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Künstliche Intelligenz in der Industrie: Warum Deutschland bei KI nicht abgehängt wird

KI-Industrie-Roboter

Das Wissenschaftsjahr 2019 der deutschen Bundesregierung steht unter dem Motto der Künstlichen Intelligenz, das Bundeswirtschaftsministerium hat einen KI-Innovationswettbewerb ausgerufen und seilbewegte Roboter sollen die Arbeit auf Baustellen effizienter machen – im Bereich der KI wird viel geforscht, doch was davon setzen Architektur, Bauindustrie und Fertigungsbranche in Deutschland um?

Ist es kühn zu behaupten, dass wohl kaum ein Begriff sich so fest in unseren alltäglichen Sprachgebrauch eingenistet hat wie der des Algorithmus? Noch vor wenigen Jahren war Algorithmus für einige Menschen nichts als eine Worthülse, maximal abstrakt und sperrig, wenn von Bedeutung, dann für Mathematiker und Informatiker.

Doch fanden sich zu dieser Zeit schon längst Systeme im Umlauf unseres Alltags, deren Kern ein Algorithmus ist und dessen Mechanismus erst allmählich in das allgemeine Bewusstsein vorzudringen begann. Dann, als Navigationssysteme zur Standardausstattung von Autos wurden, zum digitalen Assistenten, der die schnellstmögliche, effizienteste Route berechnet. Dann, als wir virtuelle Existenzen in sozialen Netzwerken kreierten und bemerkten, wie sie von Algorithmen gelenkt werden, wie Information zu noch mehr Information führt, angepasst an die Spuren, die unsere Klicks hinterlassen.

Der Algorithmus ist die Sprache der Künstlichen Intelligenz (KI), und weil die Vision von einem Leben mit Künstlicher Intelligenz seit vier, fünf Jahren omnipräsent ist, ist der Algorithmus zu einer Schlüsselvokabel geworden, die sich interdisziplinär verfestigt hat. Natürlich auch in der Architektur, Bauindustrie und Fertigung.

„Bei der KI trainieren wir Systeme durch eine große Anzahl von Daten oder durch Trial and Error.“ Ilija Vukorep, Architekt und Professor für Digitales Entwerfen an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg

Planer und Architekten streben danach, ihre Arbeit mit computergestützten Methoden zu bereichern und besser zu machen. „Besser“ heißt in diesem Fall: Lösungen zu finden, auf die der Mensch allein nicht kommt. Lösungen zu finden, die sämtliche Eigenheiten eines Gebäudes, eines Raumes, eines Grundstücks einschließen und daran anpassen. Es geht um übermenschliche Lösungen, was böse klingt, aber eigentlich gar nicht so böse ist. Im Gegenteil.

„Bei der KI trainieren wir Systeme durch eine große Anzahl von Daten oder durch Trial and Error“, sagt Ilija Vukorep, Architekt und Professor für Digitales Entwerfen an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. „Über diese Trainingssätze entstehen autonom Formen oder Bewegungsabläufe, es kristallisieren sich Strukturen heraus, die zum Beispiel den Zweck haben, Räume richtig anzuordnen.“

Vukorep forscht seit längerer Zeit an seilgetriebenen Robotern. Seilgetrieben impliziert: seine Roboter können schweben. Sie funktionieren kopfüber, hängen an Seilen, analysieren die Baustelle oder Fertigungshalle, fungieren von oben. Die Herausforderung dabei: den Roboter mit Algorithmen auszustatten, die ihn dazu befähigen, sich an die wechselnden Bedingungen der Baustelle und an mögliche räumliche Hindernisse anzupassen. Er muss ständig seine Position und Bewegungsabläufe rekonfigurieren.

Visualisierung eines an vier fix definierten Ecken angebrachten Seilroboters. Credit: Ilija Vukorep
 
Versuchsanordnung des seilgetriebenen Roboters. Mit Greifarmen packt der schwebende Roboter die Bauteile aus der Luft. Credit: Ilija Vukorep

KI geht weit über den Gebrauch herkömmlicher digitaler Tools hinaus, sie ist keine Reaktion auf einen Klick mit der Maus oder einen Wisch mit dem Finger über den Bildschirm, sie ist eigenständig. Sie lernt stetig und rechnet permanent, ohne einer menschlichen Anweisung zu bedürfen. Ist sie erstmal programmiert und mit Datensätzen gefüttert, spuckt sie aus, was immer dazu führen könnte, das Ergebnis zu optimieren. Das hat beinahe etwas Kreatives, auch wenn verpönt wird, einer KI kreative Leistung zu unterstellen, ist sie schließlich immer noch computerbasiert, und Computer können nicht kreativ sein. Dachte man.

Mit Generativem Design Entwurfsalternativen schaffen

Das Potenzial der KI liegt im Entwurf, in der Fabrikation, in der Konstruktion, in der Produktion, also nahezu in allen Phasen der Entwicklung eines Projekts. So formulieren zum Beispiel Designer oder Ingenieure mithilfe des Generativen Designs ihr gestalterisches Ziel und geben dieses zusammen mit einer Reihe verschiedenster Parameter, darunter etwa Leistung, räumliche Gegebenheiten, Material, Fertigungsverfahren oder Kostenziele, in die Generative-Design-Software ein. Die Software rechnet nun durch Kombination der Eingabeparameter sämtliche mögliche Lösungen durch und generiert so in kurzer Zeit eine Reihe von Entwurfsalternativen. Claudius Peters, der Spezialist für Schüttgut- und Verfahrenstechnik für die Verarbeitung von Zement, Kohle, Aluminium und Gips aus der Nähe von Hannover, macht es bereits vor.

