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Generatives Design verspricht mehr Produktivität in Bauwesen und Architektur

the acoustic ceiling in the University of Iowa’s Voxman School of Music concert hall, which was designed via generative design.

Mit dem Einzug des generativen Designs in die Architektur-, Ingenieur- und Baubranche bricht ein neues Zeitalter an: In Zukunft werden Planer und Bauunternehmer Computer nicht mehr bloß als Hilfsmittel zur Anfertigung von Entwürfen nutzen, sondern sie aktiv in den Bauprozess einbinden.

Früher, bevor GPS-Systeme zum Alltag gehörten, musste man – dem eigenen Stolz zum Trotz – anhalten und nach dem Weg fragen, wenn man sich verfahren hatte. Dank intelligenter Dienste wie Google Maps oder Waze kann man das Berechnen des schnellsten Weges heute einer Maschine überlassen und sich so auf das Wesentliche konzentrieren: das Autofahren.

Auf ähnliche Weise werden sich zukünftig auch Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer von ihren Computern durch den Planungs- und Bauprozess führen lassen, um sich selbst voll und ganz ihrer Kernaufgabe widmen zu können – der erfolgreichen Projektplanung und Errichtung prächtiger Gebäude.

Digital vs. computergesteuert

Doch wie genau könnte diese Kollaboration zwischen Mensch und Maschine aussehen? Zunächst gilt es, zwischen den Begriffen „digital“ und „computergesteuert“ zu unterscheiden. Digital ist heutzutage fast alles. Wenn Sie zuhause einen intelligenten Lichtschalter umlegen, fällt das in die Kategorie „digital“. Ist Ihr Beleuchtungssystem hingegen so programmiert, dass es Sie anhand Ihres Mobiltelefons erkennt und von selbst angeht, wenn es Ihre Anwesenheit registriert – beziehungsweise ausgeht, wenn Sie sich mehrere Tausend Kilometer weit entfernt aufhalten –, ist es computergesteuert.

Der Architekt und ehemalige Dekan der Princeton University School of Architecture Stan Allen hat den Unterschied zwischen digital und computergesteuert einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Ist etwas digital, handelt es sich dabei um einen Daseinszustand. Bezeichnet man hingegen etwas als computergesteuert, meint man damit aktive Prozesse.“

A view of the Heydar Aliyev Center's sweeping curves while under construction.
Der Entwurf des Heydar Aliyev Center mit seinen verschlungenen Windungen aus der Feder von Zaha Hadid Architects entstand mithilfe früher skriptbasierter Geometrie-Engines. Mit freundlicher Genehmigung von Zaha Hadid Architects.

Der Wandel von der digitalen hin zur computergesteuerten Welt ist in der Planungs- und Baubranche gerade in vollem Gange. Dort weicht die „Erstellung von Daten“ (mithilfe von CAD-Tools oder digitalen Fotos) zunehmend der „Nutzung von Daten“, bei der Computer Daten generieren, bearbeiten und anwenden, um bessere Ergebnisse zu erzielen.

Die Verwendung digitaler Dokumente, von CAD-Zeichnungen bis hin zu Tabellenkalkulationen, ist schon seit Jahrzehnten gängige Praxis. Doch erst mit der Einführung von Skripten für CAD-Software und Makros für Tabellenkalkulationsprogramme eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten, um auf architektonische und bautechnische Informationen zuzugreifen, diese zu bearbeiten und sogar zu generieren. Genau das hat Allen mit dem computergesteuerten, aktiven Prozess gemeint.

Mit Skripten zu neuen Formen

Vor fast 20 Jahren bedienten sich Architektinnen und Architekten zum ersten Mal einer neuen Technik, dem sogenannten Scripting (sprich: Programmierung). Ihr Ziel war es, die Bearbeitung computergenerierter geometrischer Formen auf völlig neue Weise anzugehen. Das Ergebnis war eine neue Generation der Gebäudeplanung und -konstruktion. In der Folge setzten Computer der Vorherrschaft des rechten Winkels ein Ende und neue Strukturen und Kurvenformen hielten nicht nur Einzug in technische Zeichnungen, sondern konnten auch praktisch umgesetzt werden.

Mit den ersten Skripten ließen sich damals verfügbare Programme bedienen, insbesondere Geometrie-Engines wie Rhino oder AutoCAD von Autodesk. Im Zuge dessen konnten komplexe und ambitionierte Baupläne, wie etwa der Entwurf des Heydar Aliyev Center von Zaha Hadid Architects, verwirklicht werden. Bei den Skripten von heute handelt es sich hingegen um hochentwickelte Algorithmen, die mit einer weitaus größeren Bandbreite digitaler Tools kompatibel sind und damit für eine neue Strategie stehen: Generatives Design und generative Fertigung.

