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KI ist in der Filmindustrie auf dem Vormarsch: Was bedeutet das für die Branche?

KI in der Filmindustrie: Symbolbild
Credit: Warner Bros Entertainment Inc.
  • Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet in der Filmindustrie vielfältige Möglichkeiten für die Erstellung, Neubearbeitung und Wiederverwendung von Filmmaterial
  • Potenzielle Anwendungsfälle ergeben sich in der Restauration und Kolorierung älterer Filme; denkbar ist auch die Erstellung neuer Inhalte, die eine bekannte Filmhandlung aus unterschiedlichen Perspektiven darstellen
  • Um das Potenzial KI-gestützter Tools zur Erschließung neuer Ertragsquellen zu nutzen, müssen Entscheidungstragende aus der Medienbranche sich mit Fragen rund um künstlerische Integrität, Urheberrechte und Fairness auseinandersetzen – und die Konsequenzen sowohl für die Kunstschaffenden als auch für die Konsumenten und Konsumentinnen bedenken

Ein 16 Jahre alter Spielfilm, der seinerzeit nur mäßige Einspielergebnisse erzielte, ist auf den ersten Blick kein vielversprechender Kandidat für eine Neubearbeitung. Baz Luhrmann wollte in der sechsteiligen Miniserie Australia: Die Serie für Hulu die Auseinandersetzung mit Themen wie dem institutionalisierten Rassismus gegenüber den Angehörigen indigener Völker vertiefen, die in seinem romantischen Epos von 2008 teilweise zu kurz kamen.

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) gelang es dem Produktionsteam in erstaunlichem Maße und mit relativer Leichtigkeit, Filmmaterial aus den ursprünglichen Dreharbeiten – einschließlich bislang ungenutzten Materials – für die neue Serie zu verwerten. Potenziell ermöglicht die Technologie sogar die Neuerstellung von Filmszenen, ohne dass die Schauspieler an den Drehort zurückgeholt werden müssten. 

Die Haltung gegenüber KI ist in weiten Teilen der Medien- und Unterhaltungsbranche von Berührungsängsten und Skepsis geprägt. So zählte sie zu den wichtigsten Streitpunkten bei den monatelangen Arbeitsniederlegungen der Gewerkschaft SAG-AFTRA im letzten Jahr. Dass sich KI-gestützte Technologie unaufhaltsam auf dem Vormarsch befindet, ist beiden Parteien – den streikenden Schauspieler und Drehbuchschreiber auf der einen und den Filmstudios auf der anderen Seite – bewusst. Unklar ist allenfalls noch das konkrete Ausmaß der Veränderungen, die sie in der Medien- und Unterhaltungsbranche bewirken werden.

Innovationen aus der akademischen Forschung

Mit KI können in der Filmindustrie Schwarzweißfilme koloriert werden
Generative KI ermöglicht die natürliche Kolorierung von Schwarzweißfilm. Credit: TU Graz.

Der Oscar-prämierte Kameramann Greig Fraser (Dune, Dune: Part Two, The Batman, Rogue One: A Star Wars Story) wiegelt ab: „Es gibt immer zwei Seiten. Als das Automobil erfunden wurde, haben die Kutschenbauer vielleicht gesagt: Hey, wir stellen Kutschen her, wovon sollen wir leben, was soll aus uns werden?'. Die andere Seite war: Hey, wir stellen Kutschen her, und jetzt können wir Motoren in die Kutschen einbauen'. Plötzlich kann aus dem Kutschenbauer ein Autobauer werden.“ 

Fraser weist darauf hin, dass Medienmacher schon vor der Verbreitung generativer KI durchaus Möglichkeiten zur Neubearbeitung und Wiederverwendung älterer Filme nutzen. Der Regisseur Peter Jackson arbeitete bei der Dokumentarserie The Beatles: Get Back (2021) und seinem Dokumentarfilm über den Ersten Weltkrieg They Shall Not Grow Old (2018) mit innovativen Techniken zur Bild- und Tonverbesserung. Bei beiden Projekten wurde gealtertes Filmmaterial digital restauriert und an heutige Standards angepasst. Das Originalmaterial aus dem frühen 20. Jahrhundert, das mit handgekurbelten Kameras gedreht wurde, musste neu getaktet werden, um das für damalige Filmaufnahmen charakteristische Zeitraffer-Ruckeln zu glätten, und es wurde neuer High-Definition-Ton aufgenommen, der mit Unterstützung von Fachleuten im Lippenlesen geschrieben wurde.

Aus Sicht der Studios wären KI-gestützte Innovationen, die eine effizientere und effektivere Wiederverwendung ermöglichen, eindeutig wünschenswert; entsprechend hoch ist die Investitionsbereitschaft einzuschätzen.