Nach ähnlichem Prinzip funktioniert auch das Building Information Modeling (BIM). Es fußt auf der Vernetzung sämtlicher am Projekt beteiligter Gewerke, die ein 3D-Modell mit unterschiedlichsten Daten anreichern und das Modell damit ständig modifizieren mit dem Ziel, alle bauwerksrelevanten Informationen in einem digitalen Modell zusammenzufassen.

Professor Markus König von der Universität Bochum leitet das Konsortium „KI meets BIM“. Mit dem Projekt nehmen König und seine Forschungsgruppe an dem Innovationswettbewerb „KI als Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme“ des Bundeswirtschaftsministeriums teil. Im Projektverlauf, der allerdings erst so richtig ins Rollen kommt, wenn das Wirtschaftsministerium das Konzept bewilligt, soll ein Modellvorhaben entstehen, das den Einsatz von KI im Bereich der Bauwerksplanung, Bauablaufplanung und Automatisierung der Baustelle berücksichtigt.

KI-Deutschland-Faserpavillon
Ein Faserpavillon auf der Bundesgartenschau Heilbronn 2019, der ausschließlich aus Faserverbundwerkstoffen besteht und in einem robotergestützten Fertigungsprozess hergestellt wurde. Credit: ICD/ITKE Stuttgart

Der Wettbewerb ist Teil der KI-Strategie der Bundesregierung, die im November 2018 verabschiedet wurde. Es muss ebenjene Strategie sein, die das Jahr 2019 in Deutschland gerade zu einer Art KI-Meile macht, denn auch das Wissenschaftsjahr 2019 steht unter dem Fokus von KI.

Es kommt Bewegung in das humpelnde Deutschland, das im Vergleich zu den USA und China nämlich etwas hinterherhinkt, wenn es um die Umsetzung von Künstlicher Intelligenz in der Industrie geht. Das weiß auch Ilija Vukorep: „Es wird an verschiedenen Hochschulen und Unis geforscht, aber das Thema der KI fasst in der deutschen Bauwirtschaft erst so langsam Fuß.“

In einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Brand Eins schilderte der deutsche KI-Experte Richard Socher, Chefwissenschaftler der kalifornischen Firma Salesforce, woran das liegen könnte: In Europa beschäftige man sich, anders als in China, gründlicher mit den ethischen Folgen von Algorithmen und dem Datenschutz. „Das mag Europas KI-Erfolg am Anfang etwas bremsen, wird aber am Ende zu besseren Ergebnissen führen, weil es uns zum Nachdenken zwingt und damit innovativer macht.“

Ein Faserpavillon mit digitaler Bauweise

Die Firma Kuka in Augsburg ist führender Hersteller für Robotersysteme und intelligente Fertigungsanlagen – inzwischen allerdings an die chinesische Firma Midea verkauft. Kukas Roboter kamen bei einem Projekt des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und des Instituts für Tragkonstruktion und konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart zum Einsatz. Für die Bundesgartenschau Heilbronn 2019 entwickelte eine Forschungsgruppe einen Faserpavillon, der Computertechnologie und Konstruktionsprinzipien der Natur zusammenführt. Die Bauteile wurden in einem robotergestützten, kernlosen Faserwickelprozess hergestellt. Ein Roboter platziert dabei Faserstränge frei zwischen zwei rotierenden Wickelgerüsten. Durch die Wechselwirkung der Fasern ergibt sich die definierte Form des Bauteils, ohne dass ein Formenbau oder Kern zur Ablage erforderlich ist. Was entsteht, ist eine maßgeschneiderte Form und individuelle Faserlagen für jedes Bauteil, ohne wirtschaftliche Nachteile gegenüber einer Serienfertigung gleicher Bauteile und ohne Produktions- oder Materialabfälle.

„Der Faserpavillon zeigt eine genuin digitale Bauweise, wie sie vor wenigen Jahren weder planbar noch baubar gewesen wäre. So entsteht ein extremer Leichtbau mit ganz eigenständigem architektonischen Ausdruck“, so Professor Achim Menges vom Institut für computerbasiertes Entwerfen.

In einem weiteren Projekt der Institute in Stuttgart, das im Rahmen des internationalen Masterstudiengangs ITECH entwickelt wurde, sind zwei adaptive Faltelemente entstanden – sie funktionieren wie eine Fassade als Roboter. Ein Steuerungssystem aus integrierten Sensoren, Online-Kommunikation und Backend-Informationsverarbeitung ermöglichen eine interaktive und benutzergesteuerte Adaption der Faltelemente. Verwendet wurde hierfür die Cloud-basierte Entwicklerplattform Autodesk Forge.

Sollte die Weltbevölkerung im Jahr 2050 auf knapp zehn Milliarden Menschen angewachsen sein, wie Experten aktuell prognostizieren, dann braucht es mehr Gebäude, Infrastruktur und Produkte für das tägliche Leben. Automation und Roboter werden zu diesem Zeitpunkt wohl fester Bestandteil von Arbeit und Alltag sein, und Künstliche Intelligenz ein Begriff, der wie die Algorithmen ganz selbstverständlich im Sprachgebrauch angekommen sein wird.

Autodesk ist Partner vom Wissenschaftsjahr 2019 mit dem Fokus auf Künstliche Intelligenz (KI) und unterstützt damit die Initiative der Bundesregierung, den Blick für die Chancen in KI zu schärfen sowie die Herausforderungen dieses neuen Technologietrends zu thematisieren.

Über den Autor

Carolin Werthmann hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften an der Universität Konstanz studiert, absolvierte ein Volontariat beim Callwey Verlag für Magazinjournalismus mit den Schwerpunkten Architektur und Restaurierung und spezialisierte sich an der Hochschule für Fernsehen und Film München und der Bayerischen Theaterakademie auf Kulturjournalismus. Sie schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung.

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