Integrierte Energiesysteme: Unabhängig vom Elektrizitätsnetz durch die Symbiose zwischen einem Gebäude und einem Auto
Das Einfamilienhaus und das Auto sind die tragenden Säulen des amerikanischen Traums und des aktuellen Klimadilemmas: Bequemlichkeit, Freiheit und Unabhängigkeit – auf Kosten ineffizienter und begrenzter fossiler Brennstoffe.
Deshalb konzentrieren sich viele Stadtplanungs- und Architekturunternehmen auf Themen, die diese althergebrachte Infrastruktur radikal infrage stellen. Könnte man die Wohninfrastruktur- und Transitverkehrsproblematik statt mit herkömmlichen Modellen, wie öffentlichem Nahverkehr und einer hohen baulichen Dichte, vielleicht besser dadurch lösen, dass man mithilfe integrierter Energiesysteme einfach die Beziehung zwischen Häusern und Autos ändert?
Das ist die dem Demonstrationsprojekt Additive Manufacturing Integrated Energy (AMIE) zugrunde liegende Hypothese. AMIE ist ein Gemeinschaftsprojekt des Oak Ridge National Laboratory (ORNL) des Energieministeriums in Tennessee, dem SOM-Büro in Chicago und 19 anderen Partnern. AMIE 1.0 verknüpft das Hybrid-Autogas-Elektro-Auto von ORNL, mit einer 20 Quadratmeter großen, gebäudeähnlichen Struktur, wodurch beide Strom erzeugen und miteinander teilen können.
Sowohl das Gebäude als auch das Auto sind 3D-gedruckt und geben Strom mit einem Wirkungsgrad von 85 % über eine drahtlose Andockstation weiter. Das Dach des Gebäudes ist mit dünnen Sonnenkollektoren bedeckt, die dieses mit Strom versorgen und die Autobatterie aufladen können. Das Fahrzeug ist mit einem Elektromotor ausgestattet, die Batterie kann aber über die integrierte Autogasanlage aufgeladen werden. Überschüssige Energie aus dem Auto kann an die Batterie des Gebäudes weitergegeben werden, wenn das Sonnenlicht nicht für dessen Stromversorgung ausreicht.
Selbst das Auto eines hartgesottenen Berufspendlers wird nur für jeweils ein paar Stunden benutzt, deshalb wird mit AMIE die ganztägige Zusammenarbeit von Fahrzeug und Gebäude angestrebt. „Es ist jammerschade, dass diese Fahrzeuge oft ungenutzt herumstehen und wenn sie benutzt werden, Energie verbrauchen, statt sie wiederzuverwerten“, sagt Brian Lee, Planungspartner von SOM.
Das Gebäude, das über eine Küchenzeile und ein ausklappbares Schrankbett verfügt, besteht aus einer Reihe von strahlend weißen, leicht biomorphen Rippen, die durch vorgespannte Stahlstäbe zusammengehalten werden. Jede Rippe hat kiemenähnliche Fenster, die von der Rückseite des Gebäudes gesehen verdeckt, vom Eingang her jedoch sichtbar sowie je nach Blickrichtung transparent oder opak sind.
Die Isolierung des Gebäudes besteht aus einem modularen System mit Vakuumdämmplatten, auch Modified Atmospheric Insulation genannt. Sie ist hocheffizient, nur zweieinhalb Zentimeter dick und flexibel, sodass sie sich problemlos den geschwungenen Formen des Gebäudes anpasst. Das Wandsystem vereint Statik-, Fassaden- und Isolierungssysteme in einer Baukomponente: Es besteht aus fünf Zentimeter dicken Abschnitten aus 3D-gedrucktem, kohlefaserverstärktem Harz.
Das Chassis des Wagens ist aus dem gleichen Material hergestellt. Roderick Jackson vom Oak Ridge National Laboratory zufolge ermöglichte der Einsatz von 3D-Druck seinem Team, die benötigten Materialien sehr schnell in die bahnbrechenden Energie-Sharing-Systeme zu integrieren. Das gesamte Projekt nahm von der Konzeption bis zur Ausführung nur ein Jahr in Anspruch.