Acoustic panels for the Voxman School of Music's concert hall.
Bei der Gestaltung der Konzerthalle der Voxman School of Music kamen Skripte zum Einsatz. Sie dienten zum einen der Prototypenentwicklung und lieferten dem Bauunternehmen zum anderen wichtige Informationen über die Geometrie der Bauplatten und die Reihenfolge ihres Einbaus. Mit freundlicher Genehmigung von LMN Architects.

Von noch zentralerer Bedeutung als der größere schöpferische Spielraum, den das Scripting Architekten und Bauunternehmern bietet, ist jedoch die von generativen Tools ermöglichte Verknüpfung von Gestaltungs- und Fertigungsprozessen.

Ein Beispiel dafür ist die Decke der neuen Konzerthalle der Voxman School of Music an der University of Iowa, die von LMN Architects entworfen wurde. Diese sollte neben ihrer Funktion als akustischer Reflektor sowie Licht- und Luftverteiler zusätzlich auch architektonische Akzente setzen. Mithilfe verschiedener generativer Skripte entwickelten die Gestalter zunächst einen Prototyp der Decke, den sie anschließend in Form eines architektonischen Meisterwerks in vollem Umfang umsetzen konnten.

Die Skripte stellten sie außerdem dem Bauunternehmen zur Verfügung, sodass dieses sich auf eine genaue Beschreibung der geometrischen Formen sowie der Bauschritte für die Fertigung und den Einbau der Decke berufen konnte.

Diese digitalen Informationen, die auf den Berechnungen der generativen Algorithmen von LMN basierten, konnte das Bauunternehmen anschließend direkt für die Produktion verwenden. So war gewährleistet, dass das Endprodukt exakt dem Entwurf der Architekten entsprach und mit der Präzision eines Computers verwirklicht werden konnte.

Die Akustikdecke, die man mit konventionellen Methoden weder hätte konzipieren, geschweige denn konstruieren können, ist eine spektakuläre Errungenschaft der modernen Architektur. In diesem Fall trug der generative Ansatz sowohl zur Entstehung des Entwurfs als auch zur bautechnischen Umsetzung des physischen Objekts bei.

Acoustic panels being installed at the Voxman School of Music.
Im Falle der Voxman School of Music trug der generative Ansatz sowohl zur Entstehung des Entwurfs als auch zur bautechnischen Umsetzung des physischen Objekts bei. Mit freundlicher Genehmigung von LMN Architects.

Generatives Design auf der Baustelle

Generative Verfahren sind allerdings nicht nur im Architekturbüro von Nutzen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Dieter Vermeulen mit dem Titel „Crane Position Optimization“ (zu Deutsch etwa: Kranpositionsoptimierung) haben Bauunternehmer unter Verwendung von Autodesks Project Fractal (mittlerweile neu aufgelegt als Project Refinery) die Gelegenheit, die am besten modellierte Strategie für den Bau eines Hauses aus vorgefertigten Bauplatten zu wählen.

Dabei testet der Algorithmus verschiedene Positionierungen des Lkws, der die Bauplatten anliefert, sowie des Krans, der diese an der vorgesehenen Stelle absetzt. Das Ziel ist es, unter Berücksichtigung des Bauplans, des Gewichts der Bauplatten, der Kapazität der Gerätschaften und der Zugänge rund um die Baustelle den effizientesten Bauprozess zu bestimmen – ein zugegebenermaßen komplexes Unterfangen, das jedoch den Vorteil bietet, dass die einzelnen Abläufe schon lange vor Baubeginn automatisch errechnet werden können.

Dieses Vorgehen vereint gleich mehrere wesentliche Aspekte. Erstens: Der Bauunternehmer hält sein Wissen darüber, wie man am besten ein Fertighaus aus Beton baut, in dem generativen Skript fest, das er für den Montageprozess anfertigt. Damit macht er diese Information, die nun immer wiederverwendet werden kann, jedem Projektmitarbeiter zugänglich.

A crane lifts precast panels while a construction worker looks on.
Das Projekt „Crane Position Optimization“ arbeitet mit einem Algorithmus, der die Parameter von Bauprozessen analysiert, damit Bauunternehmer aus verschiedenen modellierten Strategien für den Zusammenbau vorgefertigter Bauplatten die beste Alternative auswählen können.

Zweitens: Das für den Bau zuständige Team muss sich bei der Entscheidung darüber, wo der Kran die Bauplatten platzieren und der Lkw sie anliefern soll, nicht mehr blind auf das Wissen und Urteilsvermögen des Bauunternehmers verlassen. Im Gegenteil, es kann nun selbst verschiedene Szenarien durchspielen, um so den Bauprozess zu optimieren – und da dieser Herangehensweise ein digitales Gebäudemodell zugrunde liegt und die generativen Prozesse von einem Computer berechnet werden, entstehen dadurch praktisch keine Kosten.

