffnet kann sich der Roboter jeder Aufgabe widmen und dabei erklären: „So werde ich dieses Material auslegen, so werde ich eine Klinge herstellen, so werde ich eine Tragfläche konstruieren, so werde ich eine Säule bauen“, und so weiter. Das ist möglich, weil die physikalischen Probleme im Inneren der Zelle gelöst werden. Das betrifft auch die Fähigkeit, mit unterschiedlichen Materialien zu arbeiten, von Stahl über Polymer bis hin zu Fasern. Der Roboter ist anpassungsfähig und nicht mehr darauf beschränkt, nur Bestückungsaufgaben durchzuführen.
Dieser Roboter wird wahrscheinlich völlig anders aussehen als die Industrieroboter in heutigen Fabriken. Er wird leichter und flexibler sein und weitaus weniger Energie verbrauchen – so wie ja auch der menschliche Körper keine Unmengen an Energie benötigt, um sich zu bewegen. Ein Roboter, der von einem künstlichen Gehirn gesteuert wird, funktioniert im Prinzip wie eine grafische Benutzeroberfläche und kann mit dem Bediener kommunizieren, indem er gesprochene Befehle ebenso erkennt wie Körpersprache und Mimik. Alles in allem wird ein solcher Roboter vollständig verstehen können, ob der Gegenstand, den er herstellt, den Vorstellungen im Kopf des Anwenders entspricht oder nicht.
In Zukunft wird man also nicht eine Software oder eine Maschine kaufen, sondern die Kommunikation zwischen Mensch und Roboter. Mit dem Erwerb des Roboters kauft man das Wissen, wie man kommuniziert und Probleme löst, ohne dass eine spezielle Ausbildung dafür notwendig ist. Auf diese Weise werden die Möglichkeiten der automatisierten Fertigung für jeden zugänglich sein.
Das künstliche Gehirn im Internet verfügbar machen
Die Technologie rund um das künstliche Gehirn ist nur möglich, da die Hardware mittlerweile leichter zugänglich ist, die KI über das Lernen einzelner Funktionen heraus gereift ist und Sensoren wahnsinnig billig geworden sind. Damit sich die Technologie aber tatsächlich etablieren kann, müssen sich große wie kleine Unternehmen der Innovation öffnen, neue Arten des Lernens und der Zusammenarbeit annehmen und diesen Weg der Diskontinuität als etwas Positives begreifen. Der Wandel in der Technologie bietet nämlich die Gelegenheit, aus der bequemen Haltung und dem konservativen Trott auszubrechen, die man für gewöhnlich mit diesem Zweig der Industrie verbindet.
Es gibt bereits rege Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet des künstlichen Gehirns und Autodesk wird noch in diesem Jahr vorführen, wie ein einziger Roboter mit einem künstlichen Gehirn sich selbst so umprogrammieren kann, dass er Bauteile für drei unterschiedliche Bereiche herstellen kann: einen für die Luftfahrt, einen für das Bauwesen und einen für die Automobilindustrie. Dieser Roboter wird zeigen, dass er aus den erfassten Daten gelernt hat und diese Kenntnisse auf die unterschiedlichen Aufgaben anwenden kann, die er durchführen soll.
Wir sind überzeugt, dass dieses System in den nächsten drei bis fünf Jahren richtig Fahrt aufnehmen wird. Bis dahin wird sich immer deutlicher herausstellen, dass technische Innovationen wie das künstliche Gehirn nötig sein werden, um für die funktionsübergreifenden Herausforderungen in Planung, Bau und Produktion in der nahen Zukunft gewappnet zu sein. Wenn Automatisierung für alle zugänglich ist, kann jeder – ob Maschinenbauer, Philosoph oder Biologe – relevante Vorschläge zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen. Die einzige Voraussetzung ist, dass er oder sie einen Traum hat.
Autodesk ist Partner vom Wissenschaftsjahr 2019 mit dem Fokus auf Künstliche Intelligenz (KI) und unterstützt damit die Initiative der Bundesregierung, den Blick für die Chancen in KI zu schärfen sowie die Herausforderungen dieses neuen Technologietrends zu thematisieren.