Als erstes Projekt seiner Art gibt AMIE uns Antworten auf Fragen, die sich sonst nur bei einem umfassenden offenen Forschungsprojekt stellen würden: Was wäre, wenn Ihr Auto auch ein hauseigener Stromgenerator wäre? Was, wenn Ihr Haus Ihre Autobatterie aufladen könnte? Und was wäre, wenn Sie den Ausstoß eines schmutzigen, mit fossilen Brennstoffen befeuerten Kraftwerks ein wenig reduzieren könnten, indem Sie ein neues Auto kaufen?
In vielerlei Hinsicht ist AMIE immer noch ein konservativer, schrittweiser Ansatz zur Lösung der Wohninfrastruktur- und Transitverkehrsproblematik. Das Konzept stellt die Vorherrschaft von Einfamilienhäusern und privaten Autos nicht infrage. Da deren Besitzer bisher noch auf fossile Brennstoffe für ihre Fahrzeuge zur Versorgung ihrer Haushalte angewiesen sind, bringt es diese beiden Infrastrukturmodelle lediglich in einer neuen – wenn auch effizienteren – wirtschaftlichen Beziehung zusammen.
Lee und Jackson sind sich bewusst, dass AMIE nicht die endgültige Lösung sein kann, um Klimawandel und Kohlendioxid-Emissionen einzudämmen. „Wir sagen nicht, dass wir Einfamilienhäuser und möglicherweise Autos auf diese Weise mit 3D-Druck herstellen sollten“, sagt Lee. „Es geht vielmehr darum, Energiethematiken zu beleuchten, wie zum Beispiel die Transportierbarkeit.“ Die Forschung dient zur Sondierung von zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten, die komplett anders aussehen könnten. So könnte Lee sich den Einsatz dieser Technologie sehr gut in einem städtischen Konzept vorstellen. Wenn ein kleines Gebäude und ein Auto sich gegenseitig mit Strom versorgen können, was könnten dann eine U-Bahn und ein Hochhaus zusammen erreichen?
Die wichtigste Neuerung von AMIE ist die gemeinsame Nutzung von Energie in Wohninfrastruktur und Transitverkehr, nicht die spezifischen Formen von Verkehrsmitteln und Gebäuden. „Autos und Gebäude eigneten sich jedoch hervorragend als Demonstrationsobjekte“, sagt Lee.
Wenn man das abstrakte „Sharing“-Konzept auf alltägliche Situationen überträgt, wird es von der Öffentlichkeit unmittelbar verstanden. „Wir versuchen, ein Bild davon zu zeichnen, was die Zukunft bringen könnte, aber wir arbeiten immer noch im Bereich des bereits heute Machbaren“, sagt Jackson. „Autos wird es noch eine ganze Weile geben – es ging uns darum, bestehende Infrastrukturen wirksamer einzusetzen.“
Der robuste schwarze Geländewagen und das schmale, anhängerähnliche Gebäude sehen so aus, als könnte man damit losfahren, um „der Apokalypse zu entkommen“, sagt Lee. Aber dafür ist das Projekt natürlich nicht gedacht. Der „Endzeit“-Gedanke ist aber gar nicht so weit von dem entfernt, wie man diese Technologie nutzen könnte. Jackson sagt, dass er gerne herausfinden möchte, wie das netzunabhängige AMIE-Konzept Überlebenden von Naturkatastrophen helfen könnte, ganz zu schweigen von den vielen Millionen Menschen, die gar keinen Zugang zum Stromnetz haben. Und wenn man eine ganze Armee von eigens für diesen Zweck entwickelten und gebauten AMIE-Modellen zu Höchstverbrauchszeiten einsetzen könnte, könnte man damit den Bau weiterer Kohle- und Kernkraftwerke verhindern.
Aber in einem Jahr, in dem der erste Mad Max-Film seit 30 Jahren wieder die Kinokassen klingeln lässt, erscheint AMIE gleichzeitig wie eine Oase des technologischen Komforts und ein Rückzugsmittel im Falle einer Katastrophe epischen Ausmaßes. Auch wenn AMIE 1.0 das elegante Design eines Apple-Produkts oder eines Induktionsherds hat, so wäre AMIEs Endzeitsprössling bei einem kompletten Zusammenbruch der Gesellschaft wohl doch eher mit Waffenhalterungen und Ladevorrichtungen ausgestattet. Im Rahmen einer offenen, iterativen Forschung könnte AMIE 2.0 Jackson und Lee zufolge aber wieder etwas völlig anderes werden.