Um die ideale Vorgehensweise zu finden, können buchstäblich Hunderte von Optionen durchprobiert werden. Hinzu kommt, dass der generative Algorithmus sowohl die Simulation durchführen und bewerten als auch – auf Basis von Parametern, die das generative Skript selbst vorgibt – die beste Lösung finden kann. Neben dem Architekturbüro hat computergestützte Modellierung somit mittlerweile einen festen Platz auf der Baustelle.

Effizienter Einsatz von Computersteuerung im Baugewerbe

Doch damit nicht genug: Die im Skript verankerten Fachinformationen könnten, sofern die Bauunternehmer den Planern diese während der Bauphase zugänglich machen, sogar wieder ihren Weg zurück zu den Architekten finden, bevor der endgültige Bauplan fertiggestellt wird. Die Wahl der vorgefertigten Betonplatten, um bei unserem Beispiel zu bleiben, wirkt sich wesentlich auf die Kosten, den Zeitrahmen und die Logistik des Projekts aus – Faktoren, die den Architekten bei der Gestaltung des Gebäudes sonst möglicherweise verborgen bleiben würden. Wie effizient könnten Konstruktionsprozesse wohl aussehen, wenn Baupläne nicht nur die Wahl der Fertigbauelemente, sondern ebenfalls die optimale Bauweise berücksichtigen würden?

Künftig werden Bauunternehmer ihren Kollegen aus dem Planungsbereich Skriptbibliotheken zur Verfügung stellen, die auf eine ganze Palette anspruchsvoller bautechnischer Probleme anwendbar sind. So werden die Planer in der Lage sein, zunächst zu testen, ob ein Gebäude tatsächlich umgesetzt werden kann, während es sich noch im Stadium eines digitalen Konzepts befindet – und nicht erst vor Ort, wenn es in voller Größe und mit allen anfallenden Kosten gebaut werden soll.

Digitale Objekte wie zum Beispiel vorgefertigte Bauplatten werden computergenerierte Anleitungen umfassen, die zum einen Aufschluss über die Maße, das Gewicht und die Anschlussstellen der Objekte geben und zum anderen zeigen werden, wie Kräne, Laster und Bauarbeiter im Rahmen des Montageprozesses mit diesen interagieren. Zudem werden die Anleitungen Informationen dazu liefern, wie die Objekte am besten befestigt, gedämmt oder anderweitig in das jeweilige Bauwerk integriert werden können. So wird es möglich sein, bautechnisches Fachwissen zu generieren, zu speichern, zugänglich zu machen und mit der Zeit zu optimieren. Das Endergebnis wird letztlich ein Prozess sein, der sich von der Planung bis hin zum Bau flüssiger, nahtloser und effizienter gestaltet.

Die Baubranche hat bereits seit geraumer Zeit mit Produktivitätsproblemen, Auseinandersetzungen zwischen Planern und Bauunternehmern sowie gerichtlichen Klagen seitens unzufriedener Auftraggeber zu kämpfen. Techniken des generativen Designs setzen dort an, wo diese Probleme entstehen, indem sie Projektteams mit computergestützten Anwendungen für den Wissenstransfer, die Lösungsfindung und die Verbesserung von Endresultaten ausstatten. Stan Allen würde uns sicher beipflichten, dass heutzutage die meisten Projekte zwar digital sein mögen, das wahre Verbesserungspotenzial für die Baubranche jedoch in der Computersteuerung liegt.

Autodesk Fellow Phil Bernstein ist Associate Dean and Senior Lecturer an der Yale School of Architecture. Sein neues Buch „Architecture – Design – Data: Practice Competency in the Era of Computation“ wurde im Oktober 2018 von Birkhauser Architecture veröffentlicht.

Über den Autor

Phil Bernstein ist Architekt, Technologe und seit 1988 Dozent an der School of Architecture der Yale University, wo er zuvor selbst studiert und seinen Bachelor of Arts und Master of Architecture erworben hatte. Als Vice President bei Autodesk war Bernstein früher dafür verantwortlich, die Vision und Strategie für unser BIM-Technologie-Angebot auszuarbeiten. Vor seiner Anstellung bei Autodesk war er Principal beim Architekturbüro Pelli Clarke & Partners, wo er viele der komplexesten Projekte des Unternehmens leitete, darunter den Bau des Reagan Washington National Airport sowie Projekte für die Mayo Clinic und Goldman Sachs. Bernstein ist Autor von Machine Learning: Architecture in the Age of Artificial Intelligence (2022), Architecture | Design | Data – Practice Competency in the Era of Computation (2018) und Mitherausgeber von Building (in) the Future: Recasting Labor in Architecture (2010, mit Peggy Deamer). Darüber hinaus ist er Autor, Redner und Berater für die Bereiche Technologie, Praxis und Projektabwicklung und Fellow des American Institute of Architects.

Profile Photo of Phil Bernstein - DE