Zwei kürzlich erzielte technologische Durchbrüche aus der akademischen Forschung zeigen neue Möglichkeiten auf, wie KI-Tools die Erstellung, Wiederverwendung und Neubearbeitung von Filmmaterial unterstützen können. RE:Color wurde an der Technischen Universität Graz entwickelt und verwendet KI zur Kolorierung von monochromem (schwarzweißem) Filmmaterial. Die automatische Einfärbung von Bildern ist nicht neu, war aber mit bisherigen Methoden ein arbeitsintensiver Prozess, dessen Ergebnisse wenig authentisch wirkten. 

Eine zweite erwähnenswerte Neuerung wurde in Zusammenarbeit zwischen Cornell Tech und Google Research entwickelt. Das Tool namens DynIBaR kann aus vorhandenem Filmmaterial einen Clip aus einem neuen Blickwinkel erstellen, der die Perspektive von einem anderen Punkt der dargestellten Szene zeigt. DynIBaR wird bisher hauptsächlich zur Bildstabilisierung eingesetzt – man kann sich jedoch unschwer einen weiteren Algorithmus vorstellen, der einen anderen physischen Ort innerhalb einer Szene als Ausgangspunkt für die Erstellung von neuem Material nimmt, vielleicht mit Konzentration auf den POV einer Hintergrundfigur, um eine ganz neue Geschichte zu erzählen.

Tools wie diese bewirken bereits auf dem heutigen Entwicklungsstand massive Veränderungen in der Medien- und Unterhaltungsbranche. Im November 2023 kündigte die Warner Music Group ein neues Biopic über das Leben von Edith Piaf an, in dem die Stimme der französischen Chanson-Sängerin 60 Jahre nach ihrem Tod mithilfe von KI und historischen Ton- und Filmaufnahmen quasi wieder zum Leben erweckt werden soll.

Unbegrenzte Möglichkeiten durch KI-gestützte Technologien

KI in der Filmindustrie heißt auch Unterstützung bei der Bildstabilisierung
Mit Tools zur Bildstabilisierung wie DynIBaR (unten rechts) lassen sich möglicherweise neue Inhalte aus vorhandenem Filmmaterial erstellen, die die Handlung etwa aus der Perspektive einer Nebenfigur erzählen. Credit: DynIBaR.

Die Weiterentwicklung heutiger KI-gestützter Technologien stellt nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für die Neubearbeitung und Wiederverwendung vorhandener Inhalte in Aussicht.

Der Gründer der Gaming-Bibliothek Game Clubz, Vlad Susanu, sieht eine Parallele zu den laufenden Einnahmen, die sich mit Spielen erzielen lassen. „Diese Tools stellen überzeugende neue Möglichkeiten bereit, mehr Gewinn aus den Studioarchiven herauszuholen, ähnlich wie herunterladbare Inhalte (DLC) und Erweiterungen die Lebensdauer von Spielen verlängern“, sagt er. „Kolorierte und digitalisierte Fassungen zeitloser Filmklassiker könnten die Nachfrage nach Streaming-Abonnements oder Pay-per-View-Käufen ankurbeln, vor allem bei einem jüngeren Publikum, das mit den alten Schwarzweiß-Fassungen wenig anfangen kann.“ 

Denkbar wären etwa spezialisierte Filmfestivals oder Streaming-Dienste mit KI-gestützten Produktionen, die das gesamte Werk der Marx Brothers in realistischen Farben zeigen oder beliebte Filmreihen aus der Sicht einer Nebenfigur neu erzählen – vielleicht Hagrid aus den „Harry-Potter“-Filmen oder C-3PO aus dem „Star Wars“-Universum. 

Die nächste Frage lautet, inwieweit das technisch Machbare auch tatsächlich wünschenswert ist. Neben urheberrechtlichen Bedenken steht auch die Sorge um die Wahrung der künstlerischen Integrität im Brennpunkt der Diskussion. Kunst gilt seit Jahrtausenden als alleinige Domäne des Menschen. Erfordert eine zeitgemäße Betrachtung, den Begriff auf Werke auszuweiten, die von Computern geschaffen wurden? Und hat die Bearbeitung eines von Menschen geschaffenen Kunstwerks durch KI negative Folgen für den Künstler und seine ursprüngliche Schöpfung?

Da Streaming-Dienste noch ein relativ neues Ertragsmodell sind und nach den sechsmonatigen Streiks ein eklatantes Loch im Kinokalender für 2024 klafft, könnte die künstlerische Integrität für die Studios derzeit zweitrangig sein: Sie werden kaum bereit sein, die riesigen unerschlossenen Märkte, die die KI verspricht, kampflos aufzugeben.

„Einen Markt gibt es dafür auf jeden Fall“, so Fraser. „Insbesondere für Anwendungsfälle wie die Neubearbeitung alter Filmklassiker, die vielleicht nicht mehr für IMAX oder große Bildschirme geeignet sind, weil die Qualität der Negative einfach nicht ausreicht. Das ist leider die Realität, und obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Marx-Brothers-Film eine Milliarde Dollar einspielt oder ein alter Elvis-Film monatelang in den Kinos läuft, ist durchaus denkbar, dass sich hier potenzielle Einkommensquellen erschließen.“

Wie Jeremy Toeman, CEO des KI-Start-ups Aug X Labs und ehemaliger Vice President von WarnerMedia/Sling/CBS Interactive, betont, geht es hier um Unternehmen, die auf riesigen Beständen an wirtschaftlich verwertbarem Archivmaterial sitzen, die sich im Laufe eines ganzen Jahrhunderts angesammelt haben.

„Wenn ich in meiner Zeit bei WarnerMedia etwas gelernt habe, dann, dass Traditionsunternehmen aus der Medienbranche über riesige Bibliotheken mit visuellen Inhalten verfügen“, erläutert er. „Die Mehrheit davon wird nicht genutzt und nicht vermarktet. KI wird es den Rechteinhabern ermöglichen, ihre Objekte aus der Versenkung zu holen und sie einem neuen Publikum zugänglich zu machen – entweder durch Trainieren neuer Modelle oder die Neubearbeitung mithilfe generativer KI. Für jeden, der einen Katalog von geistigem Eigentum besitzt, eröffnen sich hier riesige Chancen, die die Medienunternehmen unbedingt wahrnehmen sollten, um ihre Reichweite zu vergrößern.“

Risiken und neue Ertragsmodelle

KI in der Filmindustrie hat auch "Star Wars" erreicht
Generative KI kann Medienunternehmen bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnen, hochwertige neue Inhalte in erfolgreichen Franchises wie dem „Star Wars“-Universum zu entwickeln. Credit: The Walt Disney Company.

So weitreichend und schlagzeilenträchtig die Auswirkungen von KI in der Medienbranche auch sind, gehört doch viel mehr zur Erzeugung von Neufassungen alter Filme, als eine Filmdatei zu laden und auf „Kolorieren“ zu klicken. Das Trainieren neuer großer Sprachmodelle aus Inhaltsarchiven erfordert eine enorme Rechenleistung und ist mit entsprechend hohen Kosten verbunden, wie Toeman betont.

Hollywood hat jedoch tiefe Taschen – vor allem, wenn Profite in Millionenhöhe an den Kinokassen winken oder die Aussicht auf einen sprunghaften Anstieg der Streaming-Abonnenten besteht. Toeman fügt hinzu, dass die meisten Studios und Rechteinhaber in der Lage sein sollten, ihre Inhalte ohne hohe Kosten zu verwerten. 

Neben dem finanziellen Risiko stehen jedoch auch die Reputation und Markenkultur auf dem Spiel. Der letzte prominente Versuch, Schwarzweißfilme nachzukolorieren, wurde vom Medienmogul Ted Turner in den späten 1980er Jahren unternommen und war zwar zunächst profitabel, stieß jedoch in Fachkreisen auf heftige Kritik. Die Einschaltquoten für kolorierte Filme gingen in der Folge stetig zurück, und auf Turners Sender TCM liefen Schwarzweißfilme seit der Gründung 1994 in den Originalfassungen.

In gewisser Hinsicht scheint die KI-gestützte Wiederverwertung alter Filme alternativlos. Die Streaming-Revolution hat der Branche einen unstillbaren Durst nach neuen Inhalten beschert, und der Einsatz von KI zur Überarbeitung bereits existierender Filme und Serien könnte dazu beitragen, diese Nachfrage zu befriedigen und das lange versprochene Umsatzwachstum anzukurbeln. 

Die Softwareentwicklerin und Sicherheitsanalystin Kelly Indah, die für die Online-Plattform Increditools über Entwicklungen im KI-Bereich berichtet, stimmt dem zu, meldet allerdings auch Vorbehalte an. „Die schier unersättliche Nachfrage nach Inhalten halte ich für besorgniserregend, zumal das Publikum immer weniger Wert auf Qualität und Originalität zu legen scheint.“

Der CEO der Walt Disney Company, Bob Iger, stimmt Indah zu, dass Quantität nicht auf Kosten von Qualität gehen darf. Bei einer Telefonkonferenz mit Investoren Ende letzten Jahres gestand er ein, dass das Unternehmen „teilweise den Fokus verloren“ habe. Iger gelobte Besserung: Künftig wolle sein Unternehmen qualitativ hochwertige Projekte über die schiere Menge an Inhalten stellen und „kreative Exzellenz zum einzigen Leitprinzip bei der Erstellung unserer Inhalte machen“.

Man könnte durchaus argumentieren, dass für die Frage, ob der Einsatz von KI zur Erstellung neuer Inhalte aus vorhandenem Material legitim ist, ebenso gilt wie für die Frage nach der Legitimität von Kunst als solcher: Wenn die Ergebnisse überzeugend genug sind, ein zahlungskräftiges und zahlungsbereites Publikum zu finden, beantwortet sie sich von selbst.

Über den Autor

Als er jünger war, wollte er die Welt verändern. Später stellte Drew Turney fest, dass es einfacher ist, darüber zu berichten, wie andere Menschen dies tun. Er schreibt über Technologie, Kino, Wissenschaft, Bücher und mehr